eine wertvolle Leseerfahrung
BabelIch habe meine Zeit gebraucht um mit "Babel" warm zu werden. Ich fühlte mich etwas allein gelassen und verloren in der Erzählung. Ich würde die ersten Hälfte nicht gerade als fast-paced beschreiben, wie ...
Ich habe meine Zeit gebraucht um mit "Babel" warm zu werden. Ich fühlte mich etwas allein gelassen und verloren in der Erzählung. Ich würde die ersten Hälfte nicht gerade als fast-paced beschreiben, wie bei einem guten Tee nimmt Kuang sich die Zeit die Erzählung ziehen und die Nuancen entfalten zu lassen. Nichts passiert ohne Sinn, aber tiefgreifendes Verständnis ist nicht bei jedem erzählerischen Schlenker notwendig um der Handlung zu folgen. Vielmehr gibt es unzählige kleine "Landschaftsschwenks" oder Griffe ins Bonbonglas, die je nach geschichtlicher, linguistischer oder theologischer Vorbildung und Vorliebe mal mehr mal weniger vom Lesenden gewertschätzt werden können und die Haupthandlung stilvoll unterstreichen. Ich persönlich kann kein Französisch und habe an diesen Punkten die eingestreuten Feinheiten nicht wertschätzen können, dafür war ich begeistert wie viel Tiefgang mir schon meine rudimentären Mandarin Kenntnisse in diesem Buch geschenkt haben.
Nach der Hälfte etwa aber, da geht die Erzählung ab wie eine Lawine. Es lohnt sich durchzuhalten, wenn eins den erzählerischen Ansatz der ersten Hälfte eher zäh empfinden sollte. Und wer in den vielen Details und angelegten Themen in Ruhe geschwelgt hat muss vielleicht auch mit der Härte, der Konsequenz konfrontiert werden. So oder so, das Erzähltempo ändert sich und ich halte das für eine wertvolle Entscheidung von Kuang.
Mir fehlen am Anfang ein paar Alltagsinteraktionen unserer vier Hauptpersonen, Robins Jahrgang an der Uni. Etwas mehr Ausgestaltung ihrer Freundschaft wäre schön gewesen, Szenen wie Robins und Ramys ersten Abend hätte es mehr gebraucht. So werden immer wieder Momente referenziert an denen wir als Lesende nicht unmittelbar teilhaben durften, ich fühle mich als Leser um etwas Versprochenes betrogen.
Das magische System des Silberwerkens hat mich von Anfang an begeistert. Es traf einfach alle meine persönlichen Dispositionen, war mir einleuchtend und hat mich, auch in der Beschreibung in der Geschichte, tief angerührt. Ich kann mir aber vorstellen, dass es für manche Lesende zu technisch, zu abstrakt, schlicht zu wenig Magie beinhaltend daher kam. Das Magiesystem fügt sich nahtlos in die Welt ein, Kuang schafft es, dieses auch nicht zum Widerspruch der realen Historie zu machen. Gleichzeitig bleibt das Magiesystem meiner Meinung nach dadurch hinter seinem Potential zurück und erschafft einfach keine Fantasy vibes für das ganze Buch.
Es scheint mir nicht treffend zu sagen, dass es in diesem Buch um Rassismus geht. Natürlich "geht es" um Rassismus. Unsere rassistische Welt ist Fundament von Babel. So natürlich wie diese Welt gezeichnet wird, so selbstverständlich fühlen sich die Gespräche darum im Rahmen der Erzählung an. Es fehlt schlicht dieser gewisse Aspekt von Theater spielen den die meisten Bücher, die Diskriminierungsformen thematisieren, aufweisen. Es geht eben über die Darstellung von Diskriminierung und Vorurteil hinaus, es nimmt das systemische Wirken ernst und bildet dieses ab. Daher geht es natürlich auch um Identität, um Werte und Verwertung, um Respekt, Würde und der Frage nach dem praktischen Wie von Hoffnung und Veränderung.
"Babel" ist ein gewaltiges Buch, in jeder Hinsicht. It contains multitudes, es enthält und verbindet so viele Ebenen. Und immer mit einem wachen Verstehen, nicht ein Charakter, der holzschnittartig daher kommt oder dem die Erzählweise die Würde nimmt.
Ich würde sagen, der dark academia Aspekt ist in "Babel" deutlicher als der Fantasy Aspekt. Auch Leser:innen die sonst nicht im Fantasy Genre unterwegs sind können, denke ich, gut mit diesem Buch warm werden. Wer das Buch aufgrund des „Harry Potter“ Vergleiches auf dem Einband lesen möchte oder (high) Fantasy erwartet wird enttäuscht werden. Ich habe den Eindruck, das Marketing tut dem Buch hier keinen Gefallen.
Mein persönliches Fazit ist positiv, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das Verallgemeinern möchte.