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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.07.2018

4,5 Sterne: Wundervolles, einzigartiges, berührendes Jugendbuch

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
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Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Suzy kann es nicht glauben: Ihre ehemals beste Freundin soll ertrunken sein? Obwohl sie eine der besten Schwimmerinnen war, die sie kannte? Nein, so etwas kann doch ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Suzy kann es nicht glauben: Ihre ehemals beste Freundin soll ertrunken sein? Obwohl sie eine der besten Schwimmerinnen war, die sie kannte? Nein, so etwas kann doch nicht einfach so passieren! Wo ist der Sinn dahinter, das Muster? Suzy setzt es sich zum Ziel, herauszufinden, woran Franny wirklich gestorben ist. Und sie hat auch schon eine Vermutung: Die Irukandij, die gefährlichste Qualle der Welt, muss es gewesen sein…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Hanser
Seitenzahl: 240
Altersempfehlung: 12-15 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens und Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Suzy)
Kapitellänge: kurz bis sehr kurz (teilweise nur eine Seite)
Tiere im Buch: +/- Es wird ein Frosch gequält und getötet, jedoch wird dies von der Hauptfigur aufs Schärfste verurteilt. Auch tierquälerische Tierversuche werden erwähnt und kritisiert. Außerdem werden immer noch in Schulklassen Tiere seziert. Dieses ganz und gar sinnlose Töten muss endlich aufhören! In einem Film, den ich einmal gesehen habe, war die Freundin schockiert, als sie sah, wie ihr Freund, ein Wissenschaftler, forschte. Sie nannte sein Tun „Tierquälerei“, er korrigierte sie unangenehm berührt mit dem Satz: „Ich forsche!“ Was er nicht verstanden hat, Suzy aber schon, ist, dass beides dasselbe ist. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, wenn die Mittel dazu führen, dass ein Lebewesen leiden muss. An dieser Stelle wieder mein Verweis – für alle Menschen, denen Tierversuche ein Dorn im Auge sind – zum Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, der teilweise schon recht erfolgreich gegen Tierversuche (die aus verschiedenen Gründen sinnlos sind) und für tierversuchsfreie Forschungsalternativen kämpft.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch klang gleich von Anfang an so vielversprechend: Es hat ein traumhaftes Cover, lockt mit einer emotionalen Geschichte und Lobreden auf der Rückseite und wird von Reese Witherspoon Produktionsfirma verfilmt werden (das verspricht auf jeden Fall starke, weibliche Figuren). Für mich führte an diesem Buch daher kein Weg vorbei!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Bevor das Buch überhaupt beginnt, verzaubert die Autorin schon mit ihrer ermutigenden Widmung. „Für alle Neugierigen überall“, schreibt sie. Dann geht es auch direkt los, und zwar mit einem beinahe magischen Besuch in einem Unterwassermuseum, der die ganze Geschichte in Gang setzt. Bereits der Prolog ist derart rührend und intensiv geschrieben, dass man beim Lesen zugleich begeistert und traurig ist. Ich befand mich sofort mitten in der Geschichte und fand Suzys Erzählstimme sehr sympathisch und mitreißend.

„Und die ganze Zeit über schlägt dein Herz. Es tut, was es tun muss, es vollbringt einen Schlag nach dem anderen, bis sein Auftrag erledigt ist und es innehält. Das mag bereits in ein paar Minuten der Fall sein, und du weißt es noch nicht einmal.
Denn manche Herzen schlagen nur ungefähr 412 Millionen Mal.
Das hört sich viel an. Aber tatsächlich reicht es nur gerade so aus, um zwölf Jahre alt zu werden." Seite 8

Schreibstil (♥)

Der Schreibstil ist ein Traum. Er ist angemessen komplex, flüssig und sehr angenehm (auch für Jugendliche) zu lesen, gleichzeitig aber unglaublich intensiv, eindringlich und emotional. Mich hat er von der ersten Seite an gleich erreicht und berührt. Es gibt viele wunderschöne Zitate, die ich mir markiert habe. Die Sprache enthält teilweise gezielte Wiederholungen und ebenso interessante, treffende Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen. Richtig begeistert hat mich jedoch, wie viele interessante, erstaunliche Informationen über Quallen und generelle die Naturwissenschaften die Autorin eingebaut hat. Jugendliche (und auch Erwachsene) können hier so viel dazulernen, die Faszination für die Natur um uns herum wird ganz nebenbei geweckt! Googeln lohnt sich hier übrigens oft: Schaut euch zum Beispiel mal Bildern von der Atolla Qualle an – ihr werdet es nicht bereuen!

„Lange Sonnenstrahlen drangen durchs Fenster herein wie Geister, die durch Wände gehen. Sie legten sich auf den Teppich und hielten still.“ Seite 17

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Abwechselnd folgen wir Suzy in der Gegenwart, in der sie verzweifelt versucht, mit dem Tod ihrer ehemals besten Freundin zurechtzukommen, und in der Vergangenheit. Die Rückblenden (in denen der Schreibstil kindlicher wird) lassen die LeserInnen einen nostalgischen Blick auf die Kindheit der Hauptfigur werfen und begreifen, wie nahe sich Suzy und Franny lange Zeit waren. Obwohl ich eigentlich kein Fan von Rückblenden bin (da sie schnell ausufern), fand ich die Struktur sehr organisch, fließend und angenehm.

Die Autorin hat ihre tolle Idee wunderbar umgesetzt: Sie verbindet das schwierige Leben der Hauptfigur geschickt mit wissenschaftlichen Informationen und dem im Naturwissenschaftsunterricht geforderten Laborbericht. Hier erkannte ich eine Parallele zu einem meiner absoluten Lieblingsjugendbücher, „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ von Elizabeth LaBan. Oft steckt ganz viel zwischen den Zeilen und Suzys Nachforschungen lassen Rückschlüsse auf ihre Psyche ziehen. Es ist ein Buch der leisen Töne und großen Emotionen (manchmal musste ich echt schlucken), angenehm zurückhaltend, und es wird trotz eher wenig Handlung niemals langweilig. Die Autorin hat die im Buch prominenten Themen wie Trauer(verarbeitung), Schule, Mobbing, Anderssein, Erwachsenwerden, Freundschaft, Veränderungen und Einsamkeit tiefgehend und gelungen behandelt, jedoch fand ich, dass die ersten 60 Seiten die stärksten waren. Besonders in der zweiten Hälfte hatte ich das Gefühl, dass mir manche Dinge zu schnell zu einem Ende geführt und zu wenig ausgebaut wurden. Hier hätten meiner Meinung nach dem Buch noch einige Seiten mehr gutgetan, um alle Aspekte so auszugestalten, wie sie es verdient hätten. Zum Ende: Ich fand es sehr plausibel und hoffnungsvoll, aber das Kind in mir war ziemlich enttäuscht.

Wer allerdings auf beruhigende Antworten, erleuchtende Wahrheiten oder Tipps hofft, wie man mit dem Leben und Sterben generell umgehen kann, der wird leider enttäuscht werden. Weswegen ich mir durchaus vorstellen könnte, dass das Buch so manchen Teenager auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in eine kleine Krise stürzen könnte (auch wenn das Buch durchaus nicht deprimierend ist).

Protagonistin (♥)

Suzy ist eine starke, komplexe aber stille Protagonistin. Sie hat ein sehr gutes Herz, macht interessante Beobachtungen, aber auch schwerwiegende Fehler und ist sehr intelligent. „Leider“ (finden zumindest ihre Kolleginnen) macht sich Suzy nichts aus Mode, Make-up und oberflächlichem Small-Talk, daher wird sie von ihren MitschülerInnen ausgeschlossen und auch immer wieder gemobbt. Sie beginnt, sich in den Tod von Franny und das Finden ihrer Todesursache hineinzusteigern und versucht verzweifelt einen Sinn und ein Muster zu erkennen in den schrecklichen Dingen, die immer wieder auf der Welt geschehen. Diese Suche nach der Wahrheit wurde sehr intensiv und emotional beschrieben, so dass manche bestimmt Taschentücher benötigen werden, wenn das Mitleid mit Suzy zu groß wird. Mich hat die Protagonistin so stark an June von „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt erinnert, dass die beiden beim Lesen für mich fast zu einer Person verschmolzen sind. Also hier mein Tipp: Lest UNBEDINGT beide Bücher, aber lieber nicht parallel oder direkt hintereinander!

„Das heißt, es hat eine Zeit gegeben, in der du schon nicht mehr bei uns warst und niemand auf der Welt wusste davon. Nur du ganz allein. Du bist im Wasser verschwunden, und keiner hat es bemerkt.
Was für ein unglaublich einsamer Moment muss das gewesen sein.“ Seite 20

Figuren (+)

Die Nebenfiguren spielen eigentlich nur eine kleine Rolle (hauptsächlich geht es um Suzys Gefühls- und Gedankenwelt und Beobachtungen), dennoch hat sich die Autorin auch hier Mühe gegeben, sie gut auszuarbeiten. Die meisten sind auch sehr gelungen, aber manches Mal hätte ich hier und da noch ein bisschen mehr über einzelne Figuren erfahren.

Spannung & Atmosphäre (♥)

Obwohl das Buch nicht wirklich viel Handlung hat, wird es niemals langweilig. Ich wollte immer wissen, wie es mit Suzy und ihrem Plan weitergeht und konnte voll und ganz ins Buch abtauchen. Es gibt in der Geschichte sowohl ernste und traurige als auch glückliche und fröhliche Momente, und es fällt leicht, mit Suzy mitzufühlen. Die kurzen Kapitel sorgen dafür, dass man schnell durch die Geschichte fliegt und verschaffen einem gleichzeitig Pausen zum Durchschnaufen nach emotionalen Abschnitten.

Geschlechterrollen (♥)

Auch hier gibt es nichts auszusetzen: Mit Suzy hat die Autorin eine starke, liebenswürdige Protagonistin mit einem großen Herzen geschaffen, die Rollenstereotypen bricht, und nichts auf gesellschaftliche Erwartungen gibt. Die Eltern von Suzy sind geschieden, ihre Mutter arbeitet, viele Nebenfiguren sind weiblich und haben wichtige Berufe (Psychologin, Wissenschafterin, Lehrerin). Besonders gefallen hat mir auch der normale, offene Umgang mit Suzys Bruder, der schwul ist. Hier wird den Jugendlichen gezeigt, wie es sein soll. Hoffentlich führt das zu mehr Toleranz.

