Leseempfehlung! 4 sehr gute Sterne hierfür!
Requiem für Tante DomenicaKlappentext:
„Tante Domenica ist gestorben. Die bigotte alte Jungfer hatte mit dem Pfarrer zusammen über die Moral im Dorf gewacht. An ihrem Totenbett sitzt der angereiste Neffe. Jugenderinnerungen steigen ...
Klappentext:
„Tante Domenica ist gestorben. Die bigotte alte Jungfer hatte mit dem Pfarrer zusammen über die Moral im Dorf gewacht. An ihrem Totenbett sitzt der angereiste Neffe. Jugenderinnerungen steigen hoch, und im Leichenzug begegnet er Giovanna, seiner ersten Liebe wieder. Aus den Erinnerungen zwischen Zorn und Zärtlichkeit ersteht ein eindrückliches, realistisches Bild des alten Val Bavona, entwickelt sich die Geschichte einer glücklich-unglücklichen Kindheit und Jugend im engen Tal, geprägt von Katholizismus und Tradition. Dann erhält Tante Domenica eine feierliche Totenmesse, wird zu Grab getragen, ein jeder wirft eine Handvoll Erde ins Grab und geht seiner Wege. Libera me, Domine!“
Autor Plinio Martini ist in der Schweiz, genauer einem kleinen Ort im Maggiatal geboren. Das Tal liegt im Kanton Tessin. Der südliche Teil des Kantons zählt zur grenzüberschreitendenschweizerisch-italienischen Metropolregion Tessin. Warum nun so viele geografische Hinweise? Tessin ist sehr stark katholisch geprägt und bekannt für seine gut besiedelten Bergdörfer, zumindest war das früher der Fall. Nunmehr wandern viele ab, wollen versuchen irgendwo ihr neues Glück zu finden. Aber Tessin lockt nach wie vor die Touristen an mit seiner natürlichen Schönheit. Ein einmaliger Flecken Erde. Vier Jahre vor Martinis Tot, im Jahr 1975/76, kam sein Werk „Requiem für Tante Domenica“ auf den Buchmarkt. Der Autor war ein Garant für offene und unverblümte Erzählungen. Bekannt wurde unser Autor in der Region und darüber hinaus mit „Nicht Anfang und nicht Ende“. Und was hat es nun mit Tante Domenica auf sich? Das es die Dame mit der Keuschheit hatte, wird bereits im Klappentext sehr ausführlich benannt, aber dennoch hatte sie eine große Liebe - ihren Glauben zu Gott. Wenn man so will, war sie und der Dorfpfarrer in dieser Geschichte die eigentlich Sittenpolizei. Ging etwas nicht nach ihrem Sinn, wurde sich dagegen aufgebäumt. Ich muss zugeben, Martini sparte hier keineswegs an Sarkasmus und Ironie weder gegen den Glauben noch gegen die Religion selbst. Das muss man verstehen und akzeptieren. Wer als Leser das nicht kann, wird hiermit keine Freude haben. Als sie dann ins Himmelreich aufgestiegen ist, ist der Buch-Titel im Zentrum. Der Blick wandert dann auf ihren Neffen Marco. Er zählt zu denen, die eben anderweitig und anderenorts ihr Glück versuchen wollten. Er ist ein Abwanderer. Aber für Tante Domenica kommt er wieder zurück in sein kleines Heimatdorf. Wir erlesen einerseits ein Dorfleben, ein Leben in Bergdörfern welches nicht immer leicht ist und war aber auch wie es ist, wenn man den Blick für andere Regionen weitet. Wir erlesen also irgendwie zwei Sichtweisen und schlussendlich nimmt uns Marco gekonnt an die Hand, das irgendwie so trübe und graue Dorf und eingefleischte Dorfleben „sehen zu lernen“, wie es sich verändert hat in all den Jahren, wie sich die Menschen vielleicht verändert haben, der Zeit angepasst haben oder auch nicht, wie sich das Landleben gedreht hat und die Suche nach dem Grund für seine Abwanderung. Er beschreibt diese nämlich teilweise sehr rührend und liebevoll und es stellt sich die Frage, warum er gegangen ist. Womöglich ist er von diesem eingefleischtem Gemeindeleben einfach erdrückt worden. All die Reglementierungen verbunden mit dem Glauben, der Religion, der stets harten Arbeit waren scheinbar zu viel für ihn. Er sehnte sich nach frischer Luft und einem gelöstem Korsett. Autor Martini beschreibt ganz frei wie verkapselt das Leben in diesem Dorf so war. Alles musste seinem Gang gehen und stand stets unter dem Schutze der Kirche. Das die Zeit aber die Menschen auch weiterdenken lässt, andere Dinge plötzlich wichtiger werden, eben ein Wandel der Moderne Einzug hält, die Zukunft durch das Dorf geht, bleibt auch hier nicht unverborgen. Martini hält den Bewohnern den Spiegel hin, zeigt wie sich sich teilweise selbst die Taschen voll hauen mit ihrer Art und das der Glaube auch nicht immer hilft. Die Wortspielereien Martinis empfand ich mehr als gelungen. Und wer sich mal ganz intensiv mit diesem vermeintlichen ruhigen und gesittetem Dorfleben auseinander setzt, wird ebenfalls „sehen lernen“ und dabei staunen. Martinis Buch ist bis heute mehr als aktuell und ein echtes Stück Schweizer Zeitgeschichte die über die Grenzen hinaus geht.