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Veröffentlicht am 25.06.2024

Kurze Geschichte mit Tiefgang

Die Schönheit der Rosalind Bone
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Schönheit. Für Manche ist es ein Segen, für andere ein Fluch. So auch für Rosalind Bone. Schon als Kind zieht sie die Blicke und den Neid von anderen Dorfbewohnern und auch ihrer Schwester auf sich. Ihre ...

Schönheit. Für Manche ist es ein Segen, für andere ein Fluch. So auch für Rosalind Bone. Schon als Kind zieht sie die Blicke und den Neid von anderen Dorfbewohnern und auch ihrer Schwester auf sich. Ihre Schönheit wird ihr zum Verhängnis, als ein Nachbar auf sie aufmerksam wird und sie jahrelang sexuell missbraucht. Im Alter von 18 Jahren verschwindet sie spurlos.
Auch Jahre später hat Mary, Rosalinds Schwester, einen regelrechten Hass auf sie und vermeidet jedes Gespräch über damals, ihre Tochter jedoch gräbt immer tiefer… will Antworten.
Als nach einem verheerenden Brand, eine völlig verwahrloste Frau auftaucht, stellt diese die Bewohner des kleinen Ortes vor Rätsel.
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Auf gerade mal 162 Seiten erschafft Alex McCarthy einen dichten Roman über Familie, Gemeinschaft und Unabhängigkeit. Sie schreibt darüber gesehen zu werden und darüber weg zu sehen. Und darüber von der Bildfläche zu verschwinden.
Die Gemeinschaft, die sie zeichnet, wirkt komplex und an der ein oder anderen Stelle überspitzt. Da wäre die 80-Jährige, die Drogen verkauft, die Brüder, die, aufgewachsen in toxischen Familienverhältnissen, Brände legen um mit ihrer Wut umzugehen, der Pädophile, den scheinbar die ganze Nachbarschaft kennt, aber bei dem niemand so genau hin schauen will und eben die Familie Bone, die seit jeher eine Kultur des Schweigens zu leben scheint.
Zeitliche Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart erschließen sich nach und nach zu einem umfassenden Bild der Geschehnisse rund um das Verschwinden von Rosalind Bone. Verschiedene Perspektiven tragen zu einem differenzierten Wahrnehmen des Hergangs bei.
Sprachlich finde ich es wunderschön geschrieben und es herrscht eine dezente Spannung, die mich dazu gebracht hat, den Roman an einem Stück zu lesen.
Beeindruckt und zutiefst traurig hat mich die Erzählung der jungen Rosalind gemacht. Wie sie niemanden von den Übergriffen erzählt, weil sie sich schämt und ihre Schwester schützen will, damitvihr nicht das gleiche passiert. Wie die Schwester wiederum eifersüchtig reagiert, weil sie von diesem Mann nicht für ihre Schönheit gelobt wird. Auch die Ablehnung, die in Mary herrscht und die Ereignisse die sie als Kind völlig fehlinterpretiert hat, sind schmerzlich.
Hier passiert so viel offensichtlich, aber auch zwischen den Zeilen, dass es zeitweise ganz schön erdrückend ist.
Von mir gibt’s eine Empfehlung für dieses gelungene Debüt.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Auf der Suche nach den wurzeln

Weiße Flecken
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Eine junge Frau fliegt in Vertretung für einen ausgefallenen Kollegen nach Togo um vor Ort die Menschen nach ihrer Geschichte zu befragen und zu Migration zu forschen.
Sie wird nicht nur mit der Geschichte ...

Eine junge Frau fliegt in Vertretung für einen ausgefallenen Kollegen nach Togo um vor Ort die Menschen nach ihrer Geschichte zu befragen und zu Migration zu forschen.
Sie wird nicht nur mit der Geschichte fremder Menschen konfrontiert, sondern stößt auch auf ihre eigenen Wurzeln und bleibt mit vielen Fragen zurück. Fragen die sich auch nach ihrer Rückkehr nicht gänzlich beantworten lassen, sodass viele weiße Flecken bestehen bleiben.

