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Veröffentlicht am 24.02.2024

Zwischen Glamour und Geheimnissen

Tahara
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Marcel Klein arbeitet seit vielen Jahren als Filmkritiker für das Kinomagazin "Hollywood" - zuerst in L.A., inzwischen als freier Mitarbeiter in Berlin. Auf den Filmfestspielen in Cannes hat er ein volles ...

Marcel Klein arbeitet seit vielen Jahren als Filmkritiker für das Kinomagazin "Hollywood" - zuerst in L.A., inzwischen als freier Mitarbeiter in Berlin. Auf den Filmfestspielen in Cannes hat er ein volles Programm mit Pressekonferenzen, Vorführungen und Partys am Abend. Dabei macht sich bei ihm ein gewisser Verdruss bemerkbar, er erlebt die immergleichen unoriginellen Fragen und Platitüden. Eine willkommene Abwechslung ist da Héloïse, die er am ersten Festivalmorgen auf der Hotelterrasse kennenlernt. Die Lehrerin aus Metz hat keine Verbindung zur Filmbranche und ist aus Neugier nach Cannes gekommen. Nach einem holprigen Start sehen die beiden sich zufällig immer wieder und fühlen sich zunehmend zueinander hingezogen. Doch Héloïse ist nicht ganz ehrlich zu Marcel. Als dieser sich in eine heikle Situation bringt, verlassen die beiden überstürzt gemeinsam die Stadt.

Ich werde im Mai einige Tage an der Côte d'Azur verbringen und habe das Buch als frühe Einstimmung auf den Urlaub gelesen. Der Roman beginnt mit Marcel Kleins Eintreffen in Cannes und seiner ersten Begegnung mit Héloïse. Für ihn ist ist das Filmfestival ein Ereignis, das er seit Jahren besucht und das nichts besonderes mehr für ihn ist. Beiläufig erzählt er Héloïse von den anstehenden Pressekonferenzen und Interviews mit den großen Stars der Filmindustrie. Während er seine Termine mit wenig Motivation wahrnimmt, genießt er die luxuriöse Unterbringung, das gute Essen und die exklusiven Partys auf Kosten der Zeitschrift, denn er selbst ist tief verschuldet.

Héloïse übt von Beginn an eine Faszination auf Marcel aus, doch die ersten Gespräche verlaufen unglücklich, da stets einer den anderen in irgendeiner Weise brüskiert. Dennoch verbringen die beiden zunehmend Zeit miteinander. Héloïse hat jedoch von Beginn an klargestellt, das sie verheiratet ist - wohin also soll all das führen? Durch einige Kapitel aus ihrer Sicht lernte ich, sie und ihr Handeln besser zu verstehen.

Die erste Buchhälte verläuft in ruhigen Bahnen und ich wartete auf die im Klappentext angekündigten Geheimnisse und die Flucht aus Cannes. Nach einer besonders wilden Party mit Alkohol und Drogen offenbart Marcel am nächsten Tag bei einem Interview die schlechteste Version seiner selbst und bringt sich selbst in eine heikle Situation. Das bringt endlich Schwung in die Handlung und die Ereignisse nehmen ihren Lauf.

Marcels und Héloïses Ausbruch aus ihren in vorgegebenen Bahnen verlaufendem Leben schwankte ich zwischen einer Bewunderung für die wilde Romantik der Situation und einer gewissen Abgeklärtheit, dass sich beide sehenden Auges ins Unglück stürzen und Marcel die Konsequenzen seines Handelns auch redlich verdient hat. Doch wer dachte, dass alle Geheimnisse gelüftet wurden, wird zum Ende hin noch mal eines besseren belehrt und erlebt eine Überraschung, welche die gemeinsamen Tage von Marcel und Héloïse noch mal in ein anderes Licht rücken. Ein Buch für alle, die Lust auf eine bewegende Lektüre rund um eine amour fou an der Küste Südfrankreichs haben.

Veröffentlicht am 13.01.2024

Den Spuren bis zum Anfang folgen

Lichtungen
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Lev reist gemeinsam mit Kato seit sechs Wochen durch Europa. Doch nun hat er ihr eröffnet, dass er zurückmuss. Überraschenderweise teilt sie ihm kurz vor der Abfahrt mit, dass sie mitkommen wird. Mit dieser ...

