Profilbild von SueWid

SueWid

aktives Lesejury-Mitglied
offline

SueWid ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit SueWid über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.04.2021

Eine vielschichtige Darstellung von Weiblichkeit und Menschsein mit kleinen Schwächen

Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019
0

Bernardine Evaristo ist eine britische Autorin, die für ihr Werk „Mädchen, Frau ect.“ den Man Booker Prize for Fiction erhalten hat. Der Booker Prize ist der wichtigste britische Literaturpreis. Evaristo ...

Bernardine Evaristo ist eine britische Autorin, die für ihr Werk „Mädchen, Frau ect.“ den Man Booker Prize for Fiction erhalten hat. Der Booker Prize ist der wichtigste britische Literaturpreis. Evaristo ist die erste farbige Schriftstellerin, die ihn seit seiner Gründung 1969 erhalten hat.

Der Roman „Mädchen, Frau etc.“ spielt im teils modernen und multikulturellen London und teils in der Vergangenheit, sodass ein sehr gelungener Bogen entsteht.
Es werden die Lebenswege von 12 Frauen erzählt. Sie sind zwischen 19 und 93 Jahre alt, sind Großmütter, Mütter, Töchter. Mal sind sie verwandt, mal auch nur über mehrere Ecken lose miteinander bekannt. Sie sind lesbisch, transsexuell, queer, hetero oder non-binär. Die meisten von ihnen sind schwarz, haben gänzlich verschiedene kulturelle und sozioökonomische Hintergründe. Oft wurden sie diskriminiert und erniedrigt. Aber alle eint, dass sie unglaublich starke Menschen sind, die den Kampf für eine bessere Zukunft für sich selbst und/oder ihre Kinder in Angriff nehmen.
Dabei werden sie weder als perfekt, noch als Überwesen beschrieben, sie alle haben Ecken und Kanten und wer zunächst sympathisch erscheint, hat auch seine dunkleren Abgründe und umgekehrt.
Sicherlich wird den jeweiligen Lesenden die eine oder andere Geschichte näher gehen als die andere, aber bestimmt findet jeder etwas, worin er/sie sich wiederfindet oder nachfühlen kann.

Am Ende sind alle einzelnen und doch miteinander verwobenen Wege zu einem komplexen Bild zusammengesetzt, wo jede Figur den ganz eigenen Platz einnimmt.
Oft musste ich zurückblättern, wenn eine Figur vom Anfang wieder auftauchte, aber das tut diesem Konstrukt keinen Abbruch. Es fördert lediglich das intensivere Lesen und Nachdenken über die einzelnen Schicksale.

Der aktuelle Zeitgeist wird wunderbar widergespiegelt. Es geht um Feminismus, Frau sein in der heutigen Zeit und wie sich das auf verschiedene Arten und Weisen neu definieren lässt.
Es fließen auch Themen wie Migration, Rassismus, die Angst anders zu sein oder ausgeschlossen zu werden ein. Der Kampf um Gleichberechtigung, sexuelles Erwachen und die eigenen Wünsche, egal welcher Art, klar definieren zu können.
Dabei erhebt die Autorin aber nie den Zeigefinger oder lässt eine Tirade auf die Männerwelt los. Allein mit ihrer Widmung macht Evaristo diesen Standpunkt klar. Sie widmet es allen, der ganzen Menschenfamilie.

Der Schreibstil hat etwas lyrisch Prosaisches an sich. Er ist bildstark und rhythmisch.
Den eigenen Schreibstil bezeichnet Evaristo als „Fusion-Fiction“. Es werden nur wenige Satzzeichen verwendet. Lieber lässt sie einzelne Wörter oder Sätze durch Absätze voneinander trennen. Satzanfänge müssen nicht mit Großschreibung beginnen. Einzelne, hervorgehobene Worte bekommen so mehr Nachdruck.
Was zunächst hinderlich beim Lesen erscheint, erzeugt vielmehr eine fast schon sogartige Wirkung, die die Seiten nur so dahin fliegen lässt - man hat das Gefühl bei einigen Dialogen fast (körperlich) anwesend zu sein.
Herausragend sind auch die vielen kleinen, mal mehr oder weniger versteckten Andeutungen der Autorin auf andere feministische Werke sowie Anspielungen auf verschiedene zeitaktuelle Geschehnisse. Die handelnden Personen verwickeln sich in gegenwärtige Diskussionen zu Rassismus, Opfer-Debatten und inwieweit die aktuellen Medien die jeweiligen Entwicklungen beeinflussen können.

