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Veröffentlicht am 15.02.2024

Unterhaltsam und kurzweilig - männlich, weiss, europäisch

Kurztrip Weltgeschichte
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“Kurztripp Weltgeschichte” wurde von Dr Sebastian Steffens verfasst - einem Physiker, nicht einem Historiker. Pflichtschuldig stellt der Autor gleich im Vorwort klar: Dieses Buch erhebt keinen Anspruch ...

“Kurztripp Weltgeschichte” wurde von Dr Sebastian Steffens verfasst - einem Physiker, nicht einem Historiker. Pflichtschuldig stellt der Autor gleich im Vorwort klar: Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und auch nicht auf Objektivität. Auf gut hundert Seiten ist eben nicht mehr als ein selektiver Abriss möglich. Und das ist so auch in Ordnung. Vielen Dank an den Autor und den Dark Empire Verlag für das Leseexemplar! Auf diese kurze (!) Reise war ich sehr gespannt!

Anfangen tut dieser Kurztrip am Anfang - bei der Entstehung des Universums. Es folgen die Entstehung der Erde, wie sich das Leben auf ihr sich entwickelte. Und dann: Auftritt Mensch. Wie im Zeitraffer fliegt die Zeit vor unserer Zeit dahin - informativ dicht, aber unterhaltsam und sprachlich flott. Die Rundschau der ältesten Geschichte der Welt geht in die alte Geschichte über: Städte werden gebaut, Hochkulturen entstehen und zerfallen, Imperien werden gegründet. Über ganze fünf(einhalb) Kapitel verfolgt der Autor das Auf und Ab und Hin und Her des Römischen Reiches und seiner Kaiser und fliegt dann über das Mittelalter. Der Fokus liegt eindeutig auf Europa. In kurzen (!) Abstechern wirft er auch mal einen Blick nach China, den Nahen Osten, Südamerika. Für mehr als ein paar wenige Sätze bleibt aber keine Zeit. Denn weiter geht es mit der Kolonialisierung der Welt und dann von der Französischen Revolution und Napoleon, über den Ersten und Zweiten Weltkrieg, bis hin zum Kalten Krieg. Und rein in die Moderne, bis der Blick in die ferne Zukunft und zum Ende der Zeit schweift. Kurze Abstecher gibt es zur Unabhängigkeitsbewegung in Südamerika (eine Seite), in die Kunst und ihre diversen Stile und eine kurze Geschichte des Computers fehlt auch nicht.

Der Schreibstil ist flott, fast schon rasant. Leicht verständlich und trotz der Dichte übersichtlich fliegt man als Leser:in durch die Zeit. Immer wieder blitzt etwas Humor durch die Fakten, was die Lektüre erheblich auflockert. Die Leseerfahrung ist nicht nur durch die geringe Anzahl an Seiten kurzweilig!

Ich muss aber sagen, dass ich die erste Hälfte des Buches mehr genossen habe. Mit Fortschreiten der Zeit schien mir die Darstellung der Ereignisse weniger pointiert, detailliert und analytisch. Auch die so “erfrischenden” Informationen, die neue Erkenntnisse bringen, nahmen zunehmends ab. Das mag teilweise an meinen eigenen Vorkenntnissen liegen. Dazu kam dann auch noch einiges an pessimistischer Meinung, die mich persönlich nicht angesprochen hat.

Wie der Autor ja bereits vorweggenommen hat: Dieser Kurztrip ist subjektiv und selektiv. Das wird dann sehr deutlich, wenn es auf die Moderne zu geht. Ja, alles lässt sich in so einem Büchlein nicht unterbringen. Trotzdem war ich enttäuscht, dass die Emanzipationsbewegung der Frauen in einem einzigen Satz abgehandelt wurde - die Ergebnisse blieben unerwähnt. Dabei machen Frauen immerhin 50% der Weltbevölkerung aus - da sollten ihre Errungenschaften in einer Weltgeschichte doch wenigstens ein kleines bisschen gewürdigt werden. Nicht Weisse Menschen machen übrigens mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Auch sie, ihr Leidensweg und ihre Siege und Niederlagen spielen in diesem Buch keine Rolle. Allgemein bleibt der Rest der Welt - also alles ausserhalb Europas resp. des globalen Westens - eher eine Randerscheinung. Die Entdeckung Ozeaniens bleibt genau so im Dunkeln, wie Afrika als gesamter Kontinent (bis auf das alte Ägypten). Die Arabische Welt gerät nach dem Mittelalter in Vergessenheit. Nur die Gründung Israels erhält zwei Sätze.

