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Veröffentlicht am 10.03.2024

Hat mir nichts gegeben

Leuchtfeuer
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„Es sieht aus, als wäre das Meer mit Abertausenden flimmernden Sternen gefüllt. Vielleicht ist jeder einzelne das, was von jeder Seele bleibt, die je gelebt hat; vielleicht ist Zeit kein Kontinuum, ...

„Es sieht aus, als wäre das Meer mit Abertausenden flimmernden Sternen gefüllt. Vielleicht ist jeder einzelne das, was von jeder Seele bleibt, die je gelebt hat; vielleicht ist Zeit kein Kontinuum, sondern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entfalten sich immer und ewig.“ (S. 282)

Mit jeder Entscheidung verändern sich die Schleifen unseres Lebens - und unserer Zukunft; jeden Tag schreiben wir den Verlauf unsere Geschichte von Neuem, nur das, was hinter uns liegt, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden.

Niemals wird Theo Wilf das Geräusch zerberstenden Metalls vergessen, den Schrei des Mädchens; das letzte Mal, das ihre Stimme in der Welt der Lebenden zu hören ist. Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass das Auto, in dem er mit seiner Schwester Sarah und dem Mädchen saß, gegen einen Baum prallte, und das Leben seiner Familie für immer verändern würde. Während Theo sich schon immer im Schatten seiner Schwester aufhielt und wohlfühlte, war Sarah in allem, was sie machte, ein Goldkind: selbstbewusst, talentiert, die Welt stand ihr offen. Doch unter der Last des Geheimnisses, das sie seit der Nacht des Unfalls im Jahr 1985 trägt, verliert sie ihr Strahlen; niemand ahnt, dass sie stets nur wenige Schritte vom Abgrund entfernt ist. Sie hält die Fassade aufrecht, betäubt ihre Gefühle mit Alkohol, verliert sich in der Wärme flüchtiger Küsse, fremder Hände an ihrem Gesicht. Theo hingegen war fortgegangen, um zu vergessen, füllt die Leere in seiner Brust mit Arbeit, etwa dem Kreieren neuer Gerichte. Sein Restaurant „Twelve Tables“ ist schon längst kein Geheimtipp mehr, jede Nacht sind alle Tische restlos belegt. Aber weder das Knistern britzelnden Öls noch das Zischen der Kaffeemaschine können das Gesehene und Gehörte in der Tonspur seines Lebens überschreiben; er entkommt ihm nicht. Ein unerwarteter Anruf seiner Schwester lässt ihn jäh aus der Zeit fallen, und bringt ihn zurück an den Ort seiner Kindheit. Den Ort, an dem die Geister warten.

„Änderst du ein Element, ändert sich alles. Eine Erschütterung hier verursacht ein Erdbeben dort. Eine Bruchlinie vertieft sich. Ein Schalter wird umgelegt.“ (S. 9)

Als ich noch klein war, liebte ich es, nachts in den Sternenhimmel zu gucken, mich in den leuchtenden Flecken zu verlieren; ungreifbar, ihre Entfernung, und das machte mir Angst. Wir, kleine Staubkörner in der Galaxie, suchend, umeinander kreisend und doch in unseren eigenen, kleinen Universen gefangen. Und so auch die Protagonist:innen in Dani Shapiros Roman „Leuchtfeuer“: Über die Jahrzehnte verstreut berühren ihre Leben einander flüchtig, ihre Bahnen kreuzen sich und aus jeder Begegnung gehen sie als Andere hervor. Empathisch zeichnet Shapiro polyphon die Wege nach, die hinter ihnen liegen, und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben, die Last der Sommernacht und die Bürde der Familie auf dem Herzen tragend. Die Vergegenwärtigung der Flüchtigkeit des Lebens durch jede noch so kleine, alltägliche Entscheidung und die Tragweite und emotionale Schwere von Erinnerung haben mich ein ums andere Mal über mein bisheriges Leben reflektieren lassen, über die Dinge, für die ich dankbar bin, die ich bereue; sie alle sind Teil meines Lebens und Teil meiner Geschichte.
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So mitreißend die Geschichte begonnen hat, hat sie mich ehrlicherweise schon nach kurzer Zeit verloren. Ich konnte keine:n der Protagonist:innen wirklich greifen, sie waren zu kantig, teilweise überladen bis abstrakt, der Ton pathetisch, der Verlauf vorhersehbar. Vielleicht war der Zeitpunkt für diese Geschichte nicht der richtige, aber dennoch habe ich einige wertvolle Gedanken mitnehmen können.

