Ein absolutes Lesehighlight
Der SchacherzählerBisher hat der ältere Herr einfach nur griesgrämig seinen Alltag verrichtet. Seine Mitmenschen sind ihm eher Last als Freude. Einzig das Schachbrett bietet im Abwechslung und Ablenkung. Als er, wie jeden ...
Bisher hat der ältere Herr einfach nur griesgrämig seinen Alltag verrichtet. Seine Mitmenschen sind ihm eher Last als Freude. Einzig das Schachbrett bietet im Abwechslung und Ablenkung. Als er, wie jeden Tag, auf seinen Stammplatz im Park sitzt und ein neugieriger kleiner Junge vor ihm steht, weist er ihm zunächst barsch ab. Aber Janne lässt sich nicht so einfach abspeisen und bleibt hartnäckig. Aus dem Griesgram wird Oldman und Janne gelingt es nach und nach, das Herz des Mannes für sich zu gewinnen. Es wird deutlich, dass sich die beiden gut tun. Aber dann sitzt Oldman nicht mehr auf seinem Stammplatz...
Manchmal gibt es Bücher, die sich mit ganz vielen leisen Worten in das Herz der Leser;innen schleichen und dort ihre geballte Kraft entfalten. Und genau das gelingt Judith Pinnow mit ihrem Roma "Der Schacherzähler", denn sie lässt nicht nur Zug um Zug die beiden männlichen Figuren Nähe entwickeln, sondern öffnet mit jeder Seite den Blick in ihren Alltag und ihr Herz.
Es geht um so viel mehr als um eine Geschichte, denn hier halten ganz besondere Werte im Buch Einzug, die uns leider im Alltag zu oft verloren gehen. Ein achtsames Miteinander, bedürfnisorientiertes Begleiten von Kindern, Empathie und Nächstenliebe werden von der Schreibenden zunächst in kleinen alltagstauglichen Dosen in die Handlung eingestreut, um nach und nach ihre Wirkung zu entfalten, um die Lesenden für diese Themen zu sensibilisieren.
Janne wird von seiner Lehrerin zu Unrecht als sogenannter Systemsprenger abgestempelt, dabei steckt in ihm ein liebenswertes Kind, das mit einer großartigen Auffassungsgabe, sowie einer großen Portion Mitgefühl und Einfühlungsvermögen gesegnet ist. Dieser kleine Junge steckt voller Überraschungen, kindlichen Weisheiten und seiner uneingenommen Sicht auf die Dinge, von der wie als Erwachsene noch unglaublich viel lernen können. Pinnow lässt Jannes Herz sprechen und gibt ihren Leser:innen die Chance, ganz viel von ihm zu lernen und in den eigenen Alltag zu integrieren.
Mit der Figur des Oldman schlägt Pinnow gleich zwei Brücken: Einmal stellt sie eine langsam wachsende Freundschaft zwischen dem alten Mann und Janne her und dann steht Oldman auch noch stellvertretend für unsere eigenen Eltern, die uns manchmal ein Rätsel sind. Miteinander reden ist das Zauberwort, das Zug um Zug die Türen zu lange verschlossenen Herzen öffnet.
Auch die anderen Figuren im Buch begegnen uns häufig im eigenen Alltag und die Autorin öffnet uns mit ihrer märchenhaften Erzählung die Augen, um in unserer täglichen Routine einfach etwas ´genauer hinzuschauen und nicht wertend zu urteilen, sondern auf das zu hören, was unserer Herz und unser Bauchgefühl uns mitteilen.
Ihre Botschaften sind dabei sehr liebevoll formuliert und einfach umsetzbar: Manchmal müssen wir unseren Mitmenschen einfach nur mit ein bisschen mehr Achtsamkeit und Empathie begegnen, um aus dem/der Fremden einen guten Freund werden zu lassen.
Schach spielt in diesem Buch eine große Rolle, wird aber nicht als theoretische und komplizierte Strategie eingebunden, sondern findet in den einzelnen Kapiteln als Anreiz zum Perspektivenwechsel statt, um in die Gefühls- & Gedankenwelt der jeweiligen Figuren hineinzuschlüpfen, um sie besser zu verstehen. Für Janne bedeutet der strategische Ablauf eine Spiels Konzentration, Motivation und logisches Erkennen von Zusammenhängen.
Auch das Rückwärtsdenken von Ursache und Wirkung aus dem Schach wird von Pinnow genutzt, um die Ereignisse im Buch im Rahmen einer (Selbst-) Reflexion zu sehen und daraus die passenden Schlüsse zu ziehen, um die Gegenwart und Zukunft positiver zu gestalten.
Ein leiser Roman, der unglaublich intensiv und gefühlsbetont ist, ohne dabei kitschig zu sein.