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Veröffentlicht am 11.04.2024

Zuversichtlich bleiben: Eine Ermutigung für unsere Zeit

Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht
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"Ein Mensch mit Zuversicht sieht und erkennt die Wirklichkeit, wie sie ist, und ist trotzdem oder gerade entschlossen, die Welt oder jedenfalls den kleinen Ausschnitt von ihr, in der er oder sie lebt, ...

"Ein Mensch mit Zuversicht sieht und erkennt die Wirklichkeit, wie sie ist, und ist trotzdem oder gerade entschlossen, die Welt oder jedenfalls den kleinen Ausschnitt von ihr, in der er oder sie lebt, so mitzugestalten, dass sie wird, wie sie sein sollte und sein könnte. Zuversicht heißt, die Zustände erkennen und sich nicht überwältigen lassen" - Buchzitat S.

"Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht" von Gabriele von Arnim ist ein erfrischendes und persönliches Buch, das sich in Form eines langen Briefes an ihre Enkel mit der Kunst der Zuversicht in unserer heutigen Zeit auseinandersetzt. Gabriele von Arnim, eine erfahrene Journalistin und Autorin, teilt auf ehrliche und selbstironische Weise ihre Gedanken und Weisheiten zu diesem wichtigen Thema.

Inhaltlich bietet das Buch einen Streifzug durch von Arnims Gedankenwelt, wobei vor allem der Umgang mit dem Klimawandel im Fokus steht (so zumindest mein Eindruck). Trotz seiner Kürze von knapp 50 Seiten ist das Buch leicht verständlich und regt zum Nachdenken an. Besonders beeindruckend sind die vielen Zitate aus anderen Büchern, die von Arnim zu weiteren Gedanken inspirieren und mir eine breitere Perspektive geboten hat.
Insgesamt ist "Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht" ein Buch, das man in einem Zug durchlesen kann und das viele kleine Alltagsweisheiten bereithält. Von Arnims kluger und humorvoller Schreibstil macht das Lesen zu einem Vergnügen und hinterlässt trotz der Schwere des Themas ein Gefühl der Zuversicht.

Fazit: Ein inspirierendes Buch, das auf humorvolle und zugleich tiefgründige Weise die Kunst der Zuversicht behandelt und dazu ermutigt, auch in fragilen Zeiten positiv zu bleiben. Daher gebe ich dem Buch 4 von 5 Sternen.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Bewertung.

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Veröffentlicht am 30.03.2024

Faszinierend und beklemmend zugleich - ein Roman, der gesellschaftliche Abgründe aufdeckt und zum Nachdenken anregt!

Doch das Messer sieht man nicht
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In I.L. Callis' packendem Thriller "Doch das Messer sieht man nicht" taucht man als Leser:in ein in das Berlin der 1920er Jahre, wo ein brutaler Mord die Stadt überschattet. Die Autorin entführt uns in ...

In I.L. Callis' packendem Thriller "Doch das Messer sieht man nicht" taucht man als Leser:in ein in das Berlin der 1920er Jahre, wo ein brutaler Mord die Stadt überschattet. Die Autorin entführt uns in eine Zeit des Umbruchs und der gesellschaftlichen Spannungen, während eine mutige Reporterin sich dem gefährlichen "Ripper von Berlin" entgegenstellt. I.L. Callis, gebürtige Italienerin mit einem Hintergrund in Jura und journalistischer Erfahrung, zeigt mit diesem Roman ihr Können, indem sie brisante gesellschaftspolitische Themen in Form eines Kriminalromans aufgreift.
In "Doch das Messer sieht man nicht" begleiten wir Anaïs Maar, eine junge und unerschrockene Reporterin, deren Recherchen über Prostituiertenmorde sie in ein Netz von Intrigen und Gefahr ziehen. Während Berlin auf dem Höhepunkt seiner wilden und zugleich düsteren Epoche steht, muss Anaïs nicht nur den Mörder finden, sondern auch den gefährlichen Zeichen eines Epochenwandels trotzen.

