Homosexualität im Männerfußball - ein letztes Tabu?
„Mutproben“ von Thomas Hitzlsperger ist nicht nur die Geschichte (s)eines Coming-outs, sondern auch die beachtenswerte Entwicklung eines jungen Mannes vom elterlichen Bauernhof in die Welt des Profifußballs. ...
„Mutproben“ von Thomas Hitzlsperger ist nicht nur die Geschichte (s)eines Coming-outs, sondern auch die beachtenswerte Entwicklung eines jungen Mannes vom elterlichen Bauernhof in die Welt des Profifußballs. Das Buch liest sich sehr spannend und gibt Einblick in die Welt des Profifußballs in der der schnöde Mammon mehr zählt, als der einzelne Spieler.
Wie könnte es sonst sein, dass die Fußball-WM an Länder wie Quatar und Saudi-Arabien vergeben wird, in denen Menschen- und Frauenrechte aufs Gröbste vernachlässigt sowie Homosexualität bestraft werden?
Warum wird männliche Homosexualität gerade im Fußball so vehement negiert und abgestritten? Weil im Fußball eine ureigene männliche Identifikation innewohnt?
Hitzlsberger geht, wie die ehemalige Bundesliga-Spielerin Tanja Walther-Ahrens in ihrem 2011 erschienen Buch „Seitenwechel“ der Frage nach, wieso es im männlichen Fußball nahezu unmöglich ist, seine Homosexualität als aktiver offen zu leben. Es scheint, dass hier ein archaisches Männlichkeitsideal in den Köpfen von Trainern, Spielern, Funktionären und Fans tief verwurzelt zu sein, das voller Widersprüche steckt.
Dazu passen auch die überschwänglichen, oftmals peinlichen Umarmungen oder Gesten nach einem Tor oder gar einem Sieg. Hier scheint wenig Männliches vorhanden zu sein. Auch der auffallend zur Schau gestellte Körperkult zahlreicher Spieler trägt zur Doppelmoral bei. Da wird tätowiert, die Haare gestylt, Zopferl geflochten und die Sixpacks zur Schau gestellt und gleichzeitig die Homosexualität geleugnet.
Die Antworten auf die Frage, warum es für aktive Profifußballer so schwer ist, sich als homosexuell zu outen, sind nicht leicht zu finden. Hitzlsperger beschreibt die inneren Kämpfe, das Für und Wider eines Outing sehr anschaulich. Er erzählt aus eigener Erfahrung vom Klima in der Kabine, der Reaktion von Öffentlichkeit und Medien sowie und deren Folgen für ihn als Einzelnen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass seit Hitzlspergers Coming Out vor nun gut 10 Jahren kein aktiver Fußballer in Deutschland den Schritt gewagt hat.
Weltweit gibt es rund zehn männliche Fußballprofis, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Das Thema scheint weiterhin unter den Teppich gekehrt zu werden.
Hitzlsperger erzählt von Justin Fashanu, dem Pionier aus England. Er war der erste Spieler, der sich 1990 (!) während seiner Profikarriere geoutet hatte. Fashanu war mit einer Welle an Ablehnung konfrontiert. Sein Trainer Brian Clough beschimpfte ihn vor versammelter Mannschaft etwa als "verdammte Schwuchtel". Fashanu wurde gleich doppelt diskriminiert: schwarz und schwul - eine unheilvolle Kombination, die ihn letztlich das Leben gekostet hat. Nachdem er von einem Minderjährigen der Vergewaltigung beschuldigt worden ist, begeht er Selbstmord.
Gemeinsam mit Co-Autor Holger Gertz erzählt Thomas Hitzlsperger in seiner lebendigen Autobiografie zahlreiche Anekdoten, zeigt aber auch seine verletzliche Seite als seine Persönlichkeit. Dabei wirkt Hitzlsperger, „Hitz the Hammer“ wie ihn die Engländer auf Grund seines scharfen Schusses nennen, geerdet. Er ist Vorbild. Sein Aktivismus ist leise und bestimmt, Brachialgewalt ist nicht das Seine. In seinem Buch verknüpft er Privates mit Öffentlichem. Er spricht sachlich und ohne die weit verbreitete Heuchelei die Widersprüche im Männerfußball an. Dabei ist er weder selbstgerecht oder belehrend oder suhlt sich in Selbstmitleid.
Dass Homophobie im Männerfußball noch immer sehr weit verbreitet ist, zeigt sich bei fast jedem Wiener Derby ein Bild machen. Die schwulenfeindlichen Fangesänge gehören genauso zum schlechten Ton eines Spiels zwischen Rapid und der Austria wie das spezifische Umfeld, das diese toxische Männlichkeit fördert.
Dass Hitzlpergers Buch nur wenige Wochen nach dem Eklat im Anschluss an das letzte Wiener Derby erschienen ist, ist wohl ein Treppenwitz der Geschichte. Was ist da passiert? Nach dem Sieg Rapids sind Funktionäre, Spieler und Fans durch homophobe Schlachtgesänge mehr als unangenehm aufgefallen. Rapid-Präsident Alexander Wrabetz sollte Hitzlspergers Buch als Pflichtlektüre für Spieler, Fans und Funktionäre seines Vereins einführen.
Dabei könnte gerade der Fußball einiges zur Akzeptanz von Homosexualität bewirken, denn "Der Ball ist rund und kann deswegen mehr ins Rollen bringen als viele es sich vorstellen können."
Fazit:
Dieser Autobiografie, die Pflichtlektüre für Fußballfunktionäre, Spieler und Fans sein sollte, gebe ich gerne 5 Sterne.