Der grösste Verdienst von “Kurztrip Weltgeschichte” liegt für mich in der unterhaltsamen Übersicht und übersichtlichen Strukturierung der ältesten Geschichte vom Urknall bis etwa zum Ende des Mittelalters. Vielleicht noch etwas darüber hinaus. Danach lässt das Buch aber den zuvor gezeigten wortgewandten Scharfsinn vermissen. Der Titel des Buches ist meiner Meinung nach ausserdem nicht verdient. Eine Weltgeschichte ist hier nicht zu lesen. Sehr wohl aber jene Europas und des globalen Westens.

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Veröffentlicht am 14.02.2024

Nicht, was ich erwartet hatte

Die Burg
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In ihrem neuesten Thriller “Die Burg” geht Ursula Poznanski das Thema KI - Künstliche Intelligenz - an. Der überreiche Milliardär Nevio hat Burg Greifenau gekauft und restauriert. Exzentrisch? Ja. Aber ...

In ihrem neuesten Thriller “Die Burg” geht Ursula Poznanski das Thema KI - Künstliche Intelligenz - an. Der überreiche Milliardär Nevio hat Burg Greifenau gekauft und restauriert. Exzentrisch? Ja. Aber er geht einen Schritt weiter: In den Gewölben und Gängen unter der Burg hat er einen High-Tech-Spielplatz eingerichtet. Hier erschafft die KI KIsmet für Besucher individuell gestaltete Escape-Abenteuer - Special Effects inklusive. So jedenfalls der Traum. Doch als die handverlesene Gruppe aus fünf Experten verschiedenster Sparten zum Testlauf antritt, hat KIsmet offenbar beschlossen, ein ganz eigenes Spiel zu spielen - und alle Tabus über Bord zu werfen.
Das Setting und die Ausgangsproblematik waren für mich extrem vielversprechend - diese Kombination hat einfach Potenzial. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Knaur Verlag, der mir die Lektüre mit einem Rezensionsexemplar ermöglicht hat!
Der Anfang war dann auch einigermassen prickelnd: Die MitspielerInnen treten auf, lassen ihre verschiedenen und gegenläufigen Persönlichkeiten aufblitzen, bringen ihre Geschichte mit. Und als das unterirdische Abenteuer beginnt, warte ich natürlich schon ganz hibbelig auf… was auch immer dann eben passieren würde. Leider kam die Ernüchterung für mich dann aber ziemlich schnell. Irgendwie hat das von KIsmet erzeugte Abenteuer bei mir nicht gefunkt - nicht im noch “regulären” Spiel und auch nicht, als die KI dann vom Plan abgewichen ist. Die Rätsel waren für mich zu abstrakt, ihre Auflösung mutete oft seltsam und wahllos an - intellektuell war ich so nicht involviert. Ausserdem wartet KIsmet mit einer Vielzahl abstossender, ekelerregender Bilder, Szenarien und Erscheinungen auf, die einer Splatter-Horror-Ecke entstammen. Die waren für mich so abstrakt, dass irgendwie keine schaurige Gänsehautatmosphäre aufkommen wollte. Gefühlt ist auch immer mal wieder nicht viel passiert - die Leute standen herum und wussten nicht weiter. Als die Gruppe dann auch noch getrennt wurde, fehlte dann eben auch die zwischenmenschliche Spannung. Da hat auch die zweite Perspektive der Gamemasterin nicht geholfen, die gefühlt einfach von einem Ende zum anderen gerannt ist - und nichts wirklich getan bekam. Kurz: Irgendwie war es über lange Strecken ziemlich langweilig.
Als es dann auf die Auflösung ging, war ich zwar gespannt, aber vor allem froh, dass diese scheinbar sinnlose Odysee ein Ende findet. Das Ende ergibt zwar in sich selbst Sinn, hat aber in meiner Wahrnehmung eine ganz neue Geschichte aufgemacht, auf die aus den vorangegangenen Ereignissen nicht zu schliessen war. Das Grosse Ganze bleibt für mich irgendwie unbefriedigend.
Wie gesagt, waren meine Erwartungen und die Vorfreude recht gross. Die Enttäuschung dann eben auch entsprechend. “Die Burg” ist wohl ein typischer Fall von “nicht mein Fall”.

