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Venatrix

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Veröffentlicht am 15.02.2024

Ein gelungener Roman

Im Schatten zweier Sommer
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Vor 130 Jahren, am 2. September 1894, wurde Joseph Roth im galizisch-österreichischen Brody in der heutigen Ukraine geboren. Mit Romanen wie „Radetzkymarsch“ und „Die Kapuzinergruft“ schrieb er Literaturgeschichte. ...

Vor 130 Jahren, am 2. September 1894, wurde Joseph Roth im galizisch-österreichischen Brody in der heutigen Ukraine geboren. Mit Romanen wie „Radetzkymarsch“ und „Die Kapuzinergruft“ schrieb er Literaturgeschichte. Der deutsche Autor Jan Koneffke hat nun den Jugendjahren Roths einen Roman gewidmet. Zufall oder nicht? Ausgerechnet in jenem Haus, in der Rembrandtstraße 35, in der Wiener Leopoldstadt, in dem Joseph Roth in Untermiete bei der Familie Fischler lebte, hat auch der Autor (s)eine Wohnung gefunden.

Jan Koneffke erzählt die fiktive Liebesgeschichte zwischen Franziska „Fanny“ Fischler und Joseph Roth, die nur zwei Sommer lang dauern wird. Der erste Sommer ist jener im Jahr 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der zweite im Jahr 1938 in beider Exil in Paris.

Während der Wochen des ersten Liebessommers in Wien scheint Joseph Roth ein liebenswürdiger, jedoch ein wenig hilflos wirkender junger Mann zu sein, der aus der bitterarmen Ecke des Habsburgerreiches, Galizien, kommt. Zunächst in der Millionenstadt Wien ein wenig verloren wirkend, entwickelt er nicht allzu sympathische Charakterzüge. Ständig in Geldnot erzählt er unterschiedliche Unwahrheiten, anstatt einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen. Die Trennung nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist unvermeidbar.

Als sich die beiden in Jahr 1938 in Paris zufällig in einem Büro für Emigranten wiedertreffen, erleben sie einige wenige Wochen voller Leidenschaft. Roth ist inzwischen ein gefeierter Literat. Alkoholmissbrauch und Depressionen haben den Schriftsteller zu einem eifersüchtigen Wrack werden lassen. Seine aktuelle Geliebte, Irmgard Keun, hat soeben die Flucht vor Roth ergriffen, als Fanny wieder in sein Leben tritt. Fanny leidet unter Roths extremen Gefühlsschwankungen und cholerischen Anfällen.

Diesmal ergreift sie die Initiative und trennt sich von Joseph Roth. Sie emigriert, nach dem die Situation in Paris für die Exilanten immer schwieriger wird, mit dem Arzt Maximilian Sasse in die USA. Joseph Roth stirbt am 27. Mai 1939 in Paris.

Meine Meinung:

Jan Koneffke ist hier ein interessanter historischer Roman gelungen. Geschickt verwebt er historisch Verbürgtes mit Fiktion zu dieser Liebesgeschichte.

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht von Fannys Neffen in drei Teilen. Zunächst erleben wir Fanny als alte Dame, die aus ihrem Leben berichtet und ihm ihr altes Tagebuch sowie zehn besprochene Audiokassetten überlässt. Verwundert lauscht der Neffe der Liebesgeschichte mit Jospeh Roth. Im zweiten Teil dürfen wir die Tagebücher der Fanny zwischen Februar und August 1914 lesen. Im dritten und letzten Teil dürfen wir die Neuauflage der Liebesgeschichte zwischen Fanny und Joseph erleben. Beide haben sich in den mehr als zwanzig Jahren seit 1914 entwickelt.

Die Tagebücher der Fanny zwischen Februar und August 1914 sind „geschrieben wie gesprochen“ in einer Mischung aus dem Wienerischen und dem Jiddischen verfasst. Als Wienerin, die jahrelang im zweiten Bezirk, der Leopoldstadt, dem ehemaligen Judenviertel, gewohnt und gearbeitet hat, kenne ich natürlich die Örtlichkeiten recht genau.

Fazit:

Gern gebe ich diesem interessanten Roman rund um die fiktive Liebesgeschichte zwischen Fanny Fischler und Joseph Roth, die zweimal nur jeweils einen Sommer gedauert hat, 4 Sterne.

