Wie hält eine Freundschaft Depression und Krankheit stand
WeltalltageWeltalltage, das sind die Tage, an denen ihr Schwindel ihr das Gefühl gibt, Zeit und Raum zu verlassen, um sich einer Schwerelosigkeit hinzugeben, die sie als Betroffene bedrohlicher erlebt, als ihre Mitmenschen. ...
Weltalltage, das sind die Tage, an denen ihr Schwindel ihr das Gefühl gibt, Zeit und Raum zu verlassen, um sich einer Schwerelosigkeit hinzugeben, die sie als Betroffene bedrohlicher erlebt, als ihre Mitmenschen. Sie kennt Max seit einer gefühlten Ewigkeit. Beide im Osten Deutschlands aufgewachsen, beide Kinder alleinerziehender Mütter. Max‘ Mutter Ingenieurin, ihre Textilpflegerin. Max und sie waren sich einig, wenn sie auf Westkinder hinabsahen.
Ihr erfandet die Beleidigung Gummistiefelkinder für alle, die behüteter aufwuchsen als ihr und nie nasse Füße hatten. Eure Freundschaft fußt darauf, dass ihr keine Gummistiefelkinder wart und die Löcher in euren Turnschuhen zum symbolischen Beweis eurer Lebenserfahrung erhobt. S.25
Sie halfen sich gegenseitig, so gut sie konnten. Max schrieb bei ihrem Lexikonwissen ab und sie schaute sich von ihm die Selbstverständlichkeit seines Seins in dieser Welt, seinen Duktus ab, sobal ihre Redeangst sie lähmte, machte sich zunutze wie er in seinem Stuhl saß, frei von jeder Erwartung oder Bewertung. Lag sie mit heftigsten Unterleibschmerzen zuhause, kochte Max ihr etwas zu essen. Und als Ärzte ihr das geliebte Radfahren verboten, baute Max ihr einen Hänger und brachte sie überall hin.
Als Max Onkel, der vorletzte Mann seiner Familie, freiwillig aus dem Leben scheidet, entsteht ein Ruck in ihm, der ihn nachhaltig erschüttert. Nun glaubt er, dass ein Fluch über der Familie hängt, der alle Männer frühzeitig dahinrafft und nach dieser Logik, konsequenterweise bald auch ihn holen wird. Max trifft zunehmend Entscheidungen, die ihr nicht gefallen. Dann geht er in ein Krankenhaus und verbietet ihr jede Kontaktaufnahme zu ihm, was sie alles infrage stellen lässt. Ihre Freundschaft. Ihre Krankheit. Ihr Selbstbild.
Fazit: Ich mochte die Sprache von Paula Fürstenberg. Sie hat viele kluge und auch kreativ ausgearbeitete Sätze in dieses Buch gebracht. Der thematische Schwerpunkt liegt auf Freunschaft, Krankheit, Depression, Suizid und was diese Lebensereignisse mit einem selbst und mit anderen machen. Wie finden wir unseren Wert in einer Gesellschaft, die voller Erwartungen an uns ist, die wir nicht erfüllen können? Stellenweise wird ein wenig feministisches Gedankengut eingestreut, was ich nie verkehrt finde. Grundsätzlich hat die Autorin wichtige und interessante Fragen aufgeworfen, von denen ich mich gerne habe inspirieren lassen. Die Perspektive fand ich gewöhnungsbedürftig, weil die Autorin ihre Aufarbeitung mit sich selbst führt und im Du erzählt, also quasi eine Du-Erzählung. Was mir weniger gut gefallen hat, ist die Bezeichnung des Verlages, das Buch als Roman zu deklarieren. Deswegen hatte ich einen Roman erwartet aber es gibt keine durchgehende Geschichte. Allerdings fällt es mir auch schwer, den Text einzuordnen. Vielleicht trifft Essay das Geschrieben eher. Und so hat meine Herangehensweise an das Buch mein Leseglück ein wenig getrübt.