Beeindruckend und komplex
Glänzende AussichtEin außergewöhnlicher Roman, erzählt aus der auktorialen Perspektive des bereits kurz nach der Geburt verstorbenen achten Sohnes und jüngsten Kindes einer chinesischen Familie von Hafenarbeitern. Diese ...
Ein außergewöhnlicher Roman, erzählt aus der auktorialen Perspektive des bereits kurz nach der Geburt verstorbenen achten Sohnes und jüngsten Kindes einer chinesischen Familie von Hafenarbeitern. Diese lebt unter ärmlichen Verhältnissen zu elft in einer 13qm kleinen Baracke. Das Leben ist hart, Gewalt in der Familie die Regel, Zuneigung und Liebe Fehlanzeige. Als Nachkommen einer Flüchtlingsfamilie aus Zentralchina werden eher ländliche Traditionen gepflegt: Harte körperliche Arbeit ist angesehener als Bildung, viele Söhne mehren das Ansehen, und es gibt strenge Hierarchien in der patriarchal geprägten Familie.
Dieser Roman beschreibt klar, desillusioniert und ungeschönt die Härte des Lebens der sozial Schwächsten. Das Individuum zählt nichts, der Mensch und sein freudloses Leben sind Spielball der äußeren Umstände. In der Generation der Kinder hat der gesellschaftliche Aufstieg um jeden Preis Priorität. Wer nach persönlicher Integrität und Moral strebt, scheitert.
Der tote achte Bruder hat ein schlechtes Gewissen, in Frieden ruhen zu dürfen, während sich die Lebenden täglich quälen müssen. Auch ist der Achte der einzige, der jemals Elternliebe erfahren hat. Und nur denjenigen, die taubstumm oder blind sind, ist ein glückliches Leben vergönnt. Dass derart deutliche Kritik im Zuge einer Phase des Aufbruchs im Erscheinungsjahr 1987 nicht nur möglich war, sondern auch mit einem nationalen Preis bedacht wurde, hat mich doch erstaunt. Heute wird das Buch in China jedoch nicht mehr verlegt.
Um die Geschehnisse im Buch nachvollziehen zu können, ist ein Basiswissen über die Geschichte Chinas im letzten Jahrhundert hilfreich, insbesondere über die Machtübernahme durch die Kommunisten 1949, den "Großen Sprung nach vorn" (1958-1961) und die Kulturrevolution (1966-1976). Ich hatte mich zuvor noch nie mit der chinesischen Geschichte beschäftigt und habe mich erst parallel zu diesem Buch in die politischen und wirtschaftlichen Umstände eingelesen.
Aufgrund häufiger Zeitsprünge im Buch ist es manchmal schwierig, die chronologischen Zusammenhänge und Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder zu erfassen, und ich habe oft zurückgeblättert und Passagen nochmals nachgelesen. Dies lohnt jedoch in jedem Fall, und mir hat dieses Buch einen interessanten Einblick in eine turbulente Zeit in China ermöglicht. Ich kann dieses Buch nur wärmstens weiterempfehlen.