Lev reist gemeinsam mit Kato seit sechs Wochen durch Europa. Doch nun hat er ihr eröffnet, dass er zurückmuss. Überraschenderweise teilt sie ihm kurz vor der Abfahrt mit, dass sie mitkommen wird. Mit dieser kurzen Episode beginnt das Kapitel "Neun" von Iris Wolffs neuem Roman Lichtungen. Dieser Romananfang ist das Ende der Geschichte, und gleichzeitig ist es das auch nicht.

Ich war ehrlicherweise kurz irritiert, als es im Kapitel "Acht" ein Wiedersehen zwischen Lev und Kato gibt, die sich seit fünf Jahren nicht gesehen haben. Dann habe ich aber schnell geschaltet und mich auf diesen rückwärts erzählten Roman eingelassen. Kato ist eine Straßenkünstlerin, die in diesen fünf Jahren mit Tom in Europa unterwegs war, während Lev in der rumänischen Heimat im Sägewerk gearbeitet und Postkarten von ihr erhalten hat. Ihre Einladung, nach Zürich zu kommen, nimmt er an und macht auf dem Zwischenstopp bei seinem Großvater Ferry in Wien Halt, den er dort noch nie besucht hat.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Lev, der sich seiner rumänischen Heimat verbunden fühlt. Seine Vorfahren stammen aus Rumänien, Siebenbürgen und Österreich, einer Zuteilung zu einer Gruppe verweigert er sich. Ich erhielt nicht nur Einblicke in seine persönliche Geschichte, sondern auch in die Situation in Rumänien vor und nach der Revolution, wo sich immer mehr Menschen entschließen, das Land gen Westen zu verlassen.

Die einzelnen Kapitel sind dicht und intensiv erzählt. Sie schildern wegweisende Situationen in Levs Leben. Dabei werden zahlreiche Fragen aufgeworfen und Andeutungen gemacht, deren Auflösung in der Vergangenheit und damit den nachfolgenden Kapiteln wartet. Warum ist der Großvater nach Wien gegangen? Was hat es mit dem Unfall auf sich, den er erwähnt? Und wer ist Camil, nach dessen Verschwinden Kato lange nicht gemalt hat? Die Lücken zwischen den Kapiteln sind oft mehrere Jahre groß, sodass es auch lebensverändernde Momente gibt, die nicht erzählt werden und die sich aus dem Danach und Davor erschließen.

Das Cover zeigt eine Amsel. Es könnte eins der Bilder von Kato sein, welche sie auf Grundlage der Melodien gemalt hat, die Camil gesammelt hat. Kato war für mich der interessanteste Charakter des Romans. Sie hat mit ihrer künstlerischen Begabung und Intelligenz Wege gesucht und gefunden, um ihre Neugier zu stillen und sich selbst zu verwirklichen. Sie ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Lev, dennoch harmonieren die beiden gut miteinander und ich erhielt mit der Zeit ein gutes Verständnis für die Art ihrer Beziehung zueinander.

Aufgrund der Kürze der Einblicke hatte ich stets das Gefühl, nur eine Weile zu Gast sein zu dürfen und nicht vollends in die Geschichte eintauchen zu können. Insgesamt habe ich Lev und Kato aber sehr gern durch rund 30 Jahre ihres Lebens und den Wandel, der um sie herum in dieser Zeit geschieht, begleitet. Die rückwärts gerichtete Erzählweise macht den Roman dabei zu etwas Besonderem. Ein Buch für alle, die Lust haben, den Spuren in Levs Leben bis zu ihren Anfängen zurück zu folgen.

Veröffentlicht am 03.12.2023

An Silvester noch alle ToDos schaffen

Kleine Probleme
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Lars ist ein Autor, der seit dem Schritt in die Selbstständigkeit jedoch noch kein einziges Buch geschrieben hat. Etwas Großes soll es werden, ein Lebenswerk, das Ende des Jahres abgabebereit ist. Doch ...

Lars ist ein Autor, der seit dem Schritt in die Selbstständigkeit jedoch noch kein einziges Buch geschrieben hat. Etwas Großes soll es werden, ein Lebenswerk, das Ende des Jahres abgabebereit ist. Doch jetzt ist der 31. Dezember, kurz nach Mittag, und das Buch ist genauso wenig fertig wie all die anderen ToDos, die sich im Laufe des Jahres angesammelt haben. Als seine Frau ihm schreibt, dass ihr Flieger sich verspätet und er vor der Silvesterparty noch einige Dinge erledigen soll, stellt er eine Liste auf: 13 Punkte will er bis Mitternacht abarbeiten. Jetzt aber wirklich. Dass er bis 13 Uhr nur auf die Liste gestarrt hat ist allerdings kein guter Anfang...

