Ein Roman zum Mitfühlen und Mitdenken
Volker März hat eine Siebzehnjährige vergewaltigt und danach bestialisch auf sie eingestochen. Das steht jedenfalls mehrere Jahrzehnte später eindeutig fest. Denn erst da reicht aufgrund des technologischen ...
Volker März hat eine Siebzehnjährige vergewaltigt und danach bestialisch auf sie eingestochen. Das steht jedenfalls mehrere Jahrzehnte später eindeutig fest. Denn erst da reicht aufgrund des technologischen Fortschritts die Auswertung der Spuren am Mordopfer juristisch für eine Verurteilung aus.
Trotzdem bleibt März ein freier Mann. Er wird nicht verurteilt. Da die Beweislage im damaligen Prozess nicht ausreichend war und ein Freispruch erfolgte, kann er nicht ein zweites Mal für denselben Tatbestand vors Gericht zitiert werden.
Ist dies nicht ungeheuerlich? Wird da nicht die Gerechtigkeit mit Füßen getreten? Oder schützt dieser in Deutschland geltende Rechtsgrundsatz einfach alle Bürgerinnen oder Bürger vor einer lebenslangen Verfolgung durch die Justiz für denselben Tatvorwurf? Muss nicht ein einmal erfolgter Richterspruch ein für alle Mal Gültigkeit haben.
Um diese Kernfrage dreht sich Markus Thieles Roman „Zeit der Schuldigen“, der sich am wahren Fall der Frederike von Möhlmann orientiert.
Der Roman ist aber kein Gerichts- und Prozessroman, kein Austauschen von Argumenten und Gegenargumenten, die von Anwälten, Staatsanwälten, Richtern sowie anderen Prozessbeteiligten vorgebracht werden.
Dieser Roman lässt einen in die Gefühle, Gedanken und die Zeit der Betroffenen schlüpfen. Die Achtziger erstehen wieder auf und mit ihnen verschiedene Figuren, welche die Ungerechtigkeit des Rechtssystems nicht dozierend aussprechen, sondern die Leserin und den Leser spüren lassen: der tief getroffene Vater der getöteten Nina, der engagierte Polizist Margraf, der März damals verhaftet hat und seinen Freispruch erleben musste und nicht zuletzt die Polizistin Anne, die in der Gegenwart eine ganz persönliche Rechnung mit dem Täter begleichen will – mehr als 40 Jahre nach der Tat.
Dem Autor gelingt es durchweg, stimmige Details in seine Schilderung der Figuren und Szenen zu verweben. Die kalte, Prozessregeln abarbeitende Gerichtsmaschinerie wird so genauso spürbar wie der Wunsch des Umfeldes von Nina, Gerechtigkeit zu erfahren. Obwohl man ahnt, dass der Roman kein anderes Ende nimmt als der wahre Verlauf der Geschichte, erwischt man sich immer wieder dabei, doch noch auf eine Wendung zu hoffen, das Happy End herbeizusehnen.
Dieser Roman regt zum Mitfühlen und zum Mitdenken an.