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Veröffentlicht am 19.01.2024

Wenig Kosmos, viel Wissenschaft - und eine gute Portion Amerika

Im Spiegel des Kosmos
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“Im Spiegel des Kosmos” ist das neuste Werk des Astrophysikers Neil deGrasse Tyson. “So tiefsinnig, verständlich und witzig wurde Kosmologie seit Stephen Hawking nicht mehr erzählt”, wirbt der Klappentext. ...

“Im Spiegel des Kosmos” ist das neuste Werk des Astrophysikers Neil deGrasse Tyson. “So tiefsinnig, verständlich und witzig wurde Kosmologie seit Stephen Hawking nicht mehr erzählt”, wirbt der Klappentext. Und es wird eine kosmische Perspektive auf die Probleme der Menschheit versprochen; dass deGrasse Tyson dadurch gelungen sei, Lösungen für globale Konflikte zu finden und brillante Lösungen abzuleiten. Und entsprechend hoch waren meine Erwartungen und meine Vorfreude. Entsprechend gross auch die Enttäuschung.

Ja, der Kosmos bekommt seine Auftritte. Vor allem am Anfang. Da darf er - und alles was er beinhaltet und wir von unserer Erde aus sehen - als Beispiel für das Wahre und Schöne herhalten. DeGrasse Tyson beschreibt auch wie es war, als die Menschen sich das erste Mal von der Erde losgelöst haben und dem Kosmos entgegen gestrebt sind, erzählt von den Kosmonauten, den ersten Reisen zum Mond, den Bildern, welche von Sonden zur Erde geschickt wurden. Und was diese Bilder und Errungenschaften in der Welt und in den Köpfen der Menschen ausgelöst haben. Oder ausgelöst haben könnten. Von der Technologie, die zum Wohle der Menschheit durch diese Aktionen abgefallen ist. Und von Aliens und wie er sich vorstellt, dass sie unsere Erde, uns Menschen und unser Verhalten beurteilen würden, kämen sie auf Besuch.

Was ich damit sagen möchte: In diesem Buch geht es nicht in erster Linie um eine kosmische Perspektive. Sie ist höchstens Hintergrundmusik und wird hin und wieder in Form eines Alienblicks herangezogen, um gewisse Punkte zu unterstreichen. Möglicherweise auch in dem Bemühen, Witz und Satire in die Sache zu bringen. Grundsätzlich aber scheint das Ziel des Buches zu sein, den Leser:innen eine wissenschaftliche Perspektive auf die Welt und die grossen Debatten der Menschheit zu eröffnen. Eine noble Absicht, die auch bitter nötig ist! Es gelingt dem Autor schliesslich auch, die grundlegenden wissenschaftlichen Vorgehensweisen faktenbasierter Analyse zu vermitteln und auf einige Brennpunkte anzuwenden. Angefüllt ist das Buch aber vor allem mit Beispielen und Anekdoten, bei deren Wahl es deGrasse Tyson erstaunlich wenig gelingt, über den amerikanischen Tellerrand hinauszublicken. Diese scheinbar willkürlich gewählten Geschichten und Schlaglichter sind teilweise erhellend, teilweise aber auch gefühlt ohne Richtung und Ziel. Und ich musste mehr als einmal nachschauen, wie denn die Kapitelüberschrift hiess, also um was es hier eigentlich gehen soll.

“Im Spiegel des Kosmos” war für mich einigermassen interessant zu lesen, obwohl ich den Humor des Autors nur sehr begrenzt teilen kann. Das Werk mit Hawking oder den Inhalt gar mit Galileo zu vergleichen, finde ich aber eine ziemliche Anmassung.

Besten Dank an den Verlag Klett-Cotta und das Team von Vorablesen für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 29.11.2023

Inhalt vs Stil - eine zwiegespaltene Erfahrung

Natural Flow
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Inhalt

“Natural Flow” ist ein Ratgeber, Lebenshilfe, geschrieben von der promovierten Wirtschaftspsychologin Miriam Stark - aber definitiv kein Sachbuch. Die Autorin praktiziert als Beraterin/Coach zu ...

