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Veröffentlicht am 27.03.2024

Eine liebevolle Geschichte über das Alter

Die Vermesserin der Worte
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Die neunundzwanzigjährige Ida hat schon ein paar Bücher veröffentlicht. Zur Zeit lebt sie von dem Vorschuss, den ihr Verlag ihr für die nächste Geschichte gezahlt hat aber Ida hat ihre Worte verloren. ...

Die neunundzwanzigjährige Ida hat schon ein paar Bücher veröffentlicht. Zur Zeit lebt sie von dem Vorschuss, den ihr Verlag ihr für die nächste Geschichte gezahlt hat aber Ida hat ihre Worte verloren. Obwohl sie ihn nie um Geld gebeten hat akzeptiert ihr Vater ihren Beruf nicht. Wenn er sie einmal anruft folgt eine Litanei an Vorwürfen, bis Ida sich klein und nichtig fühlt und ihre Gedanken endlos um seine Worte kreisen lässt.

Der einzige Mensch, zu dem Ida regelmäßig Kontakt hat, ist ihr Postbote und der bringt ihr eine Zeitungsannonce, mit einem Jobangebot. Nur weil der Druck steigt, ihre Agentin sie merken lässt, dass sie nicht mehr wünscht vertröstet zu werden und Ida nicht weiß, wovon sie die nächste Miete bezahlen soll, macht sie sich auf den Weg zum Adressaten der Anzeige.

Als Ida aus dem Zug steigt, wird sie von dem alten Herrn erwartet, mit dem sie telefoniert hatte, er begleitet sie zu ihrer neuen Arbeitgeberin. Kurz vor dem riesigen Anwesen überlässt er Ida sich selbst und zieht sich mit hängenden Schultern zurück. Im Inneren des Hauses findet Ida staubig trübes Tageslicht und eine abweisende alte Dame, die ihr kurz angebunden, einige Anweisungen gibt. Ida darf keinesfalls die Räume im Flur der rechten Etage betreten.

Nachdem sie sich umgesehen, und ein kleines Reich für sich persönlich erobert hat, tritt sie ihren Job an und beginnt zu putzen. Nachdem Ida sich einige Tage lang durch das Haus gereinigt hat, vermisst die Hausherrin den Staub. Sie wirkt verzweifelt, wie sie vor Ida steht, mit flackerndem Blick, den Kaffeeflecken auf der Bluse und den mit Farbe übermalten Lippen. Viel kleiner als gestern, als sie vom oberen Treppenabsatz auf Ida heruntergeredet hatte.

Fazit: Was für eine liebevolle Geschichte über das Alter, das Vergessen und Verschwinden. Die Autorin hat den Charakter der alten Dame schön eingefangen, ihre Krankheit, die Demenz gekonnt eingefügt. Selbst für mich als Leserin ist es traurig mit anzusehen, wie eine so große Persönlichkeit, die in ihrem Leben vieles gewagt hat, das Mut erforderte, um ihren eigenen Weg zu finden, immer mehr verblasst und verschwindet und einfach vergessen wird. Und es ist auch eine Liebesgeschichte zwischen einer weisen alten Frau, die ihre Lebenserfahrung mit einer jungen Frau teilt, die ihre Enkelin sein könnte. Der Schreibstil ist leicht gewöhnungsbedürftig, etwas altbacken aber auch zärtlich. Diese Geschichte habe ich mit Leichtigkeit und überraschend gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 22.03.2024

Lana Lux hat mich gefesselt

Geordnete Verhältnisse
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Philipp ist zehn als er die dritte Klasse wiederholt. Er ist ein Sonderling mit knatschroten Haaren und unzähligen Sommersprossen. Die “Mitgefangenen” seiner katholischen Grundschule nennen ihn Feuerwanze, ...

Philipp ist zehn als er die dritte Klasse wiederholt. Er ist ein Sonderling mit knatschroten Haaren und unzähligen Sommersprossen. Die “Mitgefangenen” seiner katholischen Grundschule nennen ihn Feuerwanze, Streichholz, Pumuckl und, was ihn wirklich demütigt Pipi Langstrumpf. Er ist meistens mies drauf, hat schon im Kindergarten nach den anderen gespuckt und getreten. Seine Mama holte ihn bei Tante Martha und Onkel Peter wieder ab, als er sechs war. Solange brauchte sie, um regelmäßig nüchtern zu sein.

