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Veröffentlicht am 01.09.2024

Ein Evolutionsbiologe, der ein faszinierendes Buch nach dem anderen schreibt

Darwyne
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Colin Niel ist mir spätestens seit seinem - damals noch als Roman gekennzeichneten - Buch "Nur die Tiere" ein Begriff und es scheint, als würde der französische Autor einen Knaller nach dem anderen raushauen. ...

Colin Niel ist mir spätestens seit seinem - damals noch als Roman gekennzeichneten - Buch "Nur die Tiere" ein Begriff und es scheint, als würde der französische Autor einen Knaller nach dem anderen raushauen. Nach "Unter Raubtieren", das ebenfalls eine großartige Geschichte erzählt, folgt nun "Darwyne", dessen Schauplatz das Amazonasgebiet Französisch-Guayanas ist.

Dass ein Evolutionsbiologe seinem - inzwischen als Thriller bezeichneten - Buch den Titel "Darwyne" gibt, kann man auch als Hommage an den großen Naturforscher Charles Darwin verstehen, der von seinen Zeitgenossen in diversen Karikaturen seinerzeit als Schimpanse verhöhnt wurde.

Colin Niels' Darwyne ist ein kleiner Junge, körperlich beeinträchtigt, verschlossen, schulisch wenig interessiert, dafür aber mit einem natürlichen und tiefgehenden Verständnis für die Natur des Amazonas gesegnet, an dessen Schwelle er mit seiner Mutter Yolanda in einer baufälligen Hütte lebt. Darwyne liebt seine schöne, religiös geprägte Mutter, aber er hasst die diversen Stiefväter, die sie in regelmäßigen Abständen anschleppt.

In einem zweiten Handlungsstrang lernt man die Sozialarbeiterin Mathurine kennen, die den Fall Darwynes wieder aufnehmen soll, da es einen anonymen Hinweis auf Kindeswohlgefährdung gab und die frühere Sachbearbeiterin inzwischen aus dem Dienst ausgeschieden ist.

Ich fand das Buch wie schon seine Vorgänger einfach großartig! Es beinhaltet so viele Themen, ohne dadurch überfrachtet zu wirken. Da geht es beispielsweise um eine Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann, eine andere Frau, die sich verzweifelt ein Kind wünscht, ein Kind, das nicht 'reinpasst', prekäre Lebensverhältnisse in den Slums von Bois Sec, am Rande des Amazonas, die Rodung des Waldes und natürlich um die unermesslichen Schätze und Wunder des Amazonasgebietes selbst.

Gefreut hat mich, dass es eine Fortsetzung der Geschichte um die Sozialarbeiterin Mathurine geben wird. Der Titel der französischen Ausgabe lautet "Wallace" und wer kann damit schon anderes gemeint sein als Darwins Gegenspieler Alfred Russel Wallace!? Ich kann es kaum erwarten, dass ich das Buch in Händen halte!

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Große Leseempfehlung

Trophäe
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Eigentlich war es ja längst überfällig, dass sich die Literatur auch einmal mit dem Menschentyp auseinandersetzt, der nach Afrika reist, um dort für eine teuer erworbene Lizenz zu jagen und sich seine ...

Eigentlich war es ja längst überfällig, dass sich die Literatur auch einmal mit dem Menschentyp auseinandersetzt, der nach Afrika reist, um dort für eine teuer erworbene Lizenz zu jagen und sich seine Trophäe anschließend nach Hause schicken zu lassen, wo sie dann Wände, Wohnzimmerboden oder andere Räumlichkeiten ziert.

Was sind das für Menschen? Was treibt sie an und worin liegt der ultimative Kick?

Die flämische Autorin Gaea Schoeters geht dieser Frage in ihrem Roman "Trophäe" nach und versetzt ihre Leser(innen) ins tiefste Afrika, wo ihr Protagonist, der den bezeichnenden Namen Hunter White trägt, auf Nashornjagd ist. Dieses fehlt ihm nämlich noch, um die so genannten "Big Five" voll zu machen. Er hat für den Abschuss eine Lizenz erworben und rechtfertigt die Jagd moralisch vor sich mit der Begründung, dass er mit dem Abschuss eines alten Nashorns, nicht nur zur Auffrischung des Genpools beiträgt, sondern mit seinem Geld auch noch verhindert, dass die Tiere illegal gejagt werden. Denn Politiker und Ranger haben ein Interesse daran , die Tiere für die westlichen Besucher zu schützen.

Doch ein paar Wilderer machen Hunter einen Strich durch die Rechnung. Während er mit seiner Enttäuschung und seinem Frust kämpft, fragt ihn der Organisator der Jagd, ob er schon einmal von den "Big Six" gehört habe ...

Ab hier möchte ich eigentlich nichts weiter zum Inhalt verraten, denn ab hier spitzt sich die Geschichte immer weiter zu, um schließlich in einem überzeugenden Finale zu enden.

