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Veröffentlicht am 13.04.2024

Geschichten von Macht und Ohnmacht aus Simbabwe

Die Schwere des Seins
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Als postkoloniale Erzählungen ordnet der Verlag die Reihe der von Tsitsi Dangarembga herausgegebenen Erzählungen simbabwischer Autorinnen und Autoren ein. Damit klingt das zwar hinreichend woke, ich bin ...

Als postkoloniale Erzählungen ordnet der Verlag die Reihe der von Tsitsi Dangarembga herausgegebenen Erzählungen simbabwischer Autorinnen und Autoren ein. Damit klingt das zwar hinreichend woke, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob diese Definition die zutreffendste ist, mal abgesehen davon, dass Simbabwe eine koloniale Vergangenheit hatte, aus der es sich befreit hat. Vor allem aber geht es um Macht und Ohnmacht, um Gewalterfahrungen, die zwar in einigen Geschichten im Unabhängigkeitskampf und dem späteren System Mugabe wurzeln, in anderen aber in patriarchalen Strukturen und systematischer traditioneller Unterdrückung von Frauen. Insofern könnten sie auch in der Zeit der Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien spielen, in Syrien oder überall dort, wo archaische Strukturen Ehemännern und Vätern absolute Gewalt über Frauen zubilligen.

Ziemlich harter Tobak ist der Stoff dieser Kurzgeschichten, die die literarische Umsetzung wahrer Geschehnisse sind. Im Rahmen des Projekts "Breaking the Silence" hatten die Autorinnen und Autoren Briefe und Aussagen, die Opfer von Gewalt aus verschiedenen Teilen Simbabwes und aus verschiedenen Zusammenhängen heraus geschildert hatten. Da geht es um die Mutter, die nach der Vergewaltigung ihrer behinderten Tochter um Gerechtigkeit kämpft, um den Vater, der seine Tochter erschlägt, um Folter politischer Gegner. Das Buch bringt die nicht ganz neue Erkenntnis, dass die Freiheitskämpfer von gestern die Unterdrücker und Folterknechte von morgen sein können.

Es gibt nur wenig Hoffnung und noch weniger Gerechtigkeit in diesen Erzählungen - und die Tatsache, dass sie auf tatsächlichen Geschehnissen beruhen, macht die Texte noch deprimierender. Gleichzeitig zeigen diese Erzählungen, wie wichtig es ist, das Schweigen über Gewalt zu durchbrechen, egal, ob es auf Angst oder auf Scham beruht.

Abgesehen von Dangarembga kannte ich die Verfasser der übrigen Texte bisher nicht und bin daher froh über die Gelegenheit, neue afrikanische Autor*innen kennenzulernen.

Veröffentlicht am 12.04.2024

Huckleberry Finn, von Jim erzählt

James
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Mit seinem Roman "James" hat Percival Everett den Klassiker "Huckleberry Finn" von Mark Twain einmal ganz neu aufgerollt: Denn hier erzählt Jim, der entlaufene Sklave, mit dem Huck seine Abenteuer auf ...

Mit seinem Roman "James" hat Percival Everett den Klassiker "Huckleberry Finn" von Mark Twain einmal ganz neu aufgerollt: Denn hier erzählt Jim, der entlaufene Sklave, mit dem Huck seine Abenteuer auf dem Mississippi erlebt. Einige Plots sind bekannt, andere kommen ganz neu hinzu. Und natürlich: es ist ein schwarzer Blick auf die bekannt geglaubte Geschichte.

Huckleberry Finn war immer die ernstere Geschichte, gegen die die Abenteuer von Tom Sawyer eben wie Lausbubenstreiche wirkten. Eine Coming of Age-Geschichte, in der auch ein durchaus kritischer Blick auf die Sklaverei geworfen wird, auch wenn Twain wegen der Verwendung des N-Worts von politisch besonders korrekten Bibliothekaren und Literaturkritikern heute als schon fragwürdig gesehen wird. Everett zeigt: Besser als Cancel Culture ist es, sich kreativ des Themas anzunehmen.

Denn James, der Sklave Jim, mag in Unfreiheit geboren worden sein, aber indem er sich das Lesen und Schreiben beigebracht hat (wie, das bleibt leider unbekannt), hat er sich gewissermaßen innerlich befreit, sich nicht nur über die Rolle erhoben, die ihm zugedacht wurde, sondern auch über manchen tumben Sklavenhalter. Denn James liest Voltaire, Rousseau, die Werke der Aufklärung.

Einer der Twists dieses Romans ist, dass die Sklaven den verhunzten Südstaatenslang nur für die Weißen sprechen, um sie im falschen Glauben ihrer Überlegenheit zu lassen, während sie tatsächlich untereinander in perfekter Schriftsprache kommunizieren. In der deutschen Übersetzung kommt dieser Slang eher als Kunstsprache rüber, aber andererseits - der Übersetzer hatte im Deutschen keine vergleichbare Entsprechung. Kein Wunder, dass James Huck in große Verwirrung stürzt, als er im Schlaf plötzlich ganz anders spricht und gar nicht mehr nach Sklave klingt.

Netter Einfall, auch wenn er unberücksichtigt lässt, dass einerseits auch die weißen Südstaatler einen recht eigenen Dialekt sprechen und andererseits bis heute viele Afroamerikaner Anstoß nehmen an schwarzen Amerikanern, die "weiß" klingen (ganz anders als beispielsweise in Großbritannien).

Bei aller Ironie und einem Humor, der sicher auch Mark Twain gefallen hätte, kommen die ernsten Themen nicht zu kurz - die Sklaverei und die Misshandlungen, das Auseinanderreißen von Familien, blackfacing und rassistisches Denken. Ein - früh absehbarer - ganz besonderer Aspekt im Verhältnis zwischen Huck und Jim kommt mir dagegen unnötig und angesichts der Gesellschaft des alten Südens auch unglaubwürdig vor. Eindringlich dagegen die Szenen, die den Preis zeigen, die Freiheitsstreben und unabhängiges Denken haben können.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Anatomie eines Bundeslandes

Deutschland der Extreme
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Über Sachsen ist in den vergangenen Jahren schon häufig geschrieben worden, wenn es um das Erstarken der extremen Rechten, die Befindlichkeit des Ostens und Herausforderungen für die Demokratie ging. In ...

Über Sachsen ist in den vergangenen Jahren schon häufig geschrieben worden, wenn es um das Erstarken der extremen Rechten, die Befindlichkeit des Ostens und Herausforderungen für die Demokratie ging. In "Deutschland der Extreme" widmet sich Martin Debes einem anderen Bundesland, Thüringen. Hier hat die "Brandmauer" gegen die AfD das erste Mal versagt. Hier ist mit Björn Höcke als Landesvorsitzendem derjenige AfD-Chef, der die Partei immer weiter nach rechts geführt hat, hin zum Rechtsextremismus. Und hier wird in diesem Jahr gewählt. Könnte es hier erstmals einen AfD-Ministerpräsidenten geben?

Debes betreibt kein Thüringen-Bashing, er kommt selbst aus dem Bundesland, zählt die Traditionen auf, auf die man in dem kleinen Land zwischen Eichsfeld und Rhön stolz ist: Goethe und Schiller in Weimar, Bach, Bauhaus und Weimarer Republik. Und er verschweigt nicht die rechtsextremen und nationalistischen Traditionen, die es schon in der ausgehenden Weimarer Republik gab. Buchenwald, auch das ist ein Ort in Thüringen.

Ein bißchen ist "Deutschland der Extreme" die Anatomie eines Bundeslandes, die Entblätterung all der Schichten seiner Geschichte, die Zeit der DDR, die Zeit der Wende und der Wiedervereinigung, als die Enttäuschung in Thüringen ganz besonders groß war, etwa nach der Zerschlagung und Abwicklung der einstigen Kombinate, die schwierige Verortung in der größer gewordenen Bundesrepublik, die Probleme der großen Parteien mit ihrem Personal - hier ein Korruptionsskandal, dort eine IM-Vergangenheit. Das hilft nicht bei Glaubwürdigkeit.

Das politische Gefüge zwischen Bodo Ramelow und Björn Höcke, ein bißchen auch die Neonazi-Bewegung, die in Thüringen (aber seien wir ehrlich, mit Verbindungen in Nordhessen, dem südlichen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - es ist kein Problem des Ostens alleine) festen Fuß gefasst hat: Eine Herausforderung für die Demokratie in Deutschland. Das steht im Titel nicht als Frage, sondern als Feststellung.

Debes ist politischer Journalist, er hat die Protagonisten seines Buches seit Jahren journalistisch begleitet und tiefe Einblicke in die politische Szene zwischen Erfurt und Berlin erhalten, das merkt man dem Buch an, ohne dass es lehrmeisterlich oder besserwisserisch wird. Eine spannende Analyse, nicht nur für Wahljahre.

Veröffentlicht am 01.04.2024

Tod im Ziegenkäse

Mord & Fromage
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Comedians, die Krimis schreiben - das kann, gerade bei angelsächsischen Autoren, ganz wunderbare Ergebnisse zur Folge haben. Der britische Stand-Up Comedian Ian Moore jedenfalls hat mit seinem britisch-französischen ...

Comedians, die Krimis schreiben - das kann, gerade bei angelsächsischen Autoren, ganz wunderbare Ergebnisse zur Folge haben. Der britische Stand-Up Comedian Ian Moore jedenfalls hat mit seinem britisch-französischen Ermittlerduo Richard und Valérie ein charmant-exzentrisches Doppel geschaffen. In "Mord und Croissants" lässt er den englischen Filmhistoriker, B&B-Betreiber im Tal der Loire und hingebungsvollen Halter dreier Legehennen mit den Namen Lana Turner, Ava Gardner und Joan Crawford erstmals mit der elegant-geheimnisvollen Französin Valérie d´Orcay (samt Chihuahua Passepartout) ermitteln. Im Fall von Richard eher unfreiwillig, denn der will vor allem seine Ruhe und einen gelegentlichen Pastis oder Wein, ansonsten aber seiner Leidenschaft für das goldene Zeitalter Hollywoods frönen. Da muss er dann auch nicht an seine allmählich zerfallende Ehe denken.

Irgendwie fällt mir bei der Beschreibung Richards stets auch Archibald Leach ein, der männliche Protagonist aus "Ein Fisch namens Wanda". Liegt es an all den Komplexen und sozialen Normen der britischen Mittelklasse? Ein irgendwie zu schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein und die angewohnte Höflichkeit, die unter Kontinentaleuropäern irgendwie zum Wettbewerbsnachteil führt?

Kein Wunder, dass sie Richard von der Wucht Valéries irgendwie überfahren vorkommt, denn die geheimnisvolle Unbekannte in seinem B&B reißt schnell Kontrolle und Kommando an sich, als ein verschwundener Pensionsgast plötzlich zu unerwartetem Detektivspiel führt, das gar auf eine Spur zur sizilianischen Mafia hinweist.

Die Kluft zwischen den Temperamenten der beiden Protagonisten wie auch die lustvoll ausgespielten nationalen Stereotype, britische Ironie und exzentrische Nebenfiguren sorgen dafür, dass der Humor in diesem Cozy-Krimi nicht auf der Strecke bleibt.

Das weckte Erwartungen für den Folgeband "Mord und Fromage", in dem das ungleiche Paar (wobei das mit dem Paar eher Wunschdenken Richards ist) erneut ermittelt und sich diesmal mit Ziegenkäse, Sterneköchen und den komplizierten Verhältnissen einer Ex-Hippiekommune auseinandersetzen muss.

Fast scheint es zudem, als könne der Beginn einer wunderbaren Ermittlerfreundschaft zum Scheitern verurteilt werden, nämlich durch die andere Frau. Anders als im Hollywood Noir handelt es sich allerdings weniger um eine Femme Fatale als vielmehr um Richards Ehefrau, die hofft, ihre Ehe nicht nur retten zu können, sondern obendrein den sozialen Status als Professorengattin in Cambridge aufzuwerten. Richard, wie immer von energiegeladenen Frauen überfordert, sieht schon alle seine Träume die Loire herunterschwimmen - und was wird eigentlich aus den Hühnern?

Ohne zu spoilern, soll immerhin schon so viel verraten werden: Weiteren Fällen von Richard und Valérie dürfte nichts im Wege stehen. Und vermutlich wird sich Richard auch dann fragen, was zum Teufel gerade passiert ist, auch wenn seine unvermuteten Geistesblitze, deren er sich nicht einmal bewusst ist, den Schlüssel zum Aufklärungserfolg bringen.

Wer die Abenteuer des "Donnerstagsmordclub" mag, wird auch Richard und Valérie ins Leser-Herz schließen. Locker-leicht geschrieben und sich selbst nicht zu ernst nehmend, verbindet diese Reihe englischen Humor und französischen Charme. Encore, s´il vous-plait!

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Veröffentlicht am 16.03.2024

Rites of Passage

Issa
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In ihrem Debütroman "Issa" hat Mirrianne Mahn zumindest einiges mit ihrer Ich-Erzählerin Issa gemeinsam: In den späten 1980-er Jahren in Kamerun geboren, in Deutschland in einem Dorf im Hunsrück aufgewachsen, ...

In ihrem Debütroman "Issa" hat Mirrianne Mahn zumindest einiges mit ihrer Ich-Erzählerin Issa gemeinsam: In den späten 1980-er Jahren in Kamerun geboren, in Deutschland in einem Dorf im Hunsrück aufgewachsen, lebt heute in Frankfurt. Zu Beginn des Romans sitzt Issa im Flugzeug, ungeplant schwanger, und auf dem Weg nach Kamerun zu "den Omas", ihrer Großmutter und ihrer Urgroßmutter. Denn ihre Mutter, zu der sie ein schwieriges Verhältnis hat und die über die Schwangerschaft noch vor Abschluss des Studiums alles andere als begeistert ist, ist überzeugt, dass das ungeborene Kind Issa umbringen wird, wenn nicht die nötigen Rituale begangen werden. Die Beziehung zum Kindsvater ist nicht ungetrübt und Issa befindet sich in einer emotionalen Achterbahn, weiß nicht wirklich, was sie will nur dass sie ihr Kind keinesfalls abtreiben will, das ist ihr völlig klar.

Die Reise zu den Omas ist auch buchstäblich eine Reise zu den Wurzeln, und das in zweifacher Hinsicht. Denn die Omas haben Issa in ihrer frühen Kindheit aufgezogen, während ihre Mutter in Nigeria Medizin studierte. Es geht in dem Roman aber auch um die Geschichte der Frauen der Familie, die Ahnen, die Kindheit der Uroma noch während der deutschen Kolonialzeit und im Ersten Weltkrieg. Während Issa eintaucht in die ihr fremde Welt der Rituale, wird zugleich auf anderen Erzählebenen die Familiengeschichte entblättert, in der sich Frauen mit Verlust, Missachtung und Überlebensstrategien auseinandersetzen mussten. Männer sind fast immer Nebenfiguren, bis auf wenige Ausnahmen toxisch, manipulativ oder gewalttätig.

Issa mag zwar in Kamerun geboren sein, hat aber den Blick von außen und fühlt sich auch immer wieder als Außenseiterin, als "Kokosnuss" (außen braun,innen weiß), die weder Pidgin noch die ethnische Sprache Bakwara spricht, die auf dem Markt oder im Taxi nicht den Mund aufmachen soll, weil bei der Erkenntnis, mit einer Deutschen zu tun zu haben, gleich die Preise steigen. Immer wieder geht es um Identitätssuche und das Gefühl, nicht dazu zu gehören - in Deutschland, wo sie als Kind in der Schule gemobbt wurde, wegen ihrer Hautfarbe, in Kamerun wegen der fehlenden Sozialisation und Unwissenheit über kulturelle Traditionen.

Auch wenn Issa nach Jahren bereits erwachsen ist,ist dieser Roman doch eine coming of age story, in der Identitätssuche und Auseinandersetzung mit der künftigen Mutterrolle wie auch den Beziehungen zu den Frauen der Familie Issas Weg prägen. Nebenher geht es um das Konzept afrikanischer Großfamilien, die Herausforderungen polygamer Ehen und die Verbindung zu den Ahnen und traditionellem Glauben.

Das Buch ist lebendig geschrieben und vielschichtig, auch wenn die Autorin nicht auf einige Platitüden verzichten kann, wenn sie etwa über schwarze Mütter und ihren Erziehungsstil schreibt oder andere Verallgemeinerungen über afrikanische Kultur beziehungsweise schwarze Identität von sich gibt.. Angesichts der ethnischen Vielfalt und großen sozialen Unterschiedie in den mehr als 50 afrikanischen Staaten ist das dann doch arg vereinfachend. Dennoch ein lesenswertes und interessantes Buch, das starke Frauen in den Mittelpunkt stellt.

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