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Veröffentlicht am 28.03.2024

Spannung, Humor und Action – ein weiterer spannender Fall für das Finale rund um Carl Morck und das Sonderdezernat Q.

Verraten
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Time to say Goodbye - "Verraten" von Jussi Adler-Olsen ist ein weiterer packender und leider auch der 10. und letzte Fall aus der Reihe rund um Kommissar Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Mit gewohntem ...

Time to say Goodbye - "Verraten" von Jussi Adler-Olsen ist ein weiterer packender und leider auch der 10. und letzte Fall aus der Reihe rund um Kommissar Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Mit gewohntem Geschick führt uns der Autor durch ein Netz aus Lügen, Geheimnissen und Mord(en), während man mit dem Ermittlungsteam mitfiebert, um den/die Täter:innen zu stoppen.

Wie auch schon bei den letzten Büchern bin ich beeindruckt, wie es dem Autor gelungen ist, die Spannung auf über 600 Seiten aufrecht zu erhalten. Ich hab das Buch innerhalb von 2 Tagen ausgelesen. Dabei steht nun der Fall im Zentrum (eeeeendlich!), über den wir schon im allerersten Band etwas erfahren und der auch in allen Büchern der Reihe immer wieder erwähnt wird und mitschwingt. Im Zentrum der Ermittlungen steht diesmal aber Carl Morck höchstpersönlich.

Daneben tauchen auch alte Bekannte wieder auf, und wir erfahren, wie ihr Leben verlaufen ist. Die erneute Präsenz des gesamten Ermittlungsteams, allen voran Assad, Rose und Gordon, verleiht der Geschichte eine vertraute Atmosphäre in die man sehr leicht einsteigen kann, auch wenn ich den vorangegangenen Teil der Reihe vor mehr als zwei Jahren gelesen habe. Assads Kamelwitze sind auch wieder am Start und haben bei mir für den ein oder anderen Lacher gesorgt :D Zudem habe ich ein neues Wort gelernt = "stippen" bedeutet "tunken/eintauchen/dippen". Es kommt auch klar heraus, wie mediale Hetzjagd und Fake-Kampagnen auf Kosten von ganzen Existenzen verbreitet werden und welche Macht sie auf die Demokratie ausüben können.

Dennoch gibt es auch einige Kritikpunkte. Die Geschichte verlässt sich gelegentlich etwas zu sehr auf Zufälle (also bestimmte Personen sind dem Tod sehr oft "von der Schippe gesprungen"), und leider wurde auf das gendern verzichtet. Auch ein kleine Fehler (S. 22) ist mir aufgefallen, wo von "Carla" statt von Carl die Rede ist. Am meisten gestört hat mich aber, dass sich einige Stellen im Buch finden, die durch ableistische 8S. 59), rassistische (S. 521/522) oder diskriminierende "Witze" negativ auffallen und den Lesegenuss beeinträchtigen. Um ein Beispiel zu nennen: Auf Seite 100 ist davon die Rede, dass die obdachlose Person "die am längsten in die Hose gepisst hat und noch immer von der Sozialhilfe lebt" über allen anderen steht. Das finde ich eine ziemlich respektlose Aussage.

Insgesamt bietet "Verraten" jedoch eine gelungene Mischung aus Spannung, Charakterentwicklung und überraschenden Wendungen. Trotz kleiner Schwächen ist es ein würdiger Beitrag zur Reihe, der Fans der Serie sicherlich begeistern wird. Mit einem fulminanten Ende und einem Einblick in die Vergangenheit des Sonderdezernats Q bleibt nur zu sagen: "Time to say goodbye" – zumindest vorerst. Ich vergebe 4/5 Sternen.

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Veröffentlicht am 24.03.2024

Die Macht der Geschichtenerzähler:innen oder "Wer schreibt Geschichte(n)?: Ein Blick auf 'Yellowface' von Rebecca F. Kuang

Yellowface
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"Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus attraktiv genug, cool und jung und, mal ehrlich, wir denken es doch alle, also sprechen wir es doch aus, divers genug und überschüttet ...

"Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus attraktiv genug, cool und jung und, mal ehrlich, wir denken es doch alle, also sprechen wir es doch aus, divers genug und überschüttet diese Person mit Geld und Unterstützung. Es ist so verdammt willkürlich. Oder vielleicht nicht willkürlich, aber es hängt von Faktoren ab, die nichts mit der Qualität des eigenen Schreibens zu tun haben. Athena - eine wunderschöne, internationale, potenziell queere Woman of Color mit Yale-Abschluss wurde von der höheren Macht auserwählt. Ich hingegen bin nur June Hayward aus Philly, braune Augen, braune Haare und ganz egal wie hart ich arbeite oder wie gut ich schreibe, ich werde niemals Athena Liu sein." (Buchzitat - S.12/13)

Rebecca F. Kuangs "Yellowface" hat bereits vor seiner Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als Bestsellerautorin ("Babel" - 2023) bringt Kuang ihr umfangreiches Wissen und ihre Perspektive als Philologin (Chinastudien) und Schriftstellerin in dieses Werk ein.

"Yellowface" erzählt die Geschichte zweier Autorinnen, June Hayward und Athena Liu, deren Wege auf unerwartete Weise miteinander verflochten sind. Als Athena tragisch stirbt, entscheidet sich June, ihr Manuskript zu übernehmen und es unter ihrem eigenen neuen Künstlerinnennamen "Juniper Song" zu veröffentlichen. Doch damit beginnen die Komplikationen, denn June muss ihr Geheimnis hüten und sich mit den ethischen Fragen des Urheberrechts und der kulturellen Aneignung auseinandersetzen.

Auf das Buch bin ich über die nicht zu übersehenden 1000 von Postings/Stories auf Instagram gestoßen - egal welchem Buchblog man da folgt, am Hype um "Yellowface" kommt da aktuell keine:r vorbei. Aufgrund des vielversprechenden Klappentextes hab ich mich daher auch dazu entschieden, das Buch zu lesen. Allerdings gestaltete sich der Einstieg etwas mühsam, da die erste Hälfte des Buches für meinen Geschmack zu langatmig war und ich Schwierigkeiten hatte in die Geschichte reinzukommen. Mit der Zeit gings aber und ich war gefesselt von der Atmosphäre, die sich teilweise wie ein Psychothriller anfühlte, indem die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verwischt wurden und nicht klar war ob sich die Protagonistin alles nur einbildet, oder es der Wahrheit entspricht. Auch wird durchgehend Wert auf genderneutrale Sprache gelegt, was ich sehr wichtig finde.

Das Buch behandelt eine Vielzahl wichtiger Themen allen voran natürlich Rassismus und im speziellen Yellowfacing. Aber auch kulturelle Aneignung, Cancel Culture, Fake News/Hate Speech, Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Themen. Besonders beeindruckend fand ich die eingehende Betrachtung des Drucks, dem Autor:innen ausgesetzt sind, und die Einblicke in das harte Verlagswesen, die das Buch bietet und von dem man als Leser:in meiner Meinung nach sehr wenig mitbekommt. Teilweise habe ich mir gedacht, was für ein Zufall es ist, dass das Buch auf aktuelle Themen Bezug nimmt, die nicht geplant gewesen sein können weil das Buch ja noch nicht so lange am Markt ist. Bspw. ist mir der Link zum Genozid in Gaza und die Rassismusdebatte inkl. (Nicht-)Reaktion des Piper Verlags rund um Monika Gruber/Roma Maria Mukherjee ins Auge gestochen:

"Wir sollten die Behauptungen nicht mit einer Antwort würdigen. Unser Team hat in der Vergangenheit festgestellt, dass man Trolle bloß ermutigt, wenn man sich auf sie einlässt. Es tut mir leid, dass June das erleben muss, doch wir glauben, Schweigen ist hier der beste Weg." (Buchzitat - S.177)
"Es war so verdammt klar, dass Hayward auf Geschichten über weiße Retterinnen steht. Wollen wir wetten, dass sie auch die Israel Defence Forces liebt?" (Buchzitat - S.184)

Besonders gut gefallen hat mir an dem Roman auch, dass gut herausgearbeitet wurde, aus welcher Perspektive wir Geschichten erzählen , publizieren etc. und welche Perspektiven nicht berücksichtigt werden, da es einen Unterschied macht, ob ich als weiße Cis-Frau ohne Behinderung über bspw. Sexismus schreibe oder bspw. eine queere PoC. Wir werden sehr wahrscheinlich nicht dieselben Erfahrungen gemacht haben und haben trotzdem ein recht darüber zu schreiben, aber eben nur wenn klar ist aus welchem Blickwinkel und man nicht über andere schreibt/diese nicht zu Wort kommen lässt.

