Frauenrechtlerin in der karolingischen Zeit
Es geht hier um Imma, die spätere Schwiegermutter von Karl dem Großen. Während mir die Mutter Karls des Großen, Bertrada, durchaus ein Begriff war, hatte ich von seiner Schwiegermutter noch nie gehört. ...
Es geht hier um Imma, die spätere Schwiegermutter von Karl dem Großen. Während mir die Mutter Karls des Großen, Bertrada, durchaus ein Begriff war, hatte ich von seiner Schwiegermutter noch nie gehört. Sie kam aus dem Geschlecht der alamannischen Herzöge und wuchs in der Bodenseeregion auf. Im späteren St. Gallen erhielt sie ihre universale Ausbildung, sie konnte selbstverständlich lesen und schreiben, war mehrsprachig, war bewandert in der Heilkunst und im Kopieren alter Texte.
Es geht aber weniger um die Genealogie, sondern mehr um die Rolle der Frauen in dieser Zeit. Es gab in dieser Zeit Machtkämpfe zwischen den romtreuen Katholiken und den Katholiken, die von der irischen Mission beeinflusst waren. Die irische Mission unter Columban und Gallus hatte den Frauen deutlich mehr Rechte eingeräumt, Frauen waren den Männern gleichberechtigt, ihre Stärke lag in der Heilkunst, in der Krankenpflege, in der Seelsorge und in der Beratung ihrer Männer. Es gab kein Zölibat, Priester durften durchaus verheiratet sein. Unter Bonifatius wurde damit begonnen, den Einfluss der römischen Kirche immer mehr auszubauen. Das Zölibat wurde durchgesetzt und Frauen konnten vielleicht noch in Klöstern ihren Wissensdurst befriedigen, waren dann aber von der Außenwelt abgeschnitten, ein Einfluss auf Männer war ihnen untersagt.
Die Geschichte muss sich in großen Teilen der Fiktion bedienen, denn diese inneren Spannungen im Christentum hat die römisch katholische Kirche unterschlagen. Sie ging als Sieger aus den Auseinandersetzungen hervor, weil im Endeffekt die Herrschenden immer auch die Rückendeckung des Papsttums suchten.
Im Buch geht es vor allem um die Toleranz der irischen Missionare und ihrer Nachfolger gegenüber den Frauen. Auch Natur und Umwelt spielten eine viel stärkere Rolle, ihr wurden Kräfte zugeschrieben, die erst in der Gegenwart wieder stärker beachtet werden. Wikipedia betont die Strenge der Missionare, die Klosterregeln von Columban und Gallus seien sehr viel rigider gewesen als die der Benediktiner. Es mag aber durchaus sein, dass sie nicht eine Hälfte der Menschheit von vornherein ausgeschlossen haben, sondern sich ihrer für viele Zwecke auch gern bedienten und ihnen auch entsprechende Bildung und Gleichberechtigung einräumten.
Jedenfalls muss es Imma sehr schwergefallen sein, als belesene und intelligente Frau plötzlich zurückgestuft zu werden auf einen schwachen und schutzbedürftigen Status, ohne die Möglichkeit eigener Entscheidungen. Schon die Verfügung über ihre eigene Tochter geschah ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung. Die Männer sahen in Hildegards Verheiratung mit dem König und späteren Kaiser lediglich den politischen Aufstieg, die Einflussmöglichkeiten und das eigene Wohlergehen. Ihr selbst blieb nur die Hoffnung, ihrer Tochter in den ersten 14 Jahren ihres Lebens genügend Wissen mitgegeben zu haben und sie genug geprägt zu haben.
Was das Christentum an sich angeht, so hatte ich oft den Vergleich im Kopf, dass sich die römische Kirche gut in der Rolle der Pharisäer gefallen hätte. Die Coenobien waren die Orte, an denen sich vielleicht auch Jesus selbst wohlgefühlt hätte. Auch wenn sich die Kirche auf Jesus bezieht, so haben schlussendlich doch die machtgetriebenen und konservativen Kräfte die Oberhand behalten und Jesus würde heute wahrscheinlich genauso verfolgt werden, wie es vor 2000 Jahren der Fall war.
Ich fand das Buch ausgesprochen lesenswert, es ist gut recherchiert, auch wenn Fiktion in Teilen notwendig ist, um zu einem besseren Leseerlebnis beizutragen.