Profilbild von Leseclau

Leseclau

aktives Lesejury-Mitglied
offline

Leseclau ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Leseclau über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.04.2023

Regt zum Nachdenken an

Die spürst du nicht
0

Der ungewohnte Schreibstil fesselt sofort. Daniel Glattauer erzählt die Geschichte wie ein neutraler Beobachter. Anonyme Pressetexte und Postings bilden eine weitere externe Erzählperspektive. Dadurch ...

Der ungewohnte Schreibstil fesselt sofort. Daniel Glattauer erzählt die Geschichte wie ein neutraler Beobachter. Anonyme Pressetexte und Postings bilden eine weitere externe Erzählperspektive. Dadurch kommt man den handelnden Personen nicht wirklich nah, ist aber um so mehr angeregt, über sie nachzudenken.
Da fahren zwei Familien in den Urlaub und nehmen (warum eigentlich?) eine Mitschülerin der Tochter mit. Diese ist ein somalisches Flüchtlingskind, bisher wenig integriert und sehr zurückhaltend, nicht spürbar geradezu. Es ist kein gemeinsamer Urlaub, sondern jeder lebt in seiner eigenen Welt. Schnell kommt es zur Katastrophe. Und wenn man denkt, diese wird nun gemeinsam verarbeitet, irrt man sich gewaltig. Auch hier bleibt jeder für sich allein. Die Erwachsenen quält überwiegend die Frage, wie man ungeschoren aus der Situation herauskommt. Die Kinder werden komplett sich selbst überlassen. Insbesondere die Tochter driftet ins Internet ab und sucht dort nach Trost und Verständnis. Daniel Glattauer zeichnet hier ein schonungsloses Gesellschaftsbild. Vordergründig muss alles picobello sein, im Hintergrund spielen sich die wahren Katastrophen ab. Im Netz wird dazu fleißig kommentiert, jeder traut sich ein Urteil über den anderen zu.
Es ist dem Autor ein Anliegen, die Geschichten dahinter zu erzählen. Das Ende des Buchs ist geprägt vom Leben der somalischen Flüchtlingsfamilie. Sie werden sichtbar und spürbar gemacht, entanonymisiert geradezu.
Während mich am Anfang der ungewöhnliche Stil gefesselt und das Handeln der Familien sehr zum Nachdenken über unser Leben im hier und jetzt gebracht hat, war mir das Ende des Buches zu sehr „mit dem Holzhammer“ erzählt. Da hätte ich mir mehr von der Feinsinnigkeit des Beginns gewünscht, denn die Botschaft ist ohnehin mehr als deutlich.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.02.2021

Komplexe Familiengeschichte mit vielen Geheimnissen

Die vier Gezeiten
2

Wir tauchen tief ein in das Familienleben der Kießlings. Dieses ist von Geheimnissen und Verschweigen geprägt, das immer mehr Verschwiegenheit nach sich zieht.
Da ist Johanne, Matriarchin, die stets alle ...

Wir tauchen tief ein in das Familienleben der Kießlings. Dieses ist von Geheimnissen und Verschweigen geprägt, das immer mehr Verschwiegenheit nach sich zieht.
Da ist Johanne, Matriarchin, die stets alle Fäden in der Hand hielt und nun demenzbedingt oft in ihrer eigenen Welt verharrt. Doch hin und wieder tauchen Erinnerungen auf. Und das sind nicht nur gute: aus dem Osten nach dem 2. Weltkrieg geflüchtet, große