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Veröffentlicht am 14.03.2024

Auf der falschen Seite der Revolution

POSTER GIRL - Wer bist du, wenn dir niemand zusieht?
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Poster Girl hatte mich schon gereizt, als es erschienen ist, war ja auch damals auf meiner Must-Have Liste. Auf dieser weit nach oben ist es aber vor allem durch Julias aka Seiten_hiebs Begeisterung für ...

Poster Girl hatte mich schon gereizt, als es erschienen ist, war ja auch damals auf meiner Must-Have Liste. Auf dieser weit nach oben ist es aber vor allem durch Julias aka Seiten_hiebs Begeisterung für das Buch gewandert. Wenn Rant Queen Julia von einem Buch begeistert ist, ist es automatisch für mich ein ganzes Stück interessanter geworden, also beschloss ich nicht lange zu warten und Poster Girl einziehen zu lassen. Doch kann ich mich Julias Begeisterung anschließen?

Auf der falschen Seite der Revolution
Die Prämisse des Buches ist genial, wie ich finde: Vor zehn Jahren wurde ein diktatorisches Regime namens Die Delegation von Rebellen gestürzt. Hohe VerteterInnen des alten Systems, die nicht bei dem Umsturz ums Leben kamen, wurden in eine kleine spartanische “Siedlung” zusammengetrieben und werden dort seitdem festgehalten. Dazu gehört auch Protagonistin Sonya Kantor, denn nicht nur war ihr Vater ein hohes Tier in der Delegation, sie selbst war das gesicht der Delegation, denn ihr Bild zierte das am weitesten verbreitete Propagandabild, zusammen mit der Aufschrift “Was Recht ist, ist richtig“.
Die Geschichte startet also an einem Punkt, an dem der große Befreiungskampf gegen das tyrannisierende Regime längst vorbei ist. Doch was, wenn man eben auf der falschen Seite der Gerechtigkeit stand? Das ist eine interessante Ausgangslage und wieder eine tolle Idee von der Autorin, die in Die Erwählten auch schon der Frage nachging, was Helden tun, wenn die Welt gerettet ist. Nun befinden wir uns also genau auf der anderen Seite und ich war sehr neugierig, welche Fragen und Probleme das aufwirft und wie die Autorin damit umgehen würde.

Und hier komme ich leider auch schon zu meinem ersten Kritikpunkt an dem Buch, denn während die Ausgangslage spannend und das Potenzial riesig ist, wird es in meinen Augen nicht wirklich ausgeschöpft. Was mit gut gefallen hat, um mit dem Positiven zu beginnen, war vor allem die Protagonistin. Sonya hat mit 27 fast ein Drittel ihrer Lebenszeit in Gefangenschaft verbracht, hat ihre Familie, Freund und Bekannte sterben sehen und sich eigentlich schon damit abgefunden, nie wieder frei zu sein. Sie ist eine ruhige, etwas resignierte Frau, die häufig ihren Gedanken nachhängt. Das macht sie vielleicht nicht für alle zu einer angenehmen Protagonistin, aber ich mochte sie sehr.
Besonders gut hat mir gefallen, wie Veronica Roth Sonyas Denkweise schildert. Sie ist von klein auf mit den Lehren der Delegation aufgewachsen und in Gefangenschaft war sie ja auch nur mit AnhängerInnen der Delegation zusammen, es fällt ihr dementsprechend schwer, sich von dem, was ihr beigebracht wurde zu lösen. Das fand ich sehr authentisch und nachvollziehbar dargestellt. Denn, ich sag es bei Dystopie Büchern immer wieder: Eine jahrelange Indoktrinierung von klein an, durchgeführt von Menschen, denen man als Kind vertraut, wirft man nicht mal eben über Bord, nur weil da irgendein Rebell ankommt und sagt, alles, was man bisher für wahrhaftig gehalten hat, ist falsch.
Diesen inneren Kampf Sonyas und ihre Probleme sich in einer Welt, die ihr völlig fremd geworden ist, zurechtzufinden, hat Roth wirklich gut umgesetzt und zählen für mich zu einer der Stärken des Buches.

Und doch ging es mir nicht weit genug. Ich hatte noch so viel mehr Fragen zum Umgang der Rebellen mit ihren alten Gegnern, zu ihren Methoden, die manchmal doch denen des alten Systems gleichen oder zu der wieder neuen Rebellengruppe. Hier wird viel angeschnitten, aber nur am Rande. Es geht speziell um Sonya, nicht das System als Ganzes, das versteh ich schon, schade finde ich es trotzdem.

Eine Spurensuche in Slow Motion
Vielleicht hätte ich diesen Umstand besser verziehen, wenn mich stattdessen die Handlung mitgerissen hätte, aber so ganz hat sie es nicht geschafft. Ich war zwar beim Lesen nicht uninteressiert oder gelangweilt, kann aber auch nicht sagen, dass ich voller Spannung die Seiten weiter blätterte. Die Suche nach dem verlorenen Kind dümpelte für meinen Geschmack ein wenig zu sehr vor sich hin. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass ich mehr “Action” gebraucht hätte, ich kann normalerweise recht gut mit ruhigen Handlungen umgehen, aber ich hatte trotzdem lange das Gefühl, dass irgendwie Motivation fehlte, wohl auch, weil lange nicht klar war, warum Sonya überhaupt sich auf die Suche begibt (gleichzeitig wurden ihre Motive aber auch nicht so ominös dargestellt, dass es als Geheimnis für sich für Spannung gesorgt hätte). Dadurch hatte ich das Gefühl, dass der Handlung eine wirklich treibende Kraft fehlt.
Wiederum gefallen, hat mir das Ende, vor allem auch im Hinblick auf die Lovestory. Es ist ein passender Ausklang der Geschichte und passt gut zur Protagonistin und ihrer Art. Etwas anderes hätte ich wahrscheinlich unrealistisch gefunden.

Fazit:


Poster Girl ist ein Buch, dass ich gerne gelesen habe, dass mich aber nicht so mitreißen konnte, wie ich es bei der Ausgangslage der Geschichte gedacht hätte. Zwar mochte ich die Protagonistin und viele Ideen und Ansätze im Buch, doch oft ging es mir einfach nicht weit genug, fehlte mir eine gewisse Energie in der Handlung. Trotzdem halte ich das Buch für lesenswert, schon allein, um sich mal mit einer anderen Art von “Dystopieheldin” auseinanderzusetzen.

(Info: 4/6 im eigenen Bewertungssystem)

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Veröffentlicht am 14.03.2024

Der Ehrgeiz ist für die Seele, was der Hunger für den Leib ist.

Ich, Lady Macbeth
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Ich gebe zu, ich bin kein Shakespeare Fan und historische Romane lese ich eigentlich auch weniger, trotzdem hat mich dieses Buch gleich gereizt, als ich es sah. Zum einen wohl wegen des tollen Covers zum ...

Ich gebe zu, ich bin kein Shakespeare Fan und historische Romane lese ich eigentlich auch weniger, trotzdem hat mich dieses Buch gleich gereizt, als ich es sah. Zum einen wohl wegen des tollen Covers zum anderen der immer wieder lesenswerte Ansatz weiblichen Figuren, die in ihren Ursprungsgeschichten “nur” eine Randrolle spielen, in den Fokus zu rücken. Also habe ich mein Wissen um das Drama nochmal aufgefrischt (ich wusste zwar, worum es in etwas ging, habe aber nochmal eine detaillierte Szenenzusammenfassung gelesen) und las neugierig drauflos.

Look like th’innocent flower, But be the serpent under’t
Schottland im frühen 12. Jahrhundert. Erst seit ca. 150 Jahren überhaupt vereint und noch kürzer von Christen regiert, ist das piktische Erbe der Region noch deutlich spürbar. So auch für Gruoch, die von Königen und Druidinnen gleichermaßen abstammt und es bald als ihre Pflicht sieht, beide Erben zu vereinen. Als dann eine Prophezeiung ihr eine Zukunft als Königin Schottlands voraussagt, ist ihr Ehrgeiz endgültig geweckt.

Die Autorin vermischt in ihrer Geschichte Shakespeares Lady Macbeth und die reale historische Person Gruoch ingen Boite. Sie nimmt Lady Macbeths Charakteristik als ehrgeizige, machtorientierte Frau, die auch über Leichen geht, um ihr Ziel zu erreichen, verknüpft sie mit überlieferten Ereignissen aus Gruochs Leben und fügt eigene Interpretationen und Ideen hinzu. Was herauskommt ist eine Erzählung, die Lady Macbeth aus ihrer reinen Rolle als Femme Fatale löst und versucht Kontexte und Erklärungen zu liefern, warum diese Frau, ist, wie sie ist. Das gelingt ihr mal mehr, mal weniger.
Gut gelungen, fand ich den Ursprung von Gruoch Ehrgeiz. So wie ihre Kindheit dargestellt wird, erscheint es logisch, dass das Mädchen an Prophezeiungen glaubt, zusammen mit einem ohnehin stolzen Charakter ist es dann kaum verwunderlich, wie aus der Prophezeiung ein Ziel und aus dem Ziel ein Lebenssinn wird. Ob man das gut oder sympathisch findet, sei dahingestellt, aber es macht Sinn. Wenn man als Kind eben ständig gesagt bekommt, man sei zu höherem bestimmt und das von den Personen, denen man am meisten vertraut, warum sollte ein Kind nicht dran glauben? So funktioniert Indoktrinierung eben.

Etwas schwächer fand ich den Mittelteil des Buches. Als hätte die Autorin Angst gehabt, dass Gruoch in ihrem Ehrgeiz den LeserInnen zu unsympathisch wird, wirkt es, als ob sie dies mit einer gewissen Unschuld auszugleichen versucht, die aber mehrheitlich leider eher in Naivität mündet. Gruoch hat ein klares Ziel, aber oft hatte ich das Gefühl, ihr fehlt der Biss, um es wirklich zu verfolgen, vielmehr scheint sie darauf zu bauen, dass alles ganz von allein so kommt, wie vorhergesagt. Das lässt sie dann streckenweise sehr passiv werden. Ich versehe, dass die Autorin wohl Gruochs menschliche und verletzliche Seite zeigen wollte, aber hätte das nicht trotzdem mit etwas mehr Eigeninitiative einhergehen können? Da habe ich mir manchmal doch Shakespeares planende und Intrigen spinnende Lady Macbeth gewünscht.
Im letzten Drittel wird dies dann etwas besser und das Buch hat mir wieder besser gefallen.

Fazit:


Auch ohne Shakespeare Fan zu sein, hat mir das Buch insgesamt ganz gut gefallen. Ich mochte die Verschmelzung von literarische Vorlage, historischen Fakten und eigene Ideen der Autorin, hätte mir aber im Mittelteil etwas mehr Initiative seitens der Protagonistin gewünscht

(Info: 4/6 im eigenen Bewertungssystem)

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Veröffentlicht am 01.01.2024

Tolle Grundidee, aber etwas linear

Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der Wellen
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Bücher von Christina Henry habe ich mittlerweile ja schon so einige gelesen und auch wenn ich manche besser, als andere fand, freue ich mich immer noch jedes Mal, wenn ein neues erscheint. Die Chroniken ...

Bücher von Christina Henry habe ich mittlerweile ja schon so einige gelesen und auch wenn ich manche besser, als andere fand, freue ich mich immer noch jedes Mal, wenn ein neues erscheint. Die Chroniken der Meerjungfrau stand etwas länger auf der Wuli, durfte aber nun endlich einziehen und nachdem ich ein anderes Buch abgebrochen hatte, weil es mir nicht gefiel, dachte ich Henry könnte mich wieder aus diesem Lesetief ziehen. Ob das geklappt hat?

Die Meerjungfrau und der Showmaster
Die Chroniken der Meerjungfrau ist ein Buch, das aus der Vielzahl an Romanen, die Christina Henry bereits veröffentlicht hat, ein bisschen aus der Reihe tanzt. Statt Horror, bekommen wir eher einen Historischen Roman mit phantastischen Elementen, dass sollte man meiner Meinung nach als LeserIn wissen, bevor man zum Buch greift, sonst könnte es Enttäuschungen geben. Ich selbst wusste von BloggerkollegInnen schon, was mich erwartet, daher war es für mich keine böse Überraschung.
Stattdessen freute ich mich auf eine märchenhafte Erzählung und wurde da auch vom Beginn des Buches nicht enttäuscht. Wie die Meerjungfrau erst die Weiten des Ozeans erkundete und sich dann verliebte, erzählt Henry wirklich schön. Mir war Amelie (Die Meerjungfrau) auch gleich sympathisch. Ich mochte ihre Art zu denken und wie sie die Welt und die Menschen sah. Hier sah ich großes Potenzial für die weitere Geschichte mit dem Kontrast zu dem egozentrischen und geld- und prestigehungrigen Barnum zu spielen und hoffte auf eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Machtverhältnisse Mann/Frau, Kolonialismus und Ausbreitung und Kapitalismus, sowie auf einen sich zuspitzenden Konflikt zwischen diesen so unterschiedlichen Charakteren.
Und bekommen habe ich das auch irgendwie, allerdings in der Light Variante. Wie es mir auch schon bei Der Geisterbaum aufgefallen ist, schneidet Christina Henry zwar oft gesellschaftskritische Themen an, bringt die Sache aber nicht so richtig zu Ende bez. setzt sich für meinen Geschmack nicht intensiv genug damit auseinander.

Nun erwarte ich nicht von jedem Buch, dass es erhellende kritische Auseinandersetzungen führen muss. Wäre Die Chronik der Meerjungfrau zumindest sehr unterhaltsam gewesen, wäre mein eben genannter Kritikpunkt nicht allzu schwer ins Gewicht gefallen (wobei ich es aufgrund des Potenzials, dass definitiv da ist, trotzdem sehr bedauert hätte).
Doch leider muss ich sagen, dass auch vom Unterhaltungswert dies eins der schwächeren Bücher von Henry ist. Das liegt nicht etwa an dem ruhigen Erzähltempo, nein, das war völlig in Ordnung, vielmehr ist es die absolute Vorhersehbarkeit der Handlung. Sobald alle Charaktere im Spiel war, wusste ich sofort wie die Handlung verlaufen, und worauf sie hinauslaufen würde und so kam es dann auch. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Story sehr linear und ja auch ein bisschen zu simpel gestrickt wurde. Das macht die Handlung und das Buch nicht völlig schlecht, es hat trotzdem viele gute Momente und beschert angenehme Lesestunden, doch jemanden mitreißen kann es so nicht. Zumal ich eben weiß, dass es die Autorin auch besser kann

Fazit:


Wie immer kann Christina Henry mit ihrem Konzept und der Grundidee des Romans punkten, trotzdem ist Die Chroniken der Meerjungfrau für mich einer ihrer schwächeren Romane, da das vorhandene Potenzial einfach nicht voll ausgeschöpft wird und die Handlung zu vorhersehbar ist.

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Veröffentlicht am 23.12.2023

Ein Zeitzeugenbericht als Graphic Novel

Die Geschichte von Francine R.
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Diese Graphic Novel habe ich durch Zufall in meiner Bibliothek gefunden. Da mich solche Comic, die die NS-Zeit aufarbeiten, immer ansprechen und ich sie für ein wichtiges Medium der Geschichtsvermittlung ...

Diese Graphic Novel habe ich durch Zufall in meiner Bibliothek gefunden. Da mich solche Comic, die die NS-Zeit aufarbeiten, immer ansprechen und ich sie für ein wichtiges Medium der Geschichtsvermittlung halte, kam die Graphic Novel direkt mit nach Hause.

Ein Zeitzeugenbericht
Die Graphic Novel beginnt mit einer kurzen Einführung, in der Boris Golzio erzählt, wie Francine R. ihn eines Tages auf der Suche nach Verwandten überraschend anrief und wie er die ältere Dame dann kennenlernte. Und dann beginnt Francine zu erzählen. Von ihrer Verhaftung durch die Gestapo, ihrer Mitwirkung in der Résistance, von der Zeit im KZ Ravensbrück, dessen Befreiung und die Zeit danach. Es ist ohne Frage ein bewegtes Leben und Francines Schicksal hallt nach der Lektüre in einem nach. Da ich selbst vor einigen Jahren die Gedenkstätte Ravensbrück besucht habe, fand ich den Bericht umso eindringlicher.

Das Besondere an dieser Graphic Novel ist, dass sie aus den Gesprächen des Autors mit Francine R entstanden sind, die Texte sind alle direkte Zitate aus diesen Gesprächen, wir haben also hier im Grunde einen bebilderten Zeitzeugenbericht vor uns liegen. An manchen Stellen finden sich noch Kommentare von Golzio, in denen er Dinge ergänzt, an die sich Francine nicht mehr erinnert, wie z. B. Namen von Leute und Orte oder genaue Datumsangaben. Hin und wieder finden sich auch Ergänzungen, die die Situation erklären und besser verständlich machen sollen, aber insgesamt hält sich Golzio sehr zurück und lässt die Worte der Zeitzeugin auf den/die Leser/in wirken. Was ich an sich einen interessanten Ansatz finde, wurde jedoch dann für mich zum Problem, als sich zeigte, dass Francine R. einige rassistische Ansichten, insbesondere gegenüber Polen und Polinnen hat. Der Kommentar Golzios, dass dies eben Francines Gedanken sind, reicht mir nicht aus, um das so stehenzulassen und ich finde es gerade bei diesem Thema sehr schade, dass sich hier nicht mehr damit auseinandergesetzt wurde. Damit meine ich nicht, dass Francines Aussagen gestrichen werden sollten, auf keinen Fall, aber ein umfangreicherer Kommentar oder besser noch ein gezieltes Nachwort dazu wären meiner Meinung nach angebracht gewesen. Es ist meiner Meinung nach wichtig, dass solche Äußerungen in einem historischen Kontext kritisch betrachtet und diskutiert werden. Hier hätte die Graphic Novel stärker aufklären und reflektieren können. Das Fehlen dieser Reflektion war der Grund für den ersten Punkt Abzug in meiner Bewertung.

Tristesse in Sepia
Kommen wir zum künstlerischen Aspekt. Die monotone Farbpalette der Graphic Novel, die erst nach der Befreiung wirklich Farbe zulässt, trägt effektiv zur Darstellung der Trostlosigkeit und des Leids in den Konzentrationslagern bei. Die Entscheidung, fast nur Sepiatöne zu verwenden, verstärkt die düstere Atmosphäre und lässt den Leser die Hoffnungslosigkeit und Brutalität der Situation besser nachempfinden. Durch den bewussten Einsatz von Farbe nach der Befreiung wird dann im Kontrast dazu die Bedeutung von Freiheit und Lebensfreude hervorgehoben. Daher hat mir die Kolorierung sehr gut gefallen.
Weniger mochte ich die Zeichnungen. Diese sind nämlich gerade in den Gesichtern sehr detailarm. Sehr häufig bestehen die Gesichter nur aus zwei Kullern als Augen und Striche für die Augenbrauen, sonst nichts und wirken oft ziemlich kindlich. Nun mag mach einer das als interessante Ambivalenz zu den grausamen Geschehnissen, oder als eine bewusste Anonymisierung, um zu verdeutlichen, dass Francine eine von vielen war, deuten und vielleicht hat diese Person auch recht, ich mochte es aber trotzdem nicht. Mir gehen dadurch zu viele Emotionen und Nuancen verloren, die die Geschichte noch stärker hätten vermitteln können. Der Bericht wirkt nüchtern, aber nicht auf eine Art, die die Geschehnisse eindringlicher werden lassen, so wie es zum Beispiel Anna Seghers vermochte, sondern einfach nur unbeteiligt, gleichzeitig duch die kindlichen Zeichnungen aber auch naiv, eine seltsame Mischung. Das war der zweite Punkt Abzug.

Trotz meiner Kritikpunkte schätze ich dennoch Boris Golzios Bemühen, diese Erinnerung einer Zeitzeugin zu bewahren und zu vermitteln. Besonders in Zeiten des Erstarkens rechter Ideen ist es wichtiger denn je, solche Geschichten zu erzählen. Die Graphic Novel bez. das Medium Comic allgemein ist eine gute Art, um ein breites Publikum anzusprechen und auf eine emotionale und eindringliche Weise zu informieren. Comics haben die einzigartige Fähigkeit, komplexe Themen auf visuelle Weise zu vermitteln und eine Verbindung zum Leser herzustellen. Diese Methode kann Menschen erreichen, die möglicherweise nicht so leicht Zugang zu traditionellen historischen Berichten finden.

Fazit:


In Zeiten, in denen rechte Parteien Aufwind haben und Rassismus wieder salonfähig wird, werden Comics wie Die Geschichte von Francine R. umso dringender gebraucht. Es mag nicht die beste Graphic Novel sein, die sich mit dem Holocaust beschäftigt, dennoch ist sie lesenswert.

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Veröffentlicht am 01.07.2023

Tolle Ideen und Ansätze, aber Schwächen im Schreibhandwerk

Der mexikanische Fluch
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Mexican Gothic (wenn ihr mich fragt, der treffendere Titel) hat mich schon neugierig gemacht, als es 2020 im Original erschien und ich hatte mir sehnlichst gewünscht, dass es übersetzt werden würde. Als ...

Mexican Gothic (wenn ihr mich fragt, der treffendere Titel) hat mich schon neugierig gemacht, als es 2020 im Original erschien und ich hatte mir sehnlichst gewünscht, dass es übersetzt werden würde. Als dann die Ankündigung von Limes kam, war ich Feuer und Flamme und hatte dementsprechend hohe Erwartungen, als ich das Buch endlich in den Händen hielt. Vielleicht zu hohe Erwartungen?

Viktorianische Gothic Vibes in den Bergen Mexikos
Das Buch startet vielversprechend. Protagonistin Noemi, eine junge Frau aus der Oberschicht von Mexiko-City, die Partys liebt und ihre Unabhängigkeit mit einem Studium sichern will, wird von ihrem Vater im Austausch für die Erlaubnis studieren zu dürfen zu ihrer Cousine Catalina geschickt. Diese hat den Erben einer Familie von ehemaligen britischen Kolonisten geheiratet und lebt nun in deren Landhaus irgendwo in den Bergen Mexikos. Noemi soll untersuchen, was es mit dem seltsamen und beunruhigenden Brief auf sich hat, den Catalina ihnen schickte und in dem sie von Vergiftungen und einer bösen Präsens im Haus berichtet.

Wir haben hier also ein klassisches Setting der Gothic Literatur: Ein altehrwürdiges Herrenhaus, das schon bessere Jahre gesehen hat, in dem etwas Unheilvolles vor sich geht und eine junge Frau, die diesem Spuk auf den Grund geht. Besonders wird diese auf den ersten Blick klassische Schauergeschichte durch zwei Aspekte.
Zum einen das Setting. Wir befinden uns in Mexiko der 50er Jahre. Die blutigen Kämpfe der Revolution sind erst seit ca. 20 Jahre vorbei und die Folgen der Revolution noch deutlich spürbar. Diese werden auch in diesem Buch thematisiert, wenn auch nicht mit Fokus darauf, denn dadurch, dass das Herrenhaus und seine Bewohner, von der eingeheirateten Catalina abgesehen) britisch sind, hat das Buch doch sehr viele viktorianische Vibes, trotzdem ist Mexiko in vielen Details und in der Denk- und Lebeweise der Protagonistin präsent und ist Teil des Konflikts auf den das Buch hinausläuft.