Die einzelnen Erzählstränge sind vielschichtig und komplex, mit (fast) jeder Frau und deren Geschichte könnte man einen eigenen Roman füllen, gerne wäre ich bei einigen länger verweilt.
Besonders in dieser Hülle und Fülle liegt der Reiz. Diese Multidimensionalität lässt geneigte
n Leser*innen noch länger darüber nachdenken.
Allerdings wirkten einige Geschichten etwas übertrieben konstruiert, immer schaffen sie es aus den größten Niederlagen heraus. Für mich beißt sich hier die Härte des Lebens mit dem Versuch jede Geschichte mit einem glücklichen Ende zu versehen.

Nichtsdestotrotz ist es ein Roman, der gelesen und diskutiert werden will!
Dieses Buch braucht einen großen Rahmen, in dem es öffentlich beredet werden sollte. Denn nur so entfaltet es das volle Potential, welches es meiner Meinung nach zu bieten hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.11.2020

Must-read Ratgeber in Sachen Personal Branding

Nur wer sichtbar ist, findet auch statt
0

Ich bin froh, dass ich das Buch zur Rezension vorablesen durfte.
Denn so aktuell wie nie ist das Thema wie man einen Wiedererkennungswert für sich selbst findet. In der heutigen Zeit wird man oft nur richtig ...

Ich bin froh, dass ich das Buch zur Rezension vorablesen durfte.
Denn so aktuell wie nie ist das Thema wie man einen Wiedererkennungswert für sich selbst findet. In der heutigen Zeit wird man oft nur richtig wahrgenommen bzw. findet für andere aktiv statt, wenn man sich selbst aus der Masse hervorhebt. Da ich aktuell selbst versuche mich beruflich wie auch privat klarer zu positionieren um dann mit den mir wichtigen Themengebieten verbunden zu werden und nicht oberflächlich in eine falsche Schublade gesteckt zu werden, kam mir der Ratgeber gerade wie gelegen.
Oft können Ratgeber ein sehr theoretischer und langwieriger Versuch sein, dem Leser ein Thema näherzubringen. Die Autorin Tijen Onaran trifft aber mit ihrem angenehm flüssigen Schreibstil, der gut durchdachten Strukturierung der Kapitel und ihren persönlichen Erläuterungen und Erfahrungen aus ihrem Leben einen guten Punkt. Es gelingt ihr dem Wort „Personal Branding“ dem schlechten Ruf zu nehmen und schafft eine stimmige Balance zwischen den wichtigen Themenbereichen Online und realem Leben.
Ausgesprochen gut fand ich die „Challenges“ (Hausaufgaben), die am Ende eines jedes Kapitels warteten und so einen aktiven Start ermöglichen.

Ich denke, dass dieses Buch viele Menschen ansprechen kann, die sich stärker mit dem Thema beschäftigen möchten. Für eher introvertierte oder zurückhaltende Menschen kann die Umsetzung allerdings komplexer und herausfordernder sein.
Nichtsdestotrotz kann jeder, der sich bemühen möchte aus seiner Komfortzone herauszugehen wunderbare Denkanstöße holen und findet tolle Tipps und Umsetzungsstrategien um sichtbarer zu werden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 26.06.2024

Wenn die (vermeintliche) Idylle zur Hölle wird.

Das Baumhaus
0

Vera Bucks neuester Roman „Das Baumhaus“ spielt in Schweden, welches bekannt ist für seine Natur, seine Sagen und freundlichen Menschen. Das lockt die Familie rund um Henrik und Nora mit ihrem fünfjährigen ...