Das Buch startet mit 3 Zitaten, von dem eines schon den Titel des Buches birgt. Da das Buch ja auch das Thema Feminismus behandelt ist mir aufgefallen, dass die 3 Zitate allesamt von Männern stammen. Besonders bei Bertold Brechts Zitat aus der Dreigroschenoper musste ich schlucken. In dem Buch „Beklaute Frauen“ von Leonie Schöler, das kürzlich auch erschienen ist wird da nämlich unter anderem genau über Brecht berichtet. So kann zwar nicht nachgewiesen werden in welchem Ausmaß, aber unbestreitbar ist, dass Brecht Angestellte und Geliebte Elisabeth Hauptmann (wahrscheinlich zu einem wesentlichen Teil) dazu beigetragen und mitgewirkt hat. Als Leser:in wird man gleich zu beginn mit einer sehr brutal beschriebenen Szene konfrontiert (S. 10) Und mir gefällt die Stelle mit dem Heiligenschein, der zuerst golden scheint, dann dunkel leuchtet.

Das Buch spielt in der Zeit rund um 1927 in Berlin. Mit dem (Berliner?) Dialekt musste ich erst einmal warm werden :D Das Lesen und Verstehen an sich hat mir keine Schwierigkeiten bereitet. Der aufkeimende Antisemitismus ist durch das ganze Buch hinweg spürbar. Daneben werden u.a. folgende weiteren Themen behandelt: Mutigen Frauen, Feminismus, Patriarchat, Antisemitismus, Rassismus, Familie und (sexualisierte) Gewalt, Sexarbeit, die Kluft zwischen Arm und Reich und die Suche nach der eigenen Identität. Besonders beeindruckend ist die Darstellung der sozialen und politischen Atmosphäre des Berlins der 1920er Jahre. Die Autorin hat es geschafft, dass ich mich in diese Zeit zurückversetzt gefühlt habe und mich mit den Konflikten und Paradoxien dieser Ära konfrontiert sah. Bei vielen Szenen musste ich immer wieder schlucken über das Gesellschaftsbild, dass manche propagiert, haben: Bspw. dass Frauen ihren Lebenssinn als „Gebärmaschine“ haben und nur durch das Muttersein vollkommen werden, oder nichts von Politik verstehen… Außerdem, dass Menschen die Verbrechen begehen, schon böse geboren werden… Was mir sehr gut gefallen hat war dennoch, dass in dieser Zeit scheinbar langsam die Erkenntnis aufkam, dass man Frauen im alltäglichen Leben nicht länger außenvor lassen kann. Dies auch weil sie nach dem 1. Weltkrieg in viel mehr Bereichen präsent waren und auch vielfach einer öffentlichen Arbeit nachgingen. Insofern beschreibt es das Buch sehr gut „…an den Frauen führte kein Weg mehr vorbei, da musste man sich arrangieren.“ (S. 32)
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und vielschichtig. Sowohl Anais als auch Josefine sind unglaublich starke Persönlichkeiten, wobei mich Anais mehr in ihren Bann gezogen hat. Eine meiner liebsten Szene ist, die im Romanischen Café bei dem Anaïs die Herren am Nebentisch für ihre frauenverachtenden und entmenschlichenden Aussagen „Frischfleisch“ zurechtweist und bloßstellt. Auch die Nebenfiguren tragen zur Tiefe der Geschichte bei und verleihen dem Roman eine lebendige und authentische Atmosphäre. Man erfährt auch einiges über das Leben von Schwarzen Menschen in der damaligen Zeit. Einerseits gab es die sogenannten „Rheinlandkinder“ die aus Verbindungen deutscher Frauen mit französischen Soldaten aus afrikanischen Kolonien hervorgingen, andererseits gab es auch „Völker- bzw. Menschenschauen“ wo Menschen unter anderem im Hagenbecker Zoo wortwörtlich als Attraktion ausgestellt wurden und rassistische Klischees bedienen mussten. Die Szenen im Schlachthaus haben mir besonders mitgenommen, da ich selbst zum größten teil vegan lebe, weil mir das Tierleid so sehr ans Herz geht.

