gelungener Krimi im Berlin 1927!
Doch das Messer sieht man nichtBerlin, 1927 - Die erste deutsche Demokratie steht auf wackeligen Füßen, die hässlichen Fratzen der Nationalsozialisten tauchen immer häufiger auf. Und doch sind es noch die Goldenen Zwanziger. Berlin ...
Berlin, 1927 - Die erste deutsche Demokratie steht auf wackeligen Füßen, die hässlichen Fratzen der Nationalsozialisten tauchen immer häufiger auf. Und doch sind es noch die Goldenen Zwanziger. Berlin schläft nie. Lichterglanz, Shows, Revues, nächtliche Eskapaden, Kunst und Theater, die neue Rolle der Frau, Aufbruchstimmung. Im Gegensatz dazu hohe Arbeitslosigkeit, Inflation, menschliches Elend, Kriegsversehrte an jeder Straßenecke.
In diesem Szenario präsentiert uns die Autorin zwei starke Frauentypen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist zum einen die schwarze junge Journalistin Anaïs Maar, gebildet, aus reichem Haus, die für den Berliner Brennpunkt über einen Serienmörder in Berlin schreibt. Und zum anderen Josefine Hoffmann, die Familie verlassend, auf der Straße lebend und sich dank ihrer Schönheit von Männern aushalten läßt. Doch dabei will sie eigentlich Schauspielerin werden.
Auf den ersten Seiten bereits gelingt es der Autorin diese ambivalente Atmosphäre darzustellen und der Vergangenheit Leben einzuhauchen. Ihr Schreibstil ist klar und ausdrucksvoll. Und dabei passt sie ihre wohlgewählten Worte den jeweiligen Personen an. Gebildet und stark, wenn die Geschichte aus der Sicht von Anaïs erzählt wird. Und wenn ein Kapitel aus der Sicht von Josefine erzählt wird, wählt die Autorin Worte, die der scheinbaren Naivität von Josefine entsprechen. Überhaupt sehr gelungen finde ich den Berliner Dialekt, so dass man gleich das Gefühl hatte, mitten in Berlin zu sein.
Die Morde erinnern an Jack the Ripper. Anaïs recherchiert geschickt und kommt dem Täter letztlich näher als ihr lieb ist. Dabei hilft ihr auch das Boxen, das damals für Frauen verboten war. Doch als Leo verkleidet kann sie zum einen die in ihr lodernde Wut ausleben, zum anderen aber auch ihr inneres Gleichgewicht finden. Dort findet sie in Karl Benatzky nicht nur einen Boxtrainer, sondern einen Freund und Lehrer fürs Leben. "Dit janze Leben ist een Kampf, Leo.".
Die Mordermittlung steht hier nicht so sehr im Mittelpunkt. Vielmehr geht es hier um das Schicksal der beiden Frauen, wie sie sich trotz aller Hemmnisse und Schikanen in der Männerwelt behaupten und wie sie mit den Vorurteilen und Hass, der ihnen entgegenschlägt, umgehen. Gerade Anaïs mit ihrem (nach heutigem Sprachgebrauch) Migrationshintergrund hat es teilweise besonders schwer. Und obwohl sie gebürtige Berlinerin ist, scheint sie nicht verstehen zu wollen, dass große Teile der deutschen Bevölkerung sie nicht als Mensch, als Person wahrnehmen wie sie. "Ein Mensch brauchte also gar nichts zu tun, um die Mordlust dieser Verbrecher zu entfachen. Er brauchte nur so zu sein, wie er geboren war, brauchte nur zu existieren."
Wie die Weltgeschichte ausging, ist bekannt. Hier im Buch gibt es viele Personen, die sich den Nazis entgegen gestellt haben und versuchten, Verfolgte und Unterdrückte zu retten. Auf jeder Seite merkt man, dass die Autorin sehr gut recherchiert hat. Das kommt klar zum Ausdruck, wenn es um die Kriegsopfer geht, die vielen verschwundenen Frauen, die immense Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bis hin zum politischen Hindriften nach rechts. Bleibt zu hoffen, dass es uns in der heutigen Zeit gelingen möge, solches rechtes Gedankengut, das bei einigen Parteien, die heute eine blaue Farbe in ihren Emblemen aufweisen, zurück zu drängen.
Dieses kleine, fast unscheinbare Buch aus dem Emons Verlag verdient große Aufmerksamkeit.
Ich vergebe hier sehr gerne 4,5 von 5 ⭐ .