So nah
KlarkommenEs gibt viele Bücher über das Erwachsenwerden, zumindest das zwischen 12 und 18, wenn der Körper sich plötzlich verändert, man anfängt die Lebensweise und das Gesagte der Eltern zu hinterfragen, sich seine ...
Es gibt viele Bücher über das Erwachsenwerden, zumindest das zwischen 12 und 18, wenn der Körper sich plötzlich verändert, man anfängt die Lebensweise und das Gesagte der Eltern zu hinterfragen, sich seine eigene Realität aufbaut. Es gibt viele Bücher über die Zeit um die 30, eine Zahl die gesellschaftlich so aufgebläht wird, obwohl sie doch nur das ist - eine Zahl. Es gibt viele Bücher über das Altern, über langjährige Ehen die bröckeln, über Midlife Crisis und Veränderungen der Körper. Worüber es wenige Bücher gibt, ist über die Zeit zwischen 20 und 30, und noch viel weniger, die so wahnsinnig unverfälscht und ehrlich diese Zeit einfangen, sie nicht romantisieren.
Es ist die Zeit, in der man aufblühen soll, in der man wilde Parties feiern soll und den Spaß seines Lebens haben soll, denn schon bald… schon bald sei die Party wieder vorbei, so sagen es die Leute. Diesem Druck fühlen sich Mounia, Leon aber vor allen Dingen die Erzählerin in Ilona Hartmanns neuem Roman ausgesetzt.
“Uns war zu jedem Zeitpunkt schmerzlich klar, dass wir nicht wild genug, nicht jung genug, nicht wütend genug, nicht intensiv genug, nicht verschwenderisch genug unsere Zeit verschwenden” (S.118)
Sie wollen Abenteuer erleben, doch die Abenteuer scheinen immer woanders, immer in ihrer Abwesenheit zu passieren. Und so hat die Erzählerin das Gefühl die schönste Zeit des Lebens zerrinne zwischen ihren Fingern ohne dass sie etwas dagegen tun könnte, denn der Druck, den sie sich aufbaut, lähmt sie.
Es ist ein mir sehr vertrautes Gedankenkarussell, das das Buch für mich zu einem persönlichen und emotionalen Leseerlebnis gemacht hat. In einer zugleich humorvollen und berührenden Weise fängt Ilona Hartmann, die oft verschwiegene Unsicherheit, das Schlingern und Stolpern in den Zwanzigern ein.
“Wir waren alle nicht alt, aber alt genug, dass aus kleinen Unebenheiten, die vor zwei Jahren noch niemandem aufgefallen waren, nun manifeste Schlaglöcher geworden waren. Auf kurzen Strecken fiel es nicht auf, aber je mehr Zeit verging, desto deutlicher kamen wir bei unseren Ausweichversuchen in verschiedene Richtungen von der Strecke ab” (S.96)
Eine absolute Leseempfehlung. Jetzt schon eines meiner Lieblingsbücher diesen Jahres. Ein Buch, das ich immer wieder aufschlagen will, in dem ich blättern will und noch viele weitere Stellen unterstreichen will. Denn es ist ein Buch das zugleich unglaublich tröstet und aufrüttelt und einen die eigenen Gedankenmuster reflektieren lässt.