Das Buch ist in sich abgeschlossen, würde aber auch Stoff für eine Fortsetzung bieten. Es hat mir sehr gut gefallen, wie am Schluss alle Fäden zusammengelaufen sind und die offenen Fragen geklärt wurden.
Was mich gestört hat: Es wurde nicht gegendert und auch rassistische Sprache verwendet: Das das N-Wort ausgeschrieben wird, musste ich öfters schlucken. Und auch das an manchen Stellen von „Rassen“ die Rede ist… Ich bin immer Zwiegespalten, ob im Sinne der historischen Tatsachen und des ideologischen Standpunktes der damaligen Zeit man das machen soll, oder nicht… Auch hatte ich Mühe, mir die viiiiielen Personen, die eingeführt worden sind zu merken und sie auseinanderzuhalten (Redaktion) - vor allem weil viele im Verlauf der Geschichte keine tragende Rolle hatten.
Trotz dieser kleinen Kritikpunkte hat mich "Doch das Messer sieht man nicht" insgesamt fasziniert und mitgerissen. Die komplexe Handlung, mutige Protagonist:innen, die eindrucksvolle Kulisse im Berlin der 1920er Jahre und die Einblick in tiefgreifende gesellschaftliche Themen machen diesen Kriminalroman zu einem empfehlenswerten Leseerlebnis. ich vergebe 4 von 5 Sternen.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hat meine Meinung zum Roman allerdings nicht beeinflusst.

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Veröffentlicht am 28.03.2024

Spannung, Humor und Action – ein weiterer spannender Fall für das Finale rund um Carl Morck und das Sonderdezernat Q.

Verraten
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Time to say Goodbye - "Verraten" von Jussi Adler-Olsen ist ein weiterer packender und leider auch der 10. und letzte Fall aus der Reihe rund um Kommissar Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Mit gewohntem ...

Time to say Goodbye - "Verraten" von Jussi Adler-Olsen ist ein weiterer packender und leider auch der 10. und letzte Fall aus der Reihe rund um Kommissar Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Mit gewohntem Geschick führt uns der Autor durch ein Netz aus Lügen, Geheimnissen und Mord(en), während man mit dem Ermittlungsteam mitfiebert, um den/die Täter:innen zu stoppen.

Wie auch schon bei den letzten Büchern bin ich beeindruckt, wie es dem Autor gelungen ist, die Spannung auf über 600 Seiten aufrecht zu erhalten. Ich hab das Buch innerhalb von 2 Tagen ausgelesen. Dabei steht nun der Fall im Zentrum (eeeeendlich!), über den wir schon im allerersten Band etwas erfahren und der auch in allen Büchern der Reihe immer wieder erwähnt wird und mitschwingt. Im Zentrum der Ermittlungen steht diesmal aber Carl Morck höchstpersönlich.

Daneben tauchen auch alte Bekannte wieder auf, und wir erfahren, wie ihr Leben verlaufen ist. Die erneute Präsenz des gesamten Ermittlungsteams, allen voran Assad, Rose und Gordon, verleiht der Geschichte eine vertraute Atmosphäre in die man sehr leicht einsteigen kann, auch wenn ich den vorangegangenen Teil der Reihe vor mehr als zwei Jahren gelesen habe. Assads Kamelwitze sind auch wieder am Start und haben bei mir für den ein oder anderen Lacher gesorgt :D Zudem habe ich ein neues Wort gelernt = "stippen" bedeutet "tunken/eintauchen/dippen". Es kommt auch klar heraus, wie mediale Hetzjagd und Fake-Kampagnen auf Kosten von ganzen Existenzen verbreitet werden und welche Macht sie auf die Demokratie ausüben können.

