Zunächst einmal sticht einem das schön gestaltete Cover in die Augen. Auch der innere Einband und die erste Seite, die passend zum Titel als Briefumschlag gestaltet ist, gefallen mir sehr gut und entsprechen dem Inhalt der Geschichte. Bevor es dann richtig los geht, bekommt der Leser die Möglichkeit sich den Stammbaum der Familie Romeyn anzuschauen. Für die ersten Kapitel ist dies recht hilfreich, da man ziemlich schnell mit vielen verschiedenen Namen und Charakteren konfrontiert wird und so einen Überblick behalten kann. Im weiteren Verlauf der Geschichte ist der Stammbaum nicht mehr nötig, aber eine schöne Idee der Autorin.
Kurz und knapp gesagt, geht es in diesem Roman um eine Familie, eine Stadt und eine Senatorentochter. Diese heißt Layla Beck und wird von ihrem Vater in die Kleinstadt Macedonia nach West Virginia geschickt um im Rahmen eines Schriftstellerprojekts die Geschichte Macedonias aufzuschreiben. In dieser Zeit wohnt die 20-Jährige bei der Familie Romeyn. Diese besteht aus dem Vater Felix, mit seinen beiden Töchtern Bird (9 Jahre alt) und Willa (12 Jahre alt), seiner Schwester Jottie, die sich um die beiden Kinder kümmert, sowie aus den Zwillingsschwestern Mae und Minerva. Layla lernt in dieser Zeit unabhängig von ihrer Familie zu sein und „erwachsen“ zu werden. Die Familie Romeyn hat sich mit ihrem „Familien“-Geheimnis auseinanzusetzten und Willa taucht in eine Welt voller Geheimnisse und Geschichten ein.
Wie bereits angedeutet, treten in den ersten Kapiteln viele verschiedene Personen gleichzeitig auf. Sodass der Leser noch nicht in einen Lesefluss kommt und die ersten 35 Seiten sich eher langatmig erstrecken. Zu diesem Zeitpunkt ist dem Leser auch noch kein zentrales Thema der Geschichte klar und auch nicht, auf welchen Punkt die Geschichte hinauslaufen wird. Bald danach kann der Leser die Verbindungen herstellen und gelangt mitten ins Geschehen.
Erzählt wird durch wechselnde Ich-Erzählerinnen, wie Willa, Layla und Jottie. Des Weiteren erfährt der Leser ebenfalls einiges durch Laylas Briefwechsel mit ihrer Familie, Auftraggebern des Geschichtsbuches und Freunden. Diese abgedruckten Briefe sind eine tolle Idee, da sie stückchenweise Informationen freigeben, die der Leser sich im Zusammenhang mit den Antwortbriefen selbst zusammenreimen kann. Manche Briefe sind unter anderem eher 'geschwollen' formuliert, sodass der Schreibstil für die damalige Zeit und Verhältnisse sehr authentisch wirkt. Ferner werden Teile des Geschichtsbuch, die Layla schreibt, eingeschoben. Auch das hat mir sehr gut gefallen und sie sind ganz und gar nicht langweilig. Zudem kann man beobachten, dass Layla beim Schreiben Fortschritte macht und sich sprachlich verbessert. Ein weiteres abwechslungsreiches Schreibmittel ist, dass zwischendurch immer wieder kleine Teile aus Jotties Erinnerungen in die Geschichte eingefädelt werden, wie kleine Flashbacks.
Was mir jedoch nicht ganz klar ist, ist, warum der Titel „In Liebe, Layla“ lautet. Sicherlich passt es damit zusammen, dass Laylas Briefe aufgegriffen werden und sie mit eben diesem Wortlaut enden. Auch verliebt sich Layla und verabschiedet sich quasi von ihrem 'alten' Leben....doch für einen Titel scheinen mir das zu flache Begründungen zu sein. Mal abgesehen davon, dass der Titel gut klingt und an sich schön wirkt. Jedoch kann man nicht behaupten, dass Layla DIE zentrale Figur der Geschichte wäre. Dies ist unter anderem ein weiterer Punkt, der den Roman zu so einem guten macht: Es gibt nicht eine oder zwei Hauptfiguren, um die und deren Handlungen sich die Geschichte rankt, sondern es sind fünf und einige wichtige Nebenfiguren, dessen Zusammenspiel das Zentrale ist.
