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Veröffentlicht am 17.04.2024

Spannendes Raubabenteuer mit besonderem Setting und ungewöhnlichen Charakteren

Cosima und der Diamantenraub
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Im London des Jahres 1899 leben die gehbehinderte Cosima und ihre Freundinnen im „Heim für beklagenswerte Mädchen“. Dieses wird von dem geizigen Ehepaar Makel geleitet, das den Mädchen keine Freude gönnt ...

Im London des Jahres 1899 leben die gehbehinderte Cosima und ihre Freundinnen im „Heim für beklagenswerte Mädchen“. Dieses wird von dem geizigen Ehepaar Makel geleitet, das den Mädchen keine Freude gönnt und sie permanent zum Arbeiten anhält. Abwechslung bieten lediglich Cosimas verrückte Missionen wie die ausgeklügelte Planung eines Kuchendiebstahls, die in der Regel allerdings krachend scheitern. Als die Mädchen erfahren, dass sie von dem obskuren Lord Francis Fitzroy, der aktuell eine Empire-Ausstellung mit wertvollen, gestohlenen Schätzen organisiert, adoptiert werden sollen, möchten sie das um jeden Preis verhindern. Sie hoffen darauf, sich frei kaufen zu können. Dazu müssen sie nur das Herzstück der Ausstellung, den Sterndiamanten, in ihren Besitz bringen. Nicht gerade ein Kinderspiel für Cosima und ihre Freundinnen. Werden sie es dennoch schaffen?

Die Geschichte wird gut verständlich, lebendig und anschaulich erzählt. Dabei ist die Sprache der Zeit angepasst, in der die Handlung angesetzt ist, was das Ganze atmosphärisch und authentisch gestaltet. Die ausdrucksstarken schwarz-weiß Illustrationen passen sehr gut zur Stimmung der Geschichte. Das Buch richtet sich an Kinder ab neun oder zehn Jahren.

Der Roman besticht durch seine einzigartigen Figuren. Cosima und ihre Freundinnen sind alle in unterschiedlicher Form beeinträchtigt. Cosima hinkt und hat oft Schmerzen in ihren Knochen. Das hindert das einfallsreiche Mädchen aber nicht daran, von besseren Zeiten zu träumen und immer wieder neue, verrückte Pläne zu schmieden. Sie sehnt sich nach einer Familie, weiß sie doch nicht, woher sie eigentlich kommt. Diya sitzt im Rollstuhl und ist eine geniale Erfinderin, aus Alltagsgegenständen entwickelt sie Erstaunliches. Pearl ist extrem schüchtern und hat Probleme im Umgang mit anderen, ist aber eine großartige Künstlerin. Und Mary wirkt auf den ersten Blick möglicherweise etwas überspannt und neurotisch, beobachtet aber sehr aufmerksam und durchdenkt alles sehr genau. Im Team harmonieren die vier Freundinnen prächtig. Sie alle werden sehr liebenswert dargestellt, man muss sie einfach sofort ins Herz schließen. Im Verlauf bekommen sie noch weitere magische Unterstützung. Mit den meisten Erwachsenen ist hier hingegen nicht gut Kirschen essen. Misstrauen gegenüber bestimmten Personen ist daher durchaus angebracht.

Das Buch entführt in das historische London, ein besonderes, atmosphärisches Setting. Anschaulich werden die traurigen, düsteren Zustände im Heim der Kinder beschrieben.
Die Mädchen erleben ein rasantes, aufregendes Abenteuer, planen sie doch mit dem Raub des Diamanten einen außergewöhnlichen Coup. Die Grundidee des Buchs und die Charaktere haben mir sehr gut gefallen. Allerdings hat mich die Umsetzung nicht hundertprozentig überzeugt. So kam mir die Organisation des Diamantenraubs nicht immer logisch und etwas unausgereift vor. Insgesamt ging mir die Vorbereitung des Diebstahls zu schnell vonstatten und hätte noch etwas ausführlicher ausgearbeitet werden können.
Dass die Mädchen so zusammenhalten und trotz ihrer Behinderungen und vieler Rückschläge nicht aufgeben, ist mehr als beeindruckend. Man sollte sie auf keinen Fall unterschätzen. Sie haben kleine offensichtliche Schwächen, die aber auch ganz großartige Stärken nach sich ziehen. Ihre kuriosen Ideen sind oft herrlich amüsant. Autorin Laura Noakes geht wunderbar sensibel mit den Krankheiten und Behinderungen ihrer Protagonistinnen um, stellt eine ganz besondere, beeindruckende Gemeinschaft dar, in der jede uneingeschränkt so akzeptiert wird, wie sie ist. Insgesamt trotz kleiner Mängel im Handlungsverlauf ein besonderes, packendes, phantasievolles Leseabenteuer mit viel Herz und Atmosphäre.

