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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.10.2017

Vergangenheitsbewältigung für Grauner und sein Südtirol

Nachts am Brenner
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Wie auch schon beim Vorgänger „Die Stille der Lärche“ kreiert Lenz Koppelstätter auch in „Nachts am Brenner“ wieder seine ganz eigene Atmosphäre, die dem Leser die Bewohner Südtirols und deren Eigenheiten ...

Wie auch schon beim Vorgänger „Die Stille der Lärche“ kreiert Lenz Koppelstätter auch in „Nachts am Brenner“ wieder seine ganz eigene Atmosphäre, die dem Leser die Bewohner Südtirols und deren Eigenheiten näherbringt. Lokalkolorit entsteht auch durch die passend und dosiert eingesetzte ortstypische Sprache, in die auch etwas Italienisch miteinfließt.

Nebenerwerbsbauer und Haupterwerbskommissar Johann Grauner muss diesmal einen grausamen Mord am Brenner aufklären, Kompetenzverwirrungen mit den dort zuständigen Polizisten (und später auch den österreichischen Behörden) inklusive. Grauner und sein Kollege Claudio Saltapepe beginnen mit den ganz normalen und dennoch spannenden Ermittlungen – sie befragen Dorfbewohner, Freunde und Wegbegleiter des Toten.

Die Spur, besser die Spuren, führen schließlich in verschiedene Richtungen und es passiert ein weiteres Verbrechen. Noch dazu wird Graupner durch ganz aktuelle Entwicklungen mit einem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit konfrontiert und stellt neben dem Fall seine eigenen privaten Ermittlungen an.

Die Geschichte ist spannend, liest sich flott und der Erzählstil ist sehr angenehm. Wenn man etwas kritisieren kann, dann, dass doch viele kleinere Ereignisse eine Rolle spielen und am Ende relativ viel zu Falllösung zusammengesetzt werden muss. Nicht nur die Vergangenheit wird aufgearbeitet, auch aktuelle politische Themen bekommen ihren Platz und die zahlreichen Fäden werden nicht alle am Ende des Krimis klar verbunden. Die restlichen Zusammenhänge kann sich der Leser aber sehr einfach selbst denken. Überraschen kann Koppelstätter schlussendlich dann aber mit einem Epilog…

Veröffentlicht am 19.09.2017

Spannung im Isländischen Winter

SOG
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Auch beim Nachfolger zu "DNA" spielt Yrsa Sigurdardottir ihre Stärken aus: subtiler Grusel, blutige Taten und ein scheinbar immer leicht verbraucht aussehender Kommissar Huldar prägen die Krimi-Handlung. ...

Auch beim Nachfolger zu "DNA" spielt Yrsa Sigurdardottir ihre Stärken aus: subtiler Grusel, blutige Taten und ein scheinbar immer leicht verbraucht aussehender Kommissar Huldar prägen die Krimi-Handlung. Was man bemängeln kann ist, dass Huldars private Probleme (diesmal nicht nur mit der Psychologin Freya) wieder sehr viel Raum einnehmen, die Ermittlungen aber nicht weiter stören. Hier wäre Potential, das Buch zu kürzen.

Huldar, der "dank" des vergangenen Falls die Mordabteilung nicht mehr leitet, bekommt zu Beginn eine scheinbar unwichtige Aufgabe zugeteilt. Eine Schule meldete sich wegen eines Zettels, auf dem angeblich Morde für das aktuelle Jahr vorausgesagt wurden. Absehbar: daraus entwickelt sich natürlich Größeres und der Zettel stellt tatsächlich das Bindeglied einer Reihe von kreativen wie bestialischen Morden dar.

Sowohl die Polizei als auch die teilweise wieder assistierende Freya (ebenso wieder mit viel Privatem vertreten) brauchen etwas lange, um bestimmte Zusammenhänge zwischen Zeugenaussagen, Taten und Beobachtungen herzustellen. Zusätzlich erschwert wird ihnen ihre Arbeit dadurch, dass im Archiv der Polizei, der Staatsanwaltschaft und anderer Behörden fast alle Unterlagen zu einem alten (und nun wieder interessanten) Fall einfach verschwunden sind.