Mein Fazit

„Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist ein Jugendbuch der leisen Töne und großen Emotionen, das trotz wenig Handlung niemals langweilig wird. Vielmehr taucht man vollkommen ab in Suzys Innenwelt und ihre Versuche, mit dem Verlust ihrer ehemals besten Freundin umzugehen. Der Schreibstil ist angenehm komplex, flüssig und leicht verständlich, dabei aber auch sehr eindringlich und berührend. Ein richtiges Highlight sind die vielen interessanten Informationen über Quallen und die Natur, die Autorin geschickt einwebt. Suzys Faszination springt hierbei sehr schnell auf die LeserInnen über. Die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet und die behandelten Themen wie Erwachsenwerden, Trauer, Verlust, Anderssein und Einsamkeit werden angemessen behandelt. Dennoch hätte ich mir vor allem in der letzten Hälfte des Buches gewünscht, dass die Autorin noch etwas mehr in die Tiefe geht und sich mehr Zeit lässt, um die Geschichte zu einem Ende zu führen. Aber auch so hat sich Ali Benjamin mit ihrer Geschichte um Dinge, die einfach passieren, in mein Herz geschrieben und sich zu einer meiner neuen LieblingsjugendbuchautorInnen gemausert.

Die Verfilmung ist für mich ein Muss! Ich freue mich schon sehr darauf!

Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung (besonders für Jugendliche)!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 4,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne (was für ein erstes Kapitel!) ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 4 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: + (Vorbildwirkung für Mädchen!)

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien und trotzdem ein ♥ dazu und somit den Lieblingsbuchstatus!

Dieses Buch bekommt von mir 4,5 begeisterte Lilien!

Veröffentlicht am 22.07.2018

4,5 Sterne: Erfrischende, spannende Dystopie mit starker Protagonistin

Cat & Cole 1: Die letzte Generation
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Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Die Zukunft: Menschen, Tiere und Pflanzen lassen sich mit Apps spielend leicht genetisch modifizieren. Mit einem Panel im Arm, dessen Ausläufer den ganzen Körper durchziehen, ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Die Zukunft: Menschen, Tiere und Pflanzen lassen sich mit Apps spielend leicht genetisch modifizieren. Mit einem Panel im Arm, dessen Ausläufer den ganzen Körper durchziehen, kann man sich Vampirzähne wachsen lassen, die Haarfarbe ändern, übermenschlich gut sehen und unmenschlich schnell heilen. Die großartigen technischen Errungenschaften werden jedoch von einer gefährlichen Seuche getrübt, die einen Großteil der Menschheit ausgelöscht hat. Die infizierten Körper bersten nach ein paar Tagen und setzen eine hochinfektiöse Staubwolke frei. Die Welt hofft atemlos auf einen Impfstoff – bis dahin gibt es nur einen Weg immun zu werden: indem man das Fleisch eines Infizierten zu sich nimmt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters, liegt es in den Händen von Cat, einer talentierten Hackerin, den Impfstoff zu entschlüsseln und die Menschheit zu retten…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Verlag: Thienemann-Esslinger
Seitenzahl: 480
Altersempfehlung: 14-17 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, hauptsächlich Präsens (& Präteritum)
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Cat)
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: - Es werden Versuche an Ratten, Affen und vielen weiteren Tierarten besprochen und für akzeptabel und notwendig gehalten, Vögel werden getötet, um mehr über sie herauszufinden. Einmal geht jemand auf die Jagd, um „Druck abzulassen“, er tötet also aus Spaß, was absolut nicht in Ordnung ist! An dieser Stelle wieder mein Verweis – für alle Menschen, denen Tierversuche ein Dorn im Auge sind – zum Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, die teilweise schon recht erfolgreich gegen Tierversuche (die aus verschiedenen Gründen sinnlos sind) und für tierversuchsfreie Forschungsalternativen kämpfen.

Warum dieses Buch?

Der Titel klang ehrlich gesagt nach einer 0815-Dystopie (er wird dem Buch gar nicht gerecht), aber der Klappentext konnte mich schlussendlich überzeugen. Diese Geschichte klang sehr frisch und spannend, da konnte ich natürlich nicht widerstehen.

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Es dauerte ein paar Seiten, bis ich vollkommen in der Geschichte angekommen war. Aber spätestens nach dem zweiten Kapitel fieberte ich sehr mit Cat mit.

„Ein Atemzug ist alles, was nötig ist: ein Moment, in dem sich die Lunge mit den unsichtbar schwebenden Viruspartikeln füllt, die sich danach in jeder Zelle meines Körpers ausbreiten werden. Man bekommt Fieber; das Virus vervielfältigt sich; und zwei Wochen später explodiert man wie eine Granate, um jeden in einem Umkreis von einer Meile zu infizieren.“ E-Book, Position 103

Schreibstil (+/-)

Emily Suvada hat einen sehr angenehmen Schreibstil: Er ist flüssig, angenehm lesbar und für ein Jugendbuch im genau richtigen Maße komplex (viele Satzgefüge). Zudem gelingt es der Autorin spielend leicht, Emotionen und Spannung zu erzeugen, so dass man schon recht früh emotional sehr involviert ist. Beeindruckt hat mich auch, auf wie viele verschiedene Arten und wie intensiv die Autorin Schmerz und Angst beschreiben kann.

