Dieser historische Roman, der auch als Kunstkrimi durchgeht, hat in Han van Meegeren ein historisches Vorbild und entführt uns, wenige Monate nach dem Ende der Nazi-Herrschaft, in die Niederlande.
Magriet „Meg“ van Hettema, eine junge Reporterin, die ab 1941 heimlich für die Untergrundzeitung „Het Parool“ arbeitet und Fotos von der Jagd der Nazis auf Juden gemacht hat, soll nun im Mai 1945 statt brisanter Themen nur mehr „Frauenthemen“ bearbeiten. Doch der Chefredakteur hat nicht mit dem Ehrgeiz und der Chuzpe seiner Mitarbeiterin gerechnet. Als der Maler und dem Maler Jan van Aelst in den Fokus des Ermittlers Aaron Rosendahls gerät, wittert Meg einen brisanten Fall und ermittelt ebenfalls. Van Aelst soll Bilder, darunter einen Vermeer an die Nazis verkauft haben. Der Hass auf alle, die mit den deutschen Besatzern Geschäfte gemacht haben ist groß und deshalb jagen die Polizei und die kanadische Militärpolizei Kollaborateure, um sie vor Gericht zu stellen. Doch an Van Aelst, der alkohol- und drogenabhängig ist, beißen sie sich die Zähen aus. Er leugnet, mit den Nazis Geschäfte gemacht zu haben und gibt nur das zu, was man ihm wirklich beweisen kann. Doch blöderweise glaubt ihm niemand.
Meg heftet sich an die Spuren van Aelsts und seiner Weggefährten. Sie findet immer wieder brisante Details, die in der Zeitung veröffentlicht werden. Als er behauptet, das Gemälde, das Hermann Göring als Vermeer um eine Unsumme gekauft hat, sei eine vom ihm angefertigte Fälschung, wird er für kurze Zeit zum Nationalheld. Den dicken Hermann mit einem gefälschten Vermeer um Millionen Gulden bringen? Was für eine Tat! Doch wenig später wendet sich das Blatt, denn die Zeitungskonkurrenz, behauptet, van Aelst wäre ein Freund Hitlers gewesen und fordert Lagerhaft und Todesurteil.
Meine Meinung:
In diesem Debütroman zieht Autor Patrick van Odijk alle Register. Ich habe noch selten so ein gelungenes Debüt gelesen. Der Autor vermischt gekonnt und äußerst klug Fakten und Fiktion über den Meisterfälscher Han van Meegeren, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem viel beachteten Prozess gestand, mehrere ›Vermeers‹ gemalt zu haben, in diesem historischen Roman. Dieser größte Kunstskandal der unmittelbaren Nachkriegszeit ist fesselnd geschrieben und überrascht die Leserschaft durch zahlreiche Wendungen. Auch die Manipulation der Menschen durch Zeitungsschlagzeilen finden hier Platz. Einmal verabscheuungswürdiger Kollaborateur und gleich darauf ein Nationalheld bzw. umgekehrt. Die Schlagzeilen, die Meg liefert, lassen viele Möglichkeiten zu.
Ob van Alst ein verabscheuungswürdiger Kollaborateur, ein Nationalheld, ein skrupelloser Fälscher oder ein verkannter, aber begnadeter Maler ist? Darüber dürfen die Leserinnen und Leser selbst spekulieren.
Letztlich kommt auch Meg in die Bredouille, denn es tauchen Fotos auf, die sie halbnackt auf einem der opulenten Feste van Aelsts während des Krieges zeigen. Seine Gäste und er prassen, während die Menschen kaum genug Lebensmittel oder Brennholz finden. Gehört Meg auch zu den „Falschen“, wie man die Kollaborateure nennt? Plötzlich ist Meg nicht nur Jägerin, sondern selbst Gejagte.
Die Charakter sind gekonnt und authentisch beschrieben. Fast jede Figur hat während des NS-Besatzung Angehörige verloren. Meg genauso wie Aaron Rosendahl oder van Aelsts Freund Pieter.
Dieser Kunstkrimi entwickelt eine Sogwirkung, der ich mich nicht entziehen konnte. Wie kann es sein, dass für ein Stück bemalte Leinwand solch aberwitzige Preise bezahlt werden? Krimiautor Martin Suter hat es in seinem Krimi „Der letzte Weynfeldt“ auf den Punkt gebracht:
„Allein dadurch, dass jemand für ein Bild so viel bezahlt, wird es echt.“
Sehr gut hat mir dann auch das „Schaumalen“ gefallen: Van Aelst überzeugt vor Publikum durch das Anfertigen eines weiteren „Vermeers“.
Von Jan Vermeer (1632-1675) sind nur 37 Bilder bekannt. Das hat natürlich schon früh zu allerlei Spekulationen und Falschzuschreibungen geführt. Dazu passt, wie im Roman beschrieben, dass Kunsthistoriker, eine einmal gefasste Meinung zu einem Werk, nicht revidieren wollen oder können. Sie würden dadurch an Reputation und Glaubwürdigkeit verlieren. Doch das Deklarieren von Fälschungen als echte Werke eines Malers, egal ob mit Absicht oder Geltungssucht, ist nicht tolerierbar. Siehe auch den Prozess um den gewerbsmäßigen Fälscher Wolfgang Beltracchi.
Schmunzeln musste ich ein wenig, als aufgedeckt wird, wie der eine oder andere Kunstexperte zu seiner Expertise zur Echtheit der van Aelstschen Vermeers gekommen ist.
„Man sieht nur, was man sehen will und was man zu sehen gelernt hat.“
Die abfällige Meinung van Aelsts zu Pablo Picasso und seine Zeitgenossen. Seine Aussagen zur modernen Malerei rückt ihn in die Nähe der Nationalsozialisten, die sie Picasso, Max Ernst & Co als „Entartete Kunst“ bezeichneten und zahlreiche dieser Werke vernichtet haben. Gerade ein Künstler sollte doch das Werk eines anderen Künstlers akzeptieren. Es muss ihm ja nicht gefallen.
Auf dem Cover ist ein Ausschnitt aus „Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“, Jan Vermeer wohl berühmtesten Gemälde abgebildet.
Für alle jene, die mehr über Han van Meegeren und die Zeit der NS-Besatzung der Niederlande lesen wollen, gibt es im Anhang eine Literaturliste (teilweise in Englisch und Niederländisch verfasste Bücher).
Fazit:
Diesem fesselnden historischen Roman, der die niederländische Aufarbeitung der NS-Besatzung sowie die Maltechnik von niederländischen „Alten Meistern“, die Praktiken von Kunstfälschern sowie die Expertisen von Kunstexperten aufzeigt, gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.