Berührend
Fischer Johannes wacht morgens auf und beginnt seinen Tag, so wie er ihn immer beginnt, seit seine Frau Erna verstorben ist. Aufstehen, erstmal eine rauchen, Kaffe und schauen, was wie das Wetter aussieht. ...
Fischer Johannes wacht morgens auf und beginnt seinen Tag, so wie er ihn immer beginnt, seit seine Frau Erna verstorben ist. Aufstehen, erstmal eine rauchen, Kaffe und schauen, was wie das Wetter aussieht. Allerdings ist heute irgendwas anders als sonst.
"Morgen und Abend" ist ein recht dünnes Büchlein von nur 122 Seiten und erzählt von Johannes, einem alten Mann. Zu Beginn des Buches wird der Leser Zeuge seiner Geburt, danach triff man ihn erst wieder als alten Mann am Ende seines Lebens, man begleitet ihn durch seinen Tag, begleitet ihn in seinen Erinnerungen durch sein Leben, begleitet ihn auf seinem letzten Weg. Dem Leser ist dabei vom ersten Moment an klar, wohin die Reise geht, Johannes selbst wird es erst recht spät klar.
Autor Jon Fosse schreibt seine berührende Geschichte in einem sehr speziellen, einzigartigen Stil, der Leser ist hier gefordert und muss sich auch ein Stück weit darauf einlassen. Im Groben könnte man sagen, die gesamte Geschichte besteht aus einem einzigen Satz. Es gibt Kommas, ab und an ein Fragezeichen, aber ansonsten kein Satzzeichen. Ab und zu sind einzelne Wortgruppen durch Einrückung gekennzeichnet, es gibt auch Großschreibung, die einen neuen "Satz" ankündigt, aber im Grunde ist der gesamte Roman eine einzige Aneinanderreihung von Worten. So muss es wohl aussehen, wenn man einen Untertitel für die eigenen Gedanken erstellten würde, der wie ein Liveticker unten durchläuft. Sehr speziell und so noch nie gesehen. Im ersten Moment dachte ich fast an einen Druckfehler, bis ich gemerkt habe, dass das ein stilistisches Mittel des Autors ist.
Die Geschichte ist sehr berührend. Dieser letzte Tag, durchzogen von Erinnerungen, vom Wiedersehen mit Freunden, von einer gewissen Leichtigkeit, aber auch von so viel Trauer geht nicht spurlos am Leser vorbei und am Ende musste ich auch kurz mal schniefen. Zu Recht hat dieses Buch den Nobelpreis für Literatur gewonnen.