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Veröffentlicht am 15.04.2024

Von der Entstehung der Kindergärten und einer besonderen Liebesgeschichte

Die Zeit der Kinder
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„Während andere im „Man müsste mal…“ verharrten und stumm den Kopf über die Missstände in der Kindererziehung schüttelten, hatte er jahrelang die Bücher gewälzt, beobachtet und es schließlich gewagt. Er ...

„Während andere im „Man müsste mal…“ verharrten und stumm den Kopf über die Missstände in der Kindererziehung schüttelten, hatte er jahrelang die Bücher gewälzt, beobachtet und es schließlich gewagt. Er hatte diese Schule eröffnet, sich ausprobiert und war durch seine Erfahrungen und neue Beobachtungen gewachsen.“

1830 unterstützt Luise Levin ihre Schwester bei der Erziehung ihrer Söhne. Dass ihre Neffen von ihrem Vater geschlagen werden, wenn sie sich nicht nach seinen Vorstellungen verhalten, missfällt Luise sehr. Als sie deswegen häufig mit ihrem Schwager in Konflikt gerät, fasst sie gegen den Willen der Familie den Entschluss, sich als Haushälterin in der neugegründeten Erziehungsanstalt des fortschrittlichen und in konservativen Kreisen umstrittenen Pädagogen Friedrich Fröbel zu bewerben. Dort lernt sie einiges über Fröbels Lehren und Methoden, arbeitet selbst in der Praxis mit Kindern und ist schon bald völlig überzeugt von Fröbels Konzept. Und nicht nur das, vom ersten Moment an ist sie auch fasziniert vom charismatischen Friedrich Fröbel selbst. Doch hat ihre Liebe angesichts des großen Altersunterschieds und der Vorbehalte von Luises Familie überhaupt eine Chance? In der Gesellschaft mehren sich zudem die Stimmen gegen Fröbels Pädagogik. Er droht mit seinen Ideen auf ganzer Linie zu scheitern….

Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Luises Werdegang wird chronologisch geschildert, ebenso die Erlebnisse der jungen Hamburgerin Marieke, die zunächst in einer von Nonnen geleiteten Kinderverwahranstalt arbeitet und später zu Fröbel und Luise stößt. Zudem werden wichtige Stationen im Leben Friedrich Fröbels dargestellt, diese sind aus Fröbels Sicht in der ersten Person verfasst. Durch die Wiedergabe der drei verschiedenen Sichtweisen und die damit verbundenen Zeitsprünge entwickelt sich die Handlung nicht durchgehend konsequent und stringent weiter.

Die unverheiratete Luise hat für ihre Zeit eine recht moderne Auffassung von Erziehung. Diese entspricht teilweise intuitiv der Friedrich Fröbels. Für beide stehen die Kinder und ihre Entwicklung im Mittelpunkt. Anders als der sonst herrschende Grundsatz, dass man Kinder weder hören noch sehen sollte, tollt Friedrich gerne ausgelassen mit den Kindern herum oder singt mit ihnen. So freiheitlich Fröbels Ansatz scheint, so wenig kompromissbereit ist er, wenn es um die Umsetzung seiner Ideen geht. Da gilt für ihn: „Ganz oder gar nicht“. Eine Einstellung, mit der er durchaus aneckt. Luise und Friedrich verbinden bald nicht mehr nur gemeinsame Interessen, viele Ideen und ihre Beharrlichkeit, sondern auch eine besondere Beziehung… Die Personenkonstellation besteht aus realen, aber auch fiktiven Persönlichkeiten.