Inhalt

“Natural Flow” ist ein Ratgeber, Lebenshilfe, geschrieben von der promovierten Wirtschaftspsychologin Miriam Stark - aber definitiv kein Sachbuch. Die Autorin praktiziert als Beraterin/Coach zu zyklusorientiertem Leben.

In einem ersten Teil widmet sich die Autorin der physischen Ebene des weiblichen Zyklus. Das Herzstück, auf das auch im weiteren Verlauf substanziell Bezug genommen wird, ist dabei die Erläuterung des weiblichen Hormonhaushalts und der vier daraus abgeleiteten Zyklusphasen.
Den zweiten Teil bezeichnet die Autorin als psychologische Ebene. Hier bemüht sie sich, einen Wirkzusammenhang der hormonellen Vorgänge mit psychischen - oder besser seelischen - Zuständen herzustellen. Sie erläutert das Konzept von vier verschiedenen Anteilen - die Junge, die Mutter, die Magierin, die Alte - welche jede Frau in sich trägt und wie psychische und/oder somatische Leiden auf Vernachlässigung eines oder mehrerer dieser Anteile zurückgeführt werden können. Jedes Kapitel enthält eine Anleitung zu einer mentalen Reise und wird durch fiktive, aber durch die eigene Praxis inspirierte, Fallbeispiele illustriert.
Im dritten Teil beleuchtet Dr. Stark - vor dem Hintergrund der vorgängig aufgestellten Theorie - Sonderfälle (z.B. Schwangerschaft) und ausgewählte Problemlagen (z.B. Mittelschmerz) des weiblichen Zyklus.
Als viertes gibt die Autorin einen Abriss praktischer Tipps für Individuen, Paare und Arbeitgeber:innen, die zu einer positiveren privaten und geschäftlichen Alltagserfahrung und eben dem versprochenen “Natural Flow” führen sollen.

Meine Meinung
Inhaltlich gab es für mich beim Lesen viele Momente, in denen ich mich angesprochen gefühlt habe. Gerade der physiologische Aspekt, der hormonelle Zyklus und die Erläuterungen der möglichen psychologischen Wirkungen der Hormonlevel waren für mich sehr erhellend. Ich fand es auch spannend, wie die Autorin psychosomatische Wirkzusammenhänge vorgeschlagen hat. Das Konzept der vier weiblichen Anteile und die damit einhergehenden Superkräfte finde ich interessant und nehme ich gerne zur weiteren Erkundung mit.
Meiner Meinung nach hat die Autorin es geschafft, eine schlüssige Verbindung zwischen physischer und psychischer/seelischer Ebene zu schaffen - auch wenn die Argumentationskette nicht zwingend oder wissenschaftlich tadellos ist. Sie hat es aber geschafft, wichtige Denkanstösse zu kreieren. Und ich begrüsse und schätze ihr Bemühen, Frauen dazu zu ermutigen, ihrem Körper und ihrer Psyche mehr Beachtung zu schenken, achtsam mit beidem umzugehen und für die eigenen Bedürfnisse Platz zu machen.

Andere Punkte - ganze Kapitel sogar - habe ich allerdings als eher stiefmütterlich behandelt wahrgenommen. Themen wie Verhütung, Endometriose etc. werden nur angerissen und sehr einseitig und teils reisserisch betrachtet. Hier sehe ich sehr viel persönliche Meinung der Autorin und die Theorie und Methode Miriam Stark (oder eben Natural Flow), aber wenig überzeugendes oder wissenschaftliches Fundament. Auch die Referenz auf patriarchale Strukturen wird immer wieder gemacht, ohne dass diese in angemessener Form vordiskutiert wurden.

Die vorgeschlagenen Meditationen empfinde ich als einfache Möglichkeit, mit sich selbst in Kontakt zu treten. Zusammen mit dem simplen Tracking Tool aus dem Anhang stellt Dr. Stark hier einen niederschwelligen Einstieg zum zyklusorientiert(er)en Leben vor. Während viele Alltagstipps und Vorschläge der Autorin interessant und vielleicht sogar hilfreich sind, zielen viele - insbesondere die berufsrelevanten - auf eine sozioökonomische Elite als Zielpublikum ab. Zu dieser fühle ich mich nur bedingt zugehörig und es stellte sich für mich immer wieder die Frage, ob denn zyklusorientiertes Leben im Natural Flow nichts für die breite Masse ist. Oder ob Dr. Stark diese Masse durch ihren eigenen Hintergrund und ihre Erfahrungen einfach nicht bedienen kann.