Dennoch gibt es auch einige Kritikpunkte. Die Geschichte verlässt sich gelegentlich etwas zu sehr auf Zufälle (also bestimmte Personen sind dem Tod sehr oft "von der Schippe gesprungen"), und leider wurde auf das gendern verzichtet. Auch ein kleine Fehler (S. 22) ist mir aufgefallen, wo von "Carla" statt von Carl die Rede ist. Am meisten gestört hat mich aber, dass sich einige Stellen im Buch finden, die durch ableistische 8S. 59), rassistische (S. 521/522) oder diskriminierende "Witze" negativ auffallen und den Lesegenuss beeinträchtigen. Um ein Beispiel zu nennen: Auf Seite 100 ist davon die Rede, dass die obdachlose Person "die am längsten in die Hose gepisst hat und noch immer von der Sozialhilfe lebt" über allen anderen steht. Das finde ich eine ziemlich respektlose Aussage.

Insgesamt bietet "Verraten" jedoch eine gelungene Mischung aus Spannung, Charakterentwicklung und überraschenden Wendungen. Trotz kleiner Schwächen ist es ein würdiger Beitrag zur Reihe, der Fans der Serie sicherlich begeistern wird. Mit einem fulminanten Ende und einem Einblick in die Vergangenheit des Sonderdezernats Q bleibt nur zu sagen: "Time to say goodbye" – zumindest vorerst. Ich vergebe 4/5 Sternen.

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Veröffentlicht am 24.03.2024

Die Macht der Geschichtenerzähler:innen oder "Wer schreibt Geschichte(n)?: Ein Blick auf 'Yellowface' von Rebecca F. Kuang

Yellowface
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"Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus attraktiv genug, cool und jung und, mal ehrlich, wir denken es doch alle, also sprechen wir es doch aus, divers genug und überschüttet ...

"Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus attraktiv genug, cool und jung und, mal ehrlich, wir denken es doch alle, also sprechen wir es doch aus, divers genug und überschüttet diese Person mit Geld und Unterstützung. Es ist so verdammt willkürlich. Oder vielleicht nicht willkürlich, aber es hängt von Faktoren ab, die nichts mit der Qualität des eigenen Schreibens zu tun haben. Athena - eine wunderschöne, internationale, potenziell queere Woman of Color mit Yale-Abschluss wurde von der höheren Macht auserwählt. Ich hingegen bin nur June Hayward aus Philly, braune Augen, braune Haare und ganz egal wie hart ich arbeite oder wie gut ich schreibe, ich werde niemals Athena Liu sein." (Buchzitat - S.12/13)

Rebecca F. Kuangs "Yellowface" hat bereits vor seiner Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als Bestsellerautorin ("Babel" - 2023) bringt Kuang ihr umfangreiches Wissen und ihre Perspektive als Philologin (Chinastudien) und Schriftstellerin in dieses Werk ein.

"Yellowface" erzählt die Geschichte zweier Autorinnen, June Hayward und Athena Liu, deren Wege auf unerwartete Weise miteinander verflochten sind. Als Athena tragisch stirbt, entscheidet sich June, ihr Manuskript zu übernehmen und es unter ihrem eigenen neuen Künstlerinnennamen "Juniper Song" zu veröffentlichen. Doch damit beginnen die Komplikationen, denn June muss ihr Geheimnis hüten und sich mit den ethischen Fragen des Urheberrechts und der kulturellen Aneignung auseinandersetzen.

Auf das Buch bin ich über die nicht zu übersehenden 1000 von Postings/Stories auf Instagram gestoßen - egal welchem Buchblog man da folgt, am Hype um "Yellowface" kommt da aktuell keine:r vorbei. Aufgrund des vielversprechenden Klappentextes hab ich mich daher auch dazu entschieden, das Buch zu lesen. Allerdings gestaltete sich der Einstieg etwas mühsam, da die erste Hälfte des Buches für meinen Geschmack zu langatmig war und ich Schwierigkeiten hatte in die Geschichte reinzukommen. Mit der Zeit gings aber und ich war gefesselt von der Atmosphäre, die sich teilweise wie ein Psychothriller anfühlte, indem die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verwischt wurden und nicht klar war ob sich die Protagonistin alles nur einbildet, oder es der Wahrheit entspricht. Auch wird durchgehend Wert auf genderneutrale Sprache gelegt, was ich sehr wichtig finde.

Das Buch behandelt eine Vielzahl wichtiger Themen allen voran natürlich Rassismus und im speziellen Yellowfacing. Aber auch kulturelle Aneignung, Cancel Culture, Fake News/Hate Speech, Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Themen. Besonders beeindruckend fand ich die eingehende Betrachtung des Drucks, dem Autor:innen ausgesetzt sind, und die Einblicke in das harte Verlagswesen, die das Buch bietet und von dem man als Leser:in meiner Meinung nach sehr wenig mitbekommt. Teilweise habe ich mir gedacht, was für ein Zufall es ist, dass das Buch auf aktuelle Themen Bezug nimmt, die nicht geplant gewesen sein können weil das Buch ja noch nicht so lange am Markt ist. Bspw. ist mir der Link zum Genozid in Gaza und die Rassismusdebatte inkl. (Nicht-)Reaktion des Piper Verlags rund um Monika Gruber/Roma Maria Mukherjee ins Auge gestochen:

"Wir sollten die Behauptungen nicht mit einer Antwort würdigen. Unser Team hat in der Vergangenheit festgestellt, dass man Trolle bloß ermutigt, wenn man sich auf sie einlässt. Es tut mir leid, dass June das erleben muss, doch wir glauben, Schweigen ist hier der beste Weg." (Buchzitat - S.177)
"Es war so verdammt klar, dass Hayward auf Geschichten über weiße Retterinnen steht. Wollen wir wetten, dass sie auch die Israel Defence Forces liebt?" (Buchzitat - S.184)

Besonders gut gefallen hat mir an dem Roman auch, dass gut herausgearbeitet wurde, aus welcher Perspektive wir Geschichten erzählen , publizieren etc. und welche Perspektiven nicht berücksichtigt werden, da es einen Unterschied macht, ob ich als weiße Cis-Frau ohne Behinderung über bspw. Sexismus schreibe oder bspw. eine queere PoC. Wir werden sehr wahrscheinlich nicht dieselben Erfahrungen gemacht haben und haben trotzdem ein recht darüber zu schreiben, aber eben nur wenn klar ist aus welchem Blickwinkel und man nicht über andere schreibt/diese nicht zu Wort kommen lässt.

"Wer will schon ins Kino gehen und sich Leute ansehen, die zwei Stunden lang chinesisch sprechen? Würde man sich dann nicht gleich einen chinesischen Film aussuchen? Wir sprechen hier von einem Blockbuster, der für ein amerikanisches Publikum gedreht wird. Zugänglichkeit ist wichtig. (Buchzitat - S.157)"

Zum Nachdenken gebracht hat mich auch diese Passage:

"Die Art und Weise, wie wir in Klassenräumen über Geschichte sprechen, ist so antiseptisch. Dadurch kommen einem die Probleme so weit entfernt vor, als könnten uns diese Dinge niemals passieren, als würden wir niemals dieselben Entscheidungen treffen, wie die Menschen in den Geschichtsbüchern. Ich will diese grausamen Geschichten in den Vordergrund rücken. Ich will, dass die Leser:innen verstehen, wie eng diese Erlebnisse noch mit unserer Gegenwart verbunden sind." (Buchzitat - S.134)

Denn das sehe ich als großes Problem in der Welt. Erstens werden vergangene Gräueltaten schnell vergessen und nicht daraus gelernt. Zweitens die Anmaßung, dass man selbst ja niemals sowas grauenhaftes wie bspw. den Holocaust unterstützt hätte. Ja es gibt bestimmt Menschen, die das nicht gemacht haben, aber die waren nicht unbedingt in der Überzahl. Menschen überschätzen ihre Rolle und Formbarkeit im System.