Obwohl sich der Schreibstil also eigentlich perfekt für die junge Zielgruppe eignet, hatte ich mit einem Aspekt große Probleme: Man merkt, dass sich Emily Suvada, die selbst Mathematik studiert hat, sehr gut mit den Themen Coding, Gentech und genetische Programmierung auskennt und auf viel Hintergrundwissen zugreifen kann. Teilweise sind ihre Erklärungen (die einen großen Teil des Buches ausmachen, aber niemals langweilig waren) jedoch für Anfänger viel zu ungenau. Ich kann es leider überhaupt nicht ausstehen, wenn ich etwas nur halb und nicht im Detail verstehe, weshalb mich die schwammigen Beschreibungen das ganze Buch über wahnsinnig gemacht haben. Und: Wissen Sie zufällig, was Wörter wie „geodätisch“ heißen? Das wurde nämlich beispielsweise nicht näher erklärt. Ich kann mir vorstellen, dass Jugendliche (wenn sie sich nicht gerade in diesem Bereich selbst viel Wissen angeeignet haben) hiermit noch viel größere Probleme haben werden. Hier hätte sich die Autorin besser in die Zielgruppe und generell in LeserInnen, die sich mit dem Thema nicht auskennen, einfühlen müssen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Emily Suvada hat in ihrer Dystopie eine faszinierende, aber auch erschreckende Zukunft erschaffen. Die Autorin hat hier ohne Zweifel eine gruselige, brutale Welt kreiert, die mich vor allem auf den ersten Seiten positiv an das tolle Videospiel „The Last of Us“ erinnert hat. Die Brutalität und Gewalt im Buch könnten für sensible Jugendliche zu viel sein, hier sollte individuell entschieden werden, ob die Geschichte geeignet ist. Jedoch ist sehr positiv anzumerken, dass die Konsequenzen von Gewalt und dem ständigen Überlebenskampf in diesem Buch (im Gegensatz beispielsweise zu „Children of Blood and Bone“ von Tomi Adeyemi) schmerzhaft deutlich aufgezeigt werden. Moralisch richtiges Handeln wird immer wieder thematisiert und steht im Fokus der Geschichte. Dieser Aspekt ist wirklich sehr gut gelungen!

Das Buch beschäftigt sich mit unzähligen verschiedenen, vor allem ernsten Themen: Es geht um Selbstfindung in einer zerstörten Welt, darum, was Familie ausmacht, um zwiespältige Gefühle, um Altruismus, Vertrauen, Überleben, das Bringen von Opfern, moralisch schwierige Entscheidungen, Schuld und noch viel mehr. Eines kann man nach dem Lesen dieses Jugendbuches mit Sicherheit nicht behaupten: dass es sich die Autorin leicht gemacht hätte oder auf Klischees zurückgegriffen hätte. Im Gegenteil – „Cat & Cole: Die letzte Generation“ ist ein Buch, das vielschichtig ist, Tiefe besitzt, und Jugendlichen einiges zutraut. Das ist schön.

Das Ende wartet noch einmal mit einer gänzlich unerwarteten Wendung auf, und obwohl ich irgendwie finde, dass dieses Buch besser als Einteiler konzipiert worden wäre, bin ich dennoch sehr neugierig und freue mich auf den Folgeband.

Protagonistin (♥)

Die starke, komplexe Protagonistin fand ich von Anfang an großartig – sie ist selbstbewusst, intelligent und wild, lässt sich nicht einschüchtern und nichts gefallen. Gleichzeitig ist sie jedoch eine mitfühlende Person mit einem Gewissen, die sich immer wieder die Frage stellt, was die richtige Entscheidung ist. Stellenweise hat mich die mutige Cat, die auch gerne mal stur ist und in ihrem Eifer übers Ziel hinausschießt, an Katniss aus den „Tributen von Panem“ erinnert (großes Lob!). Man merkt, dass die Autorin viele Liebe und Zeit in die Figurenentwicklung gesteckt hat – und das lohnt sich. Die technisch versierte Heldin hat ohne Zweifel Vorbildwirkung für Mädchen, weswegen ich dieses Buch Jugendlichen ohne ein Zögern empfehlen würde. Müsste ich Cat in fünf Worten beschreiben, würde ich sagen: „badass“, mit einem großen Herzen. Und das sind mir die liebsten Protagonistinnen.

„‘Wenn ich dich anweise, in Deckung zu bleiben, musst du mir gehorchen.‘
‚Ich nehme keine Befehle von dir entgegen‘, sage ich, als ich das Gaspedal bis auf den Boden durchdrücke.“ E-Book, Position 1955

Figuren (♥)

Die Figuren sind bis in die Nebenfiguren sehr liebevoll gezeichnet, viele davon sind wirklich sympathisch und wachsen einem schneller ans Herz, als man schauen kann. Vor allem Cole hat etwas in mir berührt, ich fand ihn mit all seinen Macken, Stärken, seiner schlimmen Vergangenheit und seinem Humor einfach wundervoll.

Spannung & Atmosphäre (+)

Auch hier hat die Autorin alles richtig gemacht: Sie hat sich einen interessanten Plot überlegt, der wirklich voller absolut (und ich meine absolut!) unvorhersehbarer Twists und Wendungen steckt, die mich vollkommen überrascht haben und oft sogar richtig baff zurückließen. Geschickt platzierte Cliffhanger ziehen zusätzlich das Tempo an und helfen, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu halten. Trotz dieser Spannung bin ich nicht immer so leicht und schnell im Buch vorangekommen, wie ich mir das gewünscht hätte. Woran das genau lag, kann ich nicht sagen, denn man hätte eigentlich kaum kürzen können, weil ziemlich viel im Buch passiert.

Die Atmosphäre ist immer wieder sehr dicht und schlägt in Sekunden von hoffnungsvoll, romantisch oder glücklich zu actionreich, traurig oder ernst um. Auch dieses Kunstwerk gelingt hervorragend.

Humor (♥)

Es gibt nicht viele lustige Stellen, aber der Humor, der immer wieder (manchmal auch unerwartet) durchblitzt, hat mir sehr gefallen.

