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Veröffentlicht am 22.02.2024

Ein fast nie zu Ende gehender Sommer

Sommernachtstod
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»Sommernachtstod« ist ein Kriminalroman mit einer tristen Grundstimmung. Ort der Handlung ist das kleine Dorf Refringe in der südschwedischen Provinz Schonen. Vor 20 Jahren ist hier ein kleiner Junge verschwunden ...

»Sommernachtstod« ist ein Kriminalroman mit einer tristen Grundstimmung. Ort der Handlung ist das kleine Dorf Refringe in der südschwedischen Provinz Schonen. Vor 20 Jahren ist hier ein kleiner Junge verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Der kleine Billy Nilsson ist zu diesem Zeitpunkt fast fünf Jahre alt.

In der ersten Hälfte des Buches erfahren wir in abwechselnden Kapiteln, was sich im Sommer 1983 zugetragen hat. 20 Jahre später blicken wir auf die Gegenwart. Die meisten Kapitel enden mit einem Cliffhanger. Die Handlung wird in der nächsten oder einer noch späteren Episode fortgesetzt. Anders de la Motte erzählt die Geschichte mit psychologischem Tiefgang bis hinein in die Gegenwart.

Eine starke Charakterzeichnung der einzelnen Figuren hilft uns, die Handlung besser zu verstehen. Magdalena Nilsson war kein Kind von Traurigkeit, was Männer betrifft. Das Verschwinden ihres Lieblingskindes Billy hat sie nie verwunden und letztlich in den Tod getrieben. Ihr Vater Harald Olsson war froh, als sie Ebbe Nilsson geheiratet hat, ein eher unscheinbarer Typ. Olsson ist so etwas wie der Patriarch in dem kleinen Dorf Refringe. Die älteren Geschwister von Billy – Veronica und Mattias – haben später ihr Heimatdorf verlassen.

Mehrmals erscheinen kurze Zwischentexte, die sich wie Liebesbriefe lesen und immer mit »Liebling« beginnen. Meines Erachtens will uns der Autor auf etwas aufmerksam machen, was keiner im Dorf wissen soll.

Der hiesige Polizeichef Krister Månsson ist mit diesem Fall überfordert, und schon bald übernehmen zwei Kriminalbeamte aus Stockholm die Ermittlungen. Lediglich ein Schuh von Billy wird bei der Suchaktion gefunden. Ein gewisser Tommy Rooth wird verhaftet, muss aber wieder freigelassen werden, da man ihm nichts nachweisen kann.

Nach 20 Jahren kehrt Veronica wieder in ihre Heimat zurück. Sie will Frieden mit ihrem Vater schließen und hofft, dass endlich Licht in die damaligen Ereignisse kommt.

Veronica heißt jetzt Vera Lindh und arbeitet als Gesprächstherapeutin in der Trauerbewältigung. Obwohl sie drogen- und alkoholabhängig ist, versucht sie anderen Menschen zu helfen. Und nach all den Jahren ist sie davon überzeugt, dass ihr kleiner Bruder noch lebt. Mit ihrem Bruder Mattias hat Veronica (Vera) erst jetzt wieder Kontakt aufgenommen. Er arbeitet bei der Polizei in Stockholm.

De la Motte legt mehrere Spuren aus, die den Leser zum Nachdenken anregen (Bsp.: Isak aus der Therapiegruppe will einen Freund gehabt haben, dessen Beschreibung auf Billy passt).

Zum Ende hin kommt es zu einigen Überraschungseffekten, aber auch zur Aufklärung, wie sich damals alles zugetragen hat. Bezeichnend ist die Metapher zum Schluss: Der Sommer zieht sich in Refringe zurück – es kommt Nordwind auf.

Fazit:

Mit der deutschen Ausgabe »Sommernachtstod« hat es der Autor 2018 erstmals auf die deutschen Bestsellerlisten geschafft.
Mich hat diese Geschichte berührt. Je mehr ich gelesen habe, umso häufiger hat mich die Frage beschäftigt, was mit dem kleinen Billy geschehen ist.
Das Setting hat mich überzeugt. Obwohl das Buch aus meiner Sicht kein Pageturner ist, ist es spannend geschrieben und man kann es flüssig lesen. Ich halte daher fünf Sterne für angemessen.

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Veröffentlicht am 16.02.2024

Vom Jäger zum Gejagten

Gestehe
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Ein neuer Fall führt zwei Ermittler zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite der Wiener Chefinspektor Johann Winkler genannt »Jacket«, der in seinem letzten Fall einen Organhändlerring ...

Ein neuer Fall führt zwei Ermittler zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite der Wiener Chefinspektor Johann Winkler genannt »Jacket«, der in seinem letzten Fall einen Organhändlerring allem Anschein nach im Alleingang gesprengt und dabei ein kleines Mädchen gerettet hat. Auf der anderen Seite Bezirksinspektor Mohammad Moghaddam. Beide arbeiten beim Wiener LKA in der Abteilung Leib-Leben.

Jacket genießt die Aufmerksamkeit sowie den Erfolg, den ihm sein Roman »Blutnacht« eingebracht hat. Dieser wird gerade verfilmt. Aber die Medaille hat eine Kehrseite. Sein damaliger Kollege und Freund Leopold Kuchler kam bei dem Einsatz ums Leben und Jacket macht sich schwere Vorwürfe, schuld an dessen Tod zu sein. Er leidet unter Panikattacken, und Flashbacks erinnern ihn immer wieder an das Geschehen in der ehemaligen Lackfabrik. Nicht alle Kollegen und Vorgesetzten bewundern ihn. Manche hassen ihn sogar. Für diese ist er nur noch ein »Showbulle«.

Ganz anders sein neuer Kollege Bezirksinspektor Mohammad (Mo) Moghaddam. Er war Jahrgangsbester in der Polizeischule, wurde aber noch nie mit einem Fall betraut. Ganz im Gegensatz zu Jacket ist er zuverlässig und gewissenhaft bei den Arbeiten, die er zugewiesen bekommt. Leider lassen ihn die Vorgesetzten und Kollegen seinen Migrationshintergrund spüren. Das nagt an seinem Selbstbewusstsein.

Rassismus und rechte Ideologien thematisiert Faber in diesem Thriller. Die Charaktere der einzelnen Figuren beschreibt er sehr plastisch und ausführlich – sehr gut. Wir erfahren abwechselnd aus der Sicht von Jacket und Mo etwas über die Handlung, aber auch aus ihrem Seelenleben. In kurzen eingeschobenen Kapiteln erzählt »Er«, der Mörder, seine Sichtweise.

Der neue Fall: In einer leerstehenden Wohnung wird die Leiche der Immobilienmaklerin Tatjana Schikovsky gefunden. Die Frau wurde bei lebendigem Leib teilweise ausgeweidet. Der Täter hat mit ihrem Blut eine kryptische Botschaft hinterlassen: »GESTEHE«. Wenig später taucht ein mysteriöses Skript mit dem Titel »GESTEHE« und dem Untertitel »Der neue Fall von Inspektor Jacket auf.

Von wem stammt dieses Manuskript und wer, wenn nicht Jacket – wie er behauptet – hat es in Umlauf gebracht? Darin wird bis ins kleinste Detail der Mord an Tatjana Schikovsky beschrieben. Beim Lesen des Skripts ahnt Jacket, dass dies erst der Anfang einer Mordserie ist.

Bei Jackets Flashbacks taucht immer wieder der Ablauf am damaligen Geschehen auf. Seine Psychiaterin, Fr. Dr. Laska, stellt eine ganz andere Vermutung an. Könnte es sich bei Jacket evtl. um eine multiple Persönlichkeit handeln – Jacket sowohl als Polizist als auch als Mörder?

Furios die Auflösung zum Ende hin. Wenn man denkt, jetzt ist alles klar, nimmt die Handlung eine neue Wendung. Das ist eindeutig eine Stärke von Faber. Kleiner Kritikpunkt: Das Szenario in der Gondel-Kabine des Riesenrads war mir etwas zu surreal. Das bleibt aber der literarischen Erzählfreiheit des Autors überlassen und fließt daher nicht in meine Bewertung mit ein.

Vier Monate später schlägt der Autor nach dem grausigen Geschehen einen Bogen zu einem schönen Szenenwechsel. Rührend schreibt er über Beany – dem kleinen Mädchen, dass er in der Lackfabrik gerettet hat. Die ist seit dem damaligen Ereignis traumatisiert. Deren beste Freunde sind Steine. Sie sind genauso stumm wie sie. Diese Art von Happy End hat mir sehr gut gefallen.

Fazit:

Faber pflegt einen eigenen Schreibstil. Temporeich, mit einem steigenden Spannungsverlauf und ohne große Schnörkel kommt er schnell auf den Punkt, garniert mit witzigen Vergleichen (Bsp.: … vielleicht hätte ich mir für den Anfang ein Auto kaufen sollen, das weniger Vornamen hat als ein Habsburger Adelsspross). Diesen Eindruck habe ich schon bei »Kaltherz« gewonnen.
Im Gegensatz zu »Kaltherz« (s. eine frühere Rezension) konnte ich auch relativ schnell in die Handlung einsteigen, sie hat mich regelrecht mitgenommen.
Angenehm empfinde ich auch, dass man Fabers Bücher als Stand Alone lesen kann. Keine Reihe von Bänden, in denen immer wieder die gleichen Figuren im Mittelpunkt stehen (wie z.B. bei den Thrillern von Max Bentow oder Jussi Adler Olsen). Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung und daher vergebe ich fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 27.01.2024

Der Wechselbalg

Stille Falle
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Der Autor lässt Kriminalinspektorin Leonore (kurz Leo) Asker in ihrem ersten Fall ermitteln. Er hat damit eine Figur für eine neue Reihe zum Leben erweckt. Bisher schrieb er ausnahmslos Einzelbände.

Leo ...

Der Autor lässt Kriminalinspektorin Leonore (kurz Leo) Asker in ihrem ersten Fall ermitteln. Er hat damit eine Figur für eine neue Reihe zum Leben erweckt. Bisher schrieb er ausnahmslos Einzelbände.

Leo Asker arbeitet bei der Kripo in Malmö in der Abteilung für Kapitalverbrechen. Sie wird mit den Ermittlungen im Vermisstenfall der neunzehnjährigen Millionärstochter Smilla Holst und deren Begleiter Malik Mansur (kurz MM) beauftragt. Die Beiden sind schon seit einigen Tage verschwunden.

Smilla und Malik haben sich auf eine Höhlenerforschung begeben, von wo sie nicht zurückkehren. Wir erfahren dabei einiges über Urban Exploration (Erkundung sogenannter Lost Places – ein zentrales Thema in diesem Krimi), was der Autor in die Handlung mit eingebunden hat. Das ist interessant und hat mir sehr gut gefallen.

Aufgrund einer Verschwörung gegen ihre Person wird Asker von dem Fall abgezogen. Die Leitung wird Kriminalkommissar Jonas Hellman aus Stockholm übertragen. Die Fäden hat Isabel Lissander von der Kanzlei Lissander und Partner gezogen, pikanterweise die Mutter von Leo. Hellman begeistert durch seine Art die neuen Kollegen. Für mein Empfinden ist er ein Selbstdarsteller und allzu sehr davon überzeugt, dass nur er den Fall lösen kann.

Leo Asker landet als Leiterin in einer sogenannten Reserveabteilung unten im Keller des Hauses. Für dieses »Dezernat der hoffnungslosen Fälle« interessiert sich ansonsten niemand im Haus. Die dortigen Kollegen stehen ihr zunächst kritisch gegenüber. Diese Mitarbeiter sind allesamt Außenseiter und teilweise skurril. Ein starkes Plus für den Autor, wie er die Charaktere darstellt.

Leo ist introvertiert und eine Einzelgängerin. Obwohl ihr der Fall entzogen wurde, stellt sie weitere Ermittlungen an. Wie bei einem Puzzle fügen sich die Teile Stück für Stück zusammen und sie kommt der Spur von Smilla und MM immer näher. Sie merkt dabei nicht, wie sie immer mehr ins Fadenkreuz des Täters gerät.