Vera Bucks neuester Roman „Das Baumhaus“ spielt in Schweden, welches bekannt ist für seine Natur, seine Sagen und freundlichen Menschen. Das lockt die Familie rund um Henrik und Nora mit ihrem fünfjährigen Sohn Fynn in die vermeintliche Bilderbuchidylle aus den Geschichten unserer Kindheit. Was sie aber noch nicht wissen, auch hier lauert das Böse bereits auf sie.
Und so entwickelt sich aus dem idyllischen Familienurlaub ein wahrer Albtraum, als der kleine Fynn verschwindet und es nur so an Verdächtigen wimmelt.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der verschiedenen Hauptfiguren erzählt. Dadurch taucht der Lesende sehr schnell in die Story ein und wird durch die vielen Cliffhanger geradezu ins nächste Kapitel gezogen.

Vera Buck lässt in ihre Erzählung charmant und fast beiläufig neue Themen einfließen, wie zum Beispiel psychische Probleme, destruktive Erziehungsmethoden, Vernachlässigung, Regretting Motherhood oder Menschen im Spektrum, was den Figuren eine interessante Tiefe gibt.
Was man aber immer spürt beim Lesen, ist die Liebe zur Natur. Durch die wunderschönen Beschreibungen kann ich den Wald fast riechen.

Trotz einer Vielzahl an Verdächtigen verliert man nie den Überblick, da alle Figuren einen ganz eigenen Charakter haben und sich gut von den anderen abheben. Ob die Protagonisten einen dabei immer sympathisch sind oder nachvollziehbar handeln, sei einmal dahingestellt.
Was die Verdächtigen angeht, schafft es die Autorin sehr gekonnt, den Lesenden in die Irre zu führen. Allerdings ist es nicht unmöglich herauszufinden, wer es ist, dadurch macht ein Miträtseln durchaus Sinn und Spaß.

Meiner Meinung nach verzettelt sich die Story gegen Ende leider sehr. Alles wirkt plötzlich zu gewollt und schnell zu Ende gebracht. Als wollte die Autorin unbedingt bestimmte Figuren miteinander verbinden, leider auf Kosten der Logik in der Geschichte. Für mich fühlte es sich so an als wären einige Zeitstränge durcheinandergeraten zu Gunsten des Handlungsstrangs.

Alles in allem war es für mich trotzdem ein schneller und spannender Thriller, der in mir die Sehnsucht nach einem Urlaub im Grünen geweckt hat, trotz der Gefahren, die da lauern.
Wer mit kleineren Abstrichen in der Logik leben kann, hat hier ein spannendes Buch vor sich.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.04.2024

Würdest du die Zeit ändern, wenn du die Möglichkeit hättest?

Das andere Tal
0

Mit seinem Debüt-Roman „Das andere Tal” versucht sich Scott Alexander Howard am Thema Zeitreisen und ihren Komplikationen.

Die Protagonistin in „Das andere Tal“ ist die junge Odile.
Sie lebt in einem ...

Mit seinem Debüt-Roman „Das andere Tal” versucht sich Scott Alexander Howard am Thema Zeitreisen und ihren Komplikationen.

Die Protagonistin in „Das andere Tal“ ist die junge Odile.
Sie lebt in einem kleinen Tal, welches im Osten und Westen an weitere Täler grenzt. Das besondere hierbei ist, dass es immer die gleiche Stadt ist. Allerdings auf unterschiedlichen Zeitebenen. Sodass wenn man von Odiles Tal ausgeht, Täler in 20 Jahren in der Zukunft und in 20 Jahren in der Vergangenheit existieren.
Ein Reisen zwischen Tälern wird streng reglementiert vom Conseil, diese dürfen nur einmalig und auch nur im Trauerfall besucht werden. Abweichungen werden streng geahndet. Dieses rigide System in dem Odile aufwächst ist sehr düster, restriktiv und versprüht an jeder Ecke eine gewisse Tristess.
Als Odile durch einen Zufall herausfindet, dass ihr Jugendfreund Edme wahrscheinlich früh versterben wird, steckt sie in der Zwickmühle.
Wird Odile es verhindern, indem sie sich der herrschenden Obrigkeit widersetzt und riskieren, dass die Zukunft so niemals existieren wird?

Der Roman, den ich anfangs noch in die Kategorie Coming of Age gesteckt hatte, entwickelte sich schnell zu einer melancholisch, dystopischen Geschichte. In dieser werden viele philosophische Fragen aufgeworfen.
Der Schreibstil von Scott Alexander Howard ist unaufgeregt und ruhig, weiß aber durch pointierte fast schon poetische Momente zu glänzen, wie die Beschreibungen der Natur oder von Musik.
Was meinen Lesefluss zunächst sehr gestört hat, waren die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Ansprache zwischen den Figuren. So musste ich sehr genau lesen und zuweilen auch ein zweites Mal um den Inhalt nicht misszuverstehen.

Eine weitere mutige Entscheidung des Autors war es seine Protagonistin so passiv angepasst und fast schon antriebslos darzustellen. Diese fehlende Motivation könnte einige Lesende vom Weiterlesen abschrecken. Nichtsdestotrotz passt dies aus meiner Sicht ganz hervorragend zur Grundstimmung des Romans. Und trotzdem hofft man unweigerlich die ganze Zeit, dass sie endlich etwas ändert und zu einer tatsächlichen Heldin ihrer eigenen Geschichte wird.

Absolut hervorragend fand ich es, wie der Autor den Bogen zwischen Zukunft, Gegenwart & Vergangenheit geschaffen hat.
Ich liebe es, wenn etwas von vornherein so gut durchdacht ist, dass es offene Fäden so gut eingewebt in der Geschichte, dass sie am Ende wieder sinnvoll aufgenommen und zu Ende gebracht werden können.


„Das andere Tal“ überzeugt mit einem ruhigen, eher düsteren Gesamt-Setting, welches den Lesenden über verschiedene philosophische Fragestellungen nachgrübeln lässt. Dieser Roman lohnt sich auf jeden Fall in einer Gruppe zu lesen und sich über ihn auszutauschen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.04.2024

Melancholisch, ruhiger Roman über die Macht der Worte und ihre Kraft zu heilen.

Die Vermesserin der Worte
0

Aufgrund des schlichten Cover habe ich mich auf eine ruhige Geschichte eingestellt und wurde auch nicht enttäuscht.
Katharina Seck, eher bekannt für ihre Fantasy Romane, lässt mit „Die Vermesserin der ...

Aufgrund des schlichten Cover habe ich mich auf eine ruhige Geschichte eingestellt und wurde auch nicht enttäuscht.
Katharina Seck, eher bekannt für ihre Fantasy Romane, lässt mit „Die Vermesserin der Worte“ eine entspannte Geschichte der Gegenwartsliteratur entstehen.

„Die Vermesserin der Worte“ ist ein Roman über Sprachlosigkeit. Eine Sprachlosigkeit, die einem plötzlich im Griff hat, aber auch eine, die zwischen Menschen herrschen kann und tiefe Gräben schlägt.
Es geht um die Autorin Ida, die unter einer Schreibblockade leidet und sich lieber in ihrer kleinen Wohnung vor der Welt abschottet. Als das Geld langsam zur Neige geht, muss sie notgedrungen einen Job in der Provinz annehmen. Dabei lernt sie die ältere Hausherrin Ottilie kennen, die ebenfalls ihre Worte sucht, wobei Sie nach und nach den Bezug zur Welt verliert.
Die beiden Frauen finden durch ihre Liebe zu Büchern einen Weg zu einander. Es entsteht eine zarte Freundschaft, in der sich die beiden gegenseitig durch die Kraft der Worte retten und heilen.

Man spürt sehr schnell die Liebe der Autorin für Bücher. Es finden sich regelmäßig Anspielungen auf anderen Romane, Autorinnen und Autoren. Für mich persönlich hätte das an einigen Stellen einfach gestrafft werden können, da sie sich gerne wiederholt. Auch das übermäßige Wiedergeben von Floskeln und Wortpaarungen trübte für mich den Lesefluss etwas ein.

Der Roman hat mir in seiner unaufgeregten und ruhigen Lese-Art gut gefallen.

Wer einen leicht melancholischen und ruhigen Roman als kleine Auszeit im hektischen (Lese-)Alltag sucht, ist hier trotz einiger Kritikpunkte sehr gut aufgehoben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere