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Lust_auf_literatur

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.07.2024

Unglaublich schmerzhaft und gut!

Die schönste Version
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Dieser Roman war für mich unglaublich schmerzhaft und so gut!

Ruth-Maria Thomas Debütroman hat mich auf einer derart persönlichen Ebene getroffen, dass es mir fast unheimlich ist. Es ist klar, dass ich ...

Dieser Roman war für mich unglaublich schmerzhaft und so gut!

Ruth-Maria Thomas Debütroman hat mich auf einer derart persönlichen Ebene getroffen, dass es mir fast unheimlich ist. Es ist klar, dass ich diesen Roman nicht neutral besprechen kann, sondern meinen Meinung stark eingefärbt ist von der Übereinstimmung zwischen Jellas Gefühlen und meinen eigenen.

Dabei ist Thomas um einiges jünger als ich und auch ihre Romanhandlung ist um diesen Zeitsprung versetzt jünger. Umso erschreckender, wie wenig sich in dieser Zeitspanne an den misogynen Strukturen und der möglichen Erlebniswelt einer jungen Frau geändert zu haben scheint.
Aber halten wir uns nicht viel zu oft an der Hoffnung fest, dass es jetzt oder in Zukunft alles gar nicht mehr so ist wie früher?

Ich rede vom Erwachsenwerden als Frau, vom Leben als Frau und von der Sozialisation als Frau.

Thomas erzählt die Geschichte ihrer Ich-Erzählerin Jella auf zwei Zeitebenen. Im Jetzt ist sie gerade aus der gemeinsamen Wohnung vor ihrem gewalttätigen Freund und ihrer toxischen Beziehung geflohen. In Rückblicken lernen ich Jella als Jugendliche kenne und von ihren ersten (sexuellen) Erfahrungen mit Männern. Es sind keine guten Erfahrungen, werden von ihr aber so hingenommen und als selbstverständlich angenommen. Den Glauben, ihr menschlicher Wert hinge von ihrer sexuellen Verwertbarkeit für Männer ab, hat sie tief internalisiert und wird sie stark für ihr weiteres Beziehungsleben prägen.

Als sich schließlich der intellektuelle Künstlertyp Yannik und sie verlieben, scheint endlich alles anders. Mit ihm, so hofft sei, kann sie „Die schönste Version“ ihrer selbst sein.

Mich beeindruckt vor allem die schmerzhaft authentische und zutiefst komplexe Stimme Jellas. Thomas schont weder ihre Protagonistin noch mich mit unangenehmen, aber ehrlichen Eingeständnissen. Jella ist, wie wahrscheinlich jeder Mensch, weit davon entfernt moralisch perfekt zu sein und kann deswegen trotzdem ein Opfer von physischer und psychischer Gewalt sein.
Ihre Beziehung zu Thomas ist weit entfernt von stereotypen Geschichten von häuslicher Gewalt und der leider immer noch verbreiteten Vorstellung wie das Verhalten eines vollwertigen und schützenswertes weibliches Opfer auszusehen hat.
Ich liebe den Mut und das Können von Thomas, diese ganzen ambivalenten und komplexen Gedanken zu erkunden und zu verschriftlichen.

„Weil in unserer Welt, in Yannicks und meiner, das alles nicht so schlimm war, im Gegenteil, es hat uns geeint.
Unsere Welt war eine intensive.“

Der Roman hat mich sehr betroffen gemacht, bewegt und mich ganz persönlich aus einer düsteren Zeit abgeholt. Allein das macht „Die schönste Version“ zum Highlight für mich, aber auch die Konstruktion, das enorm hohe und ausgereifte literarische Niveau wie auch die detaillierte Beobachtungsgabe von Thomas machen den Roman zu einer dringenden Leseempfehlung für dich!

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Spannende und abgründige Unterhaltung!

Die erste Attacke
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Was ist denn ein „Bobo-Psychothriller“, frage ich mich unwillkürlich, als ich die Kurzbeschreibung zu „Die erste Attacke“ las. Meine Assoziationen bei dem Begriff sind auf jeden Fall positiv und auch der ...