Damals wurde ein mutmaßlicher und später tatsächlich inhaftierter Kinderschänder freigesprochen. Huldar darf nun in mühevoller Kleinarbeit die Seilschaften hinter dem damaligen Verfahren aufdecken, um auch die aktuellen Fälle zu lösen. Spannung gibt es auf dem Weg dahin definitiv genug, der kalte Isländische Winter schafft die richtige Atmosphäre. "Sog" ist Programm, der Thriller lässt sich schnell lesen, auch wenn er kein komplett durchgehender Pageturner ist. Für Fans nordischer Spannungsliteratur aber auf jeden Fall eine Empfehlung.

Veröffentlicht am 30.06.2017

„Jeder ist verdächtig“ war noch nie so wahr wie hier

Murder Park
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Jonas Winner ist begabt, wenn es darum geht, sich eine Hauptperson zu schnappen und den Leser dann für die Dauer des ganzen Buches sehr tief in die Psyche dieses Charakters eindringen zu lassen. Was er ...

Jonas Winner ist begabt, wenn es darum geht, sich eine Hauptperson zu schnappen und den Leser dann für die Dauer des ganzen Buches sehr tief in die Psyche dieses Charakters eindringen zu lassen. Was er in „Die Zelle“ schon umsetzte, damals mit einem Kind, schafft er hier mit einem jungen Erwachsenen. Paul Greenblatt, Anfang 20, Journalist, schreibt einen Blog über Kriminalfälle und hat eine bewegte Vergangenheit bei Pflegeeltern. Als gefestigte Persönlichkeit beginnt er mit einer Gruppe anderer Journalisten einen Wochenendausflug, der ihn immer mehr an sich und den Geschehnissen um ihn herum zweifeln lässt. Und der seine Vergangenheit wieder präsent macht.

Besagter Ausflug führt die Gruppe auf eine Insel, Zodiac Island, auf der ein neuer Themenpark eröffnet werden soll, auf den Ruinen eines ehemaligen Vergnügungsparks. Dieser musste nach einer Mordserie geschlossen werden. Nun wird die Insel zu einem Mausoleum der Serienmörder umgebaut und neu eröffnet. Singles sollen sich dort durch die mit Nervenkitzel geschwängerte Atmosphäre näherkommen. Was als Presseabenteuer beginnt, gerät zu einer blutigen, ausweglosen Situation für Paul und alle anderen Teilnehmer. Sogar die Park-Erschaffer kommen nicht ungeschoren davon, erneut geschehen grausame Dinge auf Zodiac Island. Der „Murder Park“ macht seinem Namen alle Ehre.

Gesamt gesehen ziehen sich die fast in Echtzeit beschriebenen rund drei Tage schon etwas (denn erst nach dem Wochenende legt planmäßig die nächste Fähre auf der Insel an), aber im Detail ist fast jede Szene wichtig, lassen sich aus jedem geflüsterten Gespräch Details ableiten. Jede Unterhaltung kann in die Irre führen, jeder gut gemeinte Blick verdächtig sein, sowohl Paul als auch der Leser wissen irgendwann nicht mehr sicher, was „gespielt“ wird.

Und als man sich hin- und hergerissen langsam mit einer Lösung, einem Ende, abfinden kann und für Paul schon keine Hoffnung mehr besteht, dreht sich alles einmal um die eigene Achse und enthüllt ein perfides wie plötzliches Ende. Das ist mutig, kann doch eine so große und überraschende Wendung den gesamten Eindruck noch einmal über den Haufen werfen und die Meinung des Einzelnen über das Buch doch maßgeblich bestimmen.

Auch ich musste kurz schlucken, konnte mich letztendlich aber doch mit dem Verlauf der Geschichte im Groben anfreunden und einzelne - für mich - nicht ganz stimmige Details wiegen schlussendlich auch nicht so schwer. Ich kann nur jedem Fan der Spannungsliteratur raten, selbst mit nach Zodiac Island zu fahren und die eigene Intuition auf die Probe zu stellen.

Veröffentlicht am 22.06.2017

Grundlegendes und Erstaunliches über 50 bedeutende Köpfe

»Noch wichtiger als das Wissen ist die Phantasie«
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Über mehrere Jahrhunderte voller bahnbrechender Erkenntnisse und Forschung, die unser aller Leben verändern sollte, spannt Ernst Peter Fischer hier einen wissenschaftlichen Bogen. Er porträtiert Denker ...

Über mehrere Jahrhunderte voller bahnbrechender Erkenntnisse und Forschung, die unser aller Leben verändern sollte, spannt Ernst Peter Fischer hier einen wissenschaftlichen Bogen. Er porträtiert Denker aus allen Epochen auf eine unkonventionelle Art, handelt nicht stur Einsteins Biografie ab, schreibt bei Galilei nicht nur über die Sonne und lässt den Leser an Alan Turings Lage teilhaben.

Zitate aller im Buch erwähnten Wissenschaftler regen zum Nachdenken und Selbstinterpretieren ein, aber es sind die kurzen und leicht lesbaren Texte über ihre Gedanken und Gefühle, die doch immer wieder einen Aha-Effekt auslösen, sogar bei jenen, die in Naturwissenschaften schon etwas bewandert sind. Wie sehr wir heute von diesen Köpfen profitieren, wird einem erst durch Bücher wie diesem bewusst. Und auch Oppenheimer hat wesentlich mehr geleistet als nur an der Atombombe mitzuwirken. Was trieb diese Männer und Frauen an, woher kamen sie, welche Erlebnisse gingen ihnen nahe?

Aus zahlreichen Quellen und erhaltenen Schriftstücken der Forscher selbst trug der Autor die Informationen zusammen, doch mit ein paar wenigen traf er sogar selbst zusammen und kann daher aus erster Hand über den Menschen hinter den Publikationen berichten. Auch wenn es beim Großteil der 50 erwähnten Wissenschaftler stimmt, nicht alle sind bereits tot.

Wie wäre deren heutige Forschung wohl verlaufen, wenn von den vorhergehenden großen Denker einige nicht geboren worden wären? Müssen sie dann erst die Arbeit derer verrichten oder hätte es andere Wissenschaftler gegeben, die die grundlegenden Gesetze der Mathematik, Physik, Chemie, Biologie oder Genetik schon postuliert hätten?

Ein „was wäre wenn“ führt natürlich nirgendwo hin und dennoch – was die Erde, die Menschheit im Grunde einigen wenigen zu verdanken hat, ist nicht in Worte zu fassen.

Auch wenn Ernst Peter Fischer mit diesen 319 Seiten vollgepackt mit faszinierenden Geschichten und Erkenntnissen schon sehr nahe dran ist.

Veröffentlicht am 05.05.2017

Ein Roman wie ein Film von Otto

Lauter Leichen
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Dieser Kriminalroman rund um Familienbande, alte Geheimnisse und verdrehte Wahrheiten liest sich ein bisschen wie ein Fernsehfilm von Otto Waalkes. Sobald die Spannung und der Ernst zu groß werden, kommt ...

Dieser Kriminalroman rund um Familienbande, alte Geheimnisse und verdrehte Wahrheiten liest sich ein bisschen wie ein Fernsehfilm von Otto Waalkes. Sobald die Spannung und der Ernst zu groß werden, kommt norddeutscher Humor ums Eck und die Geschichte erfährt eine Wendung, die gleichermaßen absurd wie fesselnd ist. Schließlich ist dann doch alles stimmig. Und das wiederum überrascht gar nicht.

Was mit zwei Leichen in einer Hamburger Villa mit großem Grund beginnt, zerrt viele weitere Tote ans Tageslicht und unter die Augen von Polizeihauptkommissar Hiob Watkowski. Warum er so heißt und wie er eigentlich nach Deutschland kam, wäre Stoff für ein ganzes eigenes Buch. Skurril ist auch die Geschichte der Villa, die im Lauf der Zeit (also im Lauf der Leichen) nicht nur einer Familie gehörte, was die „Zuteilung“ der verstorbenen Personen nur umso schwieriger macht. Als Leser beginnt man natürlich, selbst mitzuraten, wer denn nun welche Rolle gespielt haben mag – und liegt teilweise gnadenlos falsch, vor allem bei der ebenso undurchsichtigen wie gehschwachen Oma Frieda Gint.

Auch die anderen Frauen der Familie Gint scheinen nicht ganz koscher. Federführend im Buch ist die Enkelin, Elli. Hat sie nun die Mordserie der Familie fortgesetzt oder nicht? Und wenn ja, um wieviele neue Leichen? Watkowski hat sich vorgenommen, bei den Gints und den ihnen nahestehenden Anderleis einmal kräftig umzurühren. Nebenbei sind auch noch die Hamburger Serbenmafia und ein älterer, verschrobener Spanner aktiv. Nein, der Vergleich war unpassend: nicht einmal Otto würde das alles einfallen. Ein skurriles, spaßiges Lesevergnügen!