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Veröffentlicht am 10.07.2024

Vom Person sein unter brutalen Umständen

Nach uns der Sturm
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Vanessa Chan legt hier ein starkes Debüt vor. Nichts an den Themen dieses Buches ist leicht, alles erfordert große Konzentration und emotionale Kapazität, sofern die Themen nicht abgetan werden sollen. ...

Vanessa Chan legt hier ein starkes Debüt vor. Nichts an den Themen dieses Buches ist leicht, alles erfordert große Konzentration und emotionale Kapazität, sofern die Themen nicht abgetan werden sollen. Die Erzählung ist offen und beschönigt nicht, ist aber gleichzeitig auch nicht darauf aus zu schocken nur um eines Schocks willen. Die Menschlichkeit unserer Hauptcharaktere trägt die Erzählung.

Die Erzählperspektive wechselt nach jedem Kapitel, so lesen wir aus der Perspektive von Cecily während der britischen und japanischen Besetzung und aus den Perspektiven ihrer Kinder. Dieses Zusammenspiel der Perspektiven ist meiner Meinung nach einer der besten Aspekte des Buches, aber er war für mich auch der anstrengendste. Einige Kapitel fühlen sich in sich rund an, als könnten sie auch alleine stehen und sind nur aufgrund der menschlichen Verwobenheit in Familie und Geschichte Teil eines größeren Ganzen. Das hat mich beeindruckt, denn die jeweiligen Persönlichkeiten, Ausgangslagen und Herangehensweisen der einzelnen Familienmitglieder werden so sowohl in ihrer Selbstständigkeit als eben auch ihrem Zusammenhang deutlich. Insbesondere in der Darstellung von Cecily, als der Grundsteinlegerin ihrer Familiengeschichte, berührt die Entscheidung nicht chronologisch zu erzählen. Manchmal bekommt eine nicht-chronologische Erzählwiese so etwas von „Vorherbestimmung“ oder Unfreiheit der Charaktere, Vanessa Chan schafft es, diesen Fallstrick komplett zu umgehen und Cecily’s Handeln als ihr Handeln wertzuschätzen ohne den Kontext und das nicht-wissen-können um die Zukunft auszublenden. Die Schuldfrage bleibt eine Gewissensfrage für Cecily selber, als Leser kommt bei mir nicht das Bedürfnis auf zu urteilen. Die Autorin hält hier eine Balance die mich beeindruckt hat.

Sprachlich liest sich das Buch in der Übersetzung gut und flüssig. Ich mag, dass die sprachliche Gestaltung unverschnörkelt ist. Sie fühlt sich an, wie an der Hand gehalten werden, sie lenkt deutlich, aber ohne Aufhebens meine Auseinandersetzung mit der Geschichte.

Alles in allem ein Buch für das ich mir Zeit nehmen musste aber eben auch gern genommen habe.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

differenziert ohne dabei unkritisch zu werden

Unter Verrückten sagt man du
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Lea de Gregorio legt mit „Unter verrückten sagt man du“ ein sehr tief recherchiertes, dichtes und trotzdem von persönlicher Erfahrung und Überzeugung getragenes Buch vor. Dir Fülle an Zitaten und Referenzen ...

Lea de Gregorio legt mit „Unter verrückten sagt man du“ ein sehr tief recherchiertes, dichtes und trotzdem von persönlicher Erfahrung und Überzeugung getragenes Buch vor. Dir Fülle an Zitaten und Referenzen von medizinischen, soziologischen, philosophischen Konzepten erfordert viel Mitdenken und Vorwissen und wird zum Teil ermüdend. Angesichts des Gegenwindes von Gegnern des Buches sind sie aber auch ein solides Fundament und Mauer gegen „die hat ja keine Ahnung“ Aussagen. Es ist traurig, dass es das braucht und De Gregorio geht auf genau diese epistemischen Angriffe und saneistischen Gesellschaftsmuster ein. Ihre eigenen Erfahrungen werden immer wieder reflektiert und rückgebunden, sie ist sehr sorgsam darin graphische Beschreibungen oder „Schockmomente“ und Zuspitzungen zu vermeiden ohne die Realität der eben auch gewaltsamen Geschichte und Gegenwart des Psy-systems und die Folgen dessen zu leugnen. Das Bemühen um Ausgewogenheit und Fairness, darum deutlich zu sein ohne vor den Kopf zu stoßen, wird an vielen Stellen deutlich. Mich haben die späteren Kapitel mehr angesprochen als die ersten, was sicherlich auch an meinen eigenen Interessensgebieten im Thema liegt. Ich habe unterstrichen, an mehreren Stellen „Wiederfindezettel“ verteilt und ein paar Sätze bzw Abschnitte so gut und mutig und treffend gefunden, dass ich sie abgeschrieben habe. „Unter verrückten sagt man du“ ist in vielerlei Hinsicht keine leichte Lektüre, dieses Buch fordert seine Leser*innen heraus, bietet ihnen aber auch viel. Ich möchte es gerne empfehlen!

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Veröffentlicht am 05.05.2024

unterhaltsam, berührend und manchmal vielleicht ein bisschen Klischee

The Happiness Blueprint
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Dieses Buch ist eine gelungene Mischung aus Witz, Herzschmerz, Zuckerguss und schweren Themen. Gerade am Anfang war ich etwas erschlagen von der Schwere der Alex-Kapitel, da es sehr viel um den Tod seines ...

Dieses Buch ist eine gelungene Mischung aus Witz, Herzschmerz, Zuckerguss und schweren Themen. Gerade am Anfang war ich etwas erschlagen von der Schwere der Alex-Kapitel, da es sehr viel um den Tod seines Bruders und Alex Trauer geht. Das kam etwas unerwartet, passt aber zu dem Charakter und letztlich auch zur Geschichte. Die Missverständnisse zwischen Alex und Klara sorgen für jede Menge Herzschmerz, manchmal auch Frust und ein die beiden schütteln wollen „verdammt jetzt redet halt mal drüber!“. Witzig ist es allerdings und die Beziehung zwischen Alex und Klara wartet neben diesem Humor auch mit genug Zuckerguss auf um für den Herzschmerz zu entschädigen (oder ihn noch mehr in die Höhe zu treiben?). Slow burn im Sinne von sweet torture, ich habe gelitten und es geliebt. Ally Zetterberg hat hier zwei Charaktere wie für einander geschaffen und trotzdem legen beide noch eine ordentliche Charakterentwicklung hin. Nebencharaktere, die am Anfang etwas einseitig erscheinen, wie Klaras Schwester, werden im Laufe der Zeit immer runder, was direkt auf Klaras Entwicklung zurückzuführen ist und meiner Meinung nach einen sehr gelungenen Umgang mit dem perspektivischen Erzählen darstellt. Wie sehen die Welt wirklich durch Klaras und Alex Augen, was insbesondere dann spannend wird, wenn die beiden einander sehen.
Diese Geschichte ist unterhaltsam, berührend und manchmal vielleicht ein bisschen Klischee.

(Ich fand leider die gewählten Schriftarten fast durchgängig anstrengend zu lesen, zt waren die Kontraste nicht gut und das Druckbild unscharf.)

Achtung, (eventuell) Spoiler:
Klara war für mich sehr offensichtlich autistisch, dies kommt allerdings erst zum letzten Drittel hin explizit zur Sprache, da Klara dies selber zu Beginn nicht weiß. Auf diese Art dürfen Lesende Klara mit ihrer Art die Welt zu sehen und in ihr zu interagieren erstmal unvoreingenommen kennenlernen, lachen mit ihr aber nicht über sie. Ally Zetterberg schafft gerade bevor das Thema explizit wird eine sehr runde ausgewogene Darstellung, die durch ihre Selbstverständlichkeit überzeugt. Die Auseinandersetzung mit der Diagnose ist dann doch etwas oberflächlich beschrieben, der Prozess der Verarbeitung für die Geschichte beschleunigt dargestellt. Kernelemente sind trotzdem vorhanden und in gewisser Weise wird auch hier die Selbstverständlichkeit des so-seins aus dem Beginn der Erzählung beibehalten. Insgesamt aus meiner Sicht eine gelungene Darstellung einer autistischen Hauptperson, bei der weniger Wert auf sachliche Aufklärung gelegt, sondern einfach fundamental das autistische Erleben dieser einen Person dargestellt wird.

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Veröffentlicht am 14.03.2024

ehrliche authentische Stimmen in einem Sammelband

Vögel im Kopf
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Patient:innen und Zugehörige erzählen in der Rückschau über Ihre Zeit und Erfahrung in und mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gerahmt wird das Buch von Worten von in der KJP tätigen Menschen, diese ...

Patient:innen und Zugehörige erzählen in der Rückschau über Ihre Zeit und Erfahrung in und mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gerahmt wird das Buch von Worten von in der KJP tätigen Menschen, diese kommen auch in eigenen Beiträgen im Buch zu Wort. Jeder Beitrag hat seine eigene Stimme, eine Verallgemeinerung ist kaum möglich. Manche Beiträge beleuchten die selbe Situation aus jeweils anderen Perspektiven, einige stehen für sich. Je nach Beitrag finden sich nüchternere Beschreibungen und Ablaufsberichte, kunstvoll erzählte Puzzel oder Dramaturgien und offene, ehrliche Einblicke in Gedanken und Fühlen der Autor:innen. Zu den Texten gibt es kleine Biografien. Jeder Text ist einzigartig, sie verbindet erstmal nur der Ort an dem sie spielen und von dem sie, mal mehr mal weniger, handeln. Trotzdem kommen manche Gedanken oder Themen immer wieder, in unterschiedlichen Schattierungen und Wärmestufen, zusammen ergeben die Texte einen Chor der erstaunlich harmonisch klingt. Ob das an gelungenen Lektorat lag oder eine Wirklichkeit abbildet vermag ich nicht zu sagen.

