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Veröffentlicht am 23.01.2024

Ermittlungen in Kanadas wildem Westen

Blutrodeo
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Cowboys gibt es nicht nur in Colorado oder Montana. In Kanada ist Calgary geprägt von Menschen, die den Business-Anzug gerne gegen Westernboots und Cowboyhut austauschen - nämlich wenn in der Ölstadt in ...

Cowboys gibt es nicht nur in Colorado oder Montana. In Kanada ist Calgary geprägt von Menschen, die den Business-Anzug gerne gegen Westernboots und Cowboyhut austauschen - nämlich wenn in der Ölstadt in der Provinz Alberta die Stampede, das jährliche Superrodeo stattfindet. Hier ermittelt auch der Ermittler Ted Garner in seinem neuen Fall und Frauke Buchholz´ zweitem Kanada-Krimi, "Blutrodeo".

Der Fall, um den es geht, stellt RCMP-Ermittlerin Sam Stern vor Rätsel: Zwei todkranken alten Männern wurde brutal die Kehle durchgeschnitten. Wer hat ein Interesse daran, Menschen zu ermorden, die ohnehin bereits mit einem Bein im Grab stehen? Garner soll mit einem Täterprofil die Ermittlungen unterstützen - das passt der ehrgeizigen Polizistin gar nicht. Und auch Garner ist nicht so wirklich teamfähig - sprich, die Zusammenarbeit der beiden ist von wechselseitigem Misstrauen und eher kratzbürstigem Umgangston gekennzeichnet.

Spielten im ersten Band der Reihe um den Profiler die Lebensbedingungen der Indigenen in Kanada eine große Rolle, geht es hier vor allem um den Umgang mit der Umwelt und der Ausbeutung der Ressourcen, die Auswirkungen von Fracking - wobei es hier dann auch wieder um die gesundheitlichen Folgen für die Menschen in den Reservationen zumindest am Rande geht. Das persönliche emotionale Gepäck des Ermittlerteams spielt ebenfalls eine Rolle, auch das nicht ganz einfache Verhältnis Garners zu seinem Vater. Denn da alle Hotels in Calgary während der Stampede ausgebucht ist, muss er notgedrungen beim "Colonel" in dessen entlegener Hütte unterkommen.

Die Leser - in diesem Fall Hörer - erfahren die Handlung aus der wechselnden Perspektive der Ermittler, aber auch durch Zeitsprünge verschiedener Personen. Erst nach und nach fügen sich die Puzzleteile zusammen, welche Rolle diese Menschen für die Geschichte spielen. Dabei legt Buchholz auch einige Fährten, die zunächst auf Irrwege führen. Auch das Motiv für die Mordfälle gibt lange ein Rätsel auf. Ist ein Serientäter zugange? Sind die Morde Werk eines Psychopathen? Handelt es sich um grausame Rache, oder ist die Mordmethode Ablenkung, um das eigentliche Tatmotiv zu verbergen? Es bleibt spannend bis zu einem dramatischen Showdown. Dabei sorgt Sprecherin Brigitte Carlsen für eine lebendige Interpretation der Protagonisten.

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Veröffentlicht am 20.01.2024

Sechs Stoffe, die die Welt veränderten

Material World
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Mit seinem Buch "Material World" schickt Ed Conway seine Leser auf eine ebenso informative wie faszinierende Zeitreise durch Erdzeitalter und Technikgeschichte. Darüber hinaus philosophiert er über die ...

Mit seinem Buch "Material World" schickt Ed Conway seine Leser auf eine ebenso informative wie faszinierende Zeitreise durch Erdzeitalter und Technikgeschichte. Darüber hinaus philosophiert er über die Eingriffe des Menschen in Ökosysteme, über die Herausforderungen des Klimawandels und das Gut oder Böse neuer Technologien - kurzum, ein gewaltiger Rundumschlaf. Dass es ihm dabei gelingt, Platitüden zu vermeiden oder ins allzu Allgemeine abzugleiten, ist ihm hoch anzurechnen.

