Jahreshighlight
MitternachtsschwimmerEskapistische Romane sind gerade in Mode. Oder vielleicht häufen sie sich auch aktuell einfach nur in meinem persönlichen Leseverhalten? Roisin Maguires Roman jedenfalls reiht sich wunderbar unter seinesgleichen ...
Eskapistische Romane sind gerade in Mode. Oder vielleicht häufen sie sich auch aktuell einfach nur in meinem persönlichen Leseverhalten? Roisin Maguires Roman jedenfalls reiht sich wunderbar unter seinesgleichen ein, oder, vielleicht treffender: sticht deutlich daraus hervor. Nicht einmal wegen der Story an sich, denn die ist eigentlich recht klassisch: Ein schwerer Schicksalsschlag führt nicht nur Evans Beziehung bis an ihre Grenzen, sondern auch ihn ins kleine Küstendörfchen Ballybrady. Hier mietet er sich in ein windschiefes Airbnb ein und lungert auf dem Sofa herum. Bis er seiner Vermieterin Grace begegnet, die wahrhaftig eine Erscheinung für sich ist - unförmiger, riesiger Poncho, ruppig und fluchend, nachts nackt im Meer schwimmend, und das bei den Temperaturen!
Und da wären wir auch schon am Kern der Faszination angelangt, die "Mitternachtsschwimmer" ausübt: die Figuren. Evan, sein kleiner Sohn Luca, der später hinzukommt, allen voran Grace und auch so manche Nebenfigur ziehen einen beim Lesen schnell in den Bann. Da fällt es kaum auf, dass man am Anfang der Geschichte nicht recht weiß, wohin sich das entwickeln soll - ehe man sich's versieht ist man mittendrin und will am liebsten auch gar nicht mehr raus.
Die Nähe zur Natur, die rauen Küstenlinien, das Meeresrauschen, der Geruch nach Fisch und Salz und die Gezeitentümpel voller wimmelden Lebens, aber auch die Eigentümlichkeit der Dorfbewohnerinnen, insbesondere die Exzentrik Graces, lassen einen ganz tief eintauchen in diesen Roman. Kein Wunder, dass Evan, der eigentlich nur ein paar Tage dem Alltag entfliehen wollte, Woche um Woche in Ballybrady verbringt und gar nicht merkt, wie die Zeit verfliegt!
Wirkt der Roman auch am Anfang unnahbar und abweisend - passenderweise exakt wie seine Protagonistin -, offenbart sich sehr schnell eine ganz andere Seite. Die Figuren tasten sich vorsichtig aneinander an, und als Leserin fühlt man sich bald schon als Teil dieser zarten Freundschaft, die sich da entspinnt.
Einfühlsam und wild, zart und ruppig ist Maguires Roman. Und dabei jetzt schon ein Jahreshighlight für mich. Ganz große Empfehlung!