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Veröffentlicht am 24.03.2024

Satirischer Blick auf digitale Hypes

Content
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Elias Hirschl übertreibt, aber übertreibt er wirklich maßlos? Beim Lesen des Buches musste ich an diese Orte in Asien denken, wo eine Content-Producerin neben der anderen mit ihrem Ringlicht sitzt oder ...

Elias Hirschl übertreibt, aber übertreibt er wirklich maßlos? Beim Lesen des Buches musste ich an diese Orte in Asien denken, wo eine Content-Producerin neben der anderen mit ihrem Ringlicht sitzt oder natürlich an die ganzen Menschen, die die ultimativen Tipps für die besten ChatGPT-Prompts für das geilste Marketing ever raushauen. Im Augenblick vergeht ja kein Tag, an dem nicht über die wahnsinnigen Erleichterungen, die der Einsatz von KI mit sich bringen wird, geschrieben wird.

Mit „Content“ führt Elias Hirschl das Ganze ad absurdum bzw. beschreibt teilweise sogar die Realität. Das Programmieren von Bots, die u. a. Twitter fluten oder die Nutzung künstlicher Intelligenz, um einfach nicht mehr selbst unnütze Inhalte zu schreiben, ist nicht ganz fern der Wirklichkeit. An manchen Stellen blieb mir das Lachen im Halse stecken und an manchen Stellen musste ich einfach schallend lachen, weil Hirschl es schafft, diese ganze Start-up Szene so zu überzeichnen und auch die Content-Creator von hippem Video-Content auf die Schippe zu nehmen.

Es ist böse, gesellschaftskritisch und bissig-witzig und spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft in einer Landschaft, die dem Ruhrgebiet verdammt ähnlich ist, was auch. Das hat noch einmal einen ganz besonderen Charme, wohne ich doch in der Nähe und erfreue mich regelmäßig an den schicken Ausstellungshallen wie Phoenix West in Dortmund, wo jetzt immersive Kunst gezeigt wird.

Zwischendurch driftet das Buch noch einmal komplett ab, als sich die Protagonistin daran macht, den dicken, roten Kabeln bei Smile Smile Inc. in den Keller zu folgen. Da wird es sehr schräg, so dass man nicht weiß, ob das nicht gerade ein LSD-Tripp beschrieben wird. Und ich mag ja bekanntlich so schräge Bücher.

„Content“ ist nicht nur lustig, es zeigt auch auf erschreckende Art, wie es in der heutigen Welt möglich ist, komplett isoliert zu leben. Je nach Arbeit können wir 24/7 in unserem Zuhause bleiben. Das Essen wird geliefert, Kleidung und anderes wird geliefert, der Kontakt nach außen kann per Telefon (okay, das ist jetzt meinem Alter geschuldet, dass ich das aufliste), Videotools oder Messenger- und Social-Media-Diensten aufrechtgehalten werden. Wenn wir wollen, können wir uns völlig einigeln und haben keinen Kontakt mehr zur Außenwelt und bekommen gar nicht mehr mit, was um uns herum passiert.

Das Buch ist überzogen und doch ist es erschreckend, dass zum Beispiel die Entwicklung Twitters zu X das Buch während seiner Entstehung rechts überholt hat. „Content“ macht, was gute Satire ausmacht, es verabreicht den erschreckenden Schluck Realität in einem mit Humor angereicherten Cocktail.

Meine nicht geringen Erwartungen konnte „Content“ also voll erfüllen, allein schon deshalb, weil es sehr humorvoll und ein wenig bissig-böse mit den Macken der digitalen Marketing-Maschinerie und dem KI-Hype umgeht. Also, von mir gibt’s eine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 31.01.2024

Ein Best-of des Kochblogs Herr Grün kocht

Herr Grün kocht. Natürlich. Vegetarisch und vegan
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Warum ein Kochbuch, wenn es doch auch das Kochblog von Herrn Grün gibt? Diese Frage stellen sich vermutlich einige. Und ich kann nur sagen, dass das Kochbuch natürlich nicht das ganze Blog abbildet, aber ...

