Die Prämisse ist denkbar einfach: Es geht um einen Turm voller magischer Übersetzerinnen inmitten eines magischen Oxfords. Doch dann beginnt man das Buch und es geht um einen Jungen in Canton, der 1828 dem Tod nahe ist und nach London gebracht wird. Bin ich im falschen Buch? Nein, unsere Hauptperson Robin erhält nur erst die nötige Vorbildung, um in Babel überleben zu können.
In Oxford trifft er dann auf seine Jahrgangskolleginnen Ramy (Inder), Victoire (Haitianerin) und Letty (Engländerin), die seine einzigen Verbündeten werden. Dass sie der prestigeträchtigsten Universität des Landes angehören, ändert allerdings nichts daran, dass sie als "dreckige Ausländer" in manche Restaurants nicht reinkommen und von anderen Oxfordianern gemobbt werden. Ein krasser Kontrast.
Das Besondere an Babel: Sie können mit Hilfe von Silberbarren magische Geräte erzeugen und natürlich ist dies das Lernziel für alle Studierenden. Doch zugleich gibt es eine Geheimorganisation, die es unfair findet, dass nur Reiche und Mächtige Zugriff auf die Magie haben und wollen auch ärmeren Mitmenschen helfen. Robin, völlig begeistert von seinem neuen Leben, ist hin- und hergerissen zwischen all den neuen Möglichkeiten.
"Languages aren't just made of words. They're modes of looking at the world. They're keys to civilization.
And that's knowledge worth killing for."
Ich habe bisher nur positive Rezensionen gesehen, kann mir aber vorstellen, dass Lesende, die sich nicht für die Feinheiten von Formulierungen oder endlose Diskussionen über die moralische Aspekte von Übersetzungen oder Kolonialismus interessieren, das Buch genervt in die Ecke pfeffern werden. Ich war völlig fasziniert von den Diskussionen und Lesungen der Profs über Übersetzungen, Philosophie und die diversen Spracheigenheiten - ich war sicher, dieses Buch benötigte Jahrzehnte der Recherche oder wenigstens müsste Rebecca ein sprachwissenschaftliches Studium absolviert haben. Und ja, sie hat in Oxford studiert und mehrere Abschlüsse in Sinologie und Übersetzung und studiert immer noch weiter. Sie musste also weniger für den sprachlichen Aspekt recherchieren, sondern mehr für eine akkurate Repräsentation der Lebensumstände im 19. Jahrhundert. Dennoch hat sie für das Buch nur ein Jahr (während der Pandemie) gebraucht. Absoluter Wahnsinn!
Etwas verwirrend waren hingegen die Anmerkungen. Bevor das Buch überhaupt losgeht, empfängt uns eine zweiseitige Rechtfertigung der Autorin für ihre Anpassungen an historische Gegebenheiten. Schade, dass sie dachte, das sei in heutigen Shitstorm-Zeiten nötig. Auch die Fußnoten waren ein Highlight - wo bei "Emily Wilde" die Fußnoten reine Fantasy waren, sind sie bei "Babel" mit realen Hintergründen und Informationen gemischt, sodass die Trennung von Buch und Realität echt schwer fiel.
Wir bekommen also in der ersten Hälfte einen jugendlichen Selbstfindungstrip mit Dark Academia gemischt, bevor es daran geht, einen Krieg zwischen China und England zu verhindern. Von wahnsinnig philosophisch zu irrsinnig spannend. Und dann wird es ein richtiger Thriller und man hat all diese Gefühle und man kann nicht heulen, weil man sonst nicht weiterlesen kann und dann ist das Buch vorbei und dann sitzt man da und schreibt seitenlange Rezensionen. Ich fürchte, ich muss ihr nächstes auch lesen.
"the translator needs to be translator, literary critic, and poet all at once - he must read the original well enough to understand all the machinery at play, to convey its meaning with as much accuracy as possible, then rearrange the translated meaning into an aesthetically pleasing structure in the target language that, by his judgement, matches the original. The poet runs untrammelled across the meadow. The translator dances in shackles."