"Wer will schon ins Kino gehen und sich Leute ansehen, die zwei Stunden lang chinesisch sprechen? Würde man sich dann nicht gleich einen chinesischen Film aussuchen? Wir sprechen hier von einem Blockbuster, der für ein amerikanisches Publikum gedreht wird. Zugänglichkeit ist wichtig. (Buchzitat - S.157)"

Zum Nachdenken gebracht hat mich auch diese Passage:

"Die Art und Weise, wie wir in Klassenräumen über Geschichte sprechen, ist so antiseptisch. Dadurch kommen einem die Probleme so weit entfernt vor, als könnten uns diese Dinge niemals passieren, als würden wir niemals dieselben Entscheidungen treffen, wie die Menschen in den Geschichtsbüchern. Ich will diese grausamen Geschichten in den Vordergrund rücken. Ich will, dass die Leser:innen verstehen, wie eng diese Erlebnisse noch mit unserer Gegenwart verbunden sind." (Buchzitat - S.134)

Denn das sehe ich als großes Problem in der Welt. Erstens werden vergangene Gräueltaten schnell vergessen und nicht daraus gelernt. Zweitens die Anmaßung, dass man selbst ja niemals sowas grauenhaftes wie bspw. den Holocaust unterstützt hätte. Ja es gibt bestimmt Menschen, die das nicht gemacht haben, aber die waren nicht unbedingt in der Überzahl. Menschen überschätzen ihre Rolle und Formbarkeit im System.

Was mich etwas gestört hat ist der Begriff "Selbstmord". Ich persönlich lehne den Begriff Selbstmord ab, da er Betroffene kriminalisiert. Personen, die Suizid begehen, werden dadurch auf eine Stufe mit Mörder:innen gestellt und das macht den Anschein, als würden sie einen juristischen Straftatbestand erfüllen. Die Gründe für Mord werden aber durch einen Suizid nicht erfüllt und so werden Menschen die einen Suizid überleben ja nicht vors Gericht gestellt. Daher empfiehlt es sich von Suizid oder Selbsttötung zu sprechen anstelle von Selbstmord. Die mythologischen Geister-Geschichten (S.314f.) haben mich ziemlich verstört muss ich zugeben und mir erschließt sich da nicht ganz der Sinn, warum diese so dargestellt wurden.

Trotz einiger Kritikpunkte, wie der für mich langatmige erste Teil, die verstörende mythologischen Geister-Geschichten und die Nutzung des Begriffs Selbstmord, empfand ich "Yellowface" als eine lohnenswerte und wichtige Lektüre. Die fundierte Auseinandersetzung mit der Perspektive beim Geschichtenerzählen, das Thema Rassismus an sich und im Speziellen im Verlagswesen tragen dazu bei, dass ich dem Buch insgesamt vier von fünf Sternen vergebe.

"Die Wahrheit ist fließend. Man kann die Geschichte immer in eine andere Richtung drehen, immer Sand in das narrative Getriebe streuen. Das habe ich aus der ganzen Sache gelernt, wenn auch sonst nicht viel." (Buchzitat - S. 378)

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

Bible Bad Ass
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Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

"Ich mache mir auch selbst keinen Spaß mehr. Ich bin frustriert. Der Fun fehlt, genau wie fun-damentale Menschenrechte. Seit ...

Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

"Ich mache mir auch selbst keinen Spaß mehr. Ich bin frustriert. Der Fun fehlt, genau wie fun-damentale Menschenrechte. Seit einiger Zeit komme ich gedanklich nicht mehr raus aus einem langen und verzweigten Tunnel der Verzweiflung darüber, wie die Welt mit Menschen umgeht, wie unterschiedlich sie sie behandelt und an den Rand drängt. Frausein bedeutet für so viele Menschen einfach nicht frei zu sein. Frei von Erwartung, frei von Zuschreibung, frei von Stigma." - S.43

In "Bible Bad Ass" von Edith Löhle begibt sich die Protagonistin Klara auf eine Recherche-Reise, die ihr Weltbild und ihre Wahrnehmung von Frauen in der Bibel grundlegend verändert. Als Redakteurin eines "Frauen"magazins ist sie von der allgegenwärtigen Unterdrückung und den Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen frustriert:

"Ich Multitas-King, er Sex-ist: «Lach doch mal. Siehst viel hübscher aus, wenn du freundlich guckst. Das Leben ist viel zu schön, um so ernst zu sein.» Klack, Klack, entsichert. Ich lege den Finger auf den Abzug und entgegne: «Für dich ist die Welt viel zu schön, verrecke an deinen Privilegien.»" - S. 8

"«Du bist so alte Welt, Martin. Solange Frauen als Objekte gelten und ihre Körper als Waren gehandelt werden, solange Sex auf Macht basiert, solange das weibliche Geschlechtsorgan ein Schimpfwort ist, solange Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als Männer, solange Frauen über Schönheit definiert werden, solange Frauen wegen ihres Geschlechts verfolgt und getötet werden, so lange sind wir alle unfrei. Und du bist sowas von Teil des Problems.»" - S.49

Doch als sie den Auftrag erhält, über eine motorradfahrende queere Pastorin zu schreiben, stößt sie auf eine WhatsApp-Gruppe namens "Bible Bad Ass", bestehend aus feministischen Ikonen biblischer Zeiten. Was zunächst wie ein skurriler Chatverlauf aussieht, entpuppt sich als eine revolutionäre Bewegung gegen die patriarchalischen Strukturen der Religion.

Edith Löhle gelingt es, in ihrem literarischen Debüt die Geschichte der biblischen Frauenfiguren mit zeitgenössischem Feminismus zu verknüpfen. "Bible Bad Ass" ist eine faszinierende Neuinterpretation biblischer Geschichten und insbesondere die Rollen der Frauen, die auf erfrischende Weise feministische Themen anspricht und zum Nachdenken anregt. Obwohl ich selbst nicht religiös bin, hat mich das Buch durch seine Auseinandersetzung mit der systematischen Unterdrückung von Frauen in der Bibelwelt gepackt. Es behandelt eine Vielzahl von feministischen Themen, darunter Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Intersektionalität und vieles mehr, was vor allem für Menschen, die sich noch nicht tiefergehend mit feministischen Themen befasst haben einen ganzheitlichen Einblick in die Komplexität feministischer Angelegenheiten bietet.

Besonders gut gelungen fand ich die Textstellen unter dem Titel "Warum bin ich so geladen?":

"Warum bin ich so geladen? Weil mein Leben lang beim Essen im Elternhaus mein Vater meine Mutter fragt, ob sie wirklich jetzt noch eine Portion essen wolle?
Warum bin ich so geladen? Ich bin 16 Jahre alt, meine erste Periode lässt noch auf sich warten. Der Frauenarzt sagt, ich werde schon noch eine richtige Frau. «Hier, die Anti-Baby-Pille, hilft auch gegen die Pickel.»
Warum bin ich so geladen? Ich bin 18 Jahre alt und bei der Berufsberatung sagen sie mir, ich solle mir überlegen, ob ich wirklich studieren will, immerhin steigen die meisten Frauen dann ja eh von der Karriereleiter, wenn sie Kinder bekommen. Da könne ich mir auch die Studiengebühren sparen.
Warum bin ich so geladen? Weil bei jeder Familienfeier gemurmelt wurde, dass mit Großtante Luise was nicht stimmt, da sie nie in Begleitung eines Mannes kam.
Warum bin ich so geladen? Weil Noah über sich selbst sagt, er renne wie ein Mädchen. Erstens: Als ob die von Natur aus dazu verdammt seien, lahm zu sein und sich diese dummen Klischees anzuhören. Zweitens: Er disst sich und die Kids.
Warum bin ich so geladen? Weil Elizabeth Magie mit 500 Dollar Entschädigung für die Ursprungsidee von Monopoly abgespeist wurde und Charles Darrow dadurch reich wurde." - S. 168, 163, 156/157, 96, 89/90, 65/66

Besonders gelungen fand ich die Einbindung von Songs bzw. Songtextzeilen, die die jeweilige Stimmung des Buch(abschnitt)s perfekt untermalen und eine zusätzliche emotionale Ebene schaffen. Die Wahl der Erzählform als Chatgruppe funktioniert hervorragend und verleiht dem Buch einen erfrischenden Stil.

Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Aspekte, die mich nicht vollständig überzeugt haben. Zum Beispiel empfand ich das Ende des Buches als zu esoterisch und hätte mir ein moderneres Finale gewünscht, das den Fokus auf konkrete Veränderungen oder nochmal mehr auf Sisterhood legt. Auch war mir das Buch an manchen Stellen etwas zu spirituell, insbesondere die Diskussionen über Energien und Chakren haben mich innerlich abschalten lassen. Darüber hinaus waren einige Passagen langatmig und hätten straffer gefasst werden können. Während Wut oft als schädlich dargestellt wurde, halte ich es angesichts der Ungerechtigkeiten in der Welt für wichtig, sie als motivierende Kraft anzuerkennen, die Veränderungen bewirken kann.

Insgesamt ist "Bible Bad Ass" ein Buch, das nicht nur feministische Themen auf unterhaltsame und inspirierende Weise behandelt, sondern auch die Geschichte einer Frau erzählt, die lernt, ihre Wut in Mitgefühl und Liebe umzuwandeln, um eine Veränderung herbeizuführen, die die Welt besser macht. Trotz kleinerer Schwächen erhält es von mir 4 von 5 Sternen für seine gelungene erfrischende Verbindung von Geschichte, Feminismus und Humor.

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat die Bewertung/Rezension jedoch in keiner Weise beeinflusst.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Authentisch, humorvoll, und schockierend ehrlich – Toxische Pommes deckt den hässlichen Schleier des Alltagsrassismus in Österreich auf

Ein schönes Ausländerkind
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"Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind. Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen." ...

"Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind. Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen." - S. 70

Toxische Pommes, alias Irina, Juristin in Wien und soziales Medienphänomen mit Hunderttausenden von Followern, legt mit "Ein schönes Ausländerkind" einen kraftvollen Debütroman vor, der nicht nur literarisch überzeugt, sondern auch gesellschaftliche Missstände schonungslos aufdeckt. Ihr einzigartiger Blickwinkel aus der "Ausländer:innen-Perspektive" in Österreich und ihr satirisches Kabarettprogramm fließen gekonnt in einen Roman ein, der mit Humor, Authentizität und kritischer Analyse besticht. Die lakonische Sprache nimmt besonders die Beziehung zwischen Vater und Tochter unter die Lupe, während Rückblenden die Familiengeschichte durch die Augen der Protagonistin enthüllen.

Das Cover ist eine Anspielung auf das Kapitel „A hyperrealistic photograph of a taxidermied baby lamb staring into the void“, das sich damit auseinandersetzt, warum die Protagonistin mit Migrationserfahrung, die es geschafft hat, einen sicheren Job als Vertragsbedienstete in einer Wiener Behörde zu bekommen und damit als „integriert“ gilt, nicht glücklich ist:
"Ich hatte es geschafft. Ich hatte alles erreicht, wofür meine Eltern und ich ein Leben lang hart gearbeitet hatten. Ich war perfekt. Ich war Vertragsbedienstete in einer angesehenen Behörde im ersten Wiener Gemeindebezirk. Und einen besseren Arbeitgeber als den österreichischen Staat konnte man sich nicht vorstellen: ein sicherer Job, auch in unsicheren Zeiten, feste Gehaltsstufen und klare Hierarchien. Ich hatte genug Geld, um mir gebrauchte Designertaschen zu kaufen und in Therapie zu gehen, wo ich jede Woche von einem anderen Problem erzählen konnte, das mich eigentlich kaum beschäftigte. Und trotz alledem fühlte ich mich innerlich tot." - S. 25

Der unaufgeregte, klare Schreibstil ermöglicht einen realitätsnahen Blick auf das Leben als Migrantin in Österreich. Die detaillierten Einblicke in bürokratische Hürden, Alltagsrassismus und den Weg zur Staatsbürgerschaft sind erschreckend authentisch und öffnen die Augen für gesellschaftliche Missstände, die mir zwar durch meinen beruflichen Background als Sozialarbeiterin mit u.a. Erfahrung in der Flüchtlingshilfe bewusst sind, über die man aber nicht oft genug reden/schreiben kann. Die Anspielungen auf (vermeintlich) kulturelle Unterschiede, gepaart mit der lakonischen Sprache der Autorin, bieten einen Einblick in die Vielschichtigkeit des Erlebens aus der Sicht der Protagonistin:
"Meine Eltern hatten also am Balkan gelernt, von einer hässlichen Fassade nicht unbedingt auf das Innere eines Hauses zu schließen. In Österreich lernten sie, das genauso wenig von einer schönen Fassade ausgehend zu tun." - S. 39