Lene Albrechts Roman lebt von diesen Leerstellen. Sie versucht die Rekonstruktion der Familiengeschichte, scheitert jedoch an dem generationsübergreifenden Schweigen.
Die Erzählung ist fragmentarisch, folgt keinem roten Faden und springt immer wieder in der Zeit. Während es im ersten Teil hauptsächlich um die Vergangenheit Togos geht, erfolgt übergangslos im zweiten Teil die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Anhand von Erzählungen und Recherchen versucht sich die Autorin ein Bild zu machen und den Lesenden zu vermitteln.
Das erzählte erscheint chaotisch, man wird immer wieder aus dem Lesefluss gerissen, um sich neu einzufinden und während dies einige Andere als störend empfunden haben, zeigt es mir, welch Unordnung dahingehend in der Protagonistin herrscht. Es wird behauptet, dass man sich nicht selbst verstehen kann, wenn man seine Geschichte nicht kennt und genau dies kommt hier wunderbar hervor.
Auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit, kommen nach jeder beantworteten Frage zehn neue hinzu. Dies kann frustrierend sein, auch für die Lesenden, aber genau so ist das Leben.
Es ist eine Momentaufnahme, ein Versuch des Verstehens und wer sich von ein bisschen Durcheinander nicht aus der Ruhe bringen lässt, macht hiermit sicher nichts falsch.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Manchmal ist es eine Nacht ohne Morgen

Nacht ohne Morgen
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„𝘌𝘳 𝘸𝘪𝘳𝘥 𝘯𝘪𝘦𝘮𝘢𝘭𝘴 𝘰̈𝘧𝘧𝘦𝘯𝘵𝘭𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘳 𝘴𝘦𝘭𝘣𝘴𝘵 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘬𝘰̈𝘯𝘯𝘦𝘯. 𝘌𝘪𝘯 𝘈𝘭𝘣𝘵𝘳𝘢𝘶𝘮. 𝘚𝘦𝘪𝘵 𝘚𝘢𝘪𝘯𝘵-𝘓𝘰𝘶𝘪𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘦𝘯𝘥𝘭𝘰𝘴𝘦 𝘕𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘶̈𝘣𝘦𝘳 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘓𝘦𝘣𝘦𝘯 𝘩𝘦𝘳𝘦𝘪𝘯𝘨𝘦𝘣𝘳𝘰𝘤𝘩𝘦𝘯.
𝘌𝘪𝘯𝘦 𝘕𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘰𝘩𝘯𝘦 𝘔𝘰𝘳𝘨𝘦𝘯.“ (𝘚.242)

Catherine erhält mitten in ...

„𝘌𝘳 𝘸𝘪𝘳𝘥 𝘯𝘪𝘦𝘮𝘢𝘭𝘴 𝘰̈𝘧𝘧𝘦𝘯𝘵𝘭𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘳 𝘴𝘦𝘭𝘣𝘴𝘵 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘬𝘰̈𝘯𝘯𝘦𝘯. 𝘌𝘪𝘯 𝘈𝘭𝘣𝘵𝘳𝘢𝘶𝘮. 𝘚𝘦𝘪𝘵 𝘚𝘢𝘪𝘯𝘵-𝘓𝘰𝘶𝘪𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘦𝘯𝘥𝘭𝘰𝘴𝘦 𝘕𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘶̈𝘣𝘦𝘳 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘓𝘦𝘣𝘦𝘯 𝘩𝘦𝘳𝘦𝘪𝘯𝘨𝘦𝘣𝘳𝘰𝘤𝘩𝘦𝘯.
𝘌𝘪𝘯𝘦 𝘕𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘰𝘩𝘯𝘦 𝘔𝘰𝘳𝘨𝘦𝘯.“ (𝘚.242)