Veröffentlicht am 13.02.2024

Eine gelungene Erzählung

Das Philosophenschiff
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Anouk Perlemann-Jacob, hundertjährige Stararchitektin, die in St. Petersburg geboren worden ist, engagiert den als Ich-Erzähler auftretenden Schriftsteller, um ihre Biografie zu schreiben.

„Ich habe mich ...

Anouk Perlemann-Jacob, hundertjährige Stararchitektin, die in St. Petersburg geboren worden ist, engagiert den als Ich-Erzähler auftretenden Schriftsteller, um ihre Biografie zu schreiben.

„Ich habe mich über Sie erkundigt. Sie haben einen guten Ruf als Schriftsteller, aber auch einen etwas windigen. Ich weiß, dass Sie Dinge erfinden und dann behaupten, sie seien wahr. Jeder wisse das, hat man mir gesagt, aber immer wieder gelinge es Ihnen, Ihre Leser und Zuhörer hinters Licht zu führen. Deshalb glaubt man ihnen oft nicht, wenn Sie die Wahrheit schreiben, und glaubt Ihnen, wenn Sie schummeln. Das habe ich mir sagen lassen. Stimmt das?“.

In zahlreichen, täglichen Sitzungen erzählt sie aus ihrem Leben, in dem die Ausweisung aus dem damaligen Sowjetrussland die zentrale Rolle spielt. Dies hat sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen im Jahr 1922. Nachdem Lenin nichts mehr gefürchtet hat, als denkende Menschen, hat er mehrere Tausend der damaligen Intelligenzija einfach ausweisen lassen, ein anderer Teil ist im Gulag verschwunden oder gleich erschossen worden.

„Die Elemente, die wir ausweisen oder ausweisen werden, sind als solche politisch bedeutungslos. Aber sie sind potenzielle Waffen in den Händen unserer Feinde. Falls es erneut zu militärischen Komplikationen kommt, werden all diese unversöhnlichen und unbelehrbaren Elemente sich als militärisch-politische Agenten des Feindes erweisen. Und wir werden gezwungen sein, sie nach dem Kriegsrecht zu erschießen. Deshalb ziehen wir es vor, sie jetzt in einer ruhigen Phase, beizeiten auszuweisen. Und ich [Trotzki] hoffe, dass Sie bereit sein werden, unsere vorausschauende Humanität anzuerkennen und sie gegenüber der öffentlichen Meinung zu verteidigen.“

Nach welchen Kriterien die Ausweisungen vorgenommen worden sind, bleibt unklar.

„Vor dem Trotzki haben sich alle gefürchtet, noch mehr als vor dem Lenin. Lenin denkt, Trotzki tut. So hat es damals geheißen.“.

Anouk ist gerade einmal 14 Jahre alt, als sie mit ihren Eltern, einer Ornithologin und einem Architekten, das Land verlassen muss und aus ihrer bürgerlichen Umgebung herausgerissen worden ist. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die sich im Pariser Exil 1931 das Leben nehmen, kann sie in der westlichen Welt Fuß fassen und lebt in Deutschland un Österreich.

Meine Meinung:

Mein erster Gedanke war, Köhlmeier hat sich Margrete Schütte-Lihotzky (1897-2000) zum Vorbild genommen. Jein, denn die Architektin ist in Wien geboren und hat erst in den 1930er-Jahren in der Sowjetunion gelebt und gearbeitet.

Wir begegnen während in dieser Erzählung zahlreichen realen russischen Persönlichkeiten, die ebenso ausgewiesen worden sind und ebenso zahlreichen, die vom Regime ermordet worden sind. Dass der sterbenskranke Lenin persönlich selbst auf einem dieser Philosophenschiffe war, ist allerdings Fiktion. Sein (Un)Geist ist allerdings deutlich spürbar und präsent.

Die Erzählung ist interessant, ist allerdings ohne Vorkenntnisse der russischen Revolutionsgeschichte nur schwer nachzuvollziehen. Denn Anouk Perlemann-Jacob springt in Raum und Zeit umher. Wie es einfach alte Menschen tun, wenn sie über ihr langes Leben berichten. So wechseln sich scheinbare Nebensächlichkeiten und historisch Belegtes ab.

Der Schreibstil ist sachlich und souverän. So besorgt sich der Ich-Erzähler, weiterführende Literatur, um die Aussagen der alten Frau zu überprüfen. Das macht die Geschichte glaubwürdig, auch wenn sie doch zu einem großen Teil fiktiv ist.

Fazit:

Eine gelungene Erzählung, der ich gerne 4 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 03.02.2024

Eine gelungene Fortsetzung

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Hoffnung der Menschen (Hafenärztin 4)
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Kaum glaubt man, dass ein wenig Ruhe in das Leben von Anne, Helene und Berthold einkehrt, so wird man eines Besseren belehrt.

Obwohl Annes Vater Roger van der Zwaan im Gefängnis auf seinen Prozess wartet, ...

Kaum glaubt man, dass ein wenig Ruhe in das Leben von Anne, Helene und Berthold einkehrt, so wird man eines Besseren belehrt.

Obwohl Annes Vater Roger van der Zwaan im Gefängnis auf seinen Prozess wartet, scheinen dessen Geschäfte munter weiterzulaufen. Es gibt mehrere Frauen, die nach dem Konsum von geschnupftem Heroin gestorben sind. Dann wird der ehemalige Geschäftspartner von Roger ermordet und Anne wird bei der blutigen Leiche gefunden. Ist sie in eine Falle gelaufen? Die Presse zerreißt die Hauptbelastungszeugin im Prozess gegen ihren Vater in der Luft, zumal ihre Vergangenheit wieder hervorgekehrt wird.

Helene hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, da ihr Bruder Klaus als drogensüchtiges Wrack aus Kuba zurückgekommen ist. Gleichzeitig versucht sie nicht nur Klaus, sondern auch Freundin Pauline, deren gewalttätiger Ehemann vor wenig zurückschreckt, zu retten.

Und Berthold, nunmehr Chefermittler, entdeckt, dass seine tot geglaubte Frau Elisabeth noch lebt. Der Besuch bei seiner Familie gibt ihm recht, mit ihr zu brechen, sein Leben in Hamburg zu leben. Ob er nun mit seiner Vergangenheit endlich abschließen kann?

Meine Meinung:

Henrike Engel gelingt es auch im 4. Band, spannende Geschichten zu erzählen und die miteinander zu verweben. Obwohl die meisten offenen Handlungsstränge aus den vier Bänden verknüpft sind, scheint eine Fortsetzung möglich, denn für Helene und Berthold eröffnet sich eine neue Perspektive.

Die Charaktere dürfen sich weiterentwickeln. Selbst der Helenes engstirniger Vater erkennt die Zeichen der Zeit und geht von seinen puritanischen Glaubenssätzen ab. Wasser predigen und selbst Wein trinken, ist ihm nicht gut bekommen.

Fazit:

Gerne gebe ich auch hier wieder 4 Sterne und freue mich, wenn es eine Fortsetzung gibt.

Veröffentlicht am 03.02.2024

Eine Familiengeschichte aus Wuhan

Glänzende Aussicht
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Die chinesische Schriftstellerin Fang Fang nimmt uns in diesem Roman die Provinz Wuhan mit.

Erzählt wird die Geschichte der elfköpfigen Familie, die aus den Eltern, sieben Söhnen und zwei Töchtern besteht, ...

Die chinesische Schriftstellerin Fang Fang nimmt uns in diesem Roman die Provinz Wuhan mit.

Erzählt wird die Geschichte der elfköpfigen Familie, die aus den Eltern, sieben Söhnen und zwei Töchtern besteht, von Bruder Nummer acht, der als Kleinkind verstorben ist und hinter der Hütte begraben ist. Die Familie lebt auf knapp 13 Quadratmeter in der sogenannten Henan-Barackensiedlung. Man muss in Schichten schlafen und für Bruder Sieben, der von allen misshandelt wird, gibt es nur noch Platz unter dem Bett des Vaters. Das Leben ist hart und ohne jede Zuneigung, denn alle Kinder müssen schon in jungen Jahren zum Unterhalt der Familie beitragen. Sie stehlen Kohle oder wühlen im Müll, um Nahrungsreste oder Brauchbares zu finden. Doch in den Augen des alkoholkranken Vaters sind die Bemühungen nie genug.

Der Vater ist ein Diktator, der auch drakonische Strafen austeilt, egal ob sich ein Kind einer echten oder eingebildeten Verfehlung schuldig gemacht hat. Meistens trifft es Bruder Sieben.

Und ausgerechnet dieser von allem missachtete Bruder Sieben findet einen Ausweg aus dieser Tristesse.

Meine Meinung:

Dieser 1987 erstmals erschienene Roman der chinesischen Schriftstellerin Fang Fang ist eine Parabel auf das nachkaiserliche China. Es spiegelt in der einfachen Arbeiterfamilie aus Wuhan die Verhältnisse des Landes wieder. Die ehemals bäuerliche Familie lebt mit ihren neun überlebenden Kindern in Armut in Wuhan. Noch ist Kinderreichtum erlaubt, bevor die Machthaber mit ihrer rigiden Ein-Kind-Strategie das Bevölkerungswachstum einschränken wollen.

Dass dieser Roman heute in China lieber unterdrückt als gelesen wird, ist klar, wenn man die Parallelen des Mikrokosmos Familie zum Staat zieht.

Fang Fang ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas. Sie wurde 1955 geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Wuhan. In den letzten 35 Jahren hat sie eine Vielzahl von Romanen, Novellen, Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. Stets spielen die Armen und Entrechteten in ihren Werken eine große Rolle. Sie erhielt eine Vielzahl von Auszeichnungen in China, hat sich aber mit ihren „Wuhan Diary“, in dem sie über die Abriegelung der ganzen Region in der Covid-19-Pandemie schreibt, keine Freunde gemacht.

Fazit:

Dieser Erzählung rund um die Allmacht eines Vaters innerhalb seiner Familie, die wie eine Parabel auf die chinesische Politik erscheint, gebe ich gerne 4 Sterne.

Veröffentlicht am 30.01.2024

Eine detaillierte Biographie

Maler Friedrich
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Am 5. September 2024 jährt sich der Geburtstag von Caspar David Friede zum 250. Mal. Grund genug, den Maler und sein Werk ein wenig genauer zu betrachten. Caspar David Friedrich (CDF) komponierte Bilder ...

Am 5. September 2024 jährt sich der Geburtstag von Caspar David Friede zum 250. Mal. Grund genug, den Maler und sein Werk ein wenig genauer zu betrachten. Caspar David Friedrich (CDF) komponierte Bilder von magischer Schönheit, aber auch voll düsterer Melancholie. Das machte ihn zu einem der bedeutendsten Landschaftsmaler.

Eberhard Rathgeb begibt sich auf Spurensuche und malt (sic!) ein ganz eigenes Bild des Malers, der als Inbegriff der deutschen Romantik gilt.

Leider verzettelt sich der Autor in ausufernder Weise in mögliche innere Monologe des Malers. Außerdem kommen Zeitgenossen wie Hegel, Fichte, Kant oder Goethe ziemlich prominent zu Wort. Die zahlreichen Zitate aus Briefen an und über CDF unterbrechen mein Lesevergnügen.

Die Lebensgeschichte des CDF (1774-1840) ist für die damalige Zeit recht ungewöhnlich, denn er muss nicht in den väterlichen Betrieb einsteigen, sondern konnte sich der Kunst widmen. Sein Leben ist durch den frühen Tod der Mutter und den seines jüngeren Bruders Christoph, der beim Versuch, den ins Wasser gefallenen Caspar zu retten, selbst ertrunken ist, geprägt. CDF gründet erst sehr spät, nämlich 1818 seine eigene Familie. Schon in jungen Jahren wird der Maler von Depressionen geplagt, die ihn nicht nur einmal an Selbstmord denken lassen. Nach zwei Schlaganfällen kann er kaum noch arbeiten und stirbt am 7. Mai 1840.

CDFs Leben ist geprägt durch die Napoleonischen Kriege und dem Erwachen des deutschen Nationalismus. Die Restauration nach dem Wiener Kongress 1815 und die Repressionen durch die Bespitzelungen lassen die latente vorhandene Depression ausbrechen. Die schlägt sich auch in der Malerei nieder.

Eberhard Rathgeb interpretiert für mein Gefühl zu viel in die Bilder Friedrichs hinein und walzt diese Deutungen noch gewaltig aus. Leider sind die Abbildungen der sechs Bilder drucktechnisch nicht sehr gut gelungen. Da musste ich zum Internet greifen, um Fotos der Gemälde anzusehen.

Fazit:

Dieses Buch ist eher für Kenner des Malers gedacht, denn als Einstieg in das Werk von Caspar David Friedrich ist es vermutlich viel zu detailreich. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.