Was mir an dem Buch besonders gut gefallen hat, sind Sprache, Erzählton und Schilderungen - sei es die Beschreibung der Natur, oder seien es die Gedanken und Empfindungen Hunters. Hier ist kein Wort und kein Satz zuviel. Man pirscht sich mit Jäger und Fährtenleser durch die Savanne, spürt jeden einzelnen Schmerz und die allgegenwärtige Angst, hört die beunruhigenden Laute von hungrigen Löwen und Hyänen, ist einfach mitten drin im Geschehen. Das war wirklich ganz großes Kino!

Nicht weniger fesselnd ist der moralische Konflikt, in dem man sich mit einem Male wiederfindet. Hier geht es nicht nur um ein totes Nashorn, hier geht es um die Überschreitung von Grenzen, um Jäger und Beute, um afrikanischen Götterglauben und Gefahren, die an ganz anderer Stelle lauern als vermutet... Auch die Motivation Hunters, der schon als Kind mit seinem Großvater jagen war, wird beleuchtet, der Kick, den er aus der Jagd zieht ...

Für mich war das Buch ein unglaubliches Leseerlebnis und ich werde die Gespräche und Besprechnungen verfolgen, die es anlässlich der diesjährigen Leipziger Buchmesse mit dem Länderschwerpunkt 'Niederlande und Flandern' sicherlich geben wird.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Alles außer geordnet

Geordnete Verhältnisse
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Ich wollte immer schon mal etwas von Lana Lux lesen, da kam der Roman mit dem schönen Pflanzen-Cover gerade recht.

Philipp, einer der Protagonisten des Romans, liebt Pflanzen. Er mag sie mehr als Menschen, ...

Ich wollte immer schon mal etwas von Lana Lux lesen, da kam der Roman mit dem schönen Pflanzen-Cover gerade recht.

Philipp, einer der Protagonisten des Romans, liebt Pflanzen. Er mag sie mehr als Menschen, denn von denen wurde er immer wieder enttäuscht. Seine Mutter ist Alkoholikerin, seine Tante, bei der er leben muss, wenn seine Mutter mal wieder einen Absturz erlitten hat, lieblos. Durch seine feuerroten Haare fällt er auf und entwickelt sich zum Außenseiter in der Schule. Philipp nässt ein, Philipp hat Wutanfälle.

"Der häufigste Satz, an den ich mich aus meiner frühen Kindheit erinnern kann, ist: "Geh und entschuldige dich bei den Mädchen" (S.10)

Sein größter Wunsch ist ein richtiger Freund, der eines Tages in Gestalt von Faina, einem Mädchen aus der Ukraine, neu in die Klasse kommt. Genau wie Philipp ist sie ein Rotschopf. Faina wird zu Philipps "Projekt". Er bringt ihr korrektes Deutsch bei, macht ihr Geschenke, ist immer für sie da. Denn auch Faina hat es nicht leicht mit ihren Eltern. Die Mutter mäkelt ständig an ihr herum, der Vater hat als Familienoberhaupt stets das letzte Wort. So lernt Faina schon früh, zu lügen, um Streit und Eskalationen aus dem Weg zu gehen.

Nach einer verletzenden Bemerkung Philipps trennen sich die Wege Fainas und Philipps nach Ende der Schulzeit zunächst, bis Faina plötzlich schwanger und verschuldet wieder vor Philipps Tür steht. Der lebt jetzt in einem Loft und hat eine Freundin. Doch da Sex sowieso nicht Philipps Sache ist, gibt er dieser während eines gemeinsamen Urlaubs den Laufpass und Faina darf statt dessen bei ihm einziehen.

Zwei ziemlich beste Freunde in einer 2er WG: die perfekte Konstellation, könnte man meinen ...

Der Roman hat es in sich. Auf leisen Sohlen naht das Verhängnis. Klar streitet man sich schon mal und natürlich ist ein Zusammenleben von zwei so verschiedenen Charakteren herausfordernd, aber geht uns das nicht allen so? Was aber, wenn einer die Regeln macht und der andere lügen muss, um Konflikten aus dem Weg zu gehen? Was, wenn Grenzen überschritten werden und die Beziehung/Freundschaft zur Obsession ausartet?

Lara Lux zeigt es uns. Das kann sie ganz wunderbar, ohne auschweifende Erklärungen, und man merkt dem Buch an, dass sie sich in diversen "Verhältnissen" auskennt. Sowohl Philipps familiärer Hintergrund als auch Fainas Familie sind höchst authentisch dargestellt. Die ganze Berliner Szene ... herrlich! Selbst über Philipps Beobachtungen und Bemerkungen musste ich teilweise echt lachen.

Bis dann ....

Aber das sollte jede(r) selber lesen. Ich fand das Buch zwar teilweise extrem, aber auch glaubwürdig. Eigentlich hätte man es wissen müssen, wird man später bei so einem Paar vielleicht sagen. Nur kann man den Leuten eben nicht in die Köpfe schauen. In diesem Roman aber kann man es und das ist wirklich ganz große Kunst, finde ich.

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Veröffentlicht am 01.09.2024

Wie gut kennt man sein eigenes Kind?

Kleine Monster
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Pia und Jakob werden von der Lehrerin ihres Sohnes Luca in die Schule gebeten, da es einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben habe.

Diese Aussage weckt in Pia Zweifel, inwieweit sie ihrem Sohn vertrauen ...

Pia und Jakob werden von der Lehrerin ihres Sohnes Luca in die Schule gebeten, da es einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben habe.

Diese Aussage weckt in Pia Zweifel, inwieweit sie ihrem Sohn vertrauen kann. Auf der einen Seite möchte sie Luca glauben, auf der anderen Seite weiß sie um Dinge aus ihrer Vergangenheit, auf die sie bis heute keine eindeutigen Antworten gefunden hat. Damals ist ihre jüngste Schwester Linda im See ertrunken. Nur ihre Adoptivschwester Romie war dabei. Ein Unfall oder steckte vielleicht doch noch mehr dahinter?

In Pia beginnt es zu arbeiten. Sie beobachtet ihren Sohn mit Argusaugen, kontrolliert ihn, interpretiert Dinge in sein Verhalten und setzt ihn unter Druck, damit er ihr die ganze Wahrheit erzählt. Gleichzeitig erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit. Das verdrängte und in der Familie nie aufgearbeitete Trauma drängt mit aller Macht an die Oberfläche. Kontakt zu Romie hat sie nicht mehr, folgt dieser aber auf Instagram, sucht nach Ähnlichkeiten zwischen ihr und Luca.

Das Buch hat eine unglaubliche Sogkraft, die von der Autorin bis zum Ende aufrecht erhalten wird. Auch als Leser(in) fragt man sich ständig "Was ist passiert? Wem kann man glauben? Gibt es sowas wie Kleine Monster?"

Ich fand den Roman von Jessica Lind spannender als so manchen Krimi und hoffe, sie schreibt auch weiterhin so kluge Romane.

Veröffentlicht am 01.09.2024

Gejagt, aufgegessen, gesammelt und ausgerottet

Das Wesen des Lebens
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Lange Zeit hat der Mensch nicht glauben können, dass er dafür verantwortlich ist, dass viele Tierarten vom Erdboden verschwunden sind.

Selbst die Wandertaube, einst der häufigste Vogel Amerikas, möglicherweise ...

Lange Zeit hat der Mensch nicht glauben können, dass er dafür verantwortlich ist, dass viele Tierarten vom Erdboden verschwunden sind.

Selbst die Wandertaube, einst der häufigste Vogel Amerikas, möglicherweise der ganzen Welt, gilt seit langem als ausgestorben. 1901 wurde das letzte Exemplar vom Himmel geschossen.

Am Beispiel der Stellarschen Seekuh zeigt die finnische Autorin Iida Turpeinen auf, wie eine Art verschwindet. 1741 entdeckt der deutsche Arzt und Naturwissenschaftler Georg Wilhelm Stellar auf einer Expedition unter Vitus Bering auf einer Insel die Seekühe. Nach wochenlanger Irrfahrt durch die Beringsee ist die Mannschaft ausgehungert, leidet unter Skorbut und gerät in einen regelrechten Rausch, als sie auf die sanftmütigen Riesen stößt, die keine Angst kennen und deren zartes Fleisch wie Kalbfleisch auf der Zunge zergeht. Man tötet wesentlich mehr Exemplare als man überhaupt verzehren kann und lässt den Rest im Wasser einfach verrotten. Gier und Verschwendung sind vorherrschend, das Wort "Nachhaltigkeit" existiert noch nicht. Als Gottes Schöpfung gilt die Natur als unerschöpflich. Nach den Entdeckern und Wissenschaftlern kommen die Pelztierjäger und bereits 27 Jahre nach ihrer Entdeckung ist die Stellarsche Seekuh ausgerottet.

Das Skelett, das Georg Wilhelm Stellar einst auf der Insel zurücklassen musste, wird später gefunden und von dem finnischen Gouverneur im damals russischen Alaska käuflich erworben. Auch seine Geschichte und die seiner Frau und Schwester erzählt Iida Turpeinen in dem vorliegenden Roman und folgt dem Weg des Skeletts bis ins Naturkundemuseum von Helsinki.

Man kann erahnen, aus wievielen Einzelinformationen und Fußnoten die Autorin die Geschichte entwickelt hat. Das ist einerseits eine großartige Rechercheleistung und macht das Buch zu einem authentischen naturkundlichen Werk, andererseits erlahmte mein Interesse zum Ende hin, weil man es immer wieder mit neuen Personen zu tun bekommt. Dadurch wirkte der literarische Part irgendwie zerstückelt, auch wenn man viel Interessantes zur Seekuh und den damaligen Menschen erfährt. Wenn man etwa liest, dass die Damen der feinen Gesellschaft ihre getragenen Kleider einfach über Bord warfen, weil dies einfacher und kostengünstiger war, so muss man resigniert feststellen, dass sich in dieser Beziehung bis heute wenig geändert hat.

Ich mochte die gemächliche Erzählweise Iida Turpeinens, auch wenn das Buch dadurch nicht gerade ein "Pageturner" ist. Es ist ein interessantes Experiment, Naturwissenschaft und Literatur miteinander zu vereinen.