Catherine erhält mitten in der Nacht einen Anruf von einem Fremden. Marc stellt sich als Freund ihres Sohnes Alexis vor und teilt ihr mit, dass dieser einen Autounfall hatte und im Koma liegt. Er hat bereits Ticket nach New York gebucht und bietet Cathrine an, sie abzuholen.
Auf der mehrstündigen Reise von Frankreich in die USA lernen sich Marc und Cathrine ein wenig besser kennen und Cathrine muss schmerzlich einsehen, dass sie ihren Sohn nicht so gut kennt, wie sie bisher angenommen hat.
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D‘Halluin steigt direkt mit Spannung in die Geschichte ein. Gleich in der ersten Szene wird Alexis angefahren und es wird klar, dass dies kein Unfall war. Eine Erkenntnis, die ich als Lesende zu der Zeit den Protagonisten voraus habe und die mir von Anfang an einen anderen Blick auf die Geschehnisse ermöglicht.
Im Verlauf des Romans entspannt sich ein schönes Gesamtbild. Wir werfen einen Blick in Alexis und Marcs Vergangenheit, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Alexis ist wohlbehütet aufgewachsen, wird im Alter von 12 Jahren von einem Lehrer sexuell missbraucht und von diesem Ereignis bis heute verfolgt und in seinem Handeln beeinflusst. Der Missbrauch ist auch ein Grund, warum er seinen Eltern bis heute nichts davon erzählt hat, dass er homosexuell ist.
Marc dagegen ist sehr offen damit umgegangen, wurde aber von seinem Vater rausgeschmissen, als dieser es erfahren hat und dieser Riss konnte bis zum Tod des Vaters nicht gekittet werden. Lange Zeit versucht er sich über seine Arbeit zu profilieren, schufftet an der Grenze zum Zusammenbruch.
Innerhalb der Beziehung kommt es immer wieder zu Problemen, die den Ursprung in Vergangenem suchen.
Auch in Cathrines Vergangenheit wird ab und an gesprungen. Sie fragt sich, wem sie trauen kann und inwieweit sie Schuld daran trägt, dass Alexis ihr und der restlichen Familie seine Beziehung bzw. überhaupt die Tatsache, dass er auf Männer steht, verschwiegen hat.
D‘Halluin versteht es eine Geschichte zu erzählen, die einmal mehr klar macht, welch große Bedeutung die Vergangenheit für das Leben in der Gegenwart hat. Wie Ereignisse uns jahrelang beeinflussen können, unser Denken und Handeln bestimmen und sich letztendlich auch auf unsere Umgebung auswirken. Dies alles verflechtet er wunderbar mit einer spannenden Story auf der Suche nach dem Unfallverursacher, sowie einem ansprechendem Schreibstil.
Erwähnenswert finde ich im Übrigen auch die Haptik des Buches.
Von mir eine große Empfehlung für dieses gelungene Debüt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.02.2024

Gedanken in der Einsamkeit

Die Verletzlichen
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Eine Frau in New York, ein Papagei und ein ungebetener Mitbewohner…
Corona greift um sich. Es ist der erste Lockdown. Eine Frau erklärt sich bereit den Papagei einer Freundin, welche bei ihren Eltern festsitzt, ...

Eine Frau in New York, ein Papagei und ein ungebetener Mitbewohner…
Corona greift um sich. Es ist der erste Lockdown. Eine Frau erklärt sich bereit den Papagei einer Freundin, welche bei ihren Eltern festsitzt, zu betreuen. Sie überlässt einer Ärtzin, die dringend gebraucht wird, ihre Wohnung und zieht bei dem Papagei ein. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: auch ein junger Mann, der gerade mit seinen Eltern ein nicht allzu harmonisches Verhältnis hat, wird bald als Gast in der Wohnung sein und ihre Geduld mehr als einmal auf die Probe stellen.
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Handlungstechnisch passiert in diesem Roman nicht besonders viel. Es ist Lockdown, alles liegt auf Eis, der Beruf der Protagonistin ist nicht systemrelevant und somit sitzt sie in der Wohnung fest. Bis auf vereinzelte Spaziergänge, verlässt sie diese nicht. Sie hat viel Zeit zum Nachdenken und nimmt die Lesenden genau in diese Gedankenwelt mit.
Es ist ein Ausflug in die Welt der Literatur, in die Vergangenheit, in Einsamkeit und Angst. Sigrid Nunenz reflektiert eine Zeit, die sicher für uns alle schwierig war. Gerade in der Anfangszeit von Corona, war Angst ein vorherrschendes Gefühl. Es gab so viele Infizierte, so viele Tote… beim Verlassen der eigenen vier Wände wurde plötzlich jeder andere Mensch zu einem potenziellen Risiko.
Praktisch über Nacht hat sich unser aller Leben geändert und es wurde zu einer Zeit die jeder Person mal mehr, mal weniger abverlangt hat. Dies hat die Autorin sehr schön eingefangen.
Die Rolle des Papageien in dem Ganzen fand ich beeindruckend. Zum einen symbolisiert er die Wichtigkeit einer Aufgabe in Zeiten, in denen man sonst nicht zu tun hat. Sich um ein Lebewesen zu kümmern, dass auf einen angewiesen ist, kann nachweislich dazu beitragen, sich selbst aus tiefen Gräben heraus zu holen. Durch sein buntes Gefieder bringt er außerdem etwas Farbe in den trostlosen Alltag.
Durch das ungewollte Zusammenleben mit dem jungen Mann, wird überdies die Notwenigkeit von sozialen Kontakten und das Zwischenmenschliche thematisiert.
Wie anfangs schon erwähnt, passiert auf der Handlungsebene fast nichts. Dahingehend ist sicher der Klappentext etwas irreführend. Zumindest mir suggeriert er eine wesentlich eingängigere Erzählung.
„Die Verletzlichen“ ist ein leiser Roman. Es passiert hier sehr viel zwischen den Zeilen und man muss gewillt sein, sich darauf einzulassen. Wenn man dies tut, wird man mit einer literarisch hochwertigen und sprachlich wunderschönen Betrachtung von Individuen in Krisenzeiten belohnt.

Veröffentlicht am 18.02.2024

Die Leichtigkeit zurück erlangen

Der Traum vom Fliegen
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Sofia ist 20 Jahre alt als sie in eine psychiatrische Privatklinik eingeliefert wird. Durch eine immense Gewichtszunahme halten es ihre Väter für wichtig, dass sie sich helfen lässt und um ihnen die Sorgen ...

Sofia ist 20 Jahre alt als sie in eine psychiatrische Privatklinik eingeliefert wird. Durch eine immense Gewichtszunahme halten es ihre Väter für wichtig, dass sie sich helfen lässt und um ihnen die Sorgen zu nehmen, spielt Sofia dieses Spiel mit. Sie hat nicht vor abzunehmen, denn es gibt einen Grund warum sie sich die Kilos erarbeitet hat, nur das sie niemandem davon erzählen kann.
In der Klinik findet sie nicht nur nach und nach wieder zu sich selbst, sondern knüpft auch Freundschaften und erfährt ungeahnte Unterstützung.
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Milena Moser versteht es mit Metaphern zu spielen und eine einzigartige, rührende Geschichte voller Emotionen, Spannung und Einsichten zu kreieren.
Sie zeichnet ein tiefgreifendes Porträt ihrer Protagonistin Sofia, sowie anderer Patientinnen und während man dem Klinikalltag, welcher in meinen Augen sehr gute Ansätze vertritt, folgt, ergibt sich mehr und mehr ein Bild. Psychische Erkrankungen, seien es Essstörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder Ängste, werden auf leichte und dennoch eindrucksvolle Weise eingebaut. In der Klinik selbst herrscht ein sehr wohlwollendes und wertfreies Klima.
Den Griff zum „Übernatürlichen“ (um die Symtomatiken und Probleme der Patient
innen zu beschreiben) finde ich sehr geschickt. Die doch sehr schwere Thematik wird dadurch weicher und sicher auch für Lesende, die kein Bezug zu den Thematiken haben, einfacher greif- und erklärbar.
Einen kleinen Kritikpunkt habe ich dennoch: Sofia setzt bei dem Kampf gegen ihre Angst Schmerzreize ein, was ihr auch von ihrer Therapeutin empfohlen wurde. Ich weiß, dass das teilweise auch heute noch als adäquates Mittel gesehen wird, finde es aber im Rahmen des Buches schwierig.
Nichtsdestotrotz ist es ein großartiges Buch und eine klare Empfehlung für euch.