Philipp schaut regelmäßig auf seine Uhr, damit er alle drei Stunden zur Toilette geht, sonst geht wieder was daneben. Frau Steinmeier stellt ihn deswegen vor seinen “Mitgefangenen” bloß, die lachen und er tut so, als wolle er sie nicht töten.

Und dann kommt der Morgen, an dem Frau Steinmeier ein Mädchen, mit schulterlangen, leuchtend roten Locken an der Hand hält. Sie heißt Faina, erfährt er und kommt aus Russland, denkt er. Obwohl seine Familie der Überzeugung ist, dass die Ausländer zu laut sind, nie den Müll trennen, nach Knoblauch stinken und nur auf Sozialleistungen aus sind, werden Philipp und Faina beste Freunde.

Philipp bringt Faina alles bei, Deutsch, gute Manieren und Rollschuhlaufen. Sie fahren zelten und haben Sex, aber das ist nichts für ihn. Körperkontakt mag er nicht und Intimität ekelt ihn. Faina hält ihn auch sonst für ziemlich speziell, weil er Tiere lieber mag als Menschen. Er vertraut niemandem, außer Faina, das macht sie stolz. Er ist brutal ehrlich und kann sich nicht in andere hineinversetzen. Seit er ihren alten Hund einschläfern ließ, weil er glaubte, es sei das beste für ihn, weiß sie, dass er übergriffig ist. Danach meidet sie ihn, will nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Doch fünfzehn Jahre danach ändert sie folgenschwer ihre Meinung.

Fazit: Lana Lux hat mich von der ersten Seite an gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Wortwahl gefiel mir sehr, sie erzählt sehr detailliert und es ist, als stünde ich mittendrin, erlebte alles mit. Die Charaktere sind absolut überzeugend und nicht überzeichnet. Der Konflikt ist nachvollziehbar, weil klar wird, wie die beiden aufgewachsen sind. Zuerst dachte ich, Philipp sei autistisch, doch dann erkannte ich das, worauf die Autorin hinarbeitete und, dass es nur so enden konnte. Die Thematiken waren vielleicht etwas gewagt in ihrer Menge, Demütigungen durch Eltern und Mitschüler, Mobbing, Asexualität, Bisexualität, Alkoholmissbrauch, Narzissmus, Bipolarität, Religionszugehörigkeit, Antisemitismus, Rassismus, aber Lana Lux hat alles ineinanderfließen lassen ohne mich zu erschlagen. Dieses Buch hat mir größtes Vergnügen bereitet.

Ein wenig betrübt haben mich kleine Patzer, Philipp wurde anfangs am 3. März geboren und später beim Zahlenschloss das Geburtsdatum 13.3 angegeben. Der kleine Emryo, der als Junge zur Welt kommen und traditionell beschnitten werden sollte, war dann tatsächlich ein Mädchen, ohne Erklärung, was ein leichtes gewesen wäre, hätte das Lektorat aufmerksamer gearbeitet, das fand ich schlampig und unnötig.

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Veröffentlicht am 15.03.2024

Eine solide Geschichte

Die Arbeiter
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Sommerferien. Wie immer geht es an die Nordsee. Drei Kinder auf der Rückbank des alten Polo. Lisbeth, deren Rollstuhl im Kofferraum liegt, der zweitälteste Kristof und er, “der Kurze”. Die Mutter sitzt ...

Sommerferien. Wie immer geht es an die Nordsee. Drei Kinder auf der Rückbank des alten Polo. Lisbeth, deren Rollstuhl im Kofferraum liegt, der zweitälteste Kristof und er, “der Kurze”. Die Mutter sitzt auf dem Beifahrersitz und steckt dem Vater, der fährt, eine Zigarette nach der anderen an.