In eingeschobenen Kapiteln erfahren wir etwas aus der Kindheit und Jugendzeit von Leo. Das ist 17 Jahre her. Sie wird von ihrem paranoiden Vater Per Asker (Prepper-Per) gepiesackt und drangsaliert. Sie nennt ihn Prepper, weil er sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophen vorbereitet. Leo muss daran teilnehmen und das macht sie stark und es kommt ihr bei der späteren Polizeiarbeit zugute.

Außerdem ist auch die Rede von Martin Hill, den sie im Alter von vierzehn Jahren in der Schule kennenlernt. In der Gegenwart begeistert er sich für Urban Exploration und wird Leo bei ihren Ermittlungen eine große Hilfe sein.

Viele Verbindungen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Figuren sorgen für Verwirrung, aber das steigert auch den Spannungsbogen. Und noch etwas hat mich umgetrieben. Was will uns der Ort einer Modelleisenbahnlandschaft und eine Schmetterlingssammlung in Gläsern sagen, worauf soll das hinweisen?

Im weiteren Verlauf sollte man sich an den Anfang der Geschichte erinnern, um einiges besser verstehen zu können. Das Buch endet mit einem Cliffhanger. Damit ist mein Interesse geweckt, wie es weitergeht mit Leo Asker. Das finde ich sehr geschickt vom Autor gemacht.

Fazit:

»Stille Falle« ist ein Krimi der besonderen Art. Ein sehr interessanter und intensiver Plot. Der Autor überzeugt insbesondere durch einen intelligenten Aufbau und eine hervorragende Dynamik (schnell und eindringlich erzählt).
Kurze Kapitel, wechselnde Erzählperspektiven und Retrospektiven (Rückblick auf bereits stattgefundene Ereignisse), die dazu dienen, Leo Asker und ihre bewegte Vergangenheit besser kennenzulernen.
In manchen Szenen habe ich Parallelen zu anderen Thrillern erkannt (z.B. der Spezialermittler Carl Mørck vom Sonderdezernat Q der Kopenhagener Mordkommission in Jussi Adler Olsens Thrillern).
Dieses Buch lediglich einen Kriminalroman zu nennen, wird ihm nicht gerecht. Für mich ist das klar ein spannungsgeladener Thriller.
Man darf auf den zweiten Fall mit Leo Asker gespannt sein. Von mir gibt es fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 21.12.2023

Eine junge Familie am Rande des Untergangs

Kleiner Mann – was nun?
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Dieser Roman ist eine hervorragende Milieustudie, die überwiegend im Berlin der 30er-Jahre spielt. Wer sich für deutsche Zeitgeschichte interessiert, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen. In ...

Dieser Roman ist eine hervorragende Milieustudie, die überwiegend im Berlin der 30er-Jahre spielt. Wer sich für deutsche Zeitgeschichte interessiert, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen. In lediglich vier Monaten hat Fallada dieses Buch geschrieben.

Die ganze Tragweite dieser Epoche kommt zum Ausdruck. Die Weltwirtschaftskrise steuert auf ihren Höhepunkt zu und die Weimarer Republik neigt sich dem Ende entgegen. Die Nationalsozialisten erstarken immer mehr und stehen kurz vor der Machtergreifung. Die Arbeitslosigkeit nimmt rasant zu. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wird immer deutlicher. Vor diesem Hintergrund wird das Schicksal der kleinen Familie Pinneberg stellvertretend für eine ganze arme Bevölkerungsschicht in Deutschland erzählt.

Johannes Pinneberg (23 Jahre, gelernter Buchhalter) und Emma Mörschel (22 Jahre, ohne Beruf) leben beide in Ducherow, einem kleinen Dorf im heutigen Landkreis Vorpommern-Greifswald. Sie begegnen sich zufällig bei einem Spaziergang in den Dünen und schnell kommen sie sich näher. Emma wird schwanger und die beiden heiraten. Im weiteren Verlauf wird Emma Johannes nur »Junge« nennen und er sagt »Lämmchen« zu ihr. Sowohl während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt wird der kleine Sohn »Murkel« genannt. Ein einziges Mal wird sein richtiger Name Horst erwähnt.

In Ducherow wohnen sie gemeinsam in einer Dachwohnung zur Untermiete. Pinneberg hat Arbeit bei einem Getreidehändler, die er aber aufgrund schwacher Auftragslage verliert. Sie ziehen in die Großstadt nach Berlin, wo sie zunächst in einem Zimmer bei Pinnebergs Mutter wohnen.

Er findet Arbeit als Verkäufer in der Konfektionsabteilung des jüdischen Kaufhauses Mandel. Dort läuft es zunächst gut für Pinneberg und sie finden eine Mansardenwohnung, die gerade ausreichend zum Wohnen ist.

Aber auch bei Mandel ändern sich die Zeiten. Die Verkaufslage stagniert und die Geschäftsleitung führt eine tägliche Verkaufsquote ein. Als Pinneberg bei einem Kunden übergriffig wird, da er ihm unbedingt etwas verkaufen will, um seine Quote zu erreichen, beschwert sich der Kunde und Pinneberg wird fristlos entlassen.

Sie ziehen in eine Gartenlaube eines ehemaligen Arbeitskollegen und Freund von Pinneberg. Dort leben sie fortan von Pinnebergs Arbeitslosengeld und kleinen Handarbeiten, die Lämmchen bei fremden Leuten verrichtet.

Es hat mich beeindruckt, wie Fallada die beiden Hauptpersonen aber auch andere Figuren in deren Umfeld charakterisiert hat. Pinneberg ist oft wütend und aufbrausend – er ist mental schwach und lebt in ständiger Angst, dass er arbeitslos wird und die kleine Familie nicht mehr genügend Geld zum Leben hat. Ganz anders Lämmchen, denn sie ist die Starke in dieser Ehe. Sie gibt ihrem Jungen immer wieder Halt, tröstet und beruhigt ihn. Auch in Zeiten ihrer Schwangerschaft, als sie mehr Unterstützung nötig gehabt hätte.

Im Gegensatz zu den meisten Büchern überschreibt Fallada die einzelnen Kapitel nicht mit einer Zahl oder einer Person, sondern er beschreibt in kurzen Stichworten, was den Leser als nächstes erwartet. Zudem hat Fallada eine Gliederung im Stil eines Theaterstücks seinen Kapiteln übergeordnet (Vorspiel – Die Sorglosen; Erster Teil – die kleine Stadt; Zweiter Teil – Berlin; Nachspiel – Alles geht weiter).

Vieles, was Fallada schrieb, war zeitkritisch. Er widmete sich in seinen Büchern gesellschaftskritischen Themen. Sein vierter Roman »Kleiner Mann – was nun?« wurde 1932 erstmals in einer gekürzten Fassung veröffentlicht und verschaffte ihm den Durchbruch als Schriftsteller. Das Buch wurde ein Welterfolg.

Aus heutiger Sicht handelte es sich bei den damaligen Streichungen im Originalmanuskript um das Lokalkolorit der auslaufenden zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre. Vor dem Hintergrund politischer Ereignisse und der wirtschaftlichen Lage sollten mögliche Irritationen vermieden werden.

Fazit:

Der Titel des Buches könnte nicht besser gewählt sein, obwohl das Ursprungsmanuskript noch mit »Der Pumm« überschrieben war.
Sowohl die Schreibweise als auch der Schreibstil sind für heutige Verhältnisse gewöhnungsbedürftig, man muss sich darauf einlassen, um Spaß am Lesen dieser Lektüre zu haben. Es werden Begriffe verwendet, die man so heute nicht mehr benutzt oder nicht kennt (bspw. »Er hat gesohlt« anstelle von »Er hat gelogen«).
Orthografie und Interpunktion folgen bei dieser Neufassung der neuen deutschen Rechtschreibung.
Auch sogenannte Cliffhanger kommen vor, wobei es zu dieser Zeit diesen Begriff nicht gab (Bsp.: Pinnebergs Freund Heilbutt verschwindet plötzlich von der Bildfläche; einige Episoden später wird wieder von ihm die Rede sein, da er den Pinnebergs seine Laube vermietet).
Für mich eindeutig eine Fünf-Sterne-Bewertung.

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Veröffentlicht am 26.11.2023

»Was ich sage, muss geschehen!«

SCHWEIG!
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Judith Merchant ist eine ausgezeichnete Erzählerin, die großen Wert auf einen psychologischen Tiefgang legt.

Der Inhalt des Buches würde eine hervorragende Grundlage für ein Kammerspiel geben. Wenige ...

Judith Merchant ist eine ausgezeichnete Erzählerin, die großen Wert auf einen psychologischen Tiefgang legt.

Der Inhalt des Buches würde eine hervorragende Grundlage für ein Kammerspiel geben. Wenige Figuren machen den Inhalt überschaubar. Der Schwerpunkt liegt auf den psychologisch ausgerichteten Gesprächen zwischen den Figuren.

Esther und deren jüngere Schwester Sue könnten nicht unterschiedlicher sein und haben sich schon als Kinder nicht gut verstanden. In Rückblenden gewährt die Autorin Einblicke in die Kindheit der beiden Schwestern.

Aus Esthers Sicht hat sich eine gewisse Hassliebe gegenüber ihrer Schwester entwickelt. Sue möchte einfach von ihrer Schwester in Ruhe gelassen werden und am besten nichts von ihr hören und sehen.

Esther ist verheiratet und hat sowohl einen Sohn als auch eine Tochter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt. Sue hat sich von ihrem Mann Robert getrennt, ist kinderlos und lebt einsam im Wald in einem viel zu großen Haus. Von Robert wird man im weiteren Verlauf nichts mehr lesen, geschweige denn hören. Er ist nicht Gegenstand der Handlung.

Esther und Sue erzählen in der Ich-Form, später im Buch wird auch Esthers Mann Martin die Geschehnisse aus seiner Sicht erzählen. Ein sehr interessanter Schreibaspekt und was mir besonders gut gefallen hat: Die Autorin schreibt einzelne Begebenheiten und Handlungen jeweils aus der Sicht der beiden Schwestern – die Schilderungen laufen dabei völlig auseinander.

Esther ist sehr dominant, selbstsüchtig und hat narzisstische Züge. Sie will ihre jüngere Schwester Sue beherrschen, weil sie denkt, dass Sue sonst untergehen wird. Später wird man erfahren, dass Esther ihren Mann Martin demütigt und auch oft drangsaliert (Bsp.: weil Martin nachts schnarcht, näht sie ihm Tennisbälle in das Rückenteil des Schlafanzuges, damit er im Bett nicht mehr auf dem Rücken liegen kann – und den Schlafanzug darf er auch nicht wechseln). Keiner beherrscht diese Klaviatur besser als Esther. Martin wehrt sich nicht dagegen und ertränkt seinen Kummer lieber im Alkohol.

Einen Tag vor Heiligabend macht Esther sich auf den Weg zu Ihrer Schwester. Sie möchte ihr wie jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk und eine Flasche Wein bringen. Aber sie möchte ihre Schwester auch überreden, mitzukommen in die Stadt in ihre Wohnung, um gemeinsam Weihnachten zu feiern.

Und dies, obwohl die drei an das vergangene Weihnachtsfest keine guten Erinnerungen haben. Martin ist von der Idee nicht angetan und auch Sue möchte partout verhindern, gemeinsam mit Esthers Familie Weihnachten zu feiern. Eigentlich müsste auch Esther schlechte Erinnerungen an das gemeinsame Weihnachtsfest im vergangenen Jahr haben, an dem Sue psychisch so instabil war, dass man sogar einen Notarzt rufen musste. Aus den ganzen Schilderungen heraus wird man den Verdacht nicht los, dass da noch etwas anderes war.

Das nahende Ende des Buches ist hervorragend konstruiert. Wieder wird alles nach dem Willen von Esther ablaufen und ein Ereignis sorgt dafür, dass Sue auf das Wohlwollen ihrer Schwester angewiesen sein wird.

Fazit:

Das Buch ist übersichtlich in nicht zu lange Kapitel aufgeteilt. Die Kapitelüberschriften nehmen Bezug auf die jeweils betreffende Person. Der Schreibstil ist angenehm und flüssig zu lesen.
Da sich das Setting auf lediglich drei Personen bezieht (Esther, Sue und Martin) und sich die Handlung entweder zuhause bei Esther und deren Familie oder im Haus von Sue abspielt, ist das Buch sehr übersichtlich. Man könnte es ohne weiteres in einem durchlesen. Ich habe mich jedenfalls gut unterhalten gefühlt und gebe fünf Sterne.

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