Denkanstöße
Notizen zu einer Hinrichtung„Es gibt kein Gut oder Böse. Stattdessen haben wir die Erinnerung und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, wir alle existieren an unterschiedlichen Punkten des dazwischenliegenden Spektrums. Wir werden ...
„Es gibt kein Gut oder Böse. Stattdessen haben wir die Erinnerung und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, wir alle existieren an unterschiedlichen Punkten des dazwischenliegenden Spektrums. Wir werden geformt durch das, was uns widerfahren ist, aber wir sind auch das Produkt unserer Entscheidungen.“
Schaut man sich das Leben Ansel Packers an, kommt man nicht umhin, darin ein Körnchen Wahrheit zu entdecken. Aufgewachsen in prekären Umständen bei einer Teenagermutter und einem Psychopathen, dessen Erziehungsmethoden in erster Linie aus Nahrungsentzug und Gewalt bestehen, wird er zu einem Menschen ohne Mitgefühl, der später ohne mit der Wimper zu zucken oder Schuldgefühle zu entwickeln, Frauen, die seinen Weg kreuzen, das Leben nehmen wird.
In Danya Kukafkas „Notizen zu einer Hinrichtung“ geht es aber nur am Rande um diesen Serienmörder und die kruden Überlegungen, die er in den letzten Stunden seines Lebens anstellt. Sie stellt die Opfer in den Mittelpunkt, gibt ihnen Raum, um ihre Geschichten zu erzählen, zeigt die Schnittstellen auf, in denen Packer deren Leben streift und unwiederbringlich verändert. Glücklicherweise verzichtet sie dabei auf die in diesem Genre üblichen detaillierten, von Gewalt geprägten Beschreibungen, sondern konzentriert sich auf die Täter-Opfer-Beziehungen aus Sicht der Frauen.
Drei Frauen, die Packers Leben gekreuzt haben, kommen zu Wort: Packers Mutter Lavender, die ohne sich noch einmal umzudrehen aus ihrem Leben voller Missbrauch flüchtet und Packer mit dem Neugeborenen ohne Nahrung zurücklässt. Das Baby überlebt nicht, und Packer kommt in staatliche Obhut, wird in einer Pflegefamilie untergebracht, in der er auf Saffy trifft. Saffy, die ihn beobachtet, sein Verhalten mit Misstrauen beäugt, vielleicht deshalb auch beschließt, Polizistin zu werden, und später die Erste sein wird, die in ihm den Mörder sieht und überführt. Und dann ist da noch Hazel, Zwillingsschwester Packers späteren Frau Jenny, die hilflos mit ansehen muss, wie dessen manipulatives und grausames Verhalten ihre Schwester allmählich zerstört.
Kukafka gibt Denkanstöße. Warum diese Vielzahl von verschwendeten Leben? Sind es die Umstände, die Herkunft oder doch die Entscheidungen, die die Biografie bestimmen? Und was geschieht, wenn man an einer Kreuzung falsch abbiegt? Einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl beschreibt sie diese von männlicher Gewalt und Manipulation geprägte Frauenleben, aus denen es ab einem bestimmten Punkt keinen Ausweg mehr gibt. Und auch für Ansel Packer ist die Möglichkeit eines Exits längst verstrichen. Sein Leben endet auf der Pritsche. Mit der Nadel im Arm.