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Veröffentlicht am 15.04.2024

Unglaublich detailliert

Meuterei im Paradies
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Die Geschichte der Seefahrt ist vor allem eine der unerschrockenen Männer, die oft monatelang auf See waren. Unberechenbares Wetter, die Enge des Schiffes, Mangelernährung, oder Unstimmigkeiten zwischen ...

Die Geschichte der Seefahrt ist vor allem eine der unerschrockenen Männer, die oft monatelang auf See waren. Unberechenbares Wetter, die Enge des Schiffes, Mangelernährung, oder Unstimmigkeiten zwischen der Besatzung und den Offizieren sind nur einige der Dinge, die eine lange Schiffsreise zu einem gefährlichen Unternehmen machen konnten. Die Literatur ist voll von Erzählungen über die Seefahrt und eine der berühmtesten ist wohl die über die "Bounty", das Schiff Kapitän Blighs, unterwegs in der Südsee und die Meuterei, die sich im April 1789 an Bord ereignete.

Der Autor erzählt hier die Geschichte, die wahrscheinlich jeder durch mehrere Verfilmungen kennt, oder, die er zu kennen glaubt. Die Crew der Bounty befreit sich von ihrem tyrannischen Kapitän, in dem sie ihn und seine Getreuen auf einem Beiboot aussetzt. Eine Geschichte, die so nicht ganz richtig ist.

Stellenweise liest sich das Buch wie ein Roman, der Autor versteht es die Ereignisse und die beteiligten Personen so bildhaft darzustellen, dass man fast vergisst, dass man hier ein Sachbuch vor sich hat. Penibel recherchiert werden die geschichtlichen Fakten dargelegt und nach neuesten Erkenntnissen gedeutet und analysiert. Als Leser erfährt man hier interessante Hintergründe zur damaligen Reise, die dazu dienen sollte Brotfruchtpflanzen in die englischen Kolonien einzuführen, um auf den dortigen Plantagen die Ernährung der Sklaven zu gewährleisten. Die Meuterei machte dieses Vorhaben zunichte, aber einige Jahre später war Bligh auf einer weiteren Reise erfolgreich.

Die beiden Reisen werden nun vom Autor gegenübergestellt und anhand unzähliger Details erklärt er, warum die Fahrt der Bounty praktisch schon vor ihrem Ablegen in England zum Scheitern verurteilt war. Die Akribie, mit der er hier zu Werke geht ist bemerkenswert. So wird zum Beispiel bis ins Kleinste dargelegt, wie die Hierarchie auf einem Schiff der englischen Flotte aussah, welche Manschaftsmitglieder auf einer solchen Reise dabei waren, zu welcher Gruppe sie innerhalb des Schiffes gehörten, welche Aufgaben diese Gruppen hatten und wessen Befehl sie letztlich unterstanden. Die Bürokratie, die für eine solche Reise nötig war wird erläutert, genauso wie die politische Situation im betreffenden Zeitraum der Reisen, die Kolonialpolitik Englands und die wirtschaftlichen Zusammenhänge der damaligen Zeit. All dies ist unglaublich interessant und gibt einen guten Blick auf die damaligen Verhältnisse und einen noch besseren auf die Geschichte der wohl berühmtesten Meuterei in der Geschichte der Seefahrt.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Der Stoff für schlaflose Nächte

Das kleine Buch der großen Risiken
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Jeder von uns hat Ängste. Einige davon sind durchaus real, wie etwa die, den Job zu verlieren, oder, dass den Kindern etwas passiert. Andere hingegen sind abstrakte, eher irrationale, wie zum Beispiel ...

Jeder von uns hat Ängste. Einige davon sind durchaus real, wie etwa die, den Job zu verlieren, oder, dass den Kindern etwas passiert. Andere hingegen sind abstrakte, eher irrationale, wie zum Beispiel die vor einer Zombieinvasion. Wie stark uns diese Ängste beschäftigen hängt dabei nicht unbedingt von ihrem Wahrscheinlichkeitsfaktor ab, sondern hat oft ganz vielfältige, meist wenig greifbare Gründe.

Jakob Thomä hat es sich in seinem neuen Buch zur Aufgabe gemacht verschiedene Risiken für die Menschheit aufzuzeigen und zu analysieren, jedem Buchstaben des Alphabets wird dabei ein Risiko zugeordnet, wobei der Autor hier manchmal etwas in die Trickkiste gegriffen hat. So liest man hier natürlich von A, wie Atombombe, über K, wie Künstliche Intelligenz, bis hin zu Z, der Zombieapokalypse. Thomä geht die Thematik professionell an, seine Fakten sind gut recherchiert, man merkt aber hie und da auch das Augenzwinkern, mit dem die Infos zu genießen sind.

Das Buch startet mit einer kurzen Einführung des Autors, in der er klar stellt, dass sein Anliegen keinesfalls Panikmache ist und das wir es letztlich selbst in der Hand haben, in wie weit uns die tägliche Flut an Horrormeldungen beeinflusst und ängstigt. Dann folgen die einzelnen Kapitel in denen immer auf die gleiche Weise mit dem Thema umgegangen wird, das Risiko wird in einem Satz beschrieben, es folgt eine kurze Einschätzung dazu, in wie weit man sich tatsächlich Sorgen machen muss und dann wird das Risiko von allen Seiten betrachtet. Hierbei hält sich der Autor an wissenschaftliche Fakten, benennt Studien und Forschungsergebnisse und stellt die Personen vor, die wirklich Ahnung von der Materie haben. Oft ist hier auch sein erhobener Zeigefinger zu erkennen, wenn es zum Beispiel darum geht, nicht alles, was so im World Wide Web geschrieben steht für bare Münze zu nehmen. Mehr als einmal appelliert der Autor an den gesunden Menschenverstand des Lesers und erwarte, dass Dinge auch mal kritisch hinterfragt werden.

Das Buch bietet eine kurzweilige Lektüre, die aber auch zum Nachdenken, zum Weiterdenken anregt. Viele der Risiken sind durchaus real, ihre Auswirkungen aber vielleicht erst in vielen Generationen tatsächlich spürbar, andere sind so unwahrscheinlich, dass es eigentlich verschenkte Lebenszeit ist sich damit zu beschäftigen, wieder andere sind akut und bedürfen dringend einer Lösung. Viele der beschriebenen Risiken bieten Stoff für Hollywood-Blockbuster ala Matrix, während andere sich ganz unbemerkt nur in wissenschaftlichen Fachzeitschriften finden wie das arme Y-Chromosom. Eigentlich könnte man die Lektüre allerdings direkt nach dem Buchstaben D abbrechen, ist hier doch das größte Risiko von allen beschrieben und nein, ich werde jetzt nicht spoilern.

Das Buch ist gut geschrieben und leicht zu lesen, im Anhang findet sich dann noch viel Stoff zu Quellen und weiterführender Literatur.

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Veröffentlicht am 29.03.2024

Die Suche nach der Wahrheit

Morphium
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Elinor Carlisle ist des Mordes an Mary Gerrard angeklagt. Die junge Frau war Elinors kürzlich verstorbener Tante sehr ans Herz gewachsen, sollte sogar beim Erbe berücksichtigt werden und auch Elinors Verlobter ...

Elinor Carlisle ist des Mordes an Mary Gerrard angeklagt. Die junge Frau war Elinors kürzlich verstorbener Tante sehr ans Herz gewachsen, sollte sogar beim Erbe berücksichtigt werden und auch Elinors Verlobter war sehr von ihr angetan. Ein Mord aus Habgier und Eifersucht, ein klarer Fall, oder etwa nicht?

In Morphium legt Agatha Christie mal ein gänzlich anderes Szenario vor, die Tat ist schon passiert, der Täter schon gefunden und vor Gericht gestell, eigentlich eine klare Sache. Hercule Poirot wird nur in einem kurzen Nebensatz erwähnt, als Zuhöhrer im Gerichtssaal. Erst später tritt er dann in Aktion, möchte doch ein Verehrer von Elinor unbedingt Zweifel an deren Schuld anbringen, um eine Verurteilung zu verhindern. Poirot steht vor einer schwierigen Aufgabe, scheint die Beweislast doch erdrückend und auch die Angeklagte macht nicht unbedingt den Eindruck, als wäre sie tasächlich unschuldig.

Im Verlauf des Buches wird der Fall nun rückwirkend aufgerollt und der Leser wird Zeuge der Ereignisse, die letztlich zum Mord führten und man nimmt teil an Poirots Ermittlungen und Befragungen. Gerade bei den Gesprächen mit den Beteiligten läuft Poirot zu gewohnter, schlitzohriger Hochform auf, es ist ein Vergnügen ihn zu begleiten. Leider sind die gewonnenen Erkenntnisse wenig erhellend, denn immer wieder läuft alles auf Elinor als Täterin hinaus. Natürlich kommt es beim Lesen zu den wildesten Spekulationen, man mag halt nicht glauben, dass AC den Täter direkt auf der ersten Seite präsentiert, aber so richtig logisch sind diese Spekulationen nie.

In ihrer unvergleichlichen Art schafft es AC wieder den Leser bis zuletzt aufs Glatteis zu führen, falsche Spuren zu legen, Verwirrung zu stiften, das Mitkriminalisieren ist ein riesen Spaß. Die Auflösung erfolgt mal nicht in der üblichen großen Inszenierung, bietet eine Überraschung, aber im Rückblick ergibt es Sinn. Einer der besten Fälle Poirots.

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Veröffentlicht am 21.03.2024

In der Hitze der Nacht

Pickard County
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Als Cop in einer langsam überalternden Stadt fährt Harley Jensen Nachts seine Runden, kontrolliert immer und immer wieder die gleichen verlassenen Höfe, darunter auch den, auf dem seine Familie früher ...

Als Cop in einer langsam überalternden Stadt fährt Harley Jensen Nachts seine Runden, kontrolliert immer und immer wieder die gleichen verlassenen Höfe, darunter auch den, auf dem seine Familie früher gelebt hat. Auffällig oft gerät er bei seinen Fahrten mit Paul Reddick aneinander, der junge Mann ist nie weit wenn es irgendwo Ärger gibt und ihn und Harley verbindet eine lange Geschichte.

Die Autorin liefert hier einen, gleich in mehrere Hinsicht ungewöhnlichen und untypischen Krimi. Schon mit ihren ersten Sätzen hat sie mich kalt erwischt, sowas erwartet man eigentlich in einem Krimi nicht unbedingt und ich lese viele davon.

"Als Harley nach Osten in Richtung des Reviers fuhr, brach der Morgen an wie das Stillleben eines Feuerscheins, auf dem die Wolken sich zurückzogen, um einen zerklüfteten, honigfarbenen Sandberg anzustrahlen." Wie toll ist denn bitte dieser Satz?

Wenn man nun aber von diesem Satz darauf schließt, das es hier verklärt und romantisch wird, wird man enttäuscht. Romantisch ist in diesem Buch rein gar nichts. Chris Harding Thornton könnte mit ihren Figuren und dem Schauplatz ihrer Geschichte kein größeres Kontrastprogramm fahren. Die Geschichte spielt im heißen, staubig trockenen Nebraska, man spürt hier fast die stehende Hitze in Pams Wohnwagen, fühlt, den Schweisstropfen der an ihrer Kniekehle herunterläuft, kann die Trostlosigkeit mit Händen greifen. Neben Harley und Paul sind auch Pauls Bruder Rick und dessen Frau Pam tragischer Bestandteil dieses Ensembleromans. Zwischen diesen vier Figuren springt die Geschichte hin und her, immer wieder findet ein Perspektivenwechsel statt und man folgt den Ereignissen aus einem anderen Blickwinkel, ist dann voll bei der Figur, erlebt ihre Gedanken und Gefühle. Besonders bei Pam wird es sehr intensiv, denn sie hadert sehr mit ihrem Leben als junge Mutter und Ehefrau, versucht immer wieder aus der Eintönigkeit auszubrechen, leider in einer Art und Weise, die den ein, oder anderen Leser schockieren wird.

Picard County erzählt gleich mehrer Familiengeschichten und zeigt eindringlich, wie Traumata und erlittene Verluste diese prägen und letztlich auch zerstören können. Die Story entwickelt sich eher ruhig, fast träge und zäh, als würde die brütende Hitze alles verlangsamen. Der Leser spürt aber direkt von Anfang an, dass man auf eine Katastrophe zusteuert. Sie kündigt sich mit jedem Wort an, sie ist unausweichlich, entsteht aber letztlich nur durch Missverständnisse, fehlendes Vertrauen und Vorurteile. Man fühlt sich fast wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines Autos, spürt die Gefahr, ist aber paralysiert und kann nicht weglaufen. Trotz dieser zähen Entwicklung hat mich das Buch aber total gepackt, ich war gefesselt von den Figuren und konnte das Buch nicht aus der Hand legen. Als es dann vorbei war, ging es mir dann plötzlich viel zu schnell.

Das Buch enthält neben der Danksagung der Autorin noch ein Nachwort von Marcus Müntefering, der die Spielart des Romans erklärt, die Country oder Rural Noir genannt wird und sich mit Menschen am Rande der Gesellschaft beschäftigt. Es war sehr interessant diese Anmerkungen zu lesen.

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Veröffentlicht am 17.03.2024

Es gibt Gut und es gibt Böse

Notizen zu einer Hinrichtung
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Ansel Packer sitzt für den Mord an mehreren Frauen in der Todeszelle. Noch in seinen letzten Stunden ist er davon überzeugt missverstanden zu werden und er ordnet seine Notizen, seine Theorie, in der er ...

Ansel Packer sitzt für den Mord an mehreren Frauen in der Todeszelle. Noch in seinen letzten Stunden ist er davon überzeugt missverstanden zu werden und er ordnet seine Notizen, seine Theorie, in der er der Welt seine Sicht der Dinge darlegen will, keine Rechtfertigung seiner Taten, keine Entschuldigung an die Opfer und ihre Familien, sondern seine Wahrheit zu Gut und Böse.

"Wenn du Sie liest, wirst du alles verstehen. Gut und Böse sind einfach Geschichten, die wir uns erzählen, Narrative, die wir erfunden haben, um unsere Existenz zu rechtfertigen. Niemand ist vollkommen gut, oder vollkommen böse. Jeder verdient es, weiterzuleben, findest du nicht?"

Danya Kukafka liefert hier einen sehr untypischen, aber um so eindringlicheren Thriller. Der Leser begegnet Ansel und erfährt in Rückblicken auf die Frauen in seinem Leben etwas über sein Leben. Da gibt es Lavender, die Mutter, gefangen in einer toxischen Beziehung zu Ansels Vater, die, um die Kinder und letztlich auch sich zu retten flüchtet und darauf hofft, das es den beiden kleinen Jungen in der Obhut des Jugendamtes besser ergeht. Saffy, die Polizeibeamtin, die erfolglos im Fall eines von Ansels Opfern ermittelt und Ansel aus der gemeinsamen Zeit in einer Pflegefamilie kennt und Hazel, die Schwester von Ansels Lebensgefährtin. Drei Frauen, die Ansel beeinflusst haben, oder deren Leben durch Ansel beeinflusst wurde, verändert wurde für immer.

Vor dem Leser breitet sich nicht nur ein Leben aus, sondern viele Leben und über allem steht die Frage die Ansel immer beschäftigt, Was wäre Wenn. Was wenn Ansels Mutter die Jungs nicht verlassen hätte? Was wenn Ansel ebenfalls von einer netten Familie adoptiert worden wäre? Was wenn ...? Ständig philosophiert Ansel darüber, wie sein Leben wohl in einem Universum verlaufen wäre, wenn hier nur eine Entscheidung anders getroffen worden wäre. Letztlich läuft es auf die Debatte hinaus, ob Menschen von Grund auf Böse sind, quasi durch ihre Gene und somit gar nicht anders handeln können, oder, ob die Entscheidungen in ihrem Leben, ihre Lebensumstände sie zu dem Monster machen, das am Ende nur selbst den Tod verdient hat. Eine Grundsatzfrage, sicher nicht leicht zu beantworten und nur ein Aspekt des Buches, der beim Leser nachhallt. Ein Weiterer ist sicher die Debatte über die Todesstrafe, Sinn, oder Sinnlosigkeit dieser Form der Strafe, denn, wie Blue, Ansels Nichte und Zeugin bei der Hinrichtung bemerkt - "...auch schlechte Menschen empfinden Schmerz."

Für einen Thriller ist das Buch unglaublich dicht und tiefgründig. Die Autorin fächert das Leben ihrer Figuren vor dem Leser auf. Während in Ansels Kapiteln der Ton eher neutral, aber immer latent bedrohlich ist, ist er bei den Frauen eher emotional, mitfühlend, aber auch bedrückend. Der Leser nimmt teil, taucht ein, kann den Schmerz, die Angst, die Verzweiflung, aber auch das Glück und die Liebe fühlen. Die verschiedenen Sichtweisen auf Ansel geben ein unglaublich komplexes Bild von seine Figur und schaffen es, das der Leser fast so etwas wie Sympathie für ihn entwickelt, ungeachtet seiner Taten.

Mich hat das Buch in Thematik und Umsetzung total überzeugt, ich habe nicht damit gerechnet, dass sich die Geschichte in dieser Art und Weise entwickeln würde. Ich würde das Buch nicht unbedingt als klassischen Thriller einordnen, eher als Charakterstudie, vielleicht sogar ein ganz klein wenig als Drama. Das Buch ist so vielschichtig, dass hierzu mehrer Interpretationen möglich sind. Von mir gibt es eine unbedingte Leseempfehlung, definitiv eines meiner Jahreshighlights.

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