Love is in the Air (♥)

Ja, dieses Mal tatsächlich. Zwischen Cole und Cat entwickelt sich eine der authentischsten Liebesgeschichten, von denen ich seit Langem in einem Jugendbuch gelesen habe. Auch wenn mir das Wort Liebe am Ende zu hastig in den Mund genommen wurde, so war ich dennoch sehr angetan – das Knistern, die Chemie und die langsam wachsende Zuneigung zwischen Cat und Cole drang durch die Seiten direkt bis in mein Leserherz. Ich würde mir wünschen, dass sich manche Autorin an Emily Suvada diesbezüglich zum Vorbild nehmen.

Geschlechterrollen (♥)

Man merkt, dass die Autorin eine moderne, feministische Frau ist, denn ihre Hauptfigur ist alles andere als stereotyp: Sie bricht Klischees, indem sie wild, mutig, stark, technisch hochbegabt und ziemlich „badass“ ist. Immer wieder gibt sie den Ton an, durchschaut Dinge schnell und gibt den Männern in ihrem Leben ordentlich Kontra. Doch auch Männer werden nicht in Schubladen gepresst: Sie dürfen stark sein, aber auch weinen, verletzlich, sanft und verliebt sein, können teilweise sehr gut kochen und machen den Abwasch. Emily Suvada ist definitiv eine Bereicherung für das Jugendbuchgenre, weil sie sehr sensibel mit dem Thema umgeht und so mithilft, unsere Zukunft zu einer besseren zu machen, in der sich jedes Geschlecht so entfalten darf, wie es will. Dafür ein Herz!

Mein Fazit

„Cat & Cole: Die letzte Generation“ ist ein innovatives, erfrischendes Jugendbuch, das mit faszinierendem Worldbuilding, einem angenehmen Schreibstil und liebevoll ausgearbeiteten Figuren überzeugt. Die Atmosphäre im Buch ist dicht, die Protagonistin (die mich vage an Katniss erinnerte) ist mutig, stark und hochintelligent (und hat so Vorbildwirkung für Mädchen/junge Frauen). Zahlreiche geschickt platzierte Cliffhanger und vollkommen unerwartete Wendungen kreieren atemlose Spannung. Emily Suvada beschäftigt sich in ihrem Debüt mit ernsten Themen und scheut sich nicht davor, in die Tiefe zu gehen. Geschlechterklischees werden zudem gezielt gebrochen, und die emotionale Geschichte wartet mit einer Lovestory auf, bei der es beim Lesen kribbelt und warm ums Herz wird. Lediglich mehr, anschaulichere, verständlichere und detailliertere Erklärungen zu den Innovationen hätte die Autorin ihrer Leserschaft bieten müssen, dann wäre dieses Buch perfekt gewesen. Aber auch so ist eine wirklich gelungene Jugend-Dystopie daraus geworden!

Den zweiten Band werde ich sehr wahrscheinlich auch lesen.

Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung für Dystopie-Fans!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne
Ausführung: 4,5 Sterne
Einstieg: 4,5 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne
Ende: 5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: ♥ (Vorbildwirkung für Mädchen!)

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 4,5 sehr gute Lilien!

Veröffentlicht am 13.07.2024

Für Neulinge und als Ergänzung für Fans empfehlenswert

Stolz und Vorurteil
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

„Stolz und Vorurteil“ ist eine zeitlose, wunderschöne Liebesgeschichte – und eine der ältesten und besten „enemies to lovers“-Geschichten überhaupt. Es geht um die ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

„Stolz und Vorurteil“ ist eine zeitlose, wunderschöne Liebesgeschichte – und eine der ältesten und besten „enemies to lovers“-Geschichten überhaupt. Es geht um die Gesellschaft der damaligen Zeit, um Emanzipation von der Familie, um Liebe und darum, wie sehr der Eindruck täuschen kann…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: keine Einteilung in Kapitel, sondern in Jahreszeiten

Inhaltswarnung: ---
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- historische Romane
- enemies to lovers (Trope)
- Slow-Burn-Liebesgeschichten
- Fokus auf Familie, Vorurteile und Gesellschaft

Lieblingszitate

„Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle mit einem schönen Vermögen nichts dringender braucht als eine Frau.“ Seite 6

Meine Rezension

Als ich als Teenie zufällig die Verfilmung von „Stolz und Vorurteil“ (2005) im Fernsehen gesehen hatte, war es um mich geschehen! Meiner Meinung nach hat Jane Austen mit ihrem Roman eine der schönsten und zeitlosesten Liebesgeschichten überhaupt geschrieben. Vielleicht hat damit auch meine Liebe zur Trope „enemies to lovers“ erst so richtig begonnen... Den Film habe ich mittlerweile unzählige Male gesehen (Matthew Macfadyen ist ganz EINDEUTIG der beste Darcy aller Zeiten, don’t @ me, Colin-Firth-Army!), das Buch natürlich auch gelesen (und gemocht, wenn auch nicht ganz so sehr wie den Film, ich weiß – Blasphemie!) und sogar Prüfungen über den Roman abgelegt und an der Uni Seminararbeiten darüber geschrieben. Nun dürft ihr dreimal raten, wie lange ich überlegen musste, ob ich die neu erschienene Graphic Novel zum Buch lesen würde… richtig – 0 Sekunden! ;)

Doch ist diese Interpretation der Geschichte wirklich ein absolutes Must-read, an dem kein Weg vorbeiführt? Zuerst einmal die ernüchternde Antwort: Nein, man muss sie nicht unbedingt gelesen haben, wenn man bereits Buch und Film (oder Serie) kennt. ABER ist es eine schöne Ergänzung für Fans und all jene, die sich für die Liebesgeschichte interessieren, aber sich (noch) nicht an den Klassiker herantrauen? Absolut! Die Zeichnungen wirken sehr ästhetisch (sie sind echt schön anzuschauen!) und atmosphärisch und passen sehr gut zur Story. Ein Prise Humor lockert die Handlung auf (wie im Original). Ich habe das Buch tatsächlich in einer Sitzung durchgelesen, weil mich die Geschichte auch hier wieder gefesselt und einfach verzaubert hat! Dieses Kribbeln, diese Begeisterung, diese Liebe zu den Figuren – das alles kam wieder hoch. Es ist eben einfach sooo eine schöne Liebesgeschichte! Aus feministischer Sicht ist es zudem echt beeindruckend, wie weit Jane Austen und ihre intelligente, starke, sture Protagonistin ihrer Zeit voraus waren!

Für meinen Geschmack hat sich die Graphic Novel allerdings doch etwas zu sehr am Film orientiert UND es war sogar für mich schwer (als Person, die die Handlung und Figuren bereits sehr gut kennt), Lizzy und ihre Schwestern visuell auseinanderzuhalten – wie wird es da erst Einsteiger*innen gehen? Hier hätte ich mir mehr Wiedererkennungswert bei den Gesichtern gewünscht… Zudem stimme ich jenen Rezensionen zu, die kritisieren, dass manche Dialoge/Szenen/Handlungsstränge sehr stark gekürzt wurden, wodurch manchmal ein bisschen der Kontext bzw. wichtige Informationen (z. B. zur Vorgeschichte) fehlen. Diese Leerstellen werden leider nicht gut genug erklärt. Für all das gibt es einen Stern Abzug.

Mein Fazit

Die Graphic Novel zu „Stolz und Vorurteil“ ist für mich zwar kein absolutes Must-read, aber schön anzuschauen und eine gelungene Ergänzung für Fans dieser unvergesslichen und berührenden Liebesgeschichte ist sie allemal! Auch wer die Geschichte schon immer lesen wollte, sich aber aus irgendeinem Grund (noch) nicht an den Klassiker herantraut, wird mit dieser kurzweiligen, leicht verdaulichen Version sicher seine_ihre Freude haben!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Illustrationen: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit: 3 Lilien

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.07.2024

Ruhige Dystopie mit Anspruch und „schönem“ Schreibstil – hat mir gut gefallen…

Unsre verschwundenen Herzen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die nahe Zukunft: Nach einer Wirtschaftskrise und dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung wurde das Gesetz „PACT“ verabschiedet, das angeblich die amerikanische ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die nahe Zukunft: Nach einer Wirtschaftskrise und dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung wurde das Gesetz „PACT“ verabschiedet, das angeblich die amerikanische Kultur vor schädlichen asiatischen Einflüssen schützen soll und das die USA zur Diktatur macht. Es herrscht eine Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens, Nachbar*innen verraten sich gegenseitig, asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder werden ihnen weggenommen. In dieser Gesellschaft lebt Bird (12 Jahre), dessen Mutter vor zwei Jahren verschwunden ist und als Landesverräterin und Terroristin gilt. Als er einen rätselhaften Brief erhält, beschließt er, sich auf die gefährliche Suche nach ihr zu machen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, hauptsächlich Präsens, aber auch Präteritum
Perspektive: männliche (überwiegend) und weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel

Inhaltswarnung: (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen, Blut, tote Tiere, Trauer, Verlust, Diskriminierung, Rassismus
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Fo+++, Hu++

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- Dystopien
- eher anspruchsvoller Schreibstil
- ruhige Erzählweise
- wenig Spannung
- Fokus auf das Innenleben der Figuren, auf ihre Entwicklung
- Rassismus, Liebe zum Kind, Rebellion und Unterdrückung als zentrale Themen
- viele lange Rückblenden

Lieblingszitate

„Niemand darf davon erfahren, erwidert sie. Wenn das ans Licht kommt, werden andere leiden – sehr leiden.“ Seite 139

„Sein Vater ist seit Jahren kein Professor mehr, aber er kann es sich nicht abgewöhnen, den Lehrer zu spielen. Sein Gehirn ähnelt einem großen, in seinem Schädel eingesperrten Hund, der ruhelos auf und ab geht und sich nach Auslauf sehnt.“ Seite 40

„Die Bibliothek ist eine Geisterstadt, und er, der noch lebt, dringt in das Land der Toten ein. Mit einem Finger fährt er ein leeres Regal entlang und hinterlässt in der dicken Staubschicht eine saubere helle Linie.“ Seite 72

„Ah, sagt die Bibliothekarin mit einem zufriedenen Seufzen, im Tonfall von jemandem, der ein Geheimnis gelüftet, ein Rätsel entschlüsselt und unter dem X den Schatz gefunden hat.“ Seite 78

Meine Rezension

Vor einigen Jahren habe ich „Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng gelesen (mittlerweile wurde es sogar verfilmt) und es ist mir recht positiv in Erinnerung geblieben. Deshalb war für mich klar, dass es nicht mein letztes Buch von dieser Autorin bleiben sollte – und „Unsre verschwundenen Herzen“ schien mit seinem dystopischen Setting wie für mich gemacht. Schnell landete es also auf der Wunschliste.

