Zwischen Sizilien und München – drei Lebenswege
Die Frauen der Familie Carbonaro„Nice to meet you.“ Vera und Elvis - die Schauspielerin und Elvis eben – das gibt’s doch nicht! Ziemlich verkatert sitzen sie an Marias Küchentisch, Toni und Peppe haben sie nach einer langen Nacht hierher ...
„Nice to meet you.“ Vera und Elvis - die Schauspielerin und Elvis eben – das gibt’s doch nicht! Ziemlich verkatert sitzen sie an Marias Küchentisch, Toni und Peppe haben sie nach einer langen Nacht hierher geschleppt. Nachdem der caffè ihn auch nicht gerade fitter und wacher gemacht hat, bringt ihn der Saft der Blutorangen wieder auf die Beine. Und Maria war auf einmal klar, wie sie das sonnige Sizilien hierher, nach München, bringen kann. Ihre Geschäftsidee war geboren. Wir sind hier der Familiensaga etwas vorausgeeilt, dies war Ende der 1950er Jahre, aber nun von Anfang an.
„Die Frauen der Familie Carbonaro“, das zweite Buch um diese sizilianische Familie, ist ausgelesen. Hier geht es hauptsächlich um drei Frauengenerationen, um Pina, Anna und Maria. „Terra di Sicilia“, das Vorgängerbuch, erzählt die Lebensgeschichte des Barnaba Carbonaro, des Sizilianers, der von ganz unten angefangen hat, alles über die Zitrusfrüchte gelernt und sich mit dem Export nach Deutschland ein gutes Auskommen verschafft hat. Und nun sind es die Frauen, von denen ich abwechselnd lese. 1896 geht es los mit Pina, Barnabas blutjunger Ehefrau. Gefolgt von Anna, die sich in Nino verguckt hat. Er ist Pinas Sohn, er ist Schneider mit Leib und Seele und muss doch mit Barnaba mit nach München in die Großmarkthalle, seine Anna folgt ihm Jahre später. Wäre da noch Maria, geboren mit der Glückshaut und deshalb heißt sie eigentlich Pancrazia - wie alle Mädchen, die damit geboren werden. Sie hasst diesen Namen, alle nennen sie Maria.
Von diesen drei Frauen und von denen um sie herum erzählt Mario Giordano. Es ist so viel mehr als nur eine Familiengeschichte, das Buch bringt mir ein Stück Sizilien näher. Neben den Zitrusfrüchten geht es um Liebe und Hass, um Eifersucht und um den allgegenwärtigen Aberglauben. Die Patruneddi di casa, die Hausgeister, leben mit ihnen. Die Frauen werfen zwei Schatten, auch wenn nicht jeder diese sehen kann – Sizilien ohne dieses Mystische ist nicht denkbar. Pina, die Urgroßmutter des Erzählers, scheint eine vom Leben gezeichnete, harte Frau gewesen zu sein. Da ihr Barnaba meist abwesend war, musste sie die Familie auf Sizilien irgendwie durchbringen. Das Leben hatte für sie alles zu bieten – Unglück und zuweilen auch ein Stückchen Glück, Niederlagen wegstecken, immer wieder aufs Neue hoffen und irgendwie weitermachen und neben den familiären Tragödien spielen auch die Mafia und der Krieg eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die Episoden um Pina, Anna und Maria wechseln sich ab, jede ist übertitelt mit dem jeweiligen Namen, dem Ort und des Jahres oder der Jahre, von denen die Geschichten gerade handeln. Anfangs war ich irritiert über diesen Aufbau, musste gelegentlich zurückblättern, bald jedoch hatte ich diesen Erzählstil verinnerlicht. Hilfreich waren der vorangestellte Stammbaum der Familie über drei Generationen sowie das Glossar am Ende des Buches. Neben den titelgebenden Carbonaro-Frauen ist viel Historisches mit eingeflossen sowohl in Italien als auch in Deutschland. Das immer noch vorherrschende Patriarchat hier und die Gräueltaten der Nationalsozialisten dort. Später dann die Nachkriegsjahre bis hin zu den 1970ern. Es war eine schlimme, eine finstere Zeit, es herrschte aber auch Helligkeit und Lebensfreude. Ein Kaleidoskop, vollgepackt mit Leben.
Der Roman gewährt einen tiefen Einblick in die Familie über einen Zeitraum von etwas mehr als siebzig Jahren. Der Wandel der Gesellschaft ist unübersehbar, auch die Welt der Carbonaros dreht sich weiter. Gerne bin ich ihnen gefolgt und habe mit ihnen ein anderes Sizilien kennengelernt, ein Sizilien, das nicht nur eitel Sonnenschein war.