Was ist denn ein „Bobo-Psychothriller“, frage ich mich unwillkürlich, als ich die Kurzbeschreibung zu „Die erste Attacke“ las. Meine Assoziationen bei dem Begriff sind auf jeden Fall positiv und auch der beschriebene Inhalt klang äußerst vielversprechend.

Und mir wurde nicht zu viel versprochen, ich bin von Pretterhofers Roman sehr, sehr angetan!
Keine Wunder, denn sein Thema und Setting passt perfekt auf meine eigene Lebenssituation.
Pretterhofers Protagonist und Ich-Erzähler ist junger Vater zweier Kinder und macht mit seiner Frau und zwei befreundeten Familien ein paar Tage Urlaub auf einer Selbstversorger-Hütte. Das habe ich selbst auch schon gemacht und weiß daher, dass von einem solchen Szenario keine wirkliche Erhohlung zu erwarten ist.
Aber anfangs scheint es so, dass er Erzähler, genauso wie die anderen Familien und ganz anders als ich, die Familiensituation perfekt beherrscht.
Ihre Familien funktionieren durch Rituale und eine sehr hohe Gesprächsbereitschaft und gegenseitigen Verständnis ganz wunderbar und wie aus dem Bilderbuch. Die Kinder dürfen sogar einmalig Limonade bestellen, schließlich ist Urlaub.

Dass die Urlaubsstimmung natürlich nur von kurzer Dauer ist, ist klar, schließlich lese ich einen Bobo-Psychothriller! Und richtig, aus den kleinere morbiden Andeutungen eines lauernden Unheils, werden ausgewachsene konkrete Alpträume, die die Nachtruhe stören.
Die Kinder fangen tags darauf mit merkwürdigen und bedenklichen Spielen an, die Ehepaare streiten sich untereinander und miteinander und plötzlich sind auch noch die Autoschlüssel weg.

Ich liebe diese entlarvende Eskalation, die nicht nur in den äußeren Handlungen stattfindet sondern auch in den Gedanken des Erzählers.
Besonders wird die Geschichte durch das sehr geschickte Einsprengseln von surrealen Gruselelementen, die den Roman zu einem wunderbaren und ungewöhnlichen Genre-Mix machen.

Für mich beschreibt Pretterhofer hauptsächlich dieses unheimliche und beängstigende Gefühl von Kontrollverlust, der mit Elternschaft zwangsläufig einhergeht, es gibt aber bestimmt auch noch andere Deutungsansätze.

Nach Beenden des kurzen Roman hat sich mein Anfangsgedanke über den Ich-Erzähler von „Alta, du hast dein Leben im Griff“ ins komplette Gegenteil gedreht.

Für diesen Roman und diese tolle und abgründige Unterhaltung muss ich einfach eine Leseempfehlung aussprechen! Der einzige Kritikpunkt wäre vielleicht die Länge, die mit nur 143 Seiten fast ein zu kurzes Vergnügen bietet.
Dass mir die Farbgestaltung des Covers unheimlich gut gefällt, möchte ich noch einmal extra betonen!

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Veröffentlicht am 20.02.2024

Perfekter, gesellschaftskritischer und literarischer Abenteuerroman

Trophäe
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Spannend as hell, berauschend und nicht mehr aus der Hand zu legen. So muss ein guter Roman.
„Trophäe“ hat all diese Eigenschaften und noch ein paar mehr. Zu der sogerzeugenden Story addieren sich gesellschaftskritische ...

Spannend as hell, berauschend und nicht mehr aus der Hand zu legen. So muss ein guter Roman.
„Trophäe“ hat all diese Eigenschaften und noch ein paar mehr. Zu der sogerzeugenden Story addieren sich gesellschaftskritische Ansätze und ein Blick in die Seele des Archetypen des weißen Mannes.

Besagter weiße Mann ist einer von Schoeters Protagonisten und heißt Hunter White.
Hunter White!?! I mean….

Dieser Name in einem Roman über Jagd, Afrika und weiße Allmachtsfantasien ist Program.

