Etwas zähe Kost
Das Erbe von Temple HillDie Contessa Cora und die Romanautorin Sylvia sind bereits seit vielen Jahrzehnten beste Freundinnen, die sich einst in Rom kennenlernten. Da Coras Vergangenheit selbst trotz der tiefen Freundschaft der ...
Die Contessa Cora und die Romanautorin Sylvia sind bereits seit vielen Jahrzehnten beste Freundinnen, die sich einst in Rom kennenlernten. Da Coras Vergangenheit selbst trotz der tiefen Freundschaft der beiden, im Dunklen liegt, würde Sylvia gerne ein Buch über die Lebensgeschichte ihrer Freundin verfassen. Und Cora, mittlerweile hochbetagt, stimmt zu. Doch als Sylvia das Anwesen Temple Hill erreicht, hält Cora sie hin und abermals zeigt sich ganz deutlich, dass sie einiges zu verbergen hat- glaubt zumindest Sylvia, doch diesmal will sie sich nicht wieder abwimmeln lassen und stochert nach.
Doch statt sich Sylvia anzuvertrauen, zieht Cora ausgerechnet die junge und schöne Nachbarin Cecily Chadwick ins Vertrauen. Diese hegt insgeheim den großen Traum, einmal Schriftstellerin zu werden, doch kann sie nicht sehr viel mit den Erinnerungsfragmenten von Cora anfangen. Vielmehr hat sie aber in diesem Sommer des Jahres 1911 ganz andere Sorgen; hat sie sich doch Hals über Kopf in Coras Enkel Jack verliebt, der ihre Liebe scheinbar auch erwidert. Doch der 1. Weltkrieg stellt ihre Gefühle auf eine harte Probe und selbst Cora und Sylvia haben sich entzweit. Werden Coras Geheimnisse noch rechtzeitig gelüftet, oder wird sie diese mit ins Grab nehmen?
Ich habe eine Schwäche für Romane, in denen die Protagonisten dunkle (Familien)geheimnisse lüften müssen und so weckte, nach dem Lesen des Klappentextes, dann auch „Das Erbe von Temple Hill“ gleich mein Interesse. Ich erhoffte mir einen Roman im Stile Katherine Webbs bzw. Kate Mortons, doch entpuppte sich diese Geschichte, trotz der ansprechenden Ausdrucksweise, den die Autorin hier an den Tag legt und trotz der nachdenklich machenden Lebensweisheiten, die Cora dann und wann durch den Kopf gehen, leider als etwas zähe Angelegenheit. Zwei Teile erwarten den Leser. Während sich der Großteil des ersten Teils mit vagen Andeutungen zu Coras Vergangenheit, bruchstückhaften Erinnerungen, Coras und Sylvias Zwist und Jacks und Cicilys Kennenlernen beschäftigt, was sich als leider sehr langatmige Angelegenheit für mich herausstellte und ich mehrfach versucht war, den Roman zwischenzeitlich wegzulegen, um mich anderer Lektüre zu widmen, entschädigte mich der 2. Teil dann doch wieder etwas, weil man darin endlich Coras wahre Geschichte erfährt und Cecily und Jacks Liebesgeschichte interessant beschrieben wird.
Ein großes Manko war für mich, dass keine der agierenden Personen, ob Haupt oder Nebenfiguren, sympathisch auf mich wirkte. Zudem empfand ich, dass die Akteure zu blass blieben und viele Dialoge einfach zu sehr nach „Small Talk“ klangen, um mein Interesse halten zu können. Überhaupt wird viel beim Dinner zusammen gesessen oder im Garten gegessen, während man sich über die Sehenswürdigkeiten Roms austauscht oder eher uninteressante, allgemeine Themen, während die wirklich wichtigen Momente eher dünn gesät bleiben.
So hatte ich anfangs große Probleme damit, überhaupt richtig in die Geschichte hineinfinden zu können, da die Autorin einen für mich sehr ungewöhnlichen Erzählstil an den Tag legte. Viele Nebensächlichkeiten finden indirekt Erwähnung; anstatt dass die Protagonisten sich in wörtlicher Rede miteinander austauschen, gleichen diese Momente eher einer Nacherzählung, was ich unheimlich ermüdend fand, vor allem, weil über 300 Seiten lang kaum etwas geschieht. Man darf zwar als Leser in die Köpfe von Cora, Sylvia oder auch Cecily schauen, doch geht mir die Autorin dabei einfach nicht tief genug, als dass ich dadurch auch gefühlsmäßig hätte angesprochen werden können.
Wenn man dann endlich Coras Geschichte erfährt und das war für mich der einzige Grund an der Geschichte bis zum Ende dranzubleiben, ist des Rätsels Lösung schon verblüffend, doch bleibe ich dennoch bei meiner Meinung, dass die Story um mindestens 200 Seiten kürzer hätte ausfallen sollen und um einiges besser von mir bewertet worden wäre, wenn die Figuren greifbarer und facettenreicher gewesen wären. Sehr blass, bleibt leider auch Jack, dem verhältnismäßig nur sehr wenige gemeinsame Dialoge mit Cecily vergönnt wurden und über den man außer seines familiären Hintergrunds und Werdegangs kaum etwas Persönlicheres als gewisse Eckdaten, die er Cecily in einem Brief anvertraut, erfährt. Und auch, wie es sich mit Sylvias „Liebe“ zu Cora verhält, bleibt im Dunklen. Übrig bleibt eine Geschichte über eine geheimnisvolle Frau, die drei Ehen führte und unsterblich verliebt in einen Maler war. Coras Geheimnis selbst kann man im Laufe der Story zwar ein wenig erahnen, doch ein Überraschungsmoment bleibt am Ende dann doch.
Kurz gefasst: Im Fokus: Eine alte Dame mit vielen Geheimnissen, die gelüftet werden müssen, doch der Weg bis dahin gestaltet sich bisweilen sehr zäh für den Leser. Lediglich der gestrafftere 2. Teil, und die ansprechende Ausdrucksweise der Autorin konnten mich von einer schlechteren Bewertung abhalten.