Friedrich Fröbel gilt als der Begründer der Kindergarten. Nicht nur in Deutschland, auch im Ausland nahm man seine Ideen von einer Erziehung auf, deren Ziel es war, Kinder zu selbstbestimmten, mündigen und gebildeten Menschen zu machen. Davon erzählt der Roman, ebenso von Luises und Friedrichs bewegtem Leben und ihrem permanenten Kampf für ihre Ideen gegen starke Widerstände. Eine wirklich faszinierende und reizvolle Geschichte, die mich über weite Strecken fesselte und die einen spannenden Einblick in die vergangene Zeit und Gesellschaft gibt. Zum Ende entwickelte sie sich leider etwas langatmig und holprig. Gerade die Passagen aus Fröbels Sicht fügten sich für mich aufgrund der Zeitsprünge nicht ganz stimmig in die Handlung und den Spannungsbogen ein und minderten so ein wenig den Lesefluss. Auch hätte ich mir eine noch konkretere Darstellung von Fröbels Pädagogik und der damaligen Praxis gewünscht. Hier waren mir die Beschreibungen oft etwas zu ungenau und allgemein. Dennoch insgesamt ein recht unterhaltsamer, gelungener Roman für alle, die sich für Pädagogik, die Entstehung der Kindergärten und herausragende bedeutende Persönlichkeiten interessieren.

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Veröffentlicht am 31.03.2024

Eine tödliche Auszeit - viele Lügen und ein Mord

Die Auszeit
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„In meiner Welt waren Lügen etwas Schlechtes, egal, weshalb man sie hervorbrachte, denn früher oder später kam die Wahrheit ja doch immer ans Licht.“

In einem neuen Luxus-Retreat in den bayerischen Alpen ...

„In meiner Welt waren Lügen etwas Schlechtes, egal, weshalb man sie hervorbrachte, denn früher oder später kam die Wahrheit ja doch immer ans Licht.“

In einem neuen Luxus-Retreat in den bayerischen Alpen möchte das Team um die erfolgreiche Influencerin Viktoria Kaplan die gigantische Zahl von einer Millionen Follower gebührend feiern. Doch von ausgelassener, fröhlicher Partystimmung ist schon bald nichts mehr zu spüren: Viktoria, ihre Mitarbeiter und Freunde verstehen sich längst nicht so gut, wie sie das ihre Fans glauben machen wollen. So endet die Auszeit für einen Person auf die grausamste aller Arten, sie wird brutal ermordet. Nicht nur die Kollegen und Freunde machen sich verdächtig, auch die Mitarbeiter des Retreats scheinen nicht ohne Geheimnisse. Ob es gelingt, den Mörder zu fassen?

Die Geschichte ist gut verständlich und recht flüssig formuliert. Sie wird in verschiedenen Strängen aus fünf unterschiedlichen Sichtweisen erzählt: Viktoria selbst, ihre Mitarbeiterin und beste Freundin Karla, Josefine, neue Freundin von Viktorias Bruder Max, der Inhaber des Retreats Pierre sowie Viktorias unbekannter Stalker schildern, wie sie die Zeit kurz vor und nach dem Verbrechen erleben. Es sind außerdem auch immer wieder Viktorias Live-Posts, die von Karla verfasst werden, zu lesen. Nach und nach werden alle für das Verbrechen wichtigen Aspekte offenbart. Die unterschiedlichen Perspektiven und Zeitsprünge halten dabei die Spannung stets hoch.

Gerade am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, die Personen voneinander zu unterscheiden. Ich musste dann wiederholt zurückblättern und noch einmal genau nachlesen, wer da eigentlich gerade erzählt.
Viktoria Kaplan ist erfolgreiche Influencerin. Zu ihrem Team gehören ihr Freund Julian, der die Fotos zu Viktorias Posts macht, ihr Bruder Max und dessen Exfreundin Karla, die die Internetbeiträge verfasst. Zusätzlich sind noch Julians bester Freund, der Medizinstudent Sebastian, und Max neue Freundin Josefine vor Ort. Alle werden während ihrer Auszeit von Pierre, dem Inhaber des Retreats, und weiteren Mitarbeitern wie Pierres Assistentin Magdalena umsorgt.
Mit der Scheinwelt des Internets, den manipulierten Bilder und Posts, mit denen Viktoria und Co ihr „unechtes“ Luxusleben finanzieren, konnte ich recht wenig anfangen. Dementsprechend waren mir die meisten Figuren des Romans leider auch ziemlich unsympathisch und ihre Beweggründe teils unverständlich. Wer es beruflich mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, hat sicher privat auch einiges zu vertuschen. Im Verlauf werden nahezu alle Personen verdächtig. Das macht die Geschichte trotz der wenig ansprechenden Figuren durchaus packend.

