"Das hier ist Afrika."
Trophäe„Trophäe“ macht nicht nur etwas mit einem, sondern ganz viel und das auf unerwartete und nicht unbedingt eine „gute“ Weise. Wenn man davon ausgeht, dass Literatur den Horizont erweitert, zum Nachdenken ...
„Trophäe“ macht nicht nur etwas mit einem, sondern ganz viel und das auf unerwartete und nicht unbedingt eine „gute“ Weise. Wenn man davon ausgeht, dass Literatur den Horizont erweitert, zum Nachdenken anregt und im Idealfall auch dazu führen kann, dass man Haltungen und Positionen hinterfragt und überdenkt, sich eventuell neu ausrichtet, dann ist Gaea Schoeters‘ Roman ein vorbildliches Stück Literatur – und zwar nicht nur hinsichtlich des Wirkungspotenzials.
Dabei ist das vordergründige Thema des Romans so gar nicht begeisternd. Der mit einem wunderbaren sprechenden Namen ausgestattete Protagonist von „Trophäe“, Hunter White, reist zum wiederholten Male nach Afrika zur Großwildjagd. Diese wird, wie immer, von Hunters Jagdveranstalter van Heeren (noch ein gut gewählter sprechender Name), organisiert. Auf dem Programm steht dieses Mal ein Spitzmaulnashorn, das Hunter nach der Jagd präpariert und ausgestopft seiner Gattin als Geschenk überreichen möchte. Hunters Ehefrau, die zwar keinerlei Interesse an der Jagd hat, ist eine äußerst hingebungsvolle Trophäensammlerin. Giraffe, Löwe, Büffel, Leopard, Elefant – alles schon vorhanden, daher nun also ein Nashorn.
Wenn ich das so schreibe, hört sich die Sammlung, das Hobby, die Art des Liebesbeweises an die Ehefrau, überhaupt das Ansinnen, einer solchen Tätigkeit mit Leidenschaft nachzugehen, völlig pervers und widerlich an, aber – und da setzt der von Dimitri Verhulst auf der Buchrückseite angekündigte „Mindfuck“ ein (ein Wort, das ich nicht mag, das aber nirgendwo zutreffender sein könnte als hier) – so wie Gaea Schoeters ihren Roman konzipiert hat, wie sie mit Hunter als Fokalisierungsinstanz die Jagd lebt und die Rahmenbedingungen beschreibt, fängt man ungläubig und staunend an, das Ganze erst einmal als völlig einleuchtend wahrzunehmen. Erst nach ein paar Seiten fällt einem auf, wie umfassend und vollkommen man von Schoeters‘ glänzender Prosa und ihrer kompromisslosen Sympathielenkung eingelullt und manipuliert wurde. Zu diesem Abstand, dieser Distanz muss man sich immer wieder zwingen. Man weiß, dass das, was hier geschildert wird, allem zuwiderläuft, woran man glaubt, aber man kann nicht anders, als atemlos dem Verfall der Moral zu folgen, als gebannt auf die Seiten zu starren, während die Ethik ohne Rücksicht auf Werte und Skrupel aus dem Ruder läuft und man trotz allem Widerwillen einfach nur wissen will, zu welchem Ende diese Jagd durch Urinstinkte, die Rivalität zwischen westlichem Luxus und afrikanischem Pragmatismus führen wird.
Der Protagonist Hunter White wird von der Autorin mit sehr viel Vergangenheit ausgestattet, seine Figur ist schlüssig und bis zu einem bestimmten Punkt (den ich hier auf keinen Fall näher benennen möchte) völlig nachvollziehbar. Er ist die personifizierte Jagd, der Überlebensinstinkt in Person, der es in seiner Fokussierung und seinem Jagdtrieb locker mit Kapitän Ahab aus Herman Melvilles „Moby Dick“ aufnehmen könnte. Die afrikanische Natur, in der der amerikanische Jäger so überfordert und verloren ist, führt in Schoeters‘ Roman ein Eigenleben. Die Weite der afrikanischen Jagdgebiete ist lebendig, wunderschön, lebensbedrohlich und grausam, reduziert sich auf den für alle Lebewesen letztlich nur zu verlierenden Kampf ums Überleben.
Dieser Roman ist in seiner Diskussion von Moral, Würde, Leben, Tod und Leidenschaft umwerfend. Gesellschaftskritisch, zynisch und bei allem Wahnsinn pragmatisch, entlarvt er westliche Besserwisserei und zwingt zur Selbstreflexion, denn „westliche Moral ist ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss“ (S. 103) und „Trophäe“ ist Afrika.
Für mich hat der Roman alles, was es für einen Klassiker braucht. Er ist hervorragend geschrieben, diskutiert ohne Urteil oder Belehrung Moral und Ethik – stellt diese großen Konzepte quasi zur Disposition – und manipuliert und beherrscht den Leser und dies alles in einem thematisch fast zeitlos anmutenden Rahmen, denn die Jagd hat hier in ihrer Darstellung etwas sehr Antiquiertes, Urzeitliches. „Trophäe“ ist ganz harter Tobak, nichts für zartbesaitete und empfindsame Seelen, aber ganz sicherlich eine unvergessliche und herausragende Lektüre für alle Leser, die sich weit außerhalb von komfortablen Themen an unbequemes Denken herantrauen.