Die Einbindung von Textpassagen in B/K/S/M (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch/Montenegrinisch) vermittelt nicht nur Authentizität, sondern betont auch die Schwierigkeiten der Kommunikation - vor allem da auch sehr viele Kraftausdrücke vorkommen, die übersetzt ins Deutsche wie die übelsten Schimpfwörter daherkommen, laut Autorin in der Originalsprache aber keinesfalls so derb aufgefasst werden. Die Rückblenden in die Vergangenheit der Eltern sowie die thematisierte Balkanreise verleihen der Geschichte Tiefe und emotionale Nuancen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem, Alltagsrassismus, Prestigesprachen und Zweisprachigkeit sowie der Frage nach Heimat/Identität sind erfrischend direkt und regen zum Nachdenken an. Eine meiner liebsten Textstellen erzählt von der Unterhaltung der Mutter mit der rassistischen Lehrerin:
»Zuerst meinte sie, sie verstehe nicht, warum du dich als Ausländerkind überhaupt über einen Zweier beschwerst. Und dass Ausländer bei ihr nie Einser in Deutsch bekommen«
»Darauf habe ich ihr geantwortet, dass ich ihre Logik nicht verstehe.«
»Und was hat die Pichler darauf geantwortet?«
»Sie meinte, dass du ihr vielleicht auch einfach nicht so sympathisch bist«
»Ich habe sie daraufhin gefragt, wie sie es fände, wenn sie zu mir in die Apotheke käme und ich ihr das falsche Medikament gäbe, weil sie mir vielleicht einfach nicht so sympathisch ist.« - S. 123/124

Die humorvolle Darstellung der Absurditäten, denen sich viele Menschen, die nach Österreich migrieren/flüchten, ausgesetzt sehen, bringt eine gewisse Leichtigkeit in die ansonsten ernsten Themen. Zum Ende hin hat sich bei mir kein Glücksgefühl einstellen können, denn der Preis, den jedes einzelne Familienmitglied für die Migration nach Österreich gezahlt hat, ist hoch:

"Was hat uns Österreich gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich? Meinen Vater." - S. 185

Insgesamt gelingt es Toxische Pommes, mit "Ein schönes Ausländerkind" einen kraftvollen Debütroman vorzulegen, der literarischen Anspruch mit gesellschaftlicher Kritik verbindet. Eine Pflichtlektüre für alle, die einen authentischen Einblick in die Herausforderungen, denen Menschen mit Migrationserfahrung in Österreich begegnen, gewinnen wollen. Ich vergebe vier von 5 Sternen.

"Ein schonungsloser Blick auf Alltagsrassismus in Österreich: 'Ein schönes Ausländerkind' hinterfragt Identität und Heimat."

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Rezension.

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Veröffentlicht am 17.03.2024

Geburtshilfe neu denken: Ein Aufruf zur Menschlichkeit

Ich, Hebamme, Mittäterin
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"Die Gesichter der Gewalt sind Gesichter, die wir womöglich alle kennen, die einem vielleicht täglich begegnen. Ich war eins dieser Gesichter. Ich habe zugesehen, wie Frauen Gewalt angetan wurde, und habe ...

"Die Gesichter der Gewalt sind Gesichter, die wir womöglich alle kennen, die einem vielleicht täglich begegnen. Ich war eins dieser Gesichter. Ich habe zugesehen, wie Frauen Gewalt angetan wurde, und habe nichts unternommen. Ich war eine Mittäterin." (S. 35)

"Die Geburt eines Menschen ist ein Wunder, und solch ein Wunder will beschützt werden, damit unsere Kinder sicher und liebevoll geboren werden können." (S. 11)

Mit "Ich, Hebamme, Mittäterin: Mein Einsatz gegen Gewalt im Kreißsaal und für eine sichere Geburtshilfe" gibt Eva Placzek einen intimen Einblick in die Herausforderungen und Missstände der Geburtshilfe. Als langjährige Hebamme und ehemalige Vize-Miss Germany ist sie eine mutige Stimme für Veränderung in einem System, das oft von Gewalt und Übergriffen geprägt ist.

Zum Inhalt: Eva Placzeks Buch ist ein schonungsloses Plädoyer für Menschlichkeit und Würde im Kreißsaal. Mit zahlreichen Beispielen und persönlichen Erfahrungen deckt sie die vielfältigen Probleme in der Geburtshilfe auf und ruft dazu auf, dringend notwendige Veränderungen herbeizuführen. Von unzureichender Vorsorge bis hin zu traumatischen Geburtserlebnissen durch körperliche und psychische Misshandlungen - Placzek scheut sich nicht, die brisanten Themen anzusprechen.

MEINUNG

Dieses Buch hat mich emotional berührt, und zwar im negativen Sinn. Als jemand, der bisher wenig über die Geburtshilfe wusste, war ich schockiert über die erschreckenden Zustände, die Eva Placzek aufdeckt und die KEINE SELTENHEIT darstellen. Im Gegenteil: Laut einer Studie der psychologischen Hochschule Berlin ist rund jede zweite Frau während der Geburt von (verbaler, psychischer und/oder physischer) Gewalt betroffen. Das wären in Zahlen ausgedrückt 369.410 Frauen, die das 2022 in Deutschland betroffen hat (S. 15 und 57).

Eindrücklich sind die vielen Beispiele, die mich sehr betroffen gemacht haben. Die Autorin scheut sich nicht, die vielfältigen Probleme in der Geburtshilfe schonungslos anzusprechen, angefangen von unzureichender Vorsorge bis hin zu traumatischen Geburtserlebnissen durch körperliche und psychische Misshandlungen im Kreißsaal. Bemerkenswert ist und Respekt habe ich vor der Offenheit und Ehrlichkeit der Autorin, die ihre eigene Mittäter:innenschaft in einem unmenschlichen System anerkennt, aber ebenso durch ihren mutigen Einsatz für eine menschlichere Geburtshilfe eintritt:

"Die Wahl zu haben, wie man seine persönliche Zukunft gestaltet, ist keine Selbstverständlichkeit. Stark motiviert und voller Tatendrang bin ich dann in die Ausbildung zur Hebamme gestartet und schon in den ersten Tagen begegnete mir ein Satz, welcher mich lange verfolgt hat: >>In dieser Ausbildung werden Sie gebrochen werden.<<<" (S. 18)

"In welchem verdrehten Universum eines menschlichen Wesens gibt es einen rechtsfreien Ort, an dem Frauen und ihren Kindern alles angetan werden darf, solange man es irgendwie als Notfall Maßnahmen deklarieren kann?" (S. 54/55)

Ein weiterer positiver Aspekt ist der feministische Blickwinkel, den Placzek einnimmt, und ihre Thematisierung von frauenspezifischen Belangen wie Menstruation, Schönheitsidealen und Geschlechterrollen. Auch die Einbeziehung rechtlicher Fragen und Vergleiche der Geburtshilfe in der DACH-Region tragen zur Vielschichtigkeit des Buches bei und bieten auch für Leser:innen aus der Schweiz und Österreich (mich) einen großen Mehrwert.

Der FAQ Teil am Ende des Buches fand ich super, da er recht kurze Antworten auf drängende Fragen wie bspw. diese hier liefert: Ist es normal, dass mein Gynäkologe mich in jeder Schwangerenvorsorge vaginal untersucht? Ist es normal, dass bei jeder ärztlichen Vorsorgeuntersuchung ein Ultraschall gemacht wird? Ist es normal, dass freiberufliche Hebammen nur die Möglichkeit einer Hausgeburt anbieten? Ist es normal, dass ich ungefragt Medikamente verabreicht bekomme? Ist es normal, dass ich während der Geburt auf dem Rücken liegen muss?

Beim Lesen musste ich auch sehr oft an die Zustände in meiner Berufsgruppe, den sozialen Berufen, denken. Ich bin Sozialarbeiterin, und die Diskussion rund um Berufsethik wird auch bei uns rege geführt. Erst dieses Jahr haben wir (in Österreich) ENDLICH einen Berufsschutz erhalten, sodass Sozialarbeiter:in/Sozialpädagog:in geschützte Bezeichnungen sind. Ganz spannend war für mich daher auch die Passage zum Thema "Wir mussten früher in unserer Ausbildung leiden. Jetzt kriegen die Neuen das alles genauso ab". Diese findet sich nämlich bspw. auch in Migrations- und Fluchtdiskursen wieder. Ein Phänomen, das sich mir nicht erschließt. Wenn man selbst schon gelitten hat, warum sollen es andere, die in derselben Situation landen, denn genauso schlecht haben?