Im Endeffekt ist der Roman so schnell durchgelesen, dass es einem ganz und gar nicht wie eine 600 Seiten lange Geschichte vorkommt. Der Schreibstil ist sehr angenehm und leicht zu lesen. An manchen Stellen baut die Autoren sehr gewitzte und auch tiefsinnigere Sätze ein, über die man kurz schmunzeln oder nachdenken muss. Gerade das hat mir besonders gut an diesem Buch gefallen. Zwei Beispiele hierfür:
-„[...] ich bin auch nicht besser als eine Zofe in einem viktorianischen Roman, die sich von den Versprechen des verwegenen Sohns auf Respektabilität verführen lässt.“ (S. 250)
-„Ich habe gelernt, dass Geschichte die Autobiographie des Historikers widerspiegelt, dass nur ein Narr die Vergangenheit missachtet und dass Loyalität nicht zwangsläufig bedeutet, immer einer Meinung zu sein , sondern seine Meinung für die Menschen, die man liebt, lautstark kundzutun.“ (S. 571)
Der Hintergrund, warum Layla in die „Provinz“ nach Macedonia geschickt wird ist, dass ihr Vater einen Ehemann für sie ausgesucht hat, sie diesen aber für einfältig und eingebildet hält, ihn nicht heiraten will und sich damit dem Willen ihres Vaters, dem Senatoren in Washington D. C., widersetzt. Durch ihre Mitarbeit an dem Schriftstellerprojekt gehört sie dann quasi der arbeitenden Klasse an und muss auch noch in einer Kleinstadt auf dem Lande leben. Neben dem Abgrenzungsprozess, den Layla während der Geschichte durchläuft, werden indirekt auch die damaligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten thematisiert. Die Autorin hat dies sehr gut historisch recherchiert und ganz beiläufig, aber authentisch in die Geschichte einfließen lassen. Neben der Entwicklung die Layla durchmacht, kommt natürlich auch die bildliche Beschreibung der Figuren nicht zu kurz. So wird Layla als junge Frau mit „schimmernden, dunklen Locken“ und „großen, braunen Augen“ als „adrett“ und „gebildet“ beschrieben.
Für den Leser mag es sich zunächst nicht besonders interessant anhören, dass es in diesem Roman auch um die Geschichte einer Stadt geht. Genauer betrachtet besteht die Geschichte einer Stadt aus den Geschichten einiger Menschen, die in einem bestimmten Raum zusammen leben. Dadurch wird die Geschichte Macedonia's auch ganz und gar nicht langweilig. Der Leser entdeckt in jedem neuen Kapitel Einzelheiten von den Geschichten der Macedonier, die er versucht zusammenzusetzen und so zu einem Ganzen und der Lösung des Rätsels zusammenzufügen. Dass dieser Aspekt des Romans nicht langweilig ist, zeigen folgende Zitate von Layla:
- Layla fragt Felix, warum der Stadtrat ein Geschichtsbuch über Macedonia haben will. Darauf antwortet Felix: „Vermutlich wollen die Macedonier den Anschein von Ehrbarkeit geben. Beständigkeit und Standhaftigkeit und all das.“ „Wissen Sie, was ich denke?“ fragte Layla. „Ich glaube, die Geschichte soll zeigen, dass das, was sie jetzt sind, unausweichlich war.“ (S. 174)
- „In Macedonier, West Virginia, habe ich mit niemandem wie ihm gerechnet, was wohl zeigt, wie engstirnig ich bin. Ich habe nicht unbedingt mit lüsternen Steckrübenfarmern gerechnet, aber mit etwas in der Art. Jedenfalls mit Hinterwäldlern. Stattdessen habe ich eine Kleinstadt vorgefunden, die wie jede andere Kleinstadt aussieht, mit breiten Straßen, alten Ulmen, weißen Häusern und einem mitgenommenen, ausgestorbenen Marktplatz in der Mitte – und alles brodelt vor weißglühender Leidenschaft und griechischer Tragödie.“ (S. 225)
- „Sie wollte, dass 'Die Geschichte von Macedonia' die Langweiler verschmähte und die Geistreichen amüsierte, die Romeyns beförderte und die Parker Davieses scharf zurechtwies und belegte, dass sie, Layla Beck, alles gesehen hatte, wofür die anderen blind gewesen waren.“ (S.234)
Zu den Charakteren:
Jottie:
Sie ist die Schwester von Felix und damit die Tante von Willa und Bird. Sie versucht um jeden Preis nach außen hin ein gutes Bild zu wahren. Sie liebt ihre Familie und besonders die zwei Mädchen sehr, um die sie sich hauptsächlich kümmert. Dementsprechend versucht sie die Familie vor allem Schlechten zu schützen. Die Mutter der beiden Mädchen ist von Felix geschieden und lebt mit einem anderen Mann an einem anderen Ort zusammen. Als junges Mädchen war Jottie in Vause verliebt, der bei einem tragischen Feuerausbruch in der Firma ihrer Eltern umgekommen ist. Unter diesem Verlust litt sie sehr schwer. Es werden keine expliziten Andeutungen gemacht, jedoch hatte ich beim Lesen öfters den Eindruck, als könnte Willa womöglich Jottie und Vause's Tochter sein. Ein Geheimnis, das nicht gelüftet wird oder eine Fehlinterpretation meinerseits ist.
Felix:
Er hat zwei Töchter, Willa und Bird, die er sehr liebt. Jedoch ist es ihm nicht so wichtig viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Er ist voller Geheimnisse und für die Menschen in seinem Umfeld und den Leser ist er schwer einzuschätzen, da man nicht weiß, was wahr und was nicht wahr ist. Zudem hat er etwas an sich, dass seine Mitmensch, besonders die Frauen, in seinen Bann zieht. Durch seine Ausstrahlung und sein Charisma scheint er immer alles zu bekommen, was er will. Er jedoch macht sich nicht viel aus den Frauen, die sich so leicht in ihn verlieben und spielt ein wenig mit den Menschen. Hierzu folgendes Zitat: „Felix machte sich nichts aus Frieden. Er zerstörte Frieden, wo immer er ihn fand, zerschlug ihn, als würde er Spinnweben durchtrennen – oder etwas Zartes, etwas, das er überhaupt nicht spürte.“ (S. 333)
Ein weiteres Geheimnis ist Felix Beruf. Er ist sehr oft unterwegs, manchmal auch mehrere Tage und niemand weiß so genau wo er sich befindet. Es gibt das Gerücht, dass er Alkohol schmuggle, was in Macedonia illegal ist. Jedoch wird dies zum Ende der Geschichte hin wieder infrage gestellt und Felix bleibt ein Misterium. Zudem kursiert unter manchen Stadtbewohnern das Gerücht, dass er damals die Firma seiner Eltern angezündet und Vause getötet habe.
Willa:
Sie ist 12 Jahre alt und die Tochter von Felix. Sie vergöttert ihren Vater und liebt Jottie über alles. Sie liest sehr viel und spioniert ihrer Familie und den Stadtbewohnern hinterher, um Geheimnisse über diese heraus zu bekommen. Dabei hat sie viel Fantasie und einen guten Spürsinn. In der Erwachsenenwelt gilt sie als Kind und wird auch so behandelt, sodass viele Geheimnisse von ihr fern gehalten werden. Hier wird deutlich, dass Kindheit damals etwas ganz anderes bedeutete als heutzutage. Des Weiteren ist Willa eifersüchtig auf Layla, da diese so viel Zeit mit Felix verbringt. Zum Ende hin enttarnt Willa ein Geheimnis und muss erfahren wie sich dieser Umstand anfühlt und zieht ihre Konsequenz daraus.
Hier ein paar Fragen, die mir im Laufe des Lesens in den Sinn gekommen sind, zum Schluss jedoch beantwortet wurden:
- Was macht es mit einem Kind/ dem Charakter von Willa, als sie erfährt, dass ihr idealisierter und
erhöhter Vater so etwas gesellschaftlich Unansehnliches tut?
- Warum versucht Felix Jottie den Umgang mit Sol auszureden? Sind seine Absichten eigennützig
oder versucht er Jottie zu schützen?
- Wird Felix Unrecht getan oder hat er Vause wirklich getötet?
- Kann eine Beziehung trotz gegenseitiger familiärer Spannungen aus der Vergangenheit
funktionieren? Was ist dann mit der Dankbarkeit und in der Schuld der Familie stehen und
Loyalität?
- Man konnte sich damals schon Scheiden lassen?!
Ein letzter positiver Punkt ist, dass der Roman mit einem Stadtfest in Macedonia beginnt und mit einem endet. Das macht die Geschichte zu einer runden Sache und rückt die Menschen der Stadt in den Fokus, anstatt ein paar der Figuren herauszustellen.
Kurzes und knappes Fazit:
- kein Liebesroman, mehr als ein historischer Roman
- gut recherchierte historische Gegebenheiten
- sehr gut ausgebaute, interessante und authentische Charaktere
- nicht idealisiert und unrealistisch
- gut und schnell zu lesen
- beim Leser wird Neugierde über die Geheimnisse der Stadt geweckt und man rät selber mit, dabei
sind die Lösungen nicht offensichtlich
- Ende ist nicht vorhersehbar
- bringt den Leser an manchen Stellen zum Nachdenken über bestimmte Themen
- sehr abwechslungsreich gestaltet (Fließtext, Briefe, „Flashbacks“, Auszüge Geschichtsbuch
Macedonia)
- Titel?
- Themen: Ablösung vom Elternhaus, zwei Seiten von Geheimnissen, jeder trägt seine Geschichte
mit guten und schlechten Aspekten, Vergebung-Akzeptanz-Hass, „Gut“ und „Böse“ sind Teil
jeden Charakters
- top Buch, hat mir sehr gut gefallen, deshalb 5 von 5 Sternen
Drei abschließende Zitate:
- „Das Einzige, was uns die Zeit lässt, ist die Entscheidung […] ob wir einander hassen oder nicht.“
(S. 597)
- „Die Wahrheit über andere Menschen ist ein Fass ohne Boden. Du versuchst deine Vorstellungen
von Ihnen zu zementieren, und dann erstickst du an dem Klumpen, den du geformt hast.“ (S. 601)
- „Wir alle betrachten eine Geschichte nach unserem eigenen Gutdünken. Keiner von uns ist
objektiv. Man muss auf der Hut sein, was die eigenen Quellen betrifft.“ (S. 233)