Wer ermordete Viktoria? Viele überraschende Wendungen gestalten das Rätsel um Viktorias Tod raffiniert und komplex. Das Setting, ein abgelegenes Retreat in den Bergen mit angrenzenden See tut sein Übriges, um dem Ganzen eine besondere Atmosphäre und Spannung zu verleihen. Gegen Ende wird es dann richtig dramatisch, alles könnte plötzlich irgendwie möglich sein.
Dass das anfangs noch unbekannte Mordopfer und eine passende Verdächtige recht bald präsentiert werden, hat mich zunächst etwas verwirrt. Für mich hätte der Zeitpunkt der Enthüllung ruhig etwas später sein können. Alles wird zwar logisch und sinnvoll aufgeklärt, doch hätte ich gerne die Personen vorher in Ruhe (außerhalb von Extremsituationen) kennengelernt, um sie besser einschätzen zu können. Durch die Erzählweise auf mehreren Zeitebenen und einem aufziehenden Unwetter, das ein Verlassen des Retreats erschwert, wird die Story natürlich noch spannender und unheimlicher. „Die Auszeit“ zeigt einmal mehr, dass das Aufeinandertreffen der digitalen Welt der Influencer und Social Media und der realen Welt zu fundamentalen Konflikten führen kann. Aktuell ist es gerade für Jugendliche nicht einfach, zwischen Realität und Manipulation und Fake zu unterscheiden. Emily Rudolf hat diese Problematik in einen kurzweiligen, packenden Krimi verpackt, den ich trotz kleinerer Schwächen gerne gelesen habe. Gute, solide Unterhaltung, aber kein absolutes Highlight.

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Veröffentlicht am 29.03.2024

Live-Mördersuche in einer True-Crime-Fernsehshow - ein ungewöhnlich erzähltes, wendungsreiches Krimiexperiment

Murder in the Family
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Vor mehr als zwanzig Jahren, im Dezember 2003, wurde Luke Ryder ermordet. Der Fall wurde bisher nicht aufgeklärt. Nun möchte sein Stiefsohn, der Regisseur Guy Howard, in der Live-True-Crime-Show „Infamous“ ...

Vor mehr als zwanzig Jahren, im Dezember 2003, wurde Luke Ryder ermordet. Der Fall wurde bisher nicht aufgeklärt. Nun möchte sein Stiefsohn, der Regisseur Guy Howard, in der Live-True-Crime-Show „Infamous“ herausfinden, wer für Ryders Tod verantwortlich ist. Dazu hat er verschiedene Experten engagiert, die gemeinsam mit den Zuschauern ermitteln sollen, was am Tag des Mordes wirklich geschah. Ob der wahre Mörder auf diese Weise enttarnt werden kann?

„Murder in the Family“ liest sich wie das Drehbuch der Show. Die Handlung wird dabei nicht als zusammenhängende Geschichte im Fließtext aufbereitet. Vielmehr sind Dialoge, Zeitungsartikel, Chatverläufe, Bilder, Lebensläufe oder Polizeiberichte abgedruckt. So wird der Fall von allen Seiten gründlich und genau untersucht. Eine durchaus ungewöhnliche Erzählweise.

Die Personenkonstellation ist recht umfangreich und vielfältig. Insgesamt wirken sehr viele Personen mit, so die Familie des Opfers, Guy Howard und seine beiden älteren Schwestern, zahlreiche weitere Bekannte des Toten und natürlich die mit der Aufklärung des Falls beauftragten Experten. Mir fiel es vor allem zu Beginn schwer, die sechs Experten voneinander zu unterscheiden. Sie bleiben durch die spezielle Art, wie der Fall präsentiert wird, zwangsläufig blass. Alle beteiligten Personen haben Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt werden.

