Ein interessanter Fund, in den viel hineininterpretiert wird
Das Rätsel der SchamaninDie Autoren haben sich in früheren Werken bereits ausführlich mit der Himmelsscheibe von Nebra befasst, aus deren Existenz sie auf eine Hochkultur der Bronzezeit auf deutschem Boden schließen wollen.
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Die Autoren haben sich in früheren Werken bereits ausführlich mit der Himmelsscheibe von Nebra befasst, aus deren Existenz sie auf eine Hochkultur der Bronzezeit auf deutschem Boden schließen wollen.
Hier reisen sie nun noch weiter in der Zeit zurück und begeben sich ins Mesolithikum, wo sie den Spuren einer mutmaßlichen Schamanin folgen. Ausgangspunkt ist ein 9.000 Jahre altes Grab in Bad Dürrenberg. Erstmals ausgegraben wurde es bereits 1934 (und damals als „Urarier“ interpretiert), eingehender untersucht aber erst ab 2019. Harald Meller war als Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt für die neuen Ausgrabungen und Nachuntersuchungen verantwortlich. Der Bestsellerautor Kai Michel war von Beginn an hautnah dabei.
Dies ist einerseits natürlich vorteilhaft, können so doch sehr unmittelbare Einblicke in die Arbeit des interdisziplinären Forscherteams gegeben werden. Andererseits kommt doch der Verdacht auf, dass auf jeden Fall spektakuläre Ergebnisse produziert werden „mussten“.
Tatsächlich habe ich mich wiederholt gefragt, ob hier nicht manches überinterpretiert wird. Die Autoren betonen zwar ständig, man müsse unvoreingenommen bleiben und dürfe heutige Verhältnisse nicht in die Vergangenheit projizieren. Dennoch haben sie eine gewisse Tendenz zu weit hergeholten Schlussfolgerungen und Mutmaßungen. Und schon allein die Verwendung des Wortes Schamanin ist, wie sie selbst eingestehen, problematisch.
Außerdem nehmen allgemeine Ausführungen, die nicht direkt etwas mit dem Fall zu tun haben, zu viel Raum ein. Teilweise sind diese zwar durchaus aufschlussreich, wenn beispielsweise erklärt wird, dass sich die Evolution der menschlichen Psyche unter ganz anderen Bedingungen vollzogen hat als jenen, welche die moderne Welt bestimmen. Vielfach lenken sie aber eher von den eigentlich relevanten Aussagen ab. (Beispielsweise der Arierwahn der Nazis oder die Brutalität des Kolonialismus. Beides zweifellos wichtige Themen, die jedoch nichts mit dem Mesolithikum zu tun haben.)
Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der alten Dame (unabhängig davon, ob man sie nun als „Schamanin“ bezeichnen möchte oder nicht) um einen beeindruckenden Fund und diejenigen Passagen, die sich tatsächlich mit seiner wissenschaftlichen Analyse befassen, sind sehr interessant. Vor allem, was die Gene der Frau und des mit ihr bestatteten Säuglings betrifft. Doch auch die Grabbeigaben haben einiges zu bieten. Wenn Gespräche mit den beteiligten Forschern geschildert werden, kommt bisweilen sogar etwas Spannung auf.
Ich hätte es aber eben besser gefunden, sich auf die Fakten zu konzentrieren und den Inhalt außerdem generell zu straffen. Die wirklich relevanten Informationen hätte man auch auf der halben Seitenzahl untergebracht.