Lisa Jewell – Was nicht vergessen wurde
Aus der Themse werden die Knochen einer jungen Frau geborgen. Der Ermittler Samuel Owusu findet schon bald heraus, dass der Mord an selbiger mehrere Jahrzehnte zurückliegt. Während er die Ermittlungen aufnimmt finden sich immer wieder Spuren die ihn zu einem Fall von vor 30 Jahren zurück führen, wo in einem Anwesen mehrere Erwachsene tot aufgefunden wurden.
Zeitgleich versucht Henry einen alten Bekannten aus seiner Kindheit wiederzufinden. Finn war ein sehr guter Freund, doch die Wahrheit ist viel komplexer. Auf seiner wahnhaften Suche nach Finn übertritt Henry mehrere Grenzen und seine Motivation wird Stück für Stück offengelegt. Doch ist alles so wie es scheint?
Ich habe noch kein Buch der Autorin gelesen und kenne auch den direkten Vorgänger "Was damals geschah" nicht. Wie ich den Rezensionen und dem Klappentext zu Buch 1 entnehme, wird dort Libby in den Fokus rückt, die das Haus erbt. Die Ereignisse in diesem Buch spielen etwas später.
Wirkliche Vorkenntnisse habe ich jetzt nicht benötigt, da der Thriller im Verlaufe des Buches aufgedröselt wird und Rückblicke in die Vergangenheit mir benötigtes Wissen vermittelt hat.
Die Kapitel sind recht kurz und werden aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Bei der Vielzahl der Figuren hatte ich einige Probleme im Hörbuch die Charaktere zuzuordnen.
Am dominantesten empfand ich den Erzählstrang um Henry, der sich auf die Suche nach Finn begibt. Dabei überschreitet er pausenlos Grenzen, wird zum Stalker, wirkt euphorisch, dann wieder wütend, er ist intelligend und manipulativ, und tatsächlich habe ich mich sehr unwohl mit dieser Figur gefühlt. Es hat die Thrill-Atmosphäre sehr angeheizt, keine Frage.
Die Suche nach Finn beschäftigt auch Henrys Schwester und man hört die Angst heraus, falls Henry ihn vorher finden sollte. Alles wirkt irgendwie unstet und überhastet, überängstlich und bedrohlich.
Der eigentliche Fall um die aufgefundenen Knochen wird eher im Nebenstrang aufgeklärt und unterstützt die Haupthandlung um Henry. Hier hätte ich mir aber doch mehr Erkenntnisse erhofft und das der Ermittler der im Klappentext auftaucht eine präsentere Rolle hat.
Insgesamt ist das Figurenensemble vielseitig, aber mir fehlte es – außer bei Henry – in der Tiefe bei den Charakteren.
Es gab niemanden, der mir sonderlich sympathisch war. Muss es auch nicht. Der Thriller funktioniert gut über das Thrill-Feeling, die Bedrohungslage und das hohe Tempo.
Die verschiedenen Schauplätze sind gut ausgearbeitet.
Ich habe das Hörbuch, eingelesen von Sandrine Mittelstädt, gehört. Das ungekürzte Hörbuch hat eine Länge von ca 11 Stunden und 43 Minuten. Die Sprecherin macht einen guten Job, vor allem erweckt sie Henry zum Leben und kann seine Stimmung gut präsentieren. Insgesamt ist es schon ein Hörerlebnis, auch wenn man den Vorgänger nicht kennt. Die bedrohliche, beklemmende Stimmung kann die Synchronsprecherin ebenfalls gut hervorbringen.
Ich bin hin und her gerissen. Normalerweise mag ich es, wenn ich mit einer Figur mitleiden, hoffen oder bangen kann. Mir wurde die Nähe zu einer bestimmten Figur genommen und so konnte ich keine "Zugehörigkeit" aufbauen, was mich der Handlung näher gebracht hätte. Ich fand keine Person wirklich sympathisch und jeder, aber wirklich jeder, hat irgendeine dunkle Seite mit vielen Geheimnissen.
Andererseits sticht der Thriller aus der Masse heraus und hat mich trotzdem gefesselt, weil ich wissen wollte, wie es weiter geht und was als nächstes passiert. Und macht das nicht ein guter Thriller aus, das man das Buch bzw Hörbuch nicht aus der Hand legt und wissen will, wie es weitergeht? Selten fiel mir eine Bewertung so schwer.
Das Cover hat mich angesprochen. Im Hintergrund haben wir das Haus, das in Dunkelheit liegt, die gelbe Schrift ist ein Eyecatcher.
Fazit: temporeicher Thriller mit bedrohlicher Atmosphäre. Leider habe ich keinen Zugang zu den Charakteren gefunden. 3,5 Sterne.