Es folgten: zwei Versuche, das Buch zu lesen. Beide Male habe ich es jedoch nach einigen Seiten wieder abgebrochen, weil ich einfach nicht in die Geschichte gefunden habe. Beim dritten Mal hat es dann aber endlich geklappt und ich habe es (trotz lesetechnischer Höhen und Tiefen) durchgezogen. Doch hat sich das überhaupt gelohnt? Ich würde sagen: ja. Wie auch schon „Kleine Feuer überall“ hat mir „Unsre verschwundenen Herzen“ wieder gut gefallen – Lesehighlight war es allerdings (wieder) keines.

Zuerst möchte ich über die Stärken des Romans sprechen: Auf ganzer Linie überzeugt hat mich hier der ruhige, anspruchsvolle, aber trotzdem sehr angenehm und flüssig lesbare Schreibstil mit seinen kreativen und wunderschönen Vergleichen. Ich habe mir hier einige Stellen markiert! Celeste Ng ist meiner Meinung nach eine unglaublich gute Geschichtenerzählerin! Auch das Setting (USA, Diktatur), die dichte Atmosphäre (man kann sich alles sehr gut vorstellen) und die Wahl und tiefgründige Behandlung der Themen (Liebe zum Kind, Verlust, Unterdrückung, Rebellion, Identitätsfindung, Diskriminierung, Rassismus) haben mir wirklich gut gefallen. Pluspunkte gibt es für die kreativen Protestformen, die im Buch beschrieben werden – sie alle wurden von realen Ereignissen inspiriert. Zudem werden die Figuren sehr liebevoll gezeichnet, bekommen alle ihre Eigenheiten und Kanten (sodass man das Gefühl bekommt, es mit echten Menschen zu tun zu haben) und entwickeln sich auf glaubwürdige Weise weiter.

Aus feministischer Sicht bin ich mit diesem Buch weder ganz zufrieden noch von ihm wirklich enttäuscht: Ja, es gibt sie zwar, die positiven Vorbilder – die mächtigen, intelligenten und starken Frauen und den feinfühligen alleinerziehenden Vater (ein Linguist mit großer Liebe zu Sprache, deshalb meine Lieblingsfigur ♥), aber leider eben auch einige Rollenklischees, einen Fokus auf das erfüllende Leben als Hausfrau und Mutter und eine Frau, die ihre beste Freundin für einen Mann aus ihrem Leben streicht (sehr unsympathisch!).

Folgende Dinge haben mich außerdem gestört und dafür gesorgt, dass es am Ende nur für ganz knappe 4 Sterne gereicht hat: Vor allem im Mittelteil fand ich „Unsre verschwundenen Herzen“ stellenweise zu langatmig und zu langsam, was das Erzähltempo betrifft. Besonders die (sehr) langen Rückblenden hätte man hier kürzen können. Ich konnte es problemlos ein paar Tage – ja, sogar eine Woche – komplett beiseitelegen, um in der Zwischenzeit etwas anderes zu lesen. Das ist meistens kein wirklich gutes Zeichen. Genervt haben mich außerdem die fehlenden Anführungszeichen (dadurch wird ein Buch nicht tiefgründiger, nicht cooler, nicht literarischer, also lasst es bitte einfach, liebe Verlage!), und das Ende war mir eine Spur zu offen, da manche Fragen auf unbefriedigende Weise unbeantwortet bleiben…

Mein Fazit

„Unsre verschwundenen Herzen“ ist ein solider Roman, der mich zwar gut unterhalten hat, aber für mich kein Lesehighlight war. Wer ruhige Dystopien mit Anspruch und Tiefe mag und Wert auf einen „schönen“ Schreibstil legt, wird mit dieser Geschichte sicher seine Freude haben. Und auch ich werde in Zukunft bestimmt wieder einmal zu einem Buch der Autorin greifen…

Bewertung

Cover / Aufmachung: 2 Sterne (gefällt mir nicht, sorry)
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Ende: 3,5 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonist: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Pacing/Tempo: 2 Sterne
Wendungen: 3 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.03.2024

Als Einstieg in das Thema perfekt, Fortgeschrittenen bietet das Buch kaum Neues

Es kann nur eine geben
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Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Kapitellänge: kurz bis mittel

Lieblingszitate

„Der weibliche Körper ist immer und überall zum Abschuss freigegeben. Jeder darf ihn immer und überall kommentieren ...

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Kapitellänge: kurz bis mittel

Lieblingszitate

„Der weibliche Körper ist immer und überall zum Abschuss freigegeben. Jeder darf ihn immer und überall kommentieren und Optimierungsvorschläge einreichen.“ E-Book, Position 1168

„Warum ist es denn bitte so vermessen, dass ich alles will vom Leben? […] Ich will Karriere UND Kinder UND zudem ‘ne gerechte Bezahlung UND faire Rente. Ja, eat this.“ E-Book, Position 1516

„[…] weil ich schon mit so vielen Frauen gesprochen habe, die in einer ähnlichen Situation waren. Dass jemand sie kleingehalten hat. Sei es der Chef, der Geschäftspartner oder, nicht selten, der Lebenspartner.“ E-Book, Position 2363

„Aber lasst uns auf jeden Fall dranbleiben. Wir sind auf einem guten Weg. Versprochen.“ E-Book, Position 4067

Meine Rezension

Als Feministin war mir Carolin Kebekus natürlich immer schon sympathisch. Sie ist witzig, traut sich was und nutzt ihre Bühne dafür, Bewusstsein für Ungerechtigkeiten zu schaffen. Deshalb war mir sofort klar, dass ich ihr feministisches Sachbuch lesen würde. Ich erhoffe mir davon neue Erkenntnisse und eine Auffrischung meines Wissens.