Einzelne Texte haben mich sehr berührt, haben an meine eigenen Erfahrungen freundlich angeklopft, mich in den Arm genommen oder sind mir auch wie Geister kalt den Rücken herunter gerutscht. Ich habe nach ein paar Texten das Buch weglegen müssen um erstmal zu weinen und zuzulassen, dass ich berührt werde. Denn berührt haben sie mich, diese Texte. Manchmal war es nur ein Nebensatz oder ein sprachliches Mittel. Wenn Patient*innen authentisch zu Wort kommen dürfen, so wie hier, ist das wertvoll. Es wird nichts von außen beschönigt oder abgewertet. Ich bin mir sicher, die Texte, die mich nicht derartig tief berührt haben, taten dies bei anderen Lesenden.

Es ist keine Lektüre für Zwischendurch oder Nebenbei, diese Texte haben Aufmerksamkeit verdient und Zeit. Es ist keine Unterhaltung oder Bespaßung für die Lesenden, trotzdem ist das Buch kein -metaphorischer- schwerer Klotz sondern behält im Chor der Beiträge eine Weitsicht und Öffenheit, die gut tut.

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Gute Unterhaltung, bei der man’s nicht zu genau nehmen sollte

The Games Gods Play – Schattenverführt
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Innerhalb kürzester Lesezeit begegnen sich die Sterbliche Lyra und der Gott Hades und es ist klar, da funkt was zwischen den beiden. Der große Stellvertreter-Wettkampf der olympischen Götter, das sogenannte ...

Innerhalb kürzester Lesezeit begegnen sich die Sterbliche Lyra und der Gott Hades und es ist klar, da funkt was zwischen den beiden. Der große Stellvertreter-Wettkampf der olympischen Götter, das sogenannte Crucible, steht an und Hades wählt Lyra als seine Championesse. Für welche Ziele kämpfen Lyra und Hades und die anderen Götter und Champions bei diesem Spektakel? Die Krone als König der Götter, das nackte Überleben oder ist da Raum für mehr?

Abigail Owens Schreibstil ist gleichermaßen kurzweilig wie langatmig, die Geschichte ist immerhin knapp 700 Seiten lang, liest sich aber in der Regel flüssig und unterhaltsam. Die kurzen Kapitel mit den prägnanten Überschriften unterbrechen zur Mitte hin den Lesefluss etwas, machen den Einstieg aber auch sehr leicht. Insbesondere zu Beginn dominiert ein wunderbarer sarkastischer Humor, nicht nur in den Interaktionen zwischen Lyra und Hades. Mit der Zeit nehmen dann ernstere Töne zu. Die Sprache ist alltagsnah und Lyras Hang zu deftiger bis vulgärer Sprache wird von der Autorin mit zum Teil herrlichem Timing zur Schau gestellt. Nicht nur aufgrund der vulgären Sprache, sondern auch aufgrund der konkreten sexuellen Anziehung ist dies definitiv ein adult Romantasy. Angepriesen als „slow burn“ brennt es hier dennoch sehr schnell sehr heftig. Für mich stand eher die Sehnsucht, das Verzehren und nicht-können (oder wollen) im Vordergrund, für mich daher eher ein „forbidden love“ als ein „slow burn“, denn natürlich sind die Umstände mit Lyra als Sterblicher, Hades als Gott und dann auch noch dem Crucible gewisse Hindernisse. Der Stil erinnert an eine Mischung aus „fifty shades of grey“ und „Percy Jackson“.
Weder Hades noch Lyra scheinen eine bedeutsame charakterliche Entwicklung durchzumachen, auch wenn es sich durch die Entwicklung der Beziehung die wir Lesenden mit Lyra aufbauen oberflächlich so anfühlt.

Im Worldbuilding erfahren wir wenig über die Welt der Sterblichen, da der Großteil der Handlung in der Welt der Götter stattfindet. Die Verbindung der uns bekannten modernen Welt mit dem Fortbestand und der Fortentwicklung der griechischen Götter finde ich sehr gelungen. Die alten Erzählungen werden aufgegriffen, aber auch deutlich verändert.

Leider werden im Laufe der Erzählung sehr viele Themen auf den Tisch gebracht aber nicht konsequent behandelt. Andeutungen, die ins Nichts führen, zumindest in diesem ersten Band, und ungenaue Schilderungen von Ereignissen, die Fragen aufwerfen. Ich habe den Eindruck, man darf es alles nicht so genau nehmen, sonst hängt sich die Erzählung an diesen Mängeln auf. Die manchmal künstlich gepushte Spannung geht dann vor allem am Ende auf Kosten eines adäquaten Erzähltempo, vielleicht fehlte der Autorin der Mut an der richtigen Stelle aufzuhören und den Epilog wegzulassen.

Wer’s gern hot und spicy mag und darauf auch den Fokus legt, bekommt das hier vor dem Hintergrund einer spannenden aber etwas oberflächlichen Fantasy geboten.

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