Mein Kapitel zum Thema Sicherheit und sichere Geburt musste ich an die Berichte zu Gaza und der Ukraine denken und unter welchen Umständen Frauen dort aktuell gebären müssen :(

Toll beschrieben ist auch wie der Kapitalismus auch vor der Geburt keinen Halt macht und Krankenhäuser Profit daraus schlagen, indem sie möglichst viele Geburten durchführen, bei denen möglichst viele Interventionen vorgenommen werden. Dann klingeln die Krankenhauskasse:

"Wir müssen aufhören zu versuchen, mit unseren gesunden Frauen Geld zu machen. So grausam es auch klingen-mag, bringen Interventionen wie Einleitungen, PDAs, CTGs, Schmerzmittel, Ultraschalluntersuchungen und, und, und mehr Geld. Mit einer gesunden Frau und einer natürlichen, selbstbestimmten Geburt, die gerne auch mal zwanzig Stunden dauert, ohne jegliches Eingreifen, verdient eine Klinik kein Geld." (S. 68)

Auch das Bildungssystem und Social Media bekommen zurecht ihr Fett weg:

"Unser Schulsystem hat so viele positive Aspekte, für die wir dankbar sein sollten, aber wie in jedem System gibt es auch hier Lücken, und meine größte Sorge gilt der Lehre über das Leben an sich. Auch wenn das poetisch klingt, meine ich damit tat- sächlich sehr grundlegende Dinge wie das Wissen über den eigenen Körper, unsere Grundrechte, den Umgang mit Social Media, finanzielle Bildung und die Grundlagen der Sexualkunde sowie der Geburt eines Menschen. In den meisten Fällen wird besprochen, wie ein Kind entsteht, also der Befruchtungsprozess, der natürlich auch wichtig ist. Die großen Themen jedoch, mit denen wir alle täglich konfrontiert werden durch Film, Fernsehen und die sozialen Medien, werden nicht besprochen. Und damit meine ich vor allem, wie eine Geburt abläuft, und zwar die realistische, aufrechte und bewegende Variante, nicht die gespielte, unmenschliche, wie ein Marienkäfer auf dem Rücken liegende Variante." (S. 86/87)

Nun zu den Kritikpunkten: Ich hätte mir viel mehr Zahlen, Daten und Fakten gewünscht, um die dargestellten Probleme besser zu verstehen und zu untermauern. Es mag jedoch an fehlenden Daten liegen, dass wenig darauf Bezug genommen wurde. Der Schreibstil ist leicht verständlich, aber manchmal etwas dramatisch und repetitiv. Die Autorin verwendet häufig die Phrase "Wir müssen,..." und betont damit die Dringlichkeit des Problems, was mir manchmal zu pathetisch erschien. Warum das letzte Kapitel Bonuskapitel heißt, erschließt sich mir auch nicht. Gibt es das Buch denn auch ohne Bonuskapitel zu kaufen? Das Gendern ist ihr leider nicht durchgehend gelungen, es ist u.a. SEHR oft vom Arzt die Rede. Aber man erkennt, dass sich die Autorin darum bemüht hat. Mich hat auch gestört, dass teilweise auf die im Verhältnis zu anderen Ländern sogenannte fortschrittliche "westliche Kultur" Bezug genommen wurde, ohne dabei zu erwähnen, dass durch genau diese unsere westliche Kultur jahrelang Menschen aus anderen Kulturen unterworfen wurden und der Westen im Gegenteil zu heute früher oft sehr viel konservativer und frauenverachtender eingestellt war als die Kulturen, die sie dann gezwungen haben sich anzupassen. Und jetzt wird genau ihnen vorgeworfen, nicht liberal zu sein.

Gestört hat mich auch der Teil zum Thema "positiver Schwangerschaftstest" auf Seite 15. Nicht jede Frau freut sich darüber... für manche ist das auch aus xy Gründen ein (negativer) Schock und nicht jede Frau will auch Mutter sein.

FAZIT

Trotz der genannten Kritikpunkte ist "Ich, Hebamme, Mittäterin" ein wichtiges Buch, das dringend benötigte Aufmerksamkeit auf die Missstände in der Geburtshilfe lenkt. Von mir gibt es 4 von 5 Sternen!

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat meine Meinung dazu allerdings nicht beeinflusst.

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