Das Fenster zum Hof
So wie du mich kennstIrgendwann stutze ich. Ist das Buch noch eine emotionale Geschichte über Geschwister, über Freunde, über den Tod von geliebten Menschen? Oder ist es doch ein Thriller, in dem ein Unfalltod gar kein Unfall ...
Irgendwann stutze ich. Ist das Buch noch eine emotionale Geschichte über Geschwister, über Freunde, über den Tod von geliebten Menschen? Oder ist es doch ein Thriller, in dem ein Unfalltod gar kein Unfall war, sondern eine Verbindung zu häuslicher Gewalt hat?
Aber erst einmal zurück auf Anfang: Da steht Karla an der scheiß schönen Aussicht mit ihrem kaputten Auto und der Asche ihrer Schwester in der Hand. Sie kommt zurück aus New York wo Marie seit ihrer Scheidung lebte, zurück in ihren Heimatort im tiefsten Franken, zurück in ihr Elternhaus, in dem alles immer zu Viert passierte und nun zu Dritt passieren muss, wie auch immer, darauf ist niemand vorbereitet.
Ein Moment der Unaufmerksamkeit, eine rote Ampel, ein etwas zu schnelles Auto, ein Knall. Aber wie konnte das passieren? Die große Frage, die Karla keine Ruhe lässt. Also fliegt sie zurück nach New York, für zwei Monate. Zeit, die Wohnung ihrer Schwester aufzulösen, mit ihren Freunden zu sprechen, Abschied zu nehmen. Und dann wechselt die Perspektive.
Während Karlas Zeit in New York weitergeht, nähert sich Maries Zeit dem Unfall. Sie erinnert sich an ihre gescheiterte Ehe, an ersten Tage und Aufträge als Fotografin in New York, an ihre Nachbarn, die so glücklich wirkten – bis sie merkt, dass es nicht so ist. Und dass sie weiß, was ihre Nachbarin fühlt, erlebt, erfährt. Und dass es eigentlich nicht in Ordnung ist, dass sie Fotos davon macht, was da in der Wohnung gegenüber passiert.
Und auch Karla stößt irgendwann auf Maries Laptop. Und auf die Bilder. Und auf das Pärchen, das nach außen scheint und schimmert und nach innen streitet und wimmert. Und ein irgendwann später ist da die Polizei, ist da ein Leichensack. Und die Frage: Was wusste ihre Schwester?
Anika Landsteiners Roman ist unfassbar vielschichtig. Emotional genauso wie genreübergreifend. Er liest sich gut, schnell, erstaunlich beschwingt für eine Geschichte mit dieser Traurigkeit, mit dieser Unfassbarkeit. Und sie thematisiert die oft lieber totgeschwiegene Gewalt in Beziehungen, in Ehen, die viele Menschen innerlich zerbrechen lässt und die immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist. Allein deswegen schon ein Buch, das wichtig ist und das gelesen werden sollte – und zurecht mit einem Spiegel Beststeller-Sticker ausgezeichnet ist.