Die allermeisten werden es kennen: Unangenehme Aufgaben schiebt man gerne mal vor sich her. Auch wenn ich selbst die meisten Dinge zügig erledige, steht ein Fahrrad mit plattem Reifen in meinem Keller, an dem ich auf dem Weg zur Waschmaschine jedes Mal mit schlechtem Gewissen vorbeihusche. Das Problem bei Lars ist jedoch deutlich ausgewachsener. Nicht nur arbeitet er seit Jahren an einem Roman, den er nicht mal richtig begonnen hat, bei ihm scheitert es an den grundlegendsten Aufgaben wie putzen und Nudelsalat machen. Doch an Silvester trifft ihn die Erkenntnis: Jetzt oder nie.

Der rund 200 Seiten umfassende Roman ließ mich Lars' Gedankenstrom folgen. Als ehemaliger Philosophiestudent macht er sich nicht plötzlich an die Arbeit, sondern reflektiert intensiv seine Situation und sinniert auch mal über Arbeit und Leben im Allgemeinen. Für mich grenzte es geradezu an ein Wunder, dass er bei all dem Denken überhaupt etwas geschafft bekommt. Er ist ein tragikomischer Charakter, der zum Scheitern geradezu verdammt zu sein scheint. Gleichzeitig hegte ich die Hoffnung, dass er doch noch irgendwie die Kurve kriegt. Ihm zuzuschauen ist amüsant, auf Dauer jedoch auch etwas ermüdend. Schließlich nimmt Lars' Kampf gegen den eigenen Schweinehund geradezu spektakuläre Züge an, die Schwung in die letzten Seiten bringen.

"Kleine Probleme" berichtet überspitzt, unterhaltsam und mit einer guten Portion schwarzem Humor von den Anstrengungen des Abarbeitens gefühlt nie enden wollender ToDo-Listen. Vorsicht ist geboten, wenn ihr dieses Buch in den letzten Tagen des Jahres lest - die könnten danach weniger entspannt werden, als ihr dachtet!

Veröffentlicht am 05.11.2023

Frischer Wind im abgerockten Tattoo-Studio

No Regrets
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Der No Regrets Tattoo Shop hat schon einmal bessere Zeiten gesehen, das wird gleich zu Beginn des Romans deutlich:

"Mehr als die Hälfte der Kunden, die das No Regrets derzeit betraten, verließen den Laden ...

Der No Regrets Tattoo Shop hat schon einmal bessere Zeiten gesehen, das wird gleich zu Beginn des Romans deutlich:

"Mehr als die Hälfte der Kunden, die das No Regrets derzeit betraten, verließen den Laden ohne neues Tattoo und ohne Termin und ohne Anzahlung. Muddy hatte ihnen nicht genügend Zähne im Maul, Hänk war nicht freundlich genug, sie fühlten sich nicht verstanden. Früher, vor dem Internet, hatte diese charmante Grobheit ihr Studio berühmt-berüchtigt gemacht und vermutlich eher für mehr als für weniger Kundschaft gesorgt" (S.12)

Es muss sich daher etwas ändern, wenn Inhaber Muddy weiterhin in der Lage sein will, die Miete zu zahlen. Widerstrebend stellt er eine neue Tätowiererin ein. Luz, die von ihren Kollegen gleich in Lutz umgetauft wird, sorgt nicht nur für neue Kundschaft, sondern hinterfragt auch die Situation im Studio. Muddys treuem Mitarbeiter Hänk passt das so gar nicht, während der zurückhaltende Rudi von Luz' tougher Art begeistert ist. Alte Gewohnheiten treffen auf frische Ideen, wodurch der Alltag im No Regrets auf den Kopf gestellt wird.

Zu Beginn des Romans wurden mir die vier Hauptcharaktere vorgestellt: Muddy und Hänk arbeiten seit vielen Jahren im Studio zusammen und haben sich im Knast kennengelernt. Für die beiden gibt es Traditionen wie den müffelnden ausgestopften Alligator und die ewig gleichen Frotzeleien, an denen nicht zu rütteln ist. Rudi hat eine Ausbildung im Studio gemacht, während er seinen Eltern ein Studium vorgaukelt, tätowiert ausschließlich Letterings und versucht vor allem, nicht aufzufallen. Ganz im Gegenteil zu Luz, die mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält und auch die Konfrontation nicht scheut.

