Zwischen Wokeness und bürgerlichem Idyll
Weiße WolkenDie beiden Schwestern Dieo und Zazie sind altersmäßig sieben Jahre auseinander, doch trotz schwesterlicher Liebe trennen sie Welten: Psychologin Dieo ist verheiratet mit drei Kindern, Zazie hat gerade ...
Die beiden Schwestern Dieo und Zazie sind altersmäßig sieben Jahre auseinander, doch trotz schwesterlicher Liebe trennen sie Welten: Psychologin Dieo ist verheiratet mit drei Kindern, Zazie hat gerade ihren Master gemacht und jobbt in einem Jugendzentrum. Dieo lebt mit ihrer Familie im bürgerlichen Frankfurter Nordend, Zazie ist aus dem Bahnhofsviertel nach Offenbach gezogen und ein Inbegriff von Wokeness. Muss sie sich als Schwarze Frau schuldig fühlen, weil sie einen weißen Freund hat (der von ihren Freundinnen und Freunden denn auch nur als "white boy" belächelt wird)? Sie hat sogat gegoogelt, welche Schwarzen Frauen weiße Männer daten, sozusagen um sicher zu gehen, dass sie das machen kann.
Die Schwestern haben eine weiße deutsche Mutter und einen senegalesischen Vater, der in der Kindheit der Schwestern keine große Rolle gespielt haben zu scheint. Was Zazie nicht daran hindert, ihre afrikanische Identität stets heraushängen zu lassen und völlig zu verdrängen, dass sie biodeutsch-weiß sozialisiert ist. Einige ihrer Freunde, offenbar "echte" Afrikaner, nennen sie denn auch Bounty - außen braun, innen weiß.
Wie die beiden Schwestern mit Identität, Zugehörigkeit und Lebensidealen umgehen, das steht im Mittelpunkt von Yandé Secks Roman "Weiße Wolken", der im Frankfurt der Gegenwart spielt. Für alle aus Rhein-Main gibt es ordentlich Lokalkolorit, was beim Lesen einen zusätzlichen Reiz ausmacht. Allerdings habe ich mich mit den Charakteren schwer getan, weder mit Dieos Ablehnung, einmal ihre senegalesische Großmutter zu besuchen noch mit Zazies Dauerempörung und ständigen Inszenierung von Seelenschmerz konnte ich mich identifizieren.
Für mich ist Zazie eine nicht unprivilegierte Akademikertochter, die sich gerne als Ghettokind sehen möchte und mit ihrer Clique Menschen grundsätzlich nach dem Melaningehalt ihrer Haut und ihrer ethnischen Zugehörigkeit einordnet, beurteilt, verurteilt. Da frage ich mich: wer ist hier rassistisch? Als eine, die sieben Jahre im Frankfurter Gallus gewohnt hat, wo ethnische Vielfalt selbstverständlich ist und Zugehörigkeitsdebatten ziemlich weit von der Lebenswirklichkeit entfernt sind, finde ich Zazie ziemlich nervig.
So richtig entscheiden konnte ich mich nicht - hat Seck eine Persiflage geschrieben, oder geht es ihr um eine Auseinandersetzung mit afrodeutschen Identitäten? Sollte letzteres der Fall sein, hat mich das Buch nicht überzeugt. Im Sinne eines ironischen Auseinanderpflückens von über-wokeness ähnlich wie bei Identitty ist es schon eher gelungen. Die Reise der beiden Schwestern in die Heimat ihres Vaters blieb letztlich blass und zeigte lediglich: Auch Braids machen aus Afrodeutschen noch keine Afrikanerinnen, Senegal und seine Menschen bleiben ähnlich wie das Nordend-Biotop Klischee. Schade.