Conway gibt zu - er ist ein Mensch der immateriellen Welt, einer, der Technologien und Materialien unserer Alltagsgeräte ganz selbstverständlich nutzt, ohne mit deren Herstellung zu tun zu haben. Anders als viele andere hat er aber offensichtlich gründlich darüber nachgedacht - das Ergebnis ist dieses Buch.

Sand, Salz, Kupfer, Eisen, Öl und Lithium - das sind die sechs Stoffe, die laut Conway die menschliche Zivilisation entscheidend vorangetrieben haben - also keineswegs nur die wertvollen Rohstoffe, sondern auch eher vernachlässigte oder zumindest heutzutage als völlig gewöhnlich betrachtet werden.

Beim Lesen wird allerdings klar, dass die Auswahl einer Logik folgt. Conway besucht Bergwerke, Fabriken, Labore, schilder Lieferketten und zeigt die Abhängigkeit von Rohstoffquellen auf. Auch mit Blick auf die globalisierte Welt, auf Abhängigkeiten von Lieferungen - man denke nur an die ersten Monate der Covid-19-Pandemie! - ist sein Buch teils Mahnung, teils eye-opener. Dieses Buch wird sowohl denen gefallen, die sich für Technik- und Wissenschaftsgeschichte interessieren, als auch denjenigen, die sich fragen, wie wir verantwortlich den Umgang mit Rohstoffen und Energieträgern für künftige Generationen angesichts der Herausforderungen des Klimawandels angehen. Viel Stoff zum Nachdenken!

Veröffentlicht am 07.01.2024

Drogensumpf in der Reservation?

Winter Counts
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Nur vordergründig ist "Winter Counts" von David Heska Wanbli Weiden ein Kriminalroman. Denn der Roman, der in einer Lakota-Reservation in South Dakota spielt, ist zugleich eine Abrechnung mit dem Umgang ...

Nur vordergründig ist "Winter Counts" von David Heska Wanbli Weiden ein Kriminalroman. Denn der Roman, der in einer Lakota-Reservation in South Dakota spielt, ist zugleich eine Abrechnung mit dem Umgang mit native Americans in Vergangenheit und Gegenwart. Virgil Wounded Horse, der Ich-Erzähler, entspricht nicht so ganz dem Bild des Indianers aus den Winnetou-Filmen. Er lebt von Gelegenheitsarbeiten, vor allem aber von Aufträgen als privater "Vollstrecker" von Selbstjustiz, ahndet Fälle von Vergewaltigung und anderer Taten, die die Polizei und Justiz nicht kümmert, so lange sie sich auf der Reservation abspielen.

Die meist prekären Lebensumstände sind aus Statistiken bekannt, hier werden sie mit Leben erfüllt - eine schlechte Gesundheitsversorgung, hohe Selbstmordraten, Alkoholismus, Drogen, Perspektivlosigkeit. Nicht jeder will sich damit abfinden - Virgils Freundin Marie, die sich stark mit der kulturellen Tradition der Lakota (Karl May-Lesern und Western-Zuschauern vermutlich eher als Sioux bekannt) identifiziert, möchte die Zustände ändern, angefangen mit einer besseren Ernährung. Doch sie stößt überall auf Hindernisse, durchaus auch von den "eigenen" Leuten.

Virgil, der den Sohn seiner tödlich verunglückten Schwester aufzieht, kann mit den alten Bräuchen und der Spiritualität seines Volkes nichts anfangen, doch die "Rez" ist sein Zuhause. Maries Vater, der Stammeschef, gibt ihm einen Auftrag - diesmal soll Virgil niemanden verprügeln, sondern Heroingeschäfte in der Reservation stoppen. Bald jedoch hat er ganz andere Probleme: Sein 14 Jahre alter Neffe wird wegen Drogenbesitzes verhaftet, muss mit zehn Jahren Haft in einem Gefängnis für Erwachsene rechnen. Doch ein verdeckter Ermittler bietet einen Deal mit hohem Risiko an...

"Winter Counts" ist spannend geschrieben und gibt Einblicke in eine Welt, die so gar nichts mit Wildwest-Romantik zu tun hat. Es ist auch eine Auseinandersetzung mit der Entfremdung von der eigenen Kultur, mit Bewahrung von Identität, gibt einen Einblick in die vom Medizinmann aufrechterhaltenden Traditionen, aber auch um interne Rangabstufungen, wenn es darum geht, wie "echt" jemand ist, wenn er oder sie nicht hundertprozentige Lakota-Vorfahren nachweisen kann. Weiden ist selbst Lakota, er beschönigt und idealisiert nicht, fühlt sich aber eindeutig mit der Lakota-Tradition verbunden. Sein Buch ist teilweise auch eine Anklage des Umgangs mit Indigenen, nicht nur in den USA und nicht nur auf den Völkermord in der Vergangenheit beschränkt. Sein Protagonist ist ein Held mit Macken und Fehlern, dessen Weg gerade darum spannend und glaubwürdig ist. Wer die Bücher von Richard Wagamese und W.P. Kinsella mag, wird auch dieses Buch mögen.

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Veröffentlicht am 07.01.2024

Gas, Männerfreundschaft und Abhängigkeiten

Die Moskau-Connection
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Erklärungsversuche zum Aufstieg Putins, seinem Regierungssystem und seinem Netzwerk gibt es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine in Form mehrerer Sachbücher. Die beiden FAZ-Journalisten ...

Erklärungsversuche zum Aufstieg Putins, seinem Regierungssystem und seinem Netzwerk gibt es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine in Form mehrerer Sachbücher. Die beiden FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner haben in ihrem Buch "Die Moskau Connection" den Blick auf Deutschland und die Jahre lange vor der russischen Aggression gerichtet - es geht um Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, seine Männerfreundschaft zu Wladimir Putin, aber auch Schröders inner- und außerparteiliches Netzwerk im Zusammenhang mit deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.

Dass Schröders Wechsel in die russische Energiewirtschaft so kurz nach der verlorenen Kanzlerschaft mehr als nur einen Hauch von Geschmäckle hinterließ, ist das eine. Die beiden Autoren zeigen auf, wie sich die Freundschaft Schröders und Putins entwickelte und nicht nur Schröder, sondern auch die "Frogs" (Friends of Gerhard) munter profitierten, sei es mit politischen Pfunden, sei es mit lukrativer Beratertätigkeit.

Vermutlich geht der Aufstieg in der Politik ohne Netzwerke überhaupt nicht. Die Autoren zeigen die ideologischen Häutungen des einst stramm linken Juso Chef Schröder zum Freund der Bosse, aber auch seinen Aufstieg aus prekären Verhältnissen zu Macht und - nicht zuletzt dank seiner russischen Aufsichtsratsposten - erheblichem Reichtum. Zugleich geht es um die Stärke der SPD in Niedersachsen und insbesondere in der Landeshauptstadt Hannover. Die dortige "Maschsee-Connection" ist ja nicht nur im Zusammenhang mit Gerhard Schröder, sondern auch mit Alt-Bundespräsident Christian Wulf bekannt geworden. Wobei - auch der "Kölsche Klüngel", bayerische Bierkeller-Connections und ähnliche Netzwerke sind ja hinlänglich bekannt, insofern sind die Schröderschen Männerbünde sooo einzigartig denn doch nicht.

Für politisch interessierte Leser ist dieses Buch spannend, bringt es doch Ereignisse und Personen in Erinnerung, die zum Teil schon halb in Vergessenheit geraten sind angesichts der Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre. Interessant auch die Theorie über die Rolle der Ostpolitik Willy Brandts für die Russlandpolitik der SPD. Angesichts der Missstimmungen mit den westlichen Partnern, die es in Ostmitteleuropa und dem Baltikum spätestens 2014 nach der Annektion der Krim und der Forderung nach einer Stärkung der Ostflanke der Nato gab, hat die Theorie, dass große - und entscheidende - Teile der SPD die Aussöhnung mit Russland über die mit anderen Staaten der Region stellten, durchaus etwas für sich.

Falsche Einschätzungen von Putins Machtpolitik und energiepolitische Fehlentscheidungen, die in eine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen führten, das halten die Autoren zwar insbesondere Schröder und seinen später ins Kabinett aufgerückten Weggefährten wie dem heutigen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier und dem früheren Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor. Doch auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel war ihrer Analyse nach zu blauäugig über die Pläne Putins, auch wenn sie die kumpelhafte Annäherung ihres Amtsvorgängers vermied.

Nun ist man hinterher immer schlauer. Aber ich finde es schon erstaunlich, wie dem Buch zufolge die Berliner Regierungsverantwortlichen nicht daran geglaubt hätten, dass Putin in seinen Jahren als Ministerpräsident seinen Freund und Staatspräsidenten nicht vom Rücksitz aus steuerte und eine Rückkehr auf den eigentlichen Chefposten vorbereitete. In anderen europäischen Hauptstädten wie Warschau, Prag oder Vilnius herrschte in dieser Hinsicht schon damals kein Zweifel.

In "die Moskau Connection" geht es um das System Schröder ebenso wie um das System Putin. Man muss nicht mit jeder Schlussfolgerung übereinstimmen, um dieses politische Sachbuch ebenso spannend wie informativ zu finden.

Veröffentlicht am 28.12.2023

Die Jagd nach dem perfekten Spiel

Die Partie seines Lebens
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Es gibt Spieler, die sind getrieben. Und es gibt solche, die aus rationalem Kalkül heraus ihren Lebensunterhalt verdienen. Fast Eddie, der Protagonist von Walter Tevis Roman "Die Partie seines Lebens" ...

Es gibt Spieler, die sind getrieben. Und es gibt solche, die aus rationalem Kalkül heraus ihren Lebensunterhalt verdienen. Fast Eddie, der Protagonist von Walter Tevis Roman "Die Partie seines Lebens" bewegt sich ein bißchen zwischen den beiden Extremen. Er ist ein Billiardspieler, der von seinen Einsätzen leben kann - doch er will den Größten schlagen, als er mit seinem Kumpel Charlie nach Chicago aufbricht und zunächst einmal heftig einstecken muss. Minnesota Fats, der scheinbar so phlegmatische Gegner, kann Fast Eddie noch einiges beibringen. Was ist es, das einen wirklich großen Billardspieler ausmacht, muss er sich fragen.

Filmfans kennen die Handlung vermutlich aus "Haie der Großstadt" mit Paul Newman. Das Buch handelt von Männerfreundschaften und Männerkonkurrenz, vor allem aber natürlich von Billard. Selbst die kurze Beziehung Fast Eddies zu einer alkoholkranken Studentin ist letztlich nur eine Randerscheinung, die Billardsalons sind eine Männerwelt, in der Frauen allenfalls dekoratives Beiwerk sind.

Wie ein Besessener bereitet sich Fast Eddie auf das Spiel seines Lebens vor, bezieht Prügel, gerät in Manipulationen, die er oft erst zu spät durchschaut und lässt doch nicht ab von seinem großen Plan. Der junge Mann mit dem harmlosen Lächeln setzt auch List und Täuschung, ist durchaus ein Schlitzohr, unterwegs zwischen Handelsvertretern und Gangstern, dem Geld und dem Spiel folgend.

"Die Partie seines Lebens" passt in die Tradition der Literatur Noir, ist atmosphärisch dicht und beschwört die vergangene Welt verrauchter Salons mit reichlich Alkohol herauf, die in unserer ach so gesundheitsbewussten Zeit wohl kaum mehr vorstellbar ist. Auch ohne selbst Billard zu spielen, ist die Welt der Profi-Spieler zwischen Traum und Ehrgeiz greifbar, der lakonische Stil des Autors passt zu seinem Protagonisten. Klare Leseempfehlung.

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