Die Autorin stellt auf Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Generationen und der damit verbundenen Philosophien auf amüsante Weise dar. Durch ihre Interaktionen werfen die Figuren sich gegenseitig aus der Komfortzone und ich war gespannt, was daraus entstehen wird. Der Alltag im Tattoo-Studio mit speziellen Kunden, besonderen Tattoo-Wünschen und kleinen wie großen Fails fand ich unterhaltsam und kurzweilig. Dazu passt der rotzige Tonfall wunderbar, der mich mitten hinein ins Ruhrgebiet katapultierte.

Für mich ist das Buch in erster Linie ein Freundschaftsroman. Während die Tage ins Land ziehen, raufen sich die Charaktere allmählich zusammen, entwickeln sich persönlich weiter und bauen Vertrauen zueinander auf. Zwischendurch fehlte mir allerdings ein Ziel, auf das sich die Handlung hinbewegt. Die letzten Szenen bringen überraschend viel Spannung und Schwung in die Geschichte und finden einen Abschluss, der mir gut gefallen hat. Ein toller Roman über vier Außenseiter, welche die Liebe zum Tätowieren zusammenbringt, den ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 28.10.2023

Ein letztes Mal mit den Großeltern auf Sylt

Sylter Welle
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Max hat im Laufe der Jahre viele Sommer mit seinen Großeltern auf Sylt verbracht. In diesem Jahr haben sie angekündigt, ein letztes Mal auf die Insel zu fahren. Der erwachsene Max besucht sie für drei ...

Max hat im Laufe der Jahre viele Sommer mit seinen Großeltern auf Sylt verbracht. In diesem Jahr haben sie angekündigt, ein letztes Mal auf die Insel zu fahren. Der erwachsene Max besucht sie für drei Tage. Dabei reflektiert er die Beziehung zu seiner Oma Lore und seinem Opa Ludwig. In welcher Hinsicht hat sich seine Rolle als Enkel verändert, und was ist heute noch immer genau so wie er es in Erinnerung hat?

"Sylter Welle" ist der erste Roman von Max Richard Leßmann und eine Autofiktion, zu welcher er inspiriert wurde, als er tatsächlich seine Großeltern auf Sylt besucht hat. Das Buch beginnt mit Max' Eintreffen auf der Insel, wo ihn seine Oma Lore zu Fuß abholt. Er erinnert sich daran, dass sie ihn früher immer mit einem Opel Vectra abgeholt hat, in dem es nach Apfelringen roch.

Die drei Tage auf Sylt sind der Rahmen für eine gedankliche Zeitreise, auf die Max sich begibt. Immer wieder taucht er in neue Szenen und unterschiedlich alte Erinnerungen ein. Dabei lernte ich Max' Großeltern als Charaktere kennen, die in ihrem Leben viel durchgemacht haben, ihre Gefühle dabei aber nie sonderlich stark nach außen getragen haben. Ihre Liebe zu Max und den anderen Familienmitgleidern drückt sich eher in Taten aus.

Mich haben die Schilderungen dazu gebracht, die Beziehung zu meinen eigenen Großeltern zu reflektieren und nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu suchen. Viele Beoabchtungen zeigen das grundsätzliche Spannungsfeld zwischen den Generationen auf, in denen ich mich oftmals wiederfinden konnte. Der Wandel der Rolle des Enkelkinds wird gelungen dargestellt. In mancherlei Hinsicht hören die Großeltern nicht auf, sich zu kümmern, doch es kommt vermehrt zu Situationen, in denen sich dies umkehrt.

Die Erinnerungen beschränken sich nicht nur auf Max und seine Großeltern, sondern beziehen auch seinen Vater und dessen Geschwiester sowie seine Mutter mit ein. Verschiedene Anekdoten über Vorfälle in Max' Familie oder die Reaktionen auf seine eigenen Verfehlungen ließen mich mal schmunzeln, mal stimmten sie nachdenklich. Das Beziehungsgeflecht der Familie mit seinen Allianzen und Konflikten wird im Laufe des Romans herausgearbeitet, denn was wäre eine Familie ohne sie?

Mit diesem ruhigen Roman, in dem Gegenwart und Vergangenheit so eng miteinander verwoben sind, dass die Grenzen beinahe verschwimmen, hat der Autor seinen Großeltern ein Denkmal gesetzt. Für mich hätten die Erlebnisse in der Gegenwart und Sylt als Handlungsort mehr Platz einnehmen dürfen. Ingesamt ist "Sylter Welle" für mich ein lesenswerter Roman über die Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern und deren Entwicklung im Laufe der Jahre.