In jeder der im Buch präsentierten acht TV- Folgen gelangen verschiedene Fakten und Details an die Oberfläche, die den Mord immer wieder in ein völlig anderes Licht rücken und interessante Wendungen und Überraschungen bringen. Jede Folge endet mit einem kleinen Cliffhanger. Mehr als einmal ließ ich mich dabei auf eine falsche Fährte locken. Dennoch hat mich das Buch nicht hundertprozentig überzeugt. Meine Leselust litt teilweise doch stark unter der besonderen, neutralen Erzählweise, die die Phantasie, das Kopfkino, nicht so beflügelte wie ein klassischer Kriminalroman. Ich wollte unbedingt wissen, wer der Mörder ist, fieberte aber emotional nicht mit den Figuren mit, da ich keinen rechten Bezug zu ihnen entwickeln konnte. Womöglich ist der Roman eines der wenigen Bücher, das als Verfilmung besser funktioniert als als Buch. Wer allerdings einmal ein etwas anderes literarisches Krimiexperiment wagen möchte, dem empfehle ich „Murder in the Family“ trotzdem gerne weiter.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Ein Ausflug ins Berlin der späten 20er - interessanter Blick hinter die Kulissen einer besonderen Tanzgruppe

Lindy Girls
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Wally möchte im Herbst 1928 auch im deutschen Berlin den amerikanischen Swing populär machen und eine Mädchen-Tanzgruppe gründen. Für die „Lindy-Girls“ kann sie schließlich Tänzerinnen mit ganz unterschiedlichem ...

Wally möchte im Herbst 1928 auch im deutschen Berlin den amerikanischen Swing populär machen und eine Mädchen-Tanzgruppe gründen. Für die „Lindy-Girls“ kann sie schließlich Tänzerinnen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund gewinnen. Ob Wallys Projekt von Erfolg gekrönt sein wird?

Anne Stern erzählt aus verschiedenen Perspektiven in der dritten und ersten Person, so sind die Kapitel immer mit dem Namen der Figur betitelt, um die es im folgenden Abschnitt geht. Das sind neben Wally z.B. auch einige der Lindy Girls und andere Personen aus dem weiteren Umfeld der Gruppe. Der Schreibstil lässt sich angenehm flüssig und leicht lesen.

Die Personenkonstellation ist recht umfangreich. Es geht u.a. um Wally mit ihren Traum von einer Tanzgruppe, die das Publikum begeistert, um die jüdische Fabrikarbeiterin Alice, die wie die bürgerliche Thea Teil der Tanztruppe ist. Für beide bedeuten die Lindy Girls einen Ausbruch aus dem bisherigen Leben, bieten neue Chancen. Dann ist da noch die Sekretärin Gila, die heimlich an einem Roman schreibt, Eintänzer Jo, der immer noch von seinen Erlebnissen als Soldat im Krieg traumatisiert ist, Wallys Geschäftspartner Toni, den mit Wally eine komplizierte Beziehung verbindet und Schaffner Friedrich. Die Einzelschicksale der Figuren werden anfangs noch unabhängig voneinander beschrieben, später werden sie zu einer lockeren Geschichte miteinander verwoben. Da doch recht viele Figuren im Fokus stehen, sind die einzelnen Charaktere nicht sehr ausführlich und gründlich gezeichnet und wirken auf mich als Leserin daher teilweise recht blass und fremd. Für mich wäre es schön gewesen, die Personen etwas genauer kennenzulernen.

„Lindy Girls“ erzählt die Geschichte einer besonderen Tanztruppe im historischen Berlin. Dabei wird Bezug auf gesellschaftliche und politische Verhältnisse genommen. So ist der Roman auch ein Sittenbild der damaligen Gesellschaft, beleuchtet die Rolle der Frau zu dieser Zeit. Die einzelnen Handlungsstränge sind überwiegend recht lose miteinander verbunden. Das Erzähltempo ist eher ruhig mit wenig Spannung, zum Schluss nimmt die Geschichte allerdings Fahrt auf.
Die Autorin beschreibt die Lebensumstände ihrer Figuren, weist auf Probleme und Konflikte hin. Sie schafft eine spezielle Atmosphäre, lässt ihre Leser fast wie live an den Tanzshows der Lindy Girls teilhaben. Echte Emotionen werden dabei aber leider nicht transportiert. Ich hätte mir gewünscht, etwas intensiver mit den Figuren mitfiebern zu können. Dennoch ein interessanter, lesenswerter Blick hinter und auf die Kulissen einer längst vergangenen Zeit.

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