Nun wollt ihr sicher wissen, ob ich das Buch uneingeschränkt weiterempfehlen kann… Meine Antwort darauf ist: Kommt drauf an! Wer frisch ins Thema einsteigt bzw. sich noch nie näher damit beschäftigt hat (und auch auf Social Media keinen feministischen Accounts folgt), der:dem bietet dieses Werk eine schöne, locker-leicht präsentierte, breit gefächerte Einführung. Viele verschiedene Aspekte werden angerissen, sodass für jeden Geschmack und alle Interessen etwas dabei sein sollte, und am Ende hat mensch das Grundproblem (Patriarchat, Ungerechtigkeiten, Notwendigkeit des Feminismus, Rivalität unter Frauen als etwas Schädliches, mögliche Lösungsansätze) sicher verstanden und ist sicher deutlich informierter – und wütender – als vorher.

Wer Kebekus‘ Humor bei ihren Bühnenshows mochte, wird ihren einfachen, oft ironischen, sarkastischen, etwas flapsigen, mit Anglizismen gespickten Schreibststil auch hier zu schätzen wissen. Besonders gut gefallen hat mir übrigens das Gaming-Kapitel. Mir war ja vorher schon klar, dass Carolin eine echt coole Frau ist – aber nicht, dass sie SO cool ist. Ich fand es erfrischend und toll, wie unapologetisch sie von ihren Lieblingsgames schwärmt (wir haben die gleichen, nämlich „The Last of Us – Part 2“ und „Horizon Zero Dawn“ ♥) und dass sie ebenso als Kunst ansieht wie ich! Als begeisterte GamerIN, die sich immer wieder für ihr Hobby rechtfertigen muss, habe ich mich da echt gesehen und verstanden gefühlt.

Wer sich allerdings schon relativ tief in die Materie eingelesen und dazu noch feministischen Accounts auf Instagram und anderen sozialen Medien folgt, dem:der bietet das Buch kaum Neues (außer vielleicht beim Thema „Religion/Bibel/Kirche“, das ich jetzt NOCH negativer wahrnehme). Es wird zwar eine Fülle an verschiedenen Problemen angesprochen (von der Frau in der Bibel/im TV/in der Kirche/im Märchen über Rivalität unter Frauen und Bodyshaming bis hin zum Gender Gap und zu Abtreibung), dabei bleibt das Werk aber extrem oberflächlich und legt den Fokus eher auf Biographisches und Anekdoten, statt auf Informationsdichte. Dazu enthält „Es kann nur eine geben“ (großartiger Titel übrigens!) nur wenige Studien und seriöse Quellen (fast nur zusammenfassende Zeitungsartikel und Wikipedia, statt wissenschaftlicher Bücher/Papers) – auch hier erwarte ich von einem Sachbuch mehr. Vielleicht bin ich auch einfach mit falschen Erwartungen an diese Veröffentlichung herangegangen. Kebekus‘ Humor, ihre sprachlichen Wiederholungen, ihr Abschweifen, das bei ihren Bühnenshows und im mündlichen Bereich sehr gut funktioniert, empfand ich im Schriftlichen hingegen stellenweise als anstrengend, unnötig und etwas nervig.

Ich habe beim Lesen übrigens immer wieder an „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez denken müssen (große Leseempfehlung an dieser Stelle! ♥) – aber nur, weil mir „Es kann nur eine geben“ wie das komplette Gegenteil davon vorkam (unwissenschaftlicher, weniger sachlich, weniger Informationsdichte, dafür flüssiger/angenehmer lesbar). Ich glaube, beide Bücher haben ihre Berechtigung, beide werden ihr Publikum finden und für beide bin ich dankbar, weil sie aufklären, sensibilisieren, Bewusstsein schaffen – es kommt eben darauf an, wonach man sucht. Gestolpert bin ich übrigens (das noch am Rande) hin und wieder über Bodyshaming/Fatshaming/generell Shaming DURCH Kebekus (z. B. wird Paris Hilton als dumm dargestellt, dicke Menschen indirekt als hässlich). Hier merkt man, dass sie sich selbst an manchen Stellen noch mehr reflektieren muss – und genau das würde ich mir auch von ihr wünschen. Perfekt sind wir allerdings alle nicht, wir lernen alle (im Optimalfall) jeden Tag dazu – also werfe ich hier sicher nicht den ersten Stein.

„Sie ist überhaupt nicht fett, sondern wunderschön. Okay, sie hatte zu dem Zeitpunkt damals
‘ne Glatze. Das hatte mich direkt etwas erleichtert.“ E-Book, Position 966

Mein Fazit

„Es kann nur eine gaben“ ist das perfekte Feminismus-Sachbuch für Einsteiger:innen und Fans von Carolin Kebekus, die sich einen ersten Überblick verschaffen möchten. Wer sich sich mit dem Thema allerdings schon etwas besser auskennt, dem bietet das Werk kaum Neues und nur wenig Tiefe – hier werden andere Lektüren sicher lohnenswerter sein. Von mir gibt es also nur eine bedingte Leseempfehlung!

Bewertung

Einstieg: 5 Sterne ♥
Inhalt: 4 Sterne
Feminismus: 5 Sterne ♥
Verständlichkeit: 5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere