Back to the roots - Zurück zu den Wurzeln unserer Eltern und Großeltern
Eine Zeitreise mit einem außergewöhnlichen Wodka, der sehr viele Nuancen in sich vereint und langsam freigibt
Gleich eines vorweg - alleine nach dem Titel und dem sehr schlichten Cover hätte ich ehrlich ...
Eine Zeitreise mit einem außergewöhnlichen Wodka, der sehr viele Nuancen in sich vereint und langsam freigibt
Gleich eines vorweg - alleine nach dem Titel und dem sehr schlichten Cover hätte ich ehrlich gesagt nie mit einem solchen tiefgründigen Buch gerechnet. Der Klappentext offenbart dann bereits ein klein wenig von der realen Tiefe des Buches. Das Buch ist für mich rundum gelungen.
Der Autor Markus Mittmann legt mit seinem Buch "Wodka mit Grasgeschmack" ein nach meiner Meinung richtig außergewöhnliches Buch vor, das für sich selbst und eine komplette Generation und ihre Nachfahren steht, wie ich persönlich finde.
Dabei geht es dann um eine Zeitreise in die Vergangenheit.
Der Autor braucht dazu nicht, wie bei der Filmreihe "Zurück in die Zukunft", einen DeLorean mit Fluxkompensator, einen etwas verrückten Professor und seinen "Handlanger" namens Marty und auch kein Plutonium aus zweifelhaften Quellen.
Ihm reicht ein gewöhnlicher zitronenfarbener Beetle und eine vierköpfige Familie aus - Vater und Mutter mit ihren beiden bereits erwachsenen Söhnen.
Die Story als solches ist, auch ohne Plutonium, trotzdem hochexplosiv, mitreißend erzählt und gespickt mit sehr vielen emotionalen Elementen, die dann die Tiefgründigkeit des kompletten Buches ausmachen.
Eine kleine Kostprobe gefällig? Dazu liefert wohl das nachfolgende Buchzitat einiges Futter.
"Meine Eltern können nicht traurig oder mutlos sein, glaubte ich als Kind, sie waren die Erwachsenen und damit unverletzlich. Jetzt sitzen sie neben mir und tun mir leid. Ich sehe ihre Schmerzköfferchen, auch die alten, die längst auf dem Dachboden verstaubt sind. Für meinen Bruder und mich ist es eine Fahrt in ein fremdes Land, für meine Eltern aber in ein fremd gewordenes Land. So vieles ist irgendwo in der Zeit verlorengegangen."
Gleichzeitig verrät es ein kleines Detail dieses sehr besonderen Roadtrips Richtung Polen besser gesagt in das alte Schlesien zurück. Die beiden Eltern wurden als Kinder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus ihrer angestammten Heimat vertrieben.
Was mag das mit einem selbst machen, wenn man urplötzlich seine "heile Welt" urplötzlich verlassen muss und nur so viel mitnehmen kann wie man am eigenen Leib tragen oder auf einem Wagen oder Karren von Hand ziehen kann?
Wird man jemals wieder an einem anderen Ort heimisch werden können?
Was bedeutet für die Vertriebenen der Begriff Heimat und wie reagiert man, wenn man diese wieder besucht?
Bei dieser Zeitreise zurück in die alte Heimat Schlesien nahm ich sehr schnell mit im zitronengelben Beetle Platz, obwohl dieser bereits mit vier Personen vollständig besetzt war. Ich habe mich einfach dazu gequetscht.
Was ich bei dieser Fahrt erlebt habe?
Durch diese Enge war ich sprichwörtlich mittendrin statt nur dabei und sog förmlich die ganzen Nuancen der Fahrt und der Ausflüge dann in mich auf.
Es ist nicht immer ganz leicht gewesen, der Fahrt zu folgen wenn beispielsweise der Fahrer etwas bläht oder so viele Eindrücke auf einen einprasseln, aber man wird mit sehr authentischen und realen Eindrücken belohnt.
Für mich gibt das Buch gerade dieses Stückchen Intimität preis und ist deshalb für mich so ein besonderes Buch. Für mich enthält es passagenweise dann Erzählungen aus eben diesen Zeiten, als Menschen aus ihren angestammten Gebieten vertrieben wurden, die uns dann als Vermächtnis und auch als Mahnung dienen sollten.
Die Geschichten erinnern mich tatsächlich an reifes geerntetes und eingemachtes Obst, das in einem Weckglas konserviert wurde.
Die Geschichten, also das Weckglas muss geöffnet werden, vom vielleicht nicht ganz leicht verdaulichen Inhalt rate ich jedem auch zu kosten und versuchen sich in die damalige Zeit auch hineinzuversetzen, um solche Situationen für unser aller Zukunft (also der kompletten Weltbevölkerung) dann komplett ausschließen zu können.
Das Buch macht mich insgesamt sehr nachdenklich. Aber trotz des Tiefgangs und der sehr vielen geschürten unterschiedlichen Emotionen halte ich es fest in Händen und konnte es zu keinem einzigen Zeitpunkt nicht mehr loslassen.
Wenn man das Buch Wort für Wort liest, versucht zu verstehen was passiert(e) und auch die aktuelle Zeit des Ukrainekrieges mit dazu spiegelt dann läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Denn gerade auch in der aktuellen Situation werden wieder wehrlose Zivilisten von ihrer Heimat vertrieben und ihr geschaffenes Lebenswerk in Schutt und Asche gelegt.
WIESO passiert dies gerade wieder? Wir wissen es doch eigentlich alle besser aus der Perspektive unserer grauenhaften Vergangenheit.
Wenn aktuell auch immer wieder über den EINEN Satz diskutiert wird, ob die Ukraine siegen muss oder Russland nicht gewinnen darf, so hat das Buch auch darauf eine passende Antwort in Form des folgenden Zitats.
"Wie kann eigentlich jemand vom Gewinnen eines Krieges sprechen? Gewalt kommt immer zurück, trifft jeden und fragt nicht nach Schuld. Es gibt nur Opfer. Und nicht Deutsche, Polen oder Russen erlebten den Krieg, sondern Menschen mit gleichen Empfindungen. Die Welt von Ängsten, Trauer oder Wut kannte auch damals keine Grenzen. In allem lag die Zerstörung. Nur Leid und Verlust."
Die vielen Details und Eindrücke im Buch, egal welcher Couleur, wollen aufgesogen und verarbeitet werden.
Das Buch hat nominell gerade einmal 256 Seiten, wer dann allerdings anfängt zwischen den Zeilen zu lesen und über das Geschriebene nachzudenken kommt wohl auf noch einige mehr davon.
Bei mir wird der Roman noch sehr lange nachhallen und ich denke es ist auf alle Fälle ein Buch, bei dem es sich lohnt es einige weitere Male zu lesen. Man entdeckt dort dann wahrscheinlich immer wieder neue Aspekte, die man zuvor dann vielleicht einfach überlesen oder auch anders interpretiert hat. Ein Buch nicht für den Mainstream gemacht, obwohl ich ihm eine sehr große Leserschaft wünsche.
Durch die vielen Retrospektiven, vermittelt es sehr eindrücklich die damaligen Geschehnisse, entführt ins "Hier und Jetzt" und gibt auch einen Ausblick bzw. besser gesagt einen Auftrag an uns alle (dazu auch das passende Buchzitat).
"Von allem, was verschwunden ist, abwesend und vergangen, bleibt irgendetwas übrig."
Wir sind alle an den ewigen Kreislauf des Lebens gebunden und dies sollten wir uns wohl alle immer wieder vor Augen halten. Wir tragen in uns die Erfahrungen unserer Ahnen und sollten diesen dann den nötigen Respekt zollen und nicht vorschnell urteilen.
Für mich war und ist das Buch dann wirklich ganz großes Kino!
Solch ein Buch wünschte ich mir für den Unterricht in Schulen. Das ist dann nämlich gelebte Geschichte und daraus lernt man dann denke ich sehr viel mehr als die bloße Auswendiglernerei von bloßen Zahlen, Daten und Fakten.
So jetzt bin ich aber auch endgültig raus und brauche erstmal einen Schnaps - vielleicht auch einen Wodka mit Grasgeschmack. Na zdrowie!