Eine extreme Herausforderung war für mich das sprachliche Gewand, in dem dieses Buch daher kommt. Die “umarmende” Sprache, mit der die Autorin sehr grosszügig umgeht, hat es mitunter schwer gemacht, den präsentierten Informationen und Gedanken zu folgen. Der ausschweifende Stil hat meinen Fokus - und meinen Durchhaltewillen - immer wieder schwer auf die Probe gestellt. Das Buch wimmelt ausserdem von englischen Ausdrücken, ja sogar ganzen Sätzen. Das mag im verbalen Austausch angehen, in geringen Dosen vielleicht sogar in einem Buch. Hier war es für mich definitiv irritierend und nervig, denn es wirkt auf mich unprofessionell und nachlässig.
Mit ihrem Stil hat die Autorin leider an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit gekratzt. Und als wäre das nicht schade genug, schafft sie es auch immer wieder, sich selbst in die esoterische Ecke zu stellen. Obwohl sie genau das zu vermeiden versucht, in dem sie wortreich ankündigt, dass es jetzt abgefahren wird, Bilder von klischeehaften Esotanten heraufbeschwört - und dann alles mit einem “glaubt mir” wegzuwischen versucht. Liebe Frau Dr. Stark, wir Leser:innen sitzen ihnen nicht in ihrem Beratungszimmer gegenüber. Beziehungsarbeit funktioniert nicht auf dieselbe Weise. Sie haben nicht einfach mein Vertrauen, weil Sie mich dazu auffordern. Und mit ihrem blumigen Motivationstrainer/Lebenscoach Geschwafel und den lautmalerischen Schwelgereien haben Sie es mir richtig schwer gemacht, Sie fachlich trotzdem ernst zu nehmen.

Fazit
Inhaltlich behandelt “Natural Flow” wichtige und spannende Themen, die jede Person mit Gebärmutter, deren Partner:innen und Arbeitgeber:innen etwas angehen (sollten). Ich schätze und unterstütze den Aufruf zu mehr Achtsamkeit und Respekt für unsere Körper und Seelen. Und obwohl mir das Buch einige Denk- und Handlungsanstösse gegeben hat, fühle ich mich nicht der sozioökonomischen Elite angehörig, an die ich das Buch gerichtet empfinde. Ich fühle mich tendenziell exkludiert. Sprachlich und stilistisch war es für mich ausserdem nahezu unlesbar.

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Veröffentlicht am 11.11.2023

Raffinierter Plot, nicht ganz so raffiniert umgesetzt

Die Legende der Götter
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Inhalt
Das Königreich Lindao kämpft mit den Folgen des Krieges gegen einen übermächtigen und unbekannten Feind im Süden: Schock, marodierende Gruppen fahnenflüchtiger Soldaten, Hunger. Dazu die plündernden ...

Inhalt
Das Königreich Lindao kämpft mit den Folgen des Krieges gegen einen übermächtigen und unbekannten Feind im Süden: Schock, marodierende Gruppen fahnenflüchtiger Soldaten, Hunger. Dazu die plündernden Truppen Medelins - des Nachbarn, der ihnen zu Hilfe gekommen ist, nun aber nicht abziehen will. Das Land zerfällt und verschiedene Interessengruppen formen sich, schmieden ihre eigenen Pläne - von der Rückbesinnung auf die Götter bis zum Sturz des Königs, der sich seit dem Krieg in seine Bergfestung zurückgezogen hat. Der Kronrat indessen ist sich nicht einig, welche Probleme zuerst und auf welche Weise angegangen werden sollen. Derweil braut sich ungesehen eine längst vergessene Bedrohung zusammen und verfolgt ganz eigene Pläne.