„Denn nur er, Hunter, und niemand anderes, steht ganz oben in der Nahrungskette.“

Schoeter lässt ihren Roman in einer nicht näher genannten Gegend von Afrika spielen, in der es eine artenreiche Savanne gibt. Der Amerikaner Hunter White ist ein passionierter Jäger und reist regelmäßig in das Gebiet um seltene Tiere zu schießen und die Trophäen zu Hause seiner Trophy-Wife zu übergeben.
Da er über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, ist der Erwerb von Jagdlizenzen, selbst der seltensten Tiere, wie Nashörner, für ihn kein Problem.
Das Land und die Naturreservate verdienen an den seltenen und teueren Jagdlizenzen gutes Geld, das wiederum in den Schutz von seltenen Tieren investiert werden kann.
Das ist natürlich nicht die einzige ethische Fragestellung, die Schoeters in ihrem bereits preisgekrönten Roman aufwerfen wird. Es geht ans Eingemachte und nicht nur Hunter, sonder auch ich als Leser*in werde nah an die Grenze von Gut und Böse geführt, als sein Jagdorganisator Van Heeren ihm eine ganz spezielle Beute anbietet…

Eine Jagd auf Leben und Tod beginnt und ich verfolge sie atemlos!

„Die Befriedigung liegt nicht so sehr im Töten, sondern in der Unterwerfung der Beute: in der Bestätigung unserer Vorherrschaft über alles andere Leben.“

Diese Jagdszenen sind mit die actionlastigsten und spannendsten, die ich in letzter Zeit gelesen habe! Das ist für mich Abenteuerliteratur in besten Sinn des Wortes. Hart, dramatisch und gnadenlos.
In dieser Hinsicht erinnert mich Schoeters Roman an „Nordwasser“ von Ian McGuire, ebenfalls ein perfekter, fesselnder Abenteuerroman.

Schoeters bedient gleichzeitig das Klischee von der geläufigen Vorstellung von Afrikanischer Wildheit und druchbricht es. Es ist ein schmaler Grat, keine Vorurteile zu reproduzieren, sondern sie durch Übertreibung offenzulegen, was Schoeters in meinen Augen gelingt.

Klar, dass es nach all der Aufregung von mir eine deutliche Leseempfehlung für diesen Roman gibt, und zwar uneingeschränkt!

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Veröffentlicht am 10.10.2023

The Revenant meets Stephen King „Das Mädchen“.

Die weite Wildnis
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Soeben beendet und ich bin noch immer ganz ergriffen. Lauren Groff ist für mich (und nicht nur für mich) wahrlich eine der großen aktuellen amerikanischen Erzählerinnen!

Groff wählt diesmal die Zeit der ...

Soeben beendet und ich bin noch immer ganz ergriffen. Lauren Groff ist für mich (und nicht nur für mich) wahrlich eine der großen aktuellen amerikanischen Erzählerinnen!

Groff wählt diesmal die Zeit der amerikanischen Besiedlung im 17. Jahrhundert, um ihre Protagonistin durch tiefgreifenden inneren wie äußeren Wandel zu schicken.

Es ist ein namenloses Dienstmädchen, das aus einem Siedlerfort vor Hunger, Krankheit und Unterdrückung in die Wildnis davonläuft.

In der Wildnis warten ebenfalls Hunger und Krankheit auf sie, aber sie ist frei.
Doch das sind nicht die einzigen Gefahren…

“Die Welt, das wusste das Mädchen, war noch schlimmer als wild, die Welt war gleichgültig.
Es kümmerte sie nicht, was mit ihr geschah, es konnte sie nicht kümmern, nicht im Geringsten.
Sie war ein Sandkorn, ein Sprenkel, ein Flugstaub im Spiel des Windes.”

The Revenant meets Stephen King „Das Mädchen“.

In alter amerikanischer Erzähltradition des klassischen Abenteuerromans bedient sich Groff bei den Regeln des Genres und schafft gleichzeitig etwas komplett neues. In den Weiten der Wildnis und völlig auf sich allein gestellt, sind die Gedanken des Mädchens keiner Konvention und gesellschaftlichen oder religiösen Regeln mehr unterworfen. Immer mehr Glaubenssätze werden abgeworfen und das Mädchen streift ihren alten monotheistischen Gottesglauben genauso ab wie die letzten Kleider, die ihr noch aus dem kleinen, alten Leben geblieben sind.

Groff kombiniert die spannende, klassische Survival Geschichte des Mädchens mit ihrer inneren Entwicklungsgeschichte. Wobei mich die letztendliche Kernbotschaft am Ende des Romans sehr überrascht und auch persönlich berührt hat.

War in „Matrix“ und in „Licht und Zorn“ noch ein gewisser Hang zur Weitschweifigkeit zu erkennen, hat Groff ihren Stil in „Die weite Wildnis“ noch einmal verdichtet und das tut dem Spannungsbogen in meinen Augen sehr gut.

„Die weite Wildnis“ war für mich eine begeisternde und den Mensch in seiner Essenz erkennende Erzählung, die mich komplett fesselte.

Sehr, sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 11.09.2023

Faszinierend, tiefgründig und unterhaltsam: toll!

Die Lügnerin
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Ja, cool, das war richtig gut!
Mochte ich sehr.

Glaubst Du an die Kraft der Suggestion? Horoskope? Placebo Effekt? Zaubertricks?Self-fulfilling prophecy? Wenn ja, wie weit reicht diese Kraft? Kannst Du ...

Ja, cool, das war richtig gut!
Mochte ich sehr.

Glaubst Du an die Kraft der Suggestion? Horoskope? Placebo Effekt? Zaubertricks?Self-fulfilling prophecy? Wenn ja, wie weit reicht diese Kraft? Kannst Du mit der Kraft deines Glaubens Roulette Kugeln beeinflussen?
Sehr, sehr interessante Fragen, finde ich, die Friedemann Karig in seinem doppelbödigen und unterhaltsamen Roman in den Raum stellt.

Der Plot ist rasant und ich will euch nur einen kurzen Abriß geben, da es Teil des Spaßes ist, die Handlung zu entschlüsseln.
Das Setting mutet klassisch an. Eine Frau, die Ich-Ezählerin, befindet sich scheinbar in einem abgeschiedenen Institut und erzählt scheinbar einer Therapeutin aus ihrem Leben und von den Gründen ihres Aufenthalts.
Ich gebrauchte soeben zweimal das Wort „scheinbar“ und das hat seinen Grund, den die Erzählerin ist eine Lügnerin.
Und dabei lügt sie so gut, dass alles was sie erzählt, zur realen Wirklichkeit wird.

Genauso wie die Protagonistin ihr Umfeld manipuliert, werde ich als Leser*in von der Erzählung manipuliert und kann bald nicht mehr unterschieden, was der wahre Kern der Handlung ist. Doch das spielt letztendlich gar keine Rolle.
Es ist genau dieses Spiel mit Realität und Fiktion, mit Glaube und Wirklichkeit, mit Ursache und Wirkung, das diesen Roman für mich so spannend und so unterhaltsam macht.
Im Vorbeigehen lässt Karig subtile Gesellschaftskritik an sexisitschen und kapitatistischen Strukturen einfließen.

„Wenn du reich bist, existiert die ganze Welt nur für deine Wünsche. Ob du dafür bezahlst, ist am Ende egal.“

Auch hier stellt der Roman infrage, wieviele dieser Strukturen nur durch unseren Glauben daran aufrecht erhalten werden und ob sie individuell beeinflusst werden können. Fragen, die auch mich oft beschäftigen.

Die Themen, die in Karig in seinem unglaublich raffiniert konstruierten Roman auftauchen lässt, sind existenziell und universell. Sie betreffen letztendlich den Kern meiner Identität oder das was ich dafür halte.

„Aber unsere Identität sind nicht die Geschichten, die wir selbst erzählen. Sondern die, von denen wir glauben, dass andere sie sich über uns erzählen.“

Ich bin wirklich sehr überrascht, überwältigt und unterhalten von diesem Roman. Alle drei Zustände begrüße ich und suche ich beim Lesen von Literatur. Für mich war „Die Lügnerin“ wirklich ein besonderes und anspruchsvolles Vergnügen, dass ich an alle Lesende, die sich davon angesprochen fühlen, auf jeden Fall weiterempfehle!

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