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Veröffentlicht am 05.11.2023

Nicht mein Buch

Die weite Wildnis
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"Sie fiel in einen schweren, traumlosen Schlaf, und als sie mitten in der Nacht aufwachte, waren sämtlich Sterne aufgegangen, und der Mond, nur einen Spalt von einem vollen Rund entfernt, leuchtete hell ...

"Sie fiel in einen schweren, traumlosen Schlaf, und als sie mitten in der Nacht aufwachte, waren sämtlich Sterne aufgegangen, und der Mond, nur einen Spalt von einem vollen Rund entfernt, leuchtete hell von oben herab. Sie lauschte den nächtlichen Geräuschen aus dem Wald und hatte zum ersten Mal keine Angst." (S. 126)

Nordamerika im 17. Jahrhundert. In weißen Wolken treibt ihr Atem in die kalte Nacht, das feuchte Schmatzen des Waldbodens unter ihren schnellen Schritten das einzige Geräusch in der Dunkelheit. Das junge Mädchen ist auf der Flucht, allein, hatte sich allem entsagt, was sie kannte; ihrem Namen, ihrer Sprache, der kleinen Bess - ihr Herz sticht. Sie rennt, rennt immer weiter: weg von ihren Dämonen, in Richtung der Lebenden. Im Kopf hat sie die vagen Umrisse einer Karte, die sie einst sah: zarte Linien, wo Land und Wasser sich berühren, Gebirgszüge und Ländereien. Die neue Welt, das große Unbekannte.

Sie kämpft ums Überleben, jeden Tag aufs Neue, doch ihre Furcht vor der Wildnis ist nicht so groß wie die Wut, die sie auf die Menschen verspürt, auf ihren frevelhaften Umgang mit diesem gottgegebenen Wunder, das die Natur ist. Ihr Blick verändert sich, sie verändert sich – und etwas in ihr beginnt zu wachsen: ein neuer Blick und eine Liebe, die sie am Leben hält.

„Die Welt, das wusste das Mädchen, war noch schlimmer als wild, die Welt war gleichgültig. Es kümmerte sie nicht, was mit ihr geschah, es konnte sie nicht kümmern, nicht im Geringsten. Sie war ein Sandkorn, ein Sprenkel, ein Flugstaub im Spiel des Windes.“ (S. 29)

Hm, was soll ich sagen. Gefunkt hat es wirklich oft, jedes Mal nämlich, wenn das Mädchen versuchte, ein Feuer zu machen – aber auf mich ist der Funke leider nicht gänzlich übergesprungen. Lauren Groff schafft es, „[D]ie weite Wildnis“ mit ihren Worten, mit ihrem unnachahmlichen Blick für Licht und Schatten, für das Sichtbare und Unsichtbare erfahrbar zu machen. Und das mit allen Sinnen. Unendlich zart, ehrfurchtsvoll und poetisch lässt sie das Mädchen Teil dieser unberührten Natur werden, den Zauber der Vollkommenheit auf sie übergehen und sie formen. Während sie gegenwärtig ums Überleben kämpft, schweifen ihre Gedanken immer wieder zurück zu den Menschen, die sie zurückließ, um die rauschende Einsamkeit zu ummanteln: sie denkt an Bess, an die Schifffahrt von England in die neue Welt, die sie alle beinahe das Leben kostete, an die zarten Berührungen des Schiffsjungen, die sie innerlich brennen ließen, an die scharfen Worte ihrer Herrin und ihre Ehegatten. Nach und nach füllt Groff blinde Flecken mit Licht und Farbe, und mit Gewissheiten, die umso schwerer auf dem Herzen liegen. Grausamkeiten und Gewalt werden manifest, dunkle Schatten, die das Mädchen in der traumwandlerischen Schönheit der Natur verfolgen – bis sie die Welt mit einem neuen Blick zu betrachten lernt.
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Etwas fehlte. Zu leise war der Wind, mich vollends mitzureißen, fallenzulassen in das weiche Moos, denn es sind eben die Rückblicke, die mich in Atem hielten, das Leben fernab des Waldes und des Überlebenskampfes des Mädchens, ihrer Heldinnenreise – obwohl gerade dem ja ein naturgegebener Spannungsbogen innewohnt. Keine Frage, sprachlich ist diese Geschichte herausragend, nicht zuletzt wegen der grandiosen Übersetzung von Stefanie Jacobs. Aber der Zeitpunkt passte einfach nicht. Ich komme wieder, mit leichterem Gepäck.

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Veröffentlicht am 13.10.2023

Nette Texte

The Magic Border
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I know some things don't get easier
I know some things hurt forever

Zaghafte Striche auf dem Papier, die zu Buchstaben, zu Wörtern werden, Wahrheiten und Gedanken. Wortketten, die sich um das Herz gelegt ...

I know some things don't get easier
I know some things hurt forever

Zaghafte Striche auf dem Papier, die zu Buchstaben, zu Wörtern werden, Wahrheiten und Gedanken. Wortketten, die sich um das Herz gelegt hatten, sie lösen sich auf, fallen wie Herbstlaub aufs trockene Gras, auf die Seiten. Werden etwas Handfestes, werden sichtbar, diffundieren vom Innen ins Außen. Sie überschreiten die magische Grenze: „The Magic Border“.

Arlo Parks ist eine britische Singer-Songwriterin, die 2021 mit ihrem Debütalbum „Collapsed by Sunbeam“ weltweit bekannt wurde. Im Vorwort ihrer Sammlung von Gedichten und Fragmenten beschreibt sie, wie wichtig das Schreiben für sie ist, weil sie an einem Punkt feststellte, dass es ihr hilft, „[to] feel visible both to others and to myself“, dass alles Schwere leicht wird, einfacher; Schreiben erde sie, es sei der Schlüssel, zum Kern ihrer Persönlichkeit vorzudringen. Und doch gebe es Unterschiede zwischen dem Schreiben von Songs und Gedichten. Gedichte zu schreiben, das gehe tiefer, sei intimer: „Poetry was my place, my little clearing in the forest, where I could quietly put everything I was holding.“ (XIV)

"Walking by myself is the only thing that calms me down. The record is nowhere near finished and it's hurting me. I am what I make and sometimes I wish things were different." (Arlo Parks: Lanterns [Outside Tabaré])

Flüchtige Fragmente wechseln sich ab mit Songtexten, Fotografien, kurzen Gedichten; Licht- und Schattenwurf, inhaltlich wie gestalterisch. Über achtzehn Monate schrieb sie an den Texten, die von unerwiderter Liebe und Hingabe sprechen, von Hilfslosigkeit, Orientierungslosigkeit, von Trauma und Schmerz, psychischer Gesundheit. Um ein noch weiteres Bild zu erschaffen, sind der englische Originaltext und die klangvolle deutsche Übersetzung von Amanda Mukasonga gegenübergestellt, was hier sehr passend ist, bezieht sich Arlo Parks auf einige Namen und Orte, die ansonst nicht unbedingt nachvollziehbar wären. Besonders gerne mochte ich die Songtexte, dieses stille Auseinandersetzen mit Texten, die sonst auf einer anderen Sinnesebene ihren Weg in die Gedanken, ins Herz finden. Weißes Rauschen, ein Öffnen der Worthülsen; ein drängendes Streben dem Licht entgegen, raus aus der dunklen Einsamkeit. Dieser Moment, wenn man nicht mehr die Melodie wahrnimmt, nur noch den Text, die Essenz.

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Veröffentlicht am 13.08.2023

Nicht mein Buch

Vom Ende der Nacht
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"Uns wird beigebracht, dass wir uns um all das einen riesen Kopf machen müssen. Als würde jede Entscheidung, die wir treffen, einen ganz bestimmten Weg vorgeben." (S. 35)

Dunkel liegt die Nacht über ihnen, ...

"Uns wird beigebracht, dass wir uns um all das einen riesen Kopf machen müssen. Als würde jede Entscheidung, die wir treffen, einen ganz bestimmten Weg vorgeben." (S. 35)

Dunkel liegt die Nacht über ihnen, ihre Gesichter nur erhellt vom sanften Schein des Lagerfeuers. Bis zu diesem Abend war Rosie ihm nicht aufgefallen. Er wusste nur wenig über sie, dieses Mädchen mit den blassen, schmalen Händen, doch als Will sie leise lachen hört, fängt etwas in ihm Feuer. Sie kommen ins Gespräch, zuerst nur Smalltalk, Belangloses, aber ihre Nähe gibt ihm Sicherheit; ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr in der Nähe eines anderen Menschen gespürt hatte – und ihre Stimme hält ihn wach in dieser Nacht.

"Sie existieren im Tandem und verlangen sonst nichts voneinander." (S. 213)

Sie kann nicht aufhören an ihn zu denken. In der Schule wirkt er unnahbar, als sei er zu cool, sich mit anderen Menschen abzugeben, ein Aufreißer. Aber Rosie hat eine andere Seite von ihm kennengelernt, hinter die Fassade geblickt. Für einen Abend. Aus einem Abend wird eine Nacht. Schlaflos sitzen sie in der Küche im Haus von Rosies Eltern, Will hatte ihrem Zwillingsbruder Josh Nachhilfe gegeben, und essen Cornflakes, draußen wirbelt der Schnee. Zaghaft lernen sie einander kennen, tasten sich mit Worten ab, mit Blicken. Aus einer Nacht werden Tage und Wochen, wird: Liebe. Es könnte für immer sein, das spüren sie beide, aber dann passiert ein schlimmes Unglück und nichts ist mehr, wie es vorher war. Sie verlieren einander, doch die Gedanken aneinander niemals. Und Liebe überdauert alles, oder?

"Wie kann Liebe falsch sein? Wie kann irgendeine Form der Liebe schlecht sein?" (S. 156)

Auf den ersten Blick klingt das alles sehr nach Klischee: der hotte, unglaublich coole Typ, der von allen Mädchen angehimmelt wird, und das schüchterne, liebe Mädchen verlieben sich ineinander, aber dann passiert ein Unglück, und dennoch leben sie glücklich bis ans En... Nein, nein. Was Claire Daverley in ihrem Debütroman „Vom Ende der Nacht“, aus dem Englischen von Margarita Ruppel, entspinnt, ist viel mehr als das. Und doch konnte mich das Buch leider nicht abholen.

Es sind vor allem die Momente, in denen Rosie und Will gemeinsam im Bild sind, die mich... genervt ist nicht das richtige Wort dafür, aber kommt dem, was ich gefühlt habe, schon ziemlich nah. Zuckersüß bis cringe, blumige Beschreibungen einer zart entflammenden Liebe; klar, so sah meine Welt vermutlich auch aus, als es mich packte, aber hier war es für meinen Geschmack einfach zu viel. Diesem Gefühl konnte Einhalt geboten werden durch die tieferen Ebenen, die sich auftun – wobei auch das irgendwie gewollt anmutete, weil es musste einen Turning Point geben. Ab da hatte die Geschichte mich wieder, denn es sollte der erste Break der beiden sein: Rosie geht, lässt Will, lässt ihr altes Leben hinter sich, um eine Andere zu werden, während Will seinen Schmerz in Alkohol und Arbeit ertränkt.

Liebevoll zeichnet Daverley die unterschiedlichen Arten des Trauerns, der alten Narben, die sie tragen, und der neuen, die sie verbinden, erzählt von Wills Vergangenheit und seiner Familie, von Rosies neuem Leben an der Universität und dem Gefühl, für immer einen Teil seiner Selbst verloren zu haben; von Abhängigkeit und Schmerz, von Einsamkeit, Sehnsucht und Naivität. Und: von den Launen des Schicksals, das sie voneinander weg und zueinander hin wirbelt. Leider konnten mich weder die Protagonist:innen noch der Plot zu irgendeinem Zeitpunkt abholen, überflog ich ab der zweiten Hälfte die Seiten, in der Hoffnung, noch einmal einen Einstieg zu finden, aber auch am Ende der Nacht fanden wir uns nicht. Schade!

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Veröffentlicht am 25.07.2023

Leider nicht mein Buch

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Die Erinnerungen an ein Leben verändern sich im Laufe der Zeit, werden blasser, nehmen andere Gestalten an und manifestieren sich als diese Schatten im Gedächtnis, schreiben die Geschichte eines Lebens ...

Die Erinnerungen an ein Leben verändern sich im Laufe der Zeit, werden blasser, nehmen andere Gestalten an und manifestieren sich als diese Schatten im Gedächtnis, schreiben die Geschichte eines Lebens um. Doch letztlich ändert auch die Frage nach der Wahrhaftigkeit nichts mehr an dem Ist-Zustand, befindet die Protagonistin aus Doris Knechts neuem Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“, hat sie schließlich ganz andere Probleme: Sie muss eine neue Wohnung finden. Und sie muss sich daran gewöhnen, alleine zu wohnen. Mit Hund. In lakonischen, anekdotenhaften Kapiteln erzählt Knecht aus der Perspektive ihrer Protagonistin von ihren gegenwärtigen Aufgaben, von den Dingen, die sie ein Leben lang begleiteten und solchen, die sie verloren hat, von Zeiten in ihrem Leben, die sie veränderten und prägten, etwa einem gewalttätigen Exfreund, einer Abtreibung, der Geburt ihrer Zwillinge. Dem ersten Moment in ihrem Leben, in dem sie sich gesehen und umsorgt fühlte. Und flugs fallen gelassen wurde, als sie ihre Aufgabe als Gebärmaschine erledigt hatte, nur noch Hülle war (vgl. S. 141). Es sind immer wieder diese Momente, Schlagwörter eines Lebens, die sie zu umfassenderen Betrachtungen des Lebens und der Gesellschaft, ihrem Wandel mit den Jahren veranlasst, etwa dem gesellschaftlichen Blick auf die Rolle der Frau oder das Familienleben, die Immobilienpreise und das Leben als paradoxes Konstrukt. Dabei hinterfragt sie aber auch immer wieder ihr eigenes Verhalten und das Bild, das sie anhand ihrer Erinnerungen und Wahrnehmung weiterträgt.
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„Möglicherweise tut man den Kindern etwas Gutes, wenn man ihnen eine Rückkehr ins Kindersein, in den Mutterschoß so schwer wie möglich macht, vielleicht werden sie nur so erwachsen.“ (S. 23)
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Das klingt alles ja eigentlich ziemlich fein. Naja, ihr merkt schon, was ich damit sagen möchte. Wirklich übergesprungen ist der Funke nicht, ein bisschen warm wurde mir schon, aber das war es auch. Ich mochte den bilderbuchartigen Aufbau und die Interaktion zwischen der Protagonistin und ihren Kindern, den leicht ironischen Ton sehr, fand mich auch das ein oder andere Mal in Mila und Max wieder (und entschuldigte mich gedanklich bestimmt mehr als einmal bei meinen Eltern für alles, was sie mit mir ertragen mussten). Und: die Reflexion eines Lebens, die melancholischen Gedanken, die bestimmte Gegenstände, sei es der Tisch Modell Ingo oder die Sonnenbrille aus dem Urlaub, auslösen, die Geschichten und Erinnerungen, die daran hängen. Könnte mich den ganzen Tag lang nur in solchen Gedanken verlaufen, das macht ein ganz wohliges Kribbeln unter der Haut. Aber: die Protagonistin hat mich unendlich genervt. Ich verstehe ja, dass sie vor großen Veränderungen steht, dass das aufregend ist und auch und vor allem finanzielle Schwierigkeiten mit sich bringt, aber es ändert auch nichts daran, wenn sie sich alle paar Seiten immer wieder darüber beklagt – zumal sie aber auch drei Immobilien besitzt, hä. Darüber hinaus hat für mich der Spannungsbogen gefehlt, plätschert die Geschichte so mehr oder weniger monoton vor sich hin, bis – das sollte kein Spoiler sein – die Kinder aus dem Haus, der Hund im Körbchen, die alte Wohnung verlassen ist. Einige Gedanken habe ich wirklich gerne weitergesponnen, auf mein Leben übertragen und in Frage gestellt, doch viel mehr konnte mir das Buch leider nicht geben. Schade!

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