Meinung
“Die Legende der Götter” startet mit einer interessanten Ausgangslage: Nach dem Krieg. Aus vielen Perspektiven erkundet der Autor die Lage im typisch mittelalterlichen Fantasyland Lindao, Leser*innen erfahren von den Schrecken des Krieges und dessen Folgen. Im Zentrum steht dabei der Hunger - nirgends gibt es mehr genug, die Menschen sterben und der König… Der König hat sich komplett zurückgezogen und die Geschäfte seinem Kronrat überlassen: der Königin Alanna, dem schlauen Pippin und den aufbrausenden Zwillingen. Derweil scharen der Grossbauer Onam und seine Tochter Nadira Menschen um sich, die nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben - denn sie haben genug vom Leiden des einfachen Volkes. Ole, ein überlebender Soldat des Krieges, wird derweil für einen ganz speziellen Auftrag angeworben. Die zwölfjährige Mia weilt derweil auf Sturmwehr, wo die Priester von den Göttern predigen.

Während die multiperspektivische Erzählweise grundsätzlich die meiner Meinung nach interessanteste und passendste Wahl für die Geschichte ist, ist die Umsetzung leider mangelhaft ausgeführt. Es scheint grundsätzlich einen Auktorialen Erzähler zu geben, der mal klar ersichtlich, mal fast personal erzählt - und leider auch innerhalb einer Szene gerne mal den Kopf wechselt. Dieses Headhopping führt dazu, dass es oftmals keine klar zu erkennende Perspektivfigur gibt - und damit auch keine Identifikationsfigur für mich als Leserin. Diese “Allwissenheit”, die ich damit erlange, überfordert mich ausserdem stellenweise und macht mich durch fehlenden Fokus gleichgültig.

Im Gegensatz dazu sind viele Szenen, in denen nur eine einzige Person auftritt, sehr stimmungsvoll, nahe an der Person und charakteristisch geschrieben. Figuren, die alleine eingeführt werden, erhalten Tiefe und Persönlichkeit. Hervorzuheben sind hier Ole, Sigurd und Nadira - ihre Grundzüge gefallen mir gut, ihre Motivation und Geschichte ist interessant und nachvollziehbar. Schade, dass diese Persönlichkeit später dem Plot geopfert wird und in entscheidenden Momenten keine Rolle mehr spielt.

Der Plot - das war für mich von Anfang an spürbar - ist gut durchdacht. Die Geschichte ist komplex und folgt einem Plan, der für mich als Leserin nicht durchschaubar war. Im Verlauf gab es dann auch unerwartete Entwicklungen und gegen Ende, als die Handlungsstränge zusammengeführt wurden, überraschende Twists. Der Aufbau der Handlung zieht sich aber sehr in die Länge; bis die Handlung wirklich Fahrt aufnimmt, sind die ersten zweihundert Seiten geblättert. Dies liegt nicht zuletzt an etlichen Wiederholungen. Nach eigenen Aussagen arbeitet der Autor aber bereits an einer Neuauflage, in der diese Schwäche behoben sein wird. Während die Handlung im Grossen und Ganzen gut durchdacht ist, gibt es für mich trotzdem einige logische Schwächen und Fragen nach dem Warum. Dabei hat einiges damit zu tun, dass das Magiesystem für mich nicht immer nachvollziehbaren Gesetzmässigkeiten unterliegt.

Sprachlich ist das Werk in solidem Erzählstil geschrieben, der für mich aber wenig Nähe zum Geschehen und den Personen zugelassen hat. Besonders in actionreichen Szenen hätte ich mir mehr stilistische Flexibilität gewünscht.

Fazit
“Die Legende der Götter” verfügt meiner Meinung über ein interessantes, komplexes Grundkonzept, das aber durch handwerkliche Schwächen im Bereich Stil und Struktur nicht voll zur Geltung kommen kann. Ähnliches gilt für die Charaktere, die im Ansatz sehr interessant sind, jedoch im Schatten des Grösseren Ganzen nicht glänzen dürfen.

Das Buch ist der Auftakt zu einer Reihe - die Geschichte ist zwar in sich geschlossen, das Ende lässt aber deutlich auf eine Fortsetzung schliessen. Die Legende der Götter ist nicht fertig geschrieben. Sie weiter zu verfolgen verspüre ich zurzeit zwar kein Bedürfnis. Ich sehe aber viel Potenzial und hoffe, dass der sehr kritikfähige Autor für den Folgeband handwerklich aufgerüstet. Dann, wer weiss, könnte sich meine Meinung durchaus ändern lassen.

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