Warum ein Kochbuch, wenn es doch auch das Kochblog von Herrn Grün gibt? Diese Frage stellen sich vermutlich einige. Und ich kann nur sagen, dass das Kochbuch natürlich nicht das ganze Blog abbildet, aber die Essenz, ein Best-of oder so etwas wie eine Visitenkarte ist. Das Buch zeigt die ganze Bandbreite dessen, was Herr Grün sich so im Laufe der Jahre zusammengekocht hat.

Es gibt die kleinen Geschichten mit Professor Caprese aus und rund um das Kochlabor, schöne Bilder und was ich sehr schätze, Rezepte, die nachzukochen sind. Die Mengenangaben sind wirklich für 2 oder was auch immer für eine Personenanzahl, was nicht bei jedem Kochbuch so ist. Du wirst satt und musst nicht überlegen, was du danach noch ist. Vermutlich habe ich deshalb noch nicht so viele Desserts ausprobiert. Nach Suppe und Hauptgang passt meist nur noch ein Espresso.

Zwischendurch gibt es die schönen Zeichnungen und die dazu passenden Geschichten, die nicht zu lang sind und gut auf die einzelnen Rubriken und Rezepte abgestimmt sind. Sie machen Lust auf das Essen und unterhalten, genau so, wie es sein sollte.

Die meisten Zutaten sind gut zu bekommen hier in der Kleinstadt Hagen. Einmal gab es eine Nudelsorte nicht, aber gefühlt 33 andere, so dass das nicht zum Drama wurde.

Es gibt so einiges, was ich noch aus dem Buch kochen möchte und auf dem Blog Herr Grün kocht wird auch kontinuierlich nachgelegt, so dass es mir mit Herrn Grün nicht langweilig werden wird.

Wenn du auf der Suche nach einem guten Kochbuch mit vegetarischen und veganen Gerichten bist, die leicht mediterran angehaucht sind, ist dieses Kochbuch eine gute Wahl!

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Veröffentlicht am 15.10.2023

Was zählt?

Solange wir schwimmen
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Das Schwimmbad unter der Erde – regelmäßig trifft sich dort eine eingeschworene Gemeinschaft, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Das Schwimmen eint sie, es ist ihr Anker, ihre Konstante im Leben, ...

Das Schwimmbad unter der Erde – regelmäßig trifft sich dort eine eingeschworene Gemeinschaft, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Das Schwimmen eint sie, es ist ihr Anker, ihre Konstante im Leben, auch für Alice, die ganz langsam der Demenz anheim fällt.

Doch dann passiert etwas, es gibt einen Riss im Schwimmbad und das gewohnte Leben ist in Gefahr. Woher kommt der Riss? Ist er gefährlich? Kann er repariert werden? Auch die Erinnerungen von Alice werden immer brüchiger und so kommt sie eines Tages in ein Pflegeheim. Ihre Tochter beginnt, die Beziehung zu ihrer Mutter aufzuarbeiten und zu vertiefen.

Das Buch hat mich unglaublich berührt. Es fängt so leicht an mit der Beschreibung der Menschen, die sich regelmäßig im unterirdischen Schwimmbad treffen. Die ganzen merkwürdigen Typen mit ihren kleinen und großen Macken. Sie beschreibt auch ganz genau, wie gut es tut, regelmäßig Bahnen zu ziehen und das Gefühl danach. Es kommt mir nur zu bekannt vor.

Dann wird es von Kapitel zu Kapitel ernster und es geht an den Kern des Buches. Es geht um die Geschichte von Alice, ihrer Demenz und dass ihre Tochter merkt, dass es jetzt zu spät ist, all das nachzuholen, was sie mit ihrer Mutter hätte machen können.

Julie Otsuka gelingt es, das Ganze sprachlich so gut auszudrücken und schafft es sogar, das Pflegeheim in eine Stimme zu verwandeln. Es ist eine Stimme, die aufzählt, was dort auf Alice wartet und nichts beschönigt.

Diese Beschreibungen zeigen, was aus den Erinnerungen alles verloren geht. Jegliche Selbstbestimmung, Intimsphäre und die gewohnte Umgebung mit den geliebten Menschen – es ist ein kompletter Neustart, bei dem das Ende vorbestimmt ist. Und den Weg dorthin schildert die Stimme des Pflegeheims genau, sehr sachlich, aber sehr direkt, so dass mir jetzt beim Schreiben noch immer ein Gefühl der Enge in der Magengegend ist.

Beklemmend genau geht beschreibt Julie Otsuka den Weg von Alice, sie schildert ihr Leben, die Höhen und die Tiefen und auch die Beziehung ihrer Tochter zu ihr. Ihr wird klar, was sie versäumt hat und man fühlt als Leser*in den Schmerz und den Verlust. Es tut so unglaublich weh und was ist das für eine Schreibkunst, das so fühlbar zu machen!

So traurig das Buch ist, so gut ist es auch. Eine ganz große Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 14.10.2023

Auf der Suche nach den Wurzeln

Paradise Garden
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Billie lebt mit ihrer Mutter in irgendeiner Stadt irgendwo in Deutschland in einer Hochhaussiedlung. Geld ist immer knapp und Billies Mutter schafft es mit Müh und Not sich und ihre Tochter über Wasser ...

Billie lebt mit ihrer Mutter in irgendeiner Stadt irgendwo in Deutschland in einer Hochhaussiedlung. Geld ist immer knapp und Billies Mutter schafft es mit Müh und Not sich und ihre Tochter über Wasser zu halten. Eins schafft sie jedoch immer, sie hat die Gabe aus dem Kleinen etwas Großes zu machen und schafft es, Billies Leben immer wieder mit sonnigen Momenten zu fluten.

Bei einer Sache ist sie jedoch ganz verschlossen, Billie erfährt nie, wer ihr Vater ist.

Eines Tages reist die Großmutter aus Ungarn an und es wird alles anders, anstrengend, ungewohnt. Das Verhältnis zwischen Marika, Billies Mutter, und ihrer Mutter ist sehr kompliziert. Vieles ist ungeklärt zwischen den beiden Frauen und die Stimmung wird immer schlechter.

Dann passiert das Undenkbare, Billies Mutter stirbt und ihre Welt bricht zusammen. Sie begibt sich auf die Suche nach ihren Wurzeln, sie sucht ihren Vater.

Long story short: Paradise Garden hat mich umgehauen oder besser, die Sätze, die Sprache von Elena Fischer. Sie schafft es, das Schwere leicht zu machen in ihren Sätzen. Sie erzählt das Buch aus Sicht einer Vierzehnjährigen, was alles andere als einfach ist. Es ist die Zeit, in der sowieso gerade Körper und Geist auf einer Achterbahnfahrt ohne Pause sind. Und bei Billie, der Hauptperson des Buchs, wird noch einer der krassesten Loopings eingebaut, die dir in dem Alter passieren können – ihre Mutter stirbt.

Als Erwachsene ist es schon schwer, ein Elternteil zu verlieren, aber in dem Alter ist es ungleich schwerer. Um das zu verdeutlichen, lässt Elena Fischer Billie auch noch während der Beerdigung ihre erste Periode bekommen. Es sind diese Kleinigkeiten, die da Buch so lesenswert machen. Genauso ist es mit den Nebenfiguren. Sie malt sie so aus, dass ich mir sie als Leserin vorstellen kann. Billies Freundin Lea, die Kompliziertheit dieser Freundschaft, Ahmed, der Nachbar, der es schafft zu verbinden. Luna, die Nachbarin, die da ist und um die sich Billie und ihre Mutter genauso kümmern, wie sie sich um die beiden. Sie wartet auf ihren Durchbruch als Schauspielerin.

Es sind die liebevollen kleinen Momente von Billie und ihrer Mutter, die dem Buch Wärme geben. Die kleinen Überraschungen, die Marika ihrer Tochter bereitet. Man merkt, wie viel Herzblut darin steckt, es ihrem Kind schön zu machen. Sie spielen Urlaub, wenn die anderen in Urlaub fahren, aus einem Freibadbesuch wird eine schöne Erinnerung. Und genauso wie die schönen Momente fühlbar sind, macht Elena Fischer auch den Schmerz sichtbar.

Dass Billie nach der Beerdigung nur noch weg will, um ihren Vater zu finden, ist absolut verständlich. Die Geschichte geht ein bisschen in Richtung Road Trip und es wird kompliziert, aber es passt. Das Gute ist, in Paradise Garden werden keine Orte, kein Jahr, kein gar nichts genannt. Man kann etwas erahnen, aber muss sich nicht festlegen. Dadurch ist man nicht abgelenkt und kann sich voll auf die Geschichte konzentrieren.

Die Figuren im Buch behalten ihre Würde, es strahlt Wärme aus und jede Figur ist nicht nur schwarz oder weiß. Das verleiht dem Buch Tiefe, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag. Für mich ein absolutes Highlight und ich bin gespannt, was Elena Fischer noch schreiben wird!

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Veröffentlicht am 14.10.2023

Neustart

Marzahn, mon amour
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Katja Oskamp startet mit Mitte 40 noch einmal neu. Sie wird Fußpflegerin und zwar nicht irgendwo, sondern in Berlin-Marzahn mitten Plattenbauwohngebiet. Ihr Kind ist ausgezogen, der Mann krank und sie ...

Katja Oskamp startet mit Mitte 40 noch einmal neu. Sie wird Fußpflegerin und zwar nicht irgendwo, sondern in Berlin-Marzahn mitten Plattenbauwohngebiet. Ihr Kind ist ausgezogen, der Mann krank und sie möchte etwas anderes machen als erfolglos zu schreiben. Ihr Umfeld bringt ihr wenig Verständnis entgegen: „Ich erzählte zuerst niemandem von meiner Umschulungsaktion. Als ich es dann doch tat und lachend mit dem Zertifikat wedelte, schlugen mir Ekel, Unverständnis und schwer zu ertragendes Mitleid entgegen.“

Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb beginnt sie in Marzahn in einem Fußpflegesalon zu arbeiten. Sie beschreibt ihre Arbeit und erzählt die kleinen und großen Geschichten, deren Füße sie umsorgt.

Aber nicht nur die Geschichten der Kund*innen erzählt sie, auch von ihren Arbeitskolleginnen und deren Leben.

Und sie erzählt die Geschichte der Frauen, die beginnen unsichtbar zu werden in der Mitte des Lebens.

Es ist ein richtig schönes Buch, das an einem Nachmittag schnell gelesen werden kann oder – um es ein bisschen mehr zu genießen – in kleinen Häppchen, Geschichte für Geschichte. Denn es sind bezaubernde, traurige und auch witzige Geschichten von Katja Oskamps Kundinnen und Kunden aus Marzahn. Die Autorin schreibt ganz liebe- und respektvoll von den Menschen, deren Füße sie pflegt.

Treffsicher beschreibt sie Gemüts- und Gefühlslage und nur ein einziges Mal schimmert ihre nicht ganz so gute Meinung durch. Sie macht aus den kleinen Geschichten der Menschen, die ihr ihre Füße anvertrauen, große Geschichten und gibt ihnen die Bedeutung, die sie für diese Menschen haben.

Auch wirft sie einen ganz anderen Blick auf Berlin-Marzahn, als das sonst gemacht wird. Sie macht es persönlicher und es werden die Menschen sichtbar, das, was man vergisst, wenn einfach nur der Begriff „Plattenbau“ gebraucht wird.

Aber es ist auch ein Buch vom Zufrieden-Werden, sich einpendeln auf einen anderen Lebensrhythmus, sich in der Unsichtbarkeit wohlfühlen bzw. sie sich auch zunutze machen. Denn, wenn du nicht wirklich wahrgenommen wirst, kannst du dich auch einfacher ausleben.

Dieser Teil des Buches ist noch einmal auf einer ganz anderen Ebene, denn das Leben in der Mitte des Lebens ist ein Umbruch und es ist nicht immer leicht, damit umzugehen. Denn diese Unsichtbarkeit ist nicht einfach an den Schriftstellerinnen-Haaren herbeigezogen, das Gefühl haben viele Frauen in dieser Zeit, in der so viel im Außen und im Innen passiert.

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