Als sie endlich ankommen, ist der Vater kaputt von der Fahrt und muss sich erstmal hinlegen. Die Mutter sitzt in der Küche und raucht. Weil sie kaum Luft kriegt, sitzen sie bald beim Kurarzt im Wartezimmer. Das Reizklima.

Der Vater hat wieder sein Ritual zelebriert. Das ganze Jahr über sammelte er Münzen und kleine Scheine, nun zählen sie alle zusammen nach, über 350 Mark für Pommes, Hamburger und Cola. Jetzt werden sie sich mal richtig erholen von der Maloche, den Bausparverträgen und Ratenkrediten.

Mein Vater, der nie genug arbeiten konnte, um am Ende des Monats nicht im Minus zu landen. Meine Mutter, die ständig in Sorge war, irgendwo zu kurz zu kommen: So waren wir. S. 87

Viele Jahre später ist “der Kurze” vierzig. Für ihren Sohn wollen er und seine Frau Katja alles anders machen als die Eltern. Aber dann sind sie doch auf Kante genäht, brüllen sich an, sind cholerisch und kalt zueinander, fallen, verlieren fast alles und fangen sich im letzten Moment wieder.

“Der Kurze” muss es erst noch lernen, das Sprechen über Gefühle. Zuhause war kein Platz fürs Fühlen, erst recht nicht, um darüber zu sprechen. In seiner Familie wurde alles verdrängt, später dann auch der Tod seines Vaters.

Fazit: Eine solide geschriebene Geschichte über eine Arbeiterfamilie, die Generation davor und die Kinder. Martin Becker schreibt in lockerem, gut lesbarem Stil. Frischt mit lustigen Anekdoten auf, die tatsächlich passiert sein könnten. Gut gezeichnet, hat er die Charaktere. Der cholerische Vater, der bei jedem Konflikt seine Überforderung herausbrüllte und damit jeden Widerspruch unter seine Kontrolle brachte. Die Mutter, die unter grausigen Verhältnissen aufgewachsen war und versuchte, sich so viel wie möglich vom Leben zu gönnen, dazu leider aber auch “den Kurzen” benutzte. Bei aller Liebe, die “der Kurze”als Erwachsener für seine Familie empfindet, ist er auch zornig, weil manches anders, besser gelaufen wäre. Ich habe es, wie beabsichtigt als Ode an die Arbeiterfamilie gelesen, die weder beschönigt, noch sentimental verklärt, aber auch nichts übertreibt und sich damit abfindet, wie es war. Und ich habe das gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 04.03.2024

Ein außergewöhnliches Buch

wir sind pioniere
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Bruckner wacht verkatert in einem Hotel in Graz auf, weil jemand im Flur ununterbrochen “hoaskeeping” ruft. Gestern war er mit den Start Up Leuten noch um die Häuser gezogen, heute wird er sie im Rahmen ...

Bruckner wacht verkatert in einem Hotel in Graz auf, weil jemand im Flur ununterbrochen “hoaskeeping” ruft. Gestern war er mit den Start Up Leuten noch um die Häuser gezogen, heute wird er sie im Rahmen des ESC interviewen. Gerade erfährt er per Whats App, dass Vero schwanger ist. Bruckner freut sich wie Bolle, aber nur ganz kurz, denn dann trift ihn der Kater im Kopf volle Breitseite.

Auf dem Weg zum ESC grübelt er über den Namen nach “Kuno, Bruno, Juno”. Dann fragt er sich, wie er auf der Flucht vor dem Dispo im Rücken eine Familie finanzieren soll. Jetzt mit 33 ist er beruflich noch nicht so gefestigt, wie er das gerne wäre.

Veros Affäre, der Amphetaminjunky Keno weilt in Mannheim, wo er seit dem Studium festhängt, aber damit ist jetzt Schluss. Bruckner und Vero waren sich einig, dass, sobald sie eine Familie gründen ist Ende mit Keno, denkt Bruckner.

Währendessen folgt Vero ihren ganz eigenen Gedanken. Nachdem sie das mit Keno via Skype zuendegebracht und gesehen hat, dass der da gar nicht mit klar kommt, macht sie sich auf den Weg nach Mannheim. Allerdings kennt sie ja die Abmachung mit Bruckner und die macht es ihr jetzt nicht ganz so leicht.