Neuinterpretation der Schauerliteratur-Heldin
Der zweite Unterschied zur klassischen Gothic Literatur ist Protagonistin Noemi selbst. Waren Heldinnen früherer Schauerromane, der Zeit bedingt, in denen sie entstanden sind, Frauen, die dem Gesellschaftsbild des 19. Jahrhundert entsprachen und zumeist einen Mann an ihrer Seite benötigten um das Rätsel des Spukhauses zu lüften, kommt Noemi sehr gut alleine zurecht. Zwar bekommt auch sie Hilfe von einem männlichen Charakter, trotzdem ist das Machtverhältnis in dieser Freundschaft ganz anders, als in den großen Gothicromanen. Das ist insoweit wichtig, da Emanzipation ein zentrales Thema des Buches ist und dem/der Leser/in immer wieder in verschiedenen Formen begegnet. Sei es durch Noemi, die statt zu heiraten lieber studieren möchte, oder dem Kampf gegen die Doyles, die frauenunterdrückenden Zustände des 19. Jahrhundert und zuvor am liebsten in Stein gemeißelt auf ewig sähen. Dieser Aspekt des Romans hat mir sehr gut gefallen, auch weil Silvia Moreno-Garcia ein gutes Gespür dafür hat, dieses leider weiterhin hochaktuelle Theme so mit ihrer Geschichte zu verknüpfen, dass es allzeit präsent ist, aber trotzdem nicht im historischen Setting irritierend wirkt. Man kann nämlich zu jeder historischen Epoche feministische Romane schreiben, ohne dass es weit hergeholt oder unrealistisch wirkt, man muss es nur, wie hier, geschickt anstellen.

Es wirkt, wie ein Debütwerk*
Während Setting und Themen des Romans mich also überzeugen konnten, muss ich leider auch anmerken, dass der Plot und manche Figuren schwächeln. So bekommen wir zwar ein gutes Bild von den Antagonisten, dem gegenüber bleiben aber Noemi selbst, Catalina, Francis und auch andere Nebenfiguren etwas blass. Ein Umstand, der besonders aufgrund der Tatsache, dass wir ohnehin nur eine überschaubare Anzahl an Figuren haben, schade ist. Wenn ich schon meinen Roman, einem Kammerspiel ähnlich, auf wenige Orte und Figuren begrenze, müssen letztere einfach besser ausgearbeitet sein.
Auch dramaturgisch ist noch Luft nach oben. So dauert es zum Beispiel ziemlich lange, bevor die ersten unheimlichen Ereignisse im Haus beginnen und auch Noemis “Ermittlungen” drehen sich ein Großteil des Buches im Kreis. Im letzten Drittel hingegen wird dann so viel an Informationen und Ereignisse gestopft, dass man kaum hinterherkommt. Der Spannungsbogen und das Erzähltempo sind hier also nicht ausgeglichen. Dies mag auch mit ein Grund sein, warum die Auflösung in meinen Augen etwas wirr war. Ich mochte die kreative Idee, doch sie wirkte nicht in allen Punkten ausgereift und lässt am Ende Fragen offen, die ich als eher unbefriedigend, denn als “Offenes Ende” empfand.
Insgesamt wirkte das ganze Buch mehr wie ein Debütwerk, als wie der sechste Roman der Autorin auf mich. Das Schreibtalent und die kreativen Ideen sind da, keine Frage. Im Schreibhandwerk ist aber noch Raum für Verbesserungen.

Fazit:


Der mexikanische Fluch bietet eine interessante Mischung aus viktorianischen Gothic-Vibes und mexikanischer Geschichte. Silvia Moreno-Garcia gelingt es geschickt, Themen wie Emanzipation in die Schauerromantik einzubinden und präsent zu halten. Das Buch punktet mit einem atmosphärischen Setting und einer interessanten Neuinterpretation der Schauerliteratur-Heldin. Allerdings offenbart es auch Schwächen in Bezug auf den Plot und die Ausarbeitung einiger Figuren, was das Gesamtwerk mehr wie ein vielversprechendes Debüt denn wie das Werk einer erfahrenen Autorin wirken lässt. Trotzdem bleibt “Der mexikanische Fluch” ein lesenswertes Buch und ich werde bestimmt auch noch weitere Bücher der Autorin lesen.

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