"Pick Me Girls" war mein erstes Buch von Sophie Passmann, die ich aber bereits von Fernsehauftritten und Shows als Person des öffentlichen Lebens kannte. Hier geht sie nun im Rahmen eines autobiografischen Sachbuchs auf das Phänomen der Pick Me Girls ein – Frauen, die sich von anderen abgrenzen, um in den Augen der Männer Anerkennung zu finden - und polarisierte dabei genau wie mit anderen Werken oder Auftritten.
Denn hier spricht sie nicht nur schonungslos ehrlich über misogynes und sexistisches Verhalten, sie führt einem selbst auch viele unangenehme Wahrheiten vor die Augen, die man lieber weiter übersehen hätte. Inwieweit habe ich den "male gaze" internalisiert? In welchen Situationen bin oder war ich ein "Pick Me Girl" und vor allem: wieso verurteilen wir weiterhin die Frauen, die durch ihre gesellschaftliche Stellung und Erziehung darauf geprägt werden, sich nach männlicher Anerkennung zu sehnen, statt die dahinterliegenden Strukturen in den Fokus zu nehmen und die Männer, die sie aufrechterhalten...
Für ihre Gesellschaftkritik nutzt sie nicht nur gesellschaftliche und popkulturelle Beobachtungen, sondern schaut vor allem auch in ihre eigene Vergangenheit und bringt eigene Erfahrungen vor allem aus ihrer Kindheit und Teenagerzeit mit ein. Damit ist klar, dass das Buch stark von ihrer persönlichen Lebenswelt geprägt ist und keine allgemeine Gültigkeit haben kann. Zwar sind viele der Beobachtungen und Schlüsse für alle Frauen relevant, viele ihrer Erfahrungen können aber vor allem Millenials nachvollziehen, da ältere Generationen, aber auch jüngere (wie ich) doch in einer anderen Lebenswelt aufgewachsen sind, die andere Vorteile, aber auch andere Fallstricke beinhaltete... Wer mit Sophie Passmans Schilderungen also wenig anfangen kann, der ist wohl leider noch nicht an dem Punkt, das selbst Erlebte kritisch zu hinterfragen, oder hat einfach glücklicherweise ganz andere Erfahrungen gemacht als die Autorin.
Ganz zu Beginn stellt die Autorin das Ziel auf, "keine Autobiografie, kein feministisches Kampfwerk und kein Teenager-Selbsthilfebuch schreiben" zu wollen. "Pick Me Girls" ist letztendlich aus meiner Sicht ein bisschen von allem geworden, das aber keinem der Label wirklich gerecht wird. Das 224 seitige Buch liest sich eher wie eine Sammlung von Gedankenfetzen und Anekdoten, die sich um Themen wie den männlichen Blick, Selbstwahrnehmung und gesellschaftliche Erwartungen drehen. Dabei springt sie sowohl zeitlich als auch thematisch wild von einem Punkt zum nächsten, wodurch das Buch an manchen Stellen etwas chaotisch wirkt. Dies passt jedoch zu ihrem unverblümten Stil, der an einigen Stellen ein wenig übers Ziel hinausschießt, an anderen aber genau ins Schwarze trifft. Sophie Passmann neigt dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden – oder zu schreiben – und manchmal widerspricht sie sich dabei auch selbst, was ihre grundlegende Botschaft jedoch nur untermauert:
"Ich glaube, dass ich dieses Buch nur geschrieben habe, um einmal zu archivieren, dass das meiste, für das junge Mädchen sich schämen, den meisten jungen Mädchen so oder so ähnlich passiert ist und sich deswegen streng genommen gar nicht für das Gefühl der Scham qualifizieren sollte."
Was sie persönlich aus ihrer Erkenntnis zieht, dass das Hauptproblem der "Pick Me Girls" ist, dass sie neben der Großartigkeit der anderen Frauen auch deren Schmerz übersehen, der im Patriarchat zum Frausein dazugehört und alle Frauen zwangsläufig verbindet, bleibt allerdings offen. An einigen Stellen hat es sich so gelesen, als hätte sie selbst noch nicht ganz den Frieden mit einigen Themen gemacht – da hätte ich mir vielleicht mehr Ermächtigung und einen positiven Abschluss gewünscht. So bleibt neben den neuen Erkenntnissen statt Empowerment vor allem eine gewisse Frustration zurück über eine Welt, in der das Patriarchat so fest verankert ist wie eh und je.
"Frauen sollen anmutig und schön sein, elegant, ohne dabei angestrengt zu wirken. Schlank, ohne Sport zu machen oder nur Salat zu essen. Ebenmäßig ohne zu viel Zeit im Badezimmer darauf zu verwenden, emotional verfügbar, ohne zu anhänglich zu werden, oder zu viel Therapie zu machen."
Fazit
"Pick Me Girls" von Sophie Passmann ist eine scharfsinnige, persönliche und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Male Gaze und den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen, die zum Nachdenken anregt, aber manchmal auch frustriert zurücklässt. An manchen Stellen etwas chaotisch und widersprüchlich hat das Sachbuch genau wie seine Autorin Ecken und Kanten, was es jedoch authentisch und lesenswert macht.