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Veröffentlicht am 03.03.2024

Von der Suche einer jungen Frau nach Selbstverwirklichung und Heimat in der Nachwendezeit

Kosakenberg
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Kosakenberg - ein Dorf im Brandenburgischen ca. 2h mit dem Zug und eine Autostunde von Berlin entfernt. Zu DDR Zeiten eine stabile Region mit Reifenwerk, Konsum, Ärzten und zahlreichen Infrastruktureinrichtungen ...

Kosakenberg - ein Dorf im Brandenburgischen ca. 2h mit dem Zug und eine Autostunde von Berlin entfernt. Zu DDR Zeiten eine stabile Region mit Reifenwerk, Konsum, Ärzten und zahlreichen Infrastruktureinrichtungen und damit auch Beschäftungsmöglichkeiten. Hier wird Kathleen Ende der 1970er geboren, einer weitgehend unbeschwerten Kindheit folgt die schwierige Nachwendezeit, Industrieschließungen, Arbeitslosigkeit und damit der große Exit einer ganzen Generation, die gerade die Schule abschließt und mehr will vom Leben, oft sind es die jungen Frauen, wie auch Kathleen, Protagonistin in Rennefanz‘ Roman, die die Region verlassen.

Nach dem Abitur studiert sie Grafikdesign und wird mit zahlreichen Praktika und Jobs zu einer der vielen Nomadinnen ihrer Generation, mit zweitweisem Wohnsitz in verschiedenen westdeutschen Großstädten, weit weg von Kosakenberg, der alten Heimat, die immer mehr zur Erinnerung verkommt, welche bei kurzen, seltenen Besuche aufgefrischt wird. Als Kathleen schließlich mit Mitte 20 einen Job in London annimmt, werden die Besuche noch seltener.

Hier setzt die Erzählung in Kosakenberg von Sabine Rennefanz ein. In Ich-Perspektive von Kathleen erzählt, begleiten wir über knapp 15 Jahre 10 Heimfahrten. Dabei werden wir nicht nur Zeuge des Wandels in Kosakenbergs, sondern auch und das viel wichtiger, einer inneren Transformation Kathleens, in der die Protagonistin sich über viele Jahre versucht selbst zu verorten, in dieser Welt, aber auch ihrem Verhältnis zu ihrer Herkunft.

In Kosakenberg bei den Daheimgebliebenen, selbst ihren Eltern, gibt es wenig Verständnis für Kathleens Lebensweg. Fast schon abwertend wird ihrem Beruf begegnet, in einer Welt in der Arbeit das ist, was man mit den Händen erschafft.

Gekonnt kontrastiert die Autorin das Leben Kathleens, der Fortgegangenen, mit dem ihrer Mutter, aber auch der Kindheitsfreundin Nadine, die jung Mutter geworden, sich eine Existenz in Kosakenberg aufbaut und einen vollkommen anderen Lebensentwurf als Kathleen verfolgt.

An einigen Stellen waren mir Kathleens Gedanken und die Abneigung und Scham gegenüber ihrer Herkunft zu überzeichnet. Dessen ungeachtet, merkt man, dass die Autorin weiß, wovon sie schreibt, die schwierige Situation und zuweilen befremdliche Atmosphäre in der ostdeutschen Provinz mit allen Brüchen und deren Folgen sind aus meiner Sicht sehr authentisch wiedergegeben.

Für Kathleen gilt die Herausforderung ein Selbst und Lebensmodell zu finden, dass einem nie jemand vorgelebt hat und für das es in der eigenen Sozialisation nur wenige Bezugspunkte gibt, einen neuen, eigenen Ort aufzubauen, der Heimat wird und ist. Es ist ein weiter Weg zu der Erkenntnis, dass sich Vergangenheit nicht abstreifen lässt, sondern nur als Teil von uns selbst zu begreifen ist, aus dem man neben den vielen neuen Erfahrungen ein neues Zuhause entwirft, sowohl in sich selbst als auch an einem Ort seiner Wahl.

Gerade durch die Authentizität der Erzählung ist Kosakenberg zwangsläufig auch eine Geschichte von starken Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich um Haus, Hof, Einkommen und die Kinder kümmern, die Männer oft abwesend oder wenig hilfreich.

Etwas gestört hat mich, dass die Autorin immer wieder vom Haus als der dritten Haut spricht, fast als ob dies ihre Idee ist, wenngleich der Begriff von Hundertwasser geprägt wurde, den sie jedoch nie nennt.

Kosakenberg ist ein sehr gut geschriebener und inhaltlich überzeugender Roman, der am Beispiel einer jungen Frau in der Nachwendezeit einen Aspekt der Geschichte einer ganzen Region und Generation erzählt und dabei Themen wie Identität, Heimat und (Herkunfts-)Scham behandelt.

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Veröffentlicht am 25.02.2024

Die Welt wandelt sich - und was macht deine Organisation?

Company Culture Design
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Nicht nur die Welt ist in stetem Wandel begriffen, auch unsere Arbeitswelt verändert sich, muss sich anpassen. Wie Organisationen sich in dieser Welt verorten und an Wandel anpassen, diesen vielleicht ...

Nicht nur die Welt ist in stetem Wandel begriffen, auch unsere Arbeitswelt verändert sich, muss sich anpassen. Wie Organisationen sich in dieser Welt verorten und an Wandel anpassen, diesen vielleicht sogar (mit)gestalten, wird von ihrer Unternehmenskultur bestimmt. Warum gibt es uns als Organisation? Was ist unsere Superkraft als Team? Wie definieren wir Arbeitszeit? Dies sind nur einige Fragen, die in diesem Zusammenhang auftauchen und geklärt werden wollen. Dies kann jedoch nur jede Organisation, jedes Team selbst, die Antworten sind und werden so individuell sein wie unsere Gesellschaft es ist. Einen Leitfaden, um zu diesen Antworten zu kommen, die richtigen Fragen dafür überhaupt erst zu stellen, liefert Company Culture Design.

Mit den Dimensionen Ziele, Werte, Führung, Zusammenarbeit, Raum, Zeit, Geld, Marke, Verantwortung und Erfolg behandelt das vorliegende Buch recht umfassend und kurzweilig die verschiedenen Aspekte einer Organisationskultur. Jeder Dimension ist ein Kapitel gewidmet, das sich wiederum anhand verschiedener Leitfragen konkretisiert. Als zusätzliche Hilfestellung finden sich oft ergänzende Impulse oder Thought Starter. Auch gelegentlich eingebetteten Break Outs - separate Fragen, die die Kreativität anregen und offen beantwortet werden - finde ich sehr gelungen. Die Kapitel können losgelöst und unabhängig voneinander bearbeitet werden, die Autoren empfehlen jedoch Ziele und Werte als Basis zu durchlaufen, was ich teilen würde.

Aus meiner Sicht eignet sich das Buch zum einen für Laien, um einen ersten kurzweiligen Überblick und auch Inspiration zum Thema Organisationskultur zu erhalten. Zum anderen profitieren sicher auch Menschen, die sich bereits intensiver mit dem Thema und Prozessen in Organisationen auseinandersetzen. Hier gibt das Buch nochmal neue Ansätze und Ideen, mit denen eigene Workshops um weitere Variationen bereichert werden können. Als alleinige Grundlage, um damit komplexere Gruppenprozesse zu gestalten - und nichts anderes ist ja der Austausch über und die Definition einer Organisationskultur - , ist das Buch nach meiner Einschätzung jedoch nur bedingt geeignet. Hierfür würden mir insbesondere auch weitere Tools und Methoden in der konkreten Umsetzung fehlen, gerade bei zentralen Dimensionen, wie den Zielen und Werten. Der Verweis auf solche, z.Bsp. arbeiten mit einem Canvas, hätte das Buch hier zusätzlich bereichert. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass sich einzelne Kapitel in einem weniger grundlegenden Prozess und Setting auch für kurze Inputs bspw. in Teamsitzungen eignen.

Wirklich gelungen ist das übersichtliche Layout und die Arbeit primär mit Leitfragen!

Insgesamt ist Company Culture Design ein sehr gutes Workbook für einen (ersten) Überblick zu zentralen Fragen der Organisationskultur und neuen Inputs, um Teamprozesse in diesem Bereich zu begleiten! Ein Buch, das die richtigen Fragen stellt, sowie wichtige Anregungen und einen guten Rahmen vorgibt, in der Umsetzung jedoch bei komplexeren Entwicklungsprozessen mit zusätzlichen Methoden ergänzt werden sollte.

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Veröffentlicht am 02.02.2024

Passt Euch an! Oder lieber doch nicht?

Kursbuch 216
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Der Begriff Anpassung ist in aller Munde. Oft und gerade in Bezug auf den Klimawandel. Das Kursbuch 216 weitet und vertieft zugleich den Blick auf diesen nur scheinbar einfachen Begriff und das Konzept ...

Der Begriff Anpassung ist in aller Munde. Oft und gerade in Bezug auf den Klimawandel. Das Kursbuch 216 weitet und vertieft zugleich den Blick auf diesen nur scheinbar einfachen Begriff und das Konzept dahinter. Aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachdisziplinen nähern sich so unterschiedliche Autor:innen wie der Soziologe Armin Nassehi, der Psychiater Hans-Otto Tomashoff, die Paläoklimatologin Madelaine Böhme oder die Erziehungswissenschaftlerin Juliane Engel, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, dem Thema Anpassung. Anpassung wird dabei mal als Selbstanpassung an die individuell wie systemischen Möglichkeitsbedingungen beschrieben, in einem anderen Text wird Anpassung, als notwendiger Mechanismus zur Herausbildung der Identität herausgearbeitet und wie diese Disposition von Demagogen ausgenutzt und missbraucht werden kann. Aber auch der Wandel unterschiedlicher Klimaphasen und der Aspekt KI und Anpassung werden beleuchtet. Bei aller Unterschiede in der Betrachtung wird in der Lektüre sehr deutlich, wir leben in einer komplexen Welt, in der auch die Antwort auf ihre Herausforderungen nicht weniger komplex sein kann. Dem trägt das vorliegende Kursbuch mit seinen ausgewogenen und vielfältigen Beiträgen Rechnung.

Sehr gelungen finde ich auch die Einbindung von Grafiken und Bildern, ebenso wie die Variation der Umsetzungsform, vom Fachaufsatz bis zum Interview. Sprachlich sind einige Beiträge für Nicht- (Fach)-Wissenschaftler stellenweise sicher eine Herausforderung. Letztlich werden jedoch auch diese so gut zusammengeführt, dass die Grundintention des Autors dabei deutlich wird.

Ein empfehlenswertes Büchlein, das zum Nachdenken und Weiterlesen einlädt!

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Veröffentlicht am 25.08.2023

Ein stimmungsvoller Einblick in eine magische Zeit voll von Mode, Kunst und Musik zwischen Swinging London und Paris

Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent
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Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, das britische Königshaus, Mick Jagger, Andy Warhol… die Liste könnte noch weitergehen, denn es gibt kaum einen Namen der High Society zwischen Manhattan, London und ...

Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, das britische Königshaus, Mick Jagger, Andy Warhol… die Liste könnte noch weitergehen, denn es gibt kaum einen Namen der High Society zwischen Manhattan, London und Paris der 60er und 70er Jahre, der in Glanz der Zukunft nicht vorkommt. Im Mittelpunkt Loulou de la Falaise und ihre ganz besondere Beziehung zu Yves Saint Laurent.

Das Buch ist ein Roman und keine Biografie. Dennoch orientierte sich die Autorin an wahren Begebenheiten und Aussagen. Glaubt man dem Roman waren die 60er und 70er ein einziger progressiver Aufbruch zwischen Manhattan, London, Marrakesch, Paris, Rom und LA, in dem jeder jeden kannte, sei es aus Kunst, Mode, Ballett, dem Adel oder der Musik.

Michelle Marly lässt uns eintauchen in die Entstehung von Modekollektionen und ihre Inspiration, in den britischen Adel und seine Normen, in eine Welt aus tausend und eine Nacht in Marokko als Erholungs- und Aussteigeradresse der damaligen Zeit, und nicht zuletzt ins Swinging London immer in Konkurrenz zum lebendigen Paris dieser Epoche. Die Beschreibungen wie Loulou über Flohmärkte streift und ihren Stil findet und verfeinert sind unglaublich lebendig und inspirierend, ebenso wie Yves Saint Laurents Entwürfe und Modenschauen.

Die besondere Beziehung zwischen Loulou und Yves, ebenso wie ihr Entstehen wird sehr feinfühlig und liebevoll nachgezeichnet. Loulou erscheint zunächst als ein zurückhaltendes, junges Mädchen, unsicher was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Im Laufe der Geschichte macht sie eine beeindruckende Entwicklung durch, hin zu einer selbstbewussten, erfolgreichen Frau und Designerin, die ganz sicher viel mehr war als eine Muse.

Ein kurzweiliges, gut geschriebenes Buch mit interessanten Details und Einblicken, nicht nur für Modebegeisterte.

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Veröffentlicht am 13.08.2023

Die Unzulänglichkeit der Erinnerung und die Macht von Veränderung - über eine Frau, die ihren Weg sucht, findet und mit Stärke geht

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Veränderungen können gut oder schlecht sein, manchmal fühlen sie sich jedoch vielleicht auch zunächst nur schlecht an, einfach weil sich überhaupt etwas verändert, was man gerne beibehalten hätte. Erst ...

Veränderungen können gut oder schlecht sein, manchmal fühlen sie sich jedoch vielleicht auch zunächst nur schlecht an, einfach weil sich überhaupt etwas verändert, was man gerne beibehalten hätte. Erst im Rückblick stellen sie sich dann im positivsten Sinne als die richtigen Veränderungen zur rechten Zeit dar.

In diesem Dilemma bewegt sich auch die Ich-Erzählerin in Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe. Wir begleiten eine Frau Mitte 50, Alleinerziehend, 2 Kinder, die gerade ihr Abitur abgelegt haben und ausziehen werden. Ihre Wohnung wird sie ohne die Alimente nicht halten können. Es ist angesichts der letzten knapp 20 zwar herausfordernden doch trotzdem stabilen Jahre, eine große, vielleicht sogar die letzte große Veränderung. Wie wird sie wohnen, abgesichert sein, wie wird ihr Leben als Mutter nun erwachsener Kinder? Alles steht auf dem Prüfstand.

Der Roman wird so zum einen zum Resümee ihres bisherigen Lebens und gleichzeitig ein Ausblick, das Nachdenken über den Umgang mit Ängsten, Sorgen und Hoffnungen für die Zukunft. Im lockeren eingängigen Schreibstil, mit viel Wortwitz (beispielsweise auch das Buch übers Erinnern, hat sie vergessen) und kurzen Kapiteln als anekdotische Episoden setzt Doris Knecht das Bild einer Frau zusammen, die sich oft unzulänglich fühlt, zweifelt, unsicher ist und doch letztlich mit beeindruckender Stärke durchs Leben geht, arbeitet, zwei Kinder allein großzieht, Feministin ist und trotz aller Hindernisse und Herausforderungen des Lebens immer wieder zu sich selbst findet.

Die zu Beginn dominierende Melancholie und Vergleiche zu Menschen, denen es vermeintlich besser geht, ohne Blick auf ihre eigenen Privilegien und Sinn für die vielen Menschen, die in einer wesentlich schlechteren sozialen und wirtschaftlichen Lage sind, waren für mich stellenweise schwer auszuhalten. Aber auch das macht das Buch stark. Der ungeschönte Blick auf und in das Innenleben einer durchschnittlich privilegierten Frau an einem entscheidenden Punkt ihres Lebens, mit allen Sorgen und Ängsten die damit verbunden sind.

Spätestens ab dem zweiten Drittel des Buchs ändert sich jedoch der Blickwinkel der Ich-Erzählerin, wird viel differenzierter und reflektierter, mit fast schon ethnographischem Spürsinn (im Sinne Ernauxs als Ethnografin ihrer selbst) beschreibt sie das Aufwachsen in einem Arbeiterhaushalt im katholisch geprägten ländlichen Österreich der 70er Jahre, die Enge, die Normen, die Erwartungen, die für viele andere Sicherheit und Glück bedeuten, doch sie will etwas anderes, will mehr und zahlt auch einen Preis dafür, der immer währende Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Aber auch (gewollte und ungewollte) Schwangerschaft, Mutterschaft, Frausein in einer Welt und Gesellschaft, die von patriarchalen Erwartungen und Mustern geprägt war und ist, kommen zur Sprache. Hier entwickelt die Erzählung für mich ihre wahre Stärke, in einem noch immer eingängigen, fast schon leichten Ton mit präzisen Sätzen, analysiert die Ich-Erzählerin ihre Herkunft, Prägung, Entwicklung, Erfahrungen und Empfindungen des Frauseins, Mutterseins, Unabhängigseins, Erwachsenseins und Älterwerdens.

Während ich noch am Anfang skeptisch war und keine wirkliche Sympathie für die Ich-Erzählerin entwickeln konnte, hat sich diese langsam, mit jedem weiteren Kapitel, mit jeder weiteren Zeile, Empfindung und zuweilen komisch anekdotischen Erzählung in mein Herz geschrieben. Für mich ein überraschendes Buch im positivsten Sinne mit einer klaren Leseempfehlung.

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