Was mich etwas gestört hat ist der Begriff "Selbstmord". Ich persönlich lehne den Begriff Selbstmord ab, da er Betroffene kriminalisiert. Personen, die Suizid begehen, werden dadurch auf eine Stufe mit Mörder:innen gestellt und das macht den Anschein, als würden sie einen juristischen Straftatbestand erfüllen. Die Gründe für Mord werden aber durch einen Suizid nicht erfüllt und so werden Menschen die einen Suizid überleben ja nicht vors Gericht gestellt. Daher empfiehlt es sich von Suizid oder Selbsttötung zu sprechen anstelle von Selbstmord. Die mythologischen Geister-Geschichten (S.314f.) haben mich ziemlich verstört muss ich zugeben und mir erschließt sich da nicht ganz der Sinn, warum diese so dargestellt wurden.

Trotz einiger Kritikpunkte, wie der für mich langatmige erste Teil, die verstörende mythologischen Geister-Geschichten und die Nutzung des Begriffs Selbstmord, empfand ich "Yellowface" als eine lohnenswerte und wichtige Lektüre. Die fundierte Auseinandersetzung mit der Perspektive beim Geschichtenerzählen, das Thema Rassismus an sich und im Speziellen im Verlagswesen tragen dazu bei, dass ich dem Buch insgesamt vier von fünf Sternen vergebe.

"Die Wahrheit ist fließend. Man kann die Geschichte immer in eine andere Richtung drehen, immer Sand in das narrative Getriebe streuen. Das habe ich aus der ganzen Sache gelernt, wenn auch sonst nicht viel." (Buchzitat - S. 378)

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

Bible Bad Ass
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Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

"Ich mache mir auch selbst keinen Spaß mehr. Ich bin frustriert. Der Fun fehlt, genau wie fun-damentale Menschenrechte. Seit ...

Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

"Ich mache mir auch selbst keinen Spaß mehr. Ich bin frustriert. Der Fun fehlt, genau wie fun-damentale Menschenrechte. Seit einiger Zeit komme ich gedanklich nicht mehr raus aus einem langen und verzweigten Tunnel der Verzweiflung darüber, wie die Welt mit Menschen umgeht, wie unterschiedlich sie sie behandelt und an den Rand drängt. Frausein bedeutet für so viele Menschen einfach nicht frei zu sein. Frei von Erwartung, frei von Zuschreibung, frei von Stigma." - S.43

In "Bible Bad Ass" von Edith Löhle begibt sich die Protagonistin Klara auf eine Recherche-Reise, die ihr Weltbild und ihre Wahrnehmung von Frauen in der Bibel grundlegend verändert. Als Redakteurin eines "Frauen"magazins ist sie von der allgegenwärtigen Unterdrückung und den Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen frustriert:

"Ich Multitas-King, er Sex-ist: «Lach doch mal. Siehst viel hübscher aus, wenn du freundlich guckst. Das Leben ist viel zu schön, um so ernst zu sein.» Klack, Klack, entsichert. Ich lege den Finger auf den Abzug und entgegne: «Für dich ist die Welt viel zu schön, verrecke an deinen Privilegien.»" - S. 8

"«Du bist so alte Welt, Martin. Solange Frauen als Objekte gelten und ihre Körper als Waren gehandelt werden, solange Sex auf Macht basiert, solange das weibliche Geschlechtsorgan ein Schimpfwort ist, solange Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als Männer, solange Frauen über Schönheit definiert werden, solange Frauen wegen ihres Geschlechts verfolgt und getötet werden, so lange sind wir alle unfrei. Und du bist sowas von Teil des Problems.»" - S.49

Doch als sie den Auftrag erhält, über eine motorradfahrende queere Pastorin zu schreiben, stößt sie auf eine WhatsApp-Gruppe namens "Bible Bad Ass", bestehend aus feministischen Ikonen biblischer Zeiten. Was zunächst wie ein skurriler Chatverlauf aussieht, entpuppt sich als eine revolutionäre Bewegung gegen die patriarchalischen Strukturen der Religion.

Edith Löhle gelingt es, in ihrem literarischen Debüt die Geschichte der biblischen Frauenfiguren mit zeitgenössischem Feminismus zu verknüpfen. "Bible Bad Ass" ist eine faszinierende Neuinterpretation biblischer Geschichten und insbesondere die Rollen der Frauen, die auf erfrischende Weise feministische Themen anspricht und zum Nachdenken anregt. Obwohl ich selbst nicht religiös bin, hat mich das Buch durch seine Auseinandersetzung mit der systematischen Unterdrückung von Frauen in der Bibelwelt gepackt. Es behandelt eine Vielzahl von feministischen Themen, darunter Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Intersektionalität und vieles mehr, was vor allem für Menschen, die sich noch nicht tiefergehend mit feministischen Themen befasst haben einen ganzheitlichen Einblick in die Komplexität feministischer Angelegenheiten bietet.

Besonders gut gelungen fand ich die Textstellen unter dem Titel "Warum bin ich so geladen?":

"Warum bin ich so geladen? Weil mein Leben lang beim Essen im Elternhaus mein Vater meine Mutter fragt, ob sie wirklich jetzt noch eine Portion essen wolle?
Warum bin ich so geladen? Ich bin 16 Jahre alt, meine erste Periode lässt noch auf sich warten. Der Frauenarzt sagt, ich werde schon noch eine richtige Frau. «Hier, die Anti-Baby-Pille, hilft auch gegen die Pickel.»
Warum bin ich so geladen? Ich bin 18 Jahre alt und bei der Berufsberatung sagen sie mir, ich solle mir überlegen, ob ich wirklich studieren will, immerhin steigen die meisten Frauen dann ja eh von der Karriereleiter, wenn sie Kinder bekommen. Da könne ich mir auch die Studiengebühren sparen.
Warum bin ich so geladen? Weil bei jeder Familienfeier gemurmelt wurde, dass mit Großtante Luise was nicht stimmt, da sie nie in Begleitung eines Mannes kam.
Warum bin ich so geladen? Weil Noah über sich selbst sagt, er renne wie ein Mädchen. Erstens: Als ob die von Natur aus dazu verdammt seien, lahm zu sein und sich diese dummen Klischees anzuhören. Zweitens: Er disst sich und die Kids.
Warum bin ich so geladen? Weil Elizabeth Magie mit 500 Dollar Entschädigung für die Ursprungsidee von Monopoly abgespeist wurde und Charles Darrow dadurch reich wurde." - S. 168, 163, 156/157, 96, 89/90, 65/66

Besonders gelungen fand ich die Einbindung von Songs bzw. Songtextzeilen, die die jeweilige Stimmung des Buch(abschnitt)s perfekt untermalen und eine zusätzliche emotionale Ebene schaffen. Die Wahl der Erzählform als Chatgruppe funktioniert hervorragend und verleiht dem Buch einen erfrischenden Stil.

Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Aspekte, die mich nicht vollständig überzeugt haben. Zum Beispiel empfand ich das Ende des Buches als zu esoterisch und hätte mir ein moderneres Finale gewünscht, das den Fokus auf konkrete Veränderungen oder nochmal mehr auf Sisterhood legt. Auch war mir das Buch an manchen Stellen etwas zu spirituell, insbesondere die Diskussionen über Energien und Chakren haben mich innerlich abschalten lassen. Darüber hinaus waren einige Passagen langatmig und hätten straffer gefasst werden können. Während Wut oft als schädlich dargestellt wurde, halte ich es angesichts der Ungerechtigkeiten in der Welt für wichtig, sie als motivierende Kraft anzuerkennen, die Veränderungen bewirken kann.

Insgesamt ist "Bible Bad Ass" ein Buch, das nicht nur feministische Themen auf unterhaltsame und inspirierende Weise behandelt, sondern auch die Geschichte einer Frau erzählt, die lernt, ihre Wut in Mitgefühl und Liebe umzuwandeln, um eine Veränderung herbeizuführen, die die Welt besser macht. Trotz kleinerer Schwächen erhält es von mir 4 von 5 Sternen für seine gelungene erfrischende Verbindung von Geschichte, Feminismus und Humor.

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat die Bewertung/Rezension jedoch in keiner Weise beeinflusst.

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