…die probleme formen eine schlange und wollen eins nach dem anderen durchgedacht werden eine problemschlange und wenn ich mit einem fertig bin stellt es sich wieder hinten an und so geht das immer weiter.

Fazit: Ein wirklich außergewöhnliches Buch. Kaleb Erdmann hat sich entschieden jedes Wort klein zu schreiben und ganz auf Interpunktion zu verzichten und es liest sich überraschend leicht. Ich mag die vielen Eindrücke der unterschiedlichen Städte, das verspielte Graz, das kommerzielle München, das hässliche Mannheim, das nur aus Betonklötzen zu bestehen scheint. Und ich liebe seinen Humor. Kaleb Erdmann erfasst Situationskomik und schafft es, sie slapstikmäßig zu transportieren. Und so durfte ich mich Passagenlang fast totlachen. Die Geschichte an sich handelt von Freiheit, Eifersucht, Sicherheit und Wut, auf dem Boden einer Frindship with benefits-Beziehung, versus romantischer Beziehung. Ich empfehle dieses locker geschriebene Debüt gerne weiter.

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Veröffentlicht am 24.02.2024

Eine feine humorvolle Storry

Trabant
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Georg Himmel ist ein besonderer junger Mann mit einer Vorliebe für das Weltall. Dabei interessieren ihn weniger die Planetenkonstellationen als viel mehr was der unendliche Raum noch alles birgt. Sterne, ...

Georg Himmel ist ein besonderer junger Mann mit einer Vorliebe für das Weltall. Dabei interessieren ihn weniger die Planetenkonstellationen als viel mehr was der unendliche Raum noch alles birgt. Sterne, die uns umkreisenden Satelliten, deren Halbwertszeit und natürlich, der Schrott.

Wenn er sich allein fühlt, lauscht er den Schwingen des Beteigeuze, die in seiner Einbauküche lagern, wenn er nervös ist, dem Lichtblitz FRB 121102. Sein Zweifel, seine Person, seine Welt versinkt im Flüstern der Sterne. S. 12

Georg ist der Sohn eines erfolgreichen Einzelhandelskaufmanns, der sich bestens auf Haustürgeschäfte versteht und einer Mutter, die ihre Lehre zur Automechanikerin abgeschlossen hätte, wenn sie nicht mit Sohnemann schwanger geworden wäre. Mitte der Neunziger sind sie nach Bayern gekommen. Zuvor haben sie immer wieder den Wohnort gewechselt und Georg die Schule, die Mitschüler und Freundschaften. Seit seinem Abitur arbeitet Georg als Hausmeister im örtlichen Planetarium.

Sein bester Freund Vedad, den er unter abstrusesten Umständen kennengelernt hat heiratet, und als erstklassiger Trauzeuge hat Georg natürlich eine glänzende Rede vorbereitet. Leider wecken die Unmengen fremder Menschen Georgs Urangst, sich vor den Augen Fremder seltsam zu verhalten und an ihn gerichtete Erwartungen nicht erfüllen zu können. Deshalb kommt Georg, die sowohl unverständliche, wie geheimnisvolle SMS seines Vaters nicht ungelegen. Überraschend bricht Georg auf und stürzt sich ungewollt ins Abenteuer.

Fazit: Die Geschichte ist überraschend unterhaltsam. Ein kunterbuntes kleines Potpourrie an komischen aufeinanderfolgenden Ereignissen. Der Protagonist begibt sich auf einen Roadtrip an dessem Ende er seinen Vater zu finden hofft. Unterwegs hegt er ängstliche Befürchtungen. Verschiedene Situationen und Anekdoten seiner jungen und doch ereignisreichen Vergangenheit fallen ihm ein. Der Autor hat einen jungen Charakter mit Ecken und Kanten geschaffen, dem ich gerne dabei zu gesehen habe, wie er seine Ängste und Unsicherheiten überwindet. Eine feine humorvolle Storry, die ich gerne gelesen habe.

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