"Es gibt kein richtiges Leben im falschen." T. Adorno
TerafikDas Zitat, welches auch im Buch vorkommt, bringt den Inhalt auf den Punkt: "terafik" oder traffic - internationaler Verkehr und Beziehungen. Das Debüt von Nilufar Karkhiran Khozani - ein deutsch-iranisches ...
Das Zitat, welches auch im Buch vorkommt, bringt den Inhalt auf den Punkt: "terafik" oder traffic - internationaler Verkehr und Beziehungen. Das Debüt von Nilufar Karkhiran Khozani - ein deutsch-iranisches Genogramm.
"Selbst in Berlin kam ich mir immer noch vor, als würde ich mich in meinem eigenen Leben immerzu beobachten. Als würde ich über mir schweben und immer weiter von mir wegtreiben wie auf einem Ozean."
Der Roman wartet mit interessanten Perspektivwechseln auf. Zum einen wird die Ankunft von Khosrow (Vater der Autorin) Ende der 70er Jahre in Deutschland in Rückblenden thematisiert, andererseits steht der erste Besuch Nilufars in Iran an. Es ist sind ehrliche und persönliche Einblicke.
Ich bin allerdings zwiegespalten: der fehlende Optimismus und die anhaltende Distanz zu Nilufar machen das Gelesene schwer greifbar, obwohl ich nur wenige Jahre jünger bin als sie und es Parallelen zu meiner eigenen Kindheit in der DDR gibt. Erst nach ca. 170 Seiten habe ich langsam Zugang zu Nilufars Zerrissenheit, der Suche nach Identität und Zugehörigkeit in zwei grundverschiedenen Welten gefunden.
"Ich erinnere mich daran, wie einmal in Berlin ein schmaler, schüchtern aussehender Mann in einem roten löchrigen T-Shirt vor mir am U-Bahnhof Hermannplatz stand. In meinen Gedanken hat er auf einmal eine bauschige Hose an. Ich griff damals am Obststand nach einer Avocado, Getümmel, »ein Euro ein Euro, billig billig billig«, Kinderwagen, Kopftücher, Einkaufstrolleys. Der Mann hielt dem Verkäufer eine Tüte mit Tomaten hin, lächelte, suchte Augenkontakt. »Bitte«, sagte er. Ich konnte die Scham spüren, die er soeben überwunden hatte, Kälte wehte durch die Schreie der Verkäufer, seine durchgedrückten Schultern sagten: »Ich bin hier, ich bitte dich«, der Verkäufer sagte: »Nee, nee, mein Freund, pack das mal alles schön wieder aus, yalla.« Die Erwartung, die von weit her mitgekommen sein musste, in diesem Moment zersprang sie im Gesicht des jungen Mannes, seine Augen wurden leer. Ich legte die Avocado wieder weg und spürte einen Schmerz, obwohl es nicht meiner war."
Die Schilderungen erinnern an bruchstückhafte Fragmente im Episodenstil. Was ist Realität und was Fiktion? Ein imaginäres Leben - was wäre wenn...?
"Nachrichten, Videoclips, Zeichentrickserien, eine Satellitenschüssel voll von Gefühl wie altes Badewasser mit abgestorbenen Schuppen, einer DNA, die nur noch im Äther existiert. Es fließt in sein Leben hinein, nachts Atemaussetzer, Schlafapnoe, Erstickungsgefühl, besser, seit er mit der Maske schläft."
"Ich konzentrierte mich auf die Box und versuchte, nicht zuzuhören. Eine Kette nachkommender Kleenex-Tücher, die wie ein Perpetuum mobile immer weiter aus der Pappbox wuchs. Wie eine Blume, nein, wie eine Hydra, der man portionsweise den Kopf abschlug."
Die abschweifenden Gedankengänge und der bildhafte Schreibstil erfordern Konzentration, strengen auf Dauer aber an. Die Schachtelsätze mit den endlosen Aufzählungen verstärken diesen Effekt. Mir fiel es oft schwer aufmerksam zu bleiben. Hier lohnt sich ein Blick in die Leseprobe.
Es ist nicht mein erstes Buch mit Schauplatz Iran. Anderen gelang es besser mein Interesse aufrecht zu halten. Inhaltlich stehen die Autorin und ihre familären Beziehungen klar im Vordergrund. Ich kann das Buch daher eher als subjektiven Kultur- denn Reisebericht empfehlen. Mich hat das Buch leider nur teilweise erreicht, obwohl zeitgenössische und gesellschaftskritisch Themen aufgegriffen werden.