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Veröffentlicht am 16.02.2024

„Lil the Kill“ oder die Geschichte einer emanzipierten Frau

Lil
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Lillian Cutting ist eine erfolgreiche Frau, die schon als Siebenjährige von ihrem Vater gefördert wird. Er hat ihr Potenzial erkannt - so auch Chev, ihr späterer Ehemann. Nach seinem Tod führte sie, die ...

Lillian Cutting ist eine erfolgreiche Frau, die schon als Siebenjährige von ihrem Vater gefördert wird. Er hat ihr Potenzial erkannt - so auch Chev, ihr späterer Ehemann. Nach seinem Tod führte sie, die Eisenbahnmagnatin, das Finanzgenie, mit Geschick und Spürsinn für alles Geschäftliche das Unternehmen weiter.

Wir sind in New York und schreiben das Jahr 1880. Lillians Erfolg weckt Neider und nicht nur für ihre Konkurrenten ist sie ein rotes Tuch, auch ihr Sohn Robert kann es nicht fassen, dass nicht er als „natürlicher“ Nachfolger seines Vaters an der Firmenspitze steht. Denn dieser hat vorausschauend Lillians Position testamentarisch gesichert. Ein durchaus nachvollziehbarer Schritt, denn Robert ist eher einer, der sich und die Bank, in die ihn einst sein Vater eingekauft hat, nur durch die ständigen Finanzspritzen seines Vaters ganz oben halten kann. Und so ersinnt er mit seinem Freund Doktor Matthew Fairwell, der das Sanatorium Hops Island führt, einen teuflischen Plan. Hops Island ist im landläufigen Sinne eine Nervenheilanstalt, Lillian bezeichnet sie als Irrenkolonie und genau dahin lockt Robert seine Mutter.

Markus Gasser ist eine gar furiose Geschichte um eine emanzipierte Frau gelungen. Eigentlich sind es zwei Frauenfiguren, die unerschrocken ihren Weg gehen, damals ganz unüblich und von der feinen Gesellschaft so gar nicht toleriert. Eine Frau hatte in erster Linie Ehefrau und Mutter zu sein, sie hatte repräsentative Aufgaben, die „Erlauchten Vierhundert“ gaben den Ton an. Gasser versteht es aufs trefflichste, die Empfindlichkeiten der New Yorker Upper Class zu skizzieren. Die Unterdrückung der Frau, einhergehend mit der Emporhebung des Patriarchats, scheint die einzig wahre Gesellschaftsordnung zu sein. Und Fairwell seinerseits sieht sich als einen Chirurgen des Geistes, er gibt eine verstörende Beschreibung seines Frauenbildes wieder.

Alles beginnt mit Sarah, die mit Miss Brontë, ihrer Dobermann-Hündin, Lillians Geschichte erzählt. Ihr Dialog mutet zunächst ein wenig befremdlich an, was sich aber alsbald ins Gegenteil verkehrt. Lillian, kurz Lil genannt, ist Sarahs Großmutter - mit einem vierfachen „Ur“ vorneweg. Auslöser für diese spannende Erzählung ist ein Brief vom April 1880, der nie abgeschickt und jetzt beim Ausräumen der einstigen Nervenklinik gefunden wird. Und so kommt die Geschichte ins Rollen, die tragisch ist, aber nicht nur. Die die höhere Gesellschaft Manhattans nicht gut aussehen lässt, die jedoch nicht mit der Stärke einer unerschrockenen Frau rechnet. Ein außergewöhnlicher, ein lesenswerter Roman, der fesselt von der ersten bis zur letzten Seite.

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Veröffentlicht am 14.02.2024

„Was in jener Nacht geschah…“

Notizen zu einer Hinrichtung
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…und davor und danach - davon erzählt Danya Kukafka. Da sind wir schon mittendrin, aber beginnen wir von vorne, ab der Geburt des kleinen Jungen - Ansel Packer. Seine Mutter ist blutjung und unerfahren, ...

…und davor und danach - davon erzählt Danya Kukafka. Da sind wir schon mittendrin, aber beginnen wir von vorne, ab der Geburt des kleinen Jungen - Ansel Packer. Seine Mutter ist blutjung und unerfahren, sein Vater ein jähzorniger Mensch, man könnte ihn ohne Weiteres als gewalttätig bezeichnen. Bis zu seinem vierten Lebensjahr lebt der Junge in einem abgeschiedenen Hof. Er kennt sich gut aus im Wald und spürt nur allzu häufig des Vaters Zorn. Ein Geschwisterchen wird geboren, es ist noch namenlos, es ist ganz einfach Baby Packer. Als dann Vater wieder mal ausrastet, ersinnt Mutter eine Möglichkeit, die Kinder vor ihm zu schützen.

Es ist die Geschichte eines Serienmörders, der mich in seinen Bann zieht und mich zugleich abstößt und gleichzeitig und vor allem sind es jene Geschichten der Mutter, einer Schwester und einer Kommissarin. Aus mehreren Perspektiven legt die Autorin ein erschütterndes Zeugnis eines verirrten Geistes ab, der seine Hinrichtung erwartet, diese aber meint, doch noch umgehen zu können. Er ist angezählt, es sind noch zwölf Stunden bis zur Stunde Null. Dabei lässt er die vergangenen Jahre Revue passieren. Es ist ein eindringliches Zeugnis eines Lebens geworden, das – hätte es einen besseren Start gehabt – vielleicht ganz anders verlaufen wäre. Zumindest drängen sich diese Gedanken auf, während die Frauen, die in seinem Leben eine entscheidende Rolle spielen, immer deutlicher zum Vorschein kommen.

„Es gibt Gut, und es gibt Böse, diese Gegensätze existieren in jedem Menschen.“ Nur manchmal gerät so einiges in Schieflage.

Die „Notizen zu einer Hinrichtung“ sind ganz einfach grandios. Es ist so viel mehr, als der Klappentext verrät. Der Erzählstil ist meisterlich, er bietet alles, lässt tief blicken und drängt etappenweise vorwärts. Kein herkömmlicher Thriller, blutig und actionreich – nein, das hat dieses so eindringlich dargebotene Buch nicht nötig. Jede Berührung, jeden Gesichtsausdruck, jedes Gefühlschaos spürt man direkt, man kann sich dem nicht entziehen.

Auch das Cover spricht Bände. Es hat mich zunächst nicht so recht angesprochen und doch auf eigentümliche Weise angezogen. Und ja, auch der Fuchs gehört hier dazu, das Gesamtbild ist in sich stimmig wie das ganze Buch, das ich am Stück verschlungen habe.

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Veröffentlicht am 12.02.2024

„Sizilien - niemals nur süß, auch ein bisschen bitter“

Nostalgia Siciliana
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Schon lange schlägt mein Herz für Italien. Vor allem der Süden hat es mir angetan und dazu gehört neben den Regionen auf der Halbinsel auch Sizilien. Natürlich. Wie könnte ich da an so einem Buch, dessen ...

Schon lange schlägt mein Herz für Italien. Vor allem der Süden hat es mir angetan und dazu gehört neben den Regionen auf der Halbinsel auch Sizilien. Natürlich. Wie könnte ich da an so einem Buch, dessen Cover schon eine nostalgische Reise zu meiner Sehnsuchtsinsel verspricht, vorbeigehen.

Voller Vorfreude schlage ich die ersten Seiten auf und höre direkt das Telefon klingeln. „Buonasera. Spreche ich mit Signora Tita?“ Dottore Gianluca Mancuso ist am Apparat, der den Nachlass ihres Onkels verwaltet. Schlagartig fühlt sie sich zurückversetzt in eine Zeit, als Gianni, ihr Papà, noch da war. Denkt an die langen Autofahrten Jahr für Jahr ohne Pause von Berlin in Papàs Heimat, nach Ragusa. Titas Onkel hat ihr, ihrem Bruder und ihren beiden Cousinen sein Landgut Magní hinterlassen, außer ihr hat jedoch keiner Interesse daran, also macht sich Tita nach einem viertel Jahrhundert auf, Papàs Siciliana neu zu entdecken. Es wird eine emotionale Reise zurück, Tita durchlebt ihre Familiengeschichte, ihre Kindheit zwischen Berlin und Sizilien – es waren glückliche, unbeschwerte Jahre.

Patrizia Di Stefano erzählt die wahre Geschichte ihres Vaters, die sie in langen Gesprächen mit ihrer Familie als erwachsende Frau neu erfahren hat. Auch wenn die Erinnerungen manchmal trügen, so sind doch bis auf wenige Charaktere alle authentisch wiedergegeben. Gianni war einer der ersten italienischen Gastarbeiter, den es schließlich nach Berlin verschlagen hat. Dort hat er seine Carla kennen- und liebengelernt, dort hat er nicht nur eine Familie gegründet, er hat auch den Berlinern in seinem Ristorante die bis dahin noch ungewohnten italienischen Spezialitäten mitsamt dem sizilianischen Lebensgefühl nähergebracht.

In diesem Roman steckt so viel mehr als „nur“ eine Familiengeschichte. Obwohl es diese Familiengeschichte ist, in der so viel Charme steckt, die das nicht immer einfache Leben ungeschönt wiedergibt, das aber auch den unbedingten Zusammenhalt und ganz viel Herzenswärme ausstrahlt. Und so bitter es war, mussten sich zu viele gen Norden aufmachen, um das dort verdiente Geld in die Heimat zu schicken.

Der Roman erzählt auch von der Schönheit Siziliens, von den üppig wachsenden Oleanderbüschen, die in den trockenen Böden bestens gedeihen, von den Häuser überragenden Bougainvillea, den Olivenbäumen und Kakteen, aber auch von den halb verfallenen Häusern und dem Müll direkt am Straßenrand. Da fällt mir grad eine Passage aus diesem wundervollen Buch ein: „Papà lächelt sein typisch geheimnisvolles Giannilächeln. Erzählt von der Süße der Pistazie und dem leicht bitteren Nachgeschmack – sie ist wie Sizilien. Niemals nur süß, auch immer ein bisschen bitter.“

Die Autorin lässt nicht nur die Landschaft und die kulinarischen Köstlichkeiten Revue passieren, mit etwa dem Kennedy-Besuch in Berlin, mit Elvis Tod, der RAF und Berlins Infiltrierung mit der Cosa Nostra ist die damalige Zeit gut eingefangen. Und die italienische Bürokratie wird auch heute noch nicht sehr viel anders sein, zumindest kommt dies meinem Italien-Bild am nächsten und doch ist und bleibt diese Halbinsel und natürlich Sizilien in all ihrer Schönheit meine Sehnsuchtsinsel.

Ich hätte noch so viel länger weiterlesen mögen, konnte gar nicht genug bekommen und doch war das Buch viel zu schnell ausgelesen, es hatte auf mich eine Sogwirkung - ich war hier genau richtig. Der so einnehmende Schreibstil hat es mir zudem leicht gemacht, mich wohlzufühlen. Zumindest gedanklich bin ich noch mit Tita in und um Magní. Auf dem Landgut, das ihr ihre Familie wieder nähergebracht hat. Die Schönheit Siziliens hat Patrizia Di Stefano gut eingefangen. Und ja, es ist eine sehr lesenswerte, „eine bittersüße Liebeserklärung an den italienischen Süden“ geworden.

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Veröffentlicht am 05.02.2024

Vielschichtiger Krimi

Verborgen
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Nach „Verschwiegen“ und „Verlogen“ liegt nun „Verborgen“, der dritte Island-Krimi aus der Feder von Eva Björg Ægisdóttir, vor. Auch ihn habe ich am Stück verschlungen, er steht den beiden Vorgängerbänden ...

Nach „Verschwiegen“ und „Verlogen“ liegt nun „Verborgen“, der dritte Island-Krimi aus der Feder von Eva Björg Ægisdóttir, vor. Auch ihn habe ich am Stück verschlungen, er steht den beiden Vorgängerbänden in nichts nach.

Der dritte Fall für die Kommissarin Elma Jonsdóttier und ihr Team wirft viele Fragen auf. Nach einem Brand wird Marinós Leiche gefunden und wie sich bald herausstellt, war sein Tod nicht dem Feuer geschuldet. Auch gibt ein Nachbar Hinweise, die nicht so recht einzuordnen sind.

Wer hat den Brand gelegt und warum? Um diese Anfangsfragen ranken sich noch so einige andere Begebenheiten. Kaum wird eine einigermaßen klare Linie sichtbar, kommen neue Erkenntnisse hinzu, auch lassen sich die einzelnen Akteure nicht so recht durchschauen. Es wird eine zweite Leiche eher durch Zufall entdeckt – aber hat dieser Fund mit dem ersten Toten zu tun? Verdächtig machen sich so einige, eigentlich hat es den Anschein, als ob jeder irgendwas zu verbergen hätte. Dies alles spielt sich auf engem Raum ab, die Kleinstadt Akranes ist Schauplatz für diese undurchsichtigen Todesfälle. Eva Björg Ægisdóttir gewährt auch tiefe Einblicke in den Alltag einer Familie, sie versteht es bestens, ihre Leser trotz all den Infos zu verwirren und die Story trotzdem voranzutreiben.

Das Personenregister am Ende des Buches mit den isländischen Namen und den einzelnen Personengruppen war gerade anfangs sehr hilfreich. So konnte ich sowohl die Kommissare als auch den Freundes- und Familienkreis bald gut zuordnen, dem Lesefluss stand nichts mehr im Wege.

Der wendungsreiche Schluss fordert meinen Nerven noch so einiges ab, auch gefallen mir neben der Ermittlungsarbeit die privaten Momente nicht nur von Elma und Sævar, auch Hörður, ihrem Chef, hat das Schicksal viel abverlangt. Sie sind mir mittlerweile vertraut und ich hoffe, dass es für sie noch ganz viel aufzuklären gibt. „Verborgen“ war wiederum ein absoluter Lesegenuss, ein Island-Krimi vom Feinsten, den ich jedem Krimi-Fan wärmstens empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 03.02.2024

Irre spannend

Romeos Tod
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Mona ist gerade aus der Haft entlassen worden, sie hat zehn Jahre eingesessen und nun will sie ihre Kinder – Leo und Lena – wiederfinden. In einem Zug, der nicht abfährt, trifft sie auf Dora. Kurzerhand ...

Mona ist gerade aus der Haft entlassen worden, sie hat zehn Jahre eingesessen und nun will sie ihre Kinder – Leo und Lena – wiederfinden. In einem Zug, der nicht abfährt, trifft sie auf Dora. Kurzerhand beschließen beide, sich ein Auto zu mieten. Mona vermutet ihre Kinder in Italien bei ihrem Ex-Mann, Dora will zu ihrem Sohn Jan, der den Hamlet gibt. Und so beschließt Mona, Dora zu begleiten, bevor es für sie in Richtung Italien weitergeht. Nach der gelungenen Vorstellung treffen Jan und Mona das erste Mal aufeinander, beide sind hin und weg, können von nun an nicht mehr voneinander lassen. „Ich war einmal mit einem italienischen Verbrecher verheiratet.“ Mona bleibt vorerst hier und beginnt, ihre Geschichte zu erzählen…

…und diese Geschichte hat es in sich. Häppchenweise breitet sie ihr Leben vor Jan aus, am Stück wäre dies schwer auszuhalten. Jan hört sich alles an, als sensibler Darsteller spielt er nicht, er lebt seine Rolle mit jeder Faser seines Seins. Er brilliert als Hamlet auf den Brettern, die für ihn die Welt bedeuten und dazwischen will er Mona zur Seite stehen, sie bei ihrer Suche unterstützen.

Ich lese diese irre Geschichte und kann nicht glauben, was Mona alles erdulden musste. Ich bin hin- und hergerissen. Frage mich, ob dies alles wirklich so geschehen ist. Sie erzählt von Vincenzo, ihrem Ex-Mann und ihrer gemeinsamen Zeit, von ihrer Tat, die sie letztendlich ins Gefängnis brachte und blickt zurück auf ihre eigene Kindheit und ihre Mutter, bis es dann endlich weiter Richtung Italien geht, sie sich auf die Suche nach Vincenzo und den Kindern macht. Dabei wird sie nicht nur von Jan, sondern auch von seiner Mutter Dora unterstützt.

Es ist auch Jans Geschichte. Jan Jespik, der begnadete Theaterschauspieler, der sich als Genie sieht, stets dem Wahnsinn nahe. Ihn kann ich mir in seiner Genialität gut vorstellen, es soll sie ja wirklich geben, diese irren Typen.

Unterschwellig habe ich immer das Gefühl, dass an Monas Geschichte etwas nicht stimmt. Oder doch? Werde ich bewusst in die Irre geführt? Wobei dieses Irre, dieses Wahrhafte, in mehrfacher Hinsicht hier seine Daseinsberechtigung hat. Es sind schon irre Typen, Nähe zu ihnen will sich nicht einstellen und doch treibt es mich Seite um Seite weiter. Es ist ein irre spannendes Buch, wendungsreich und faszinierend, das mit einem Paukenschlag endet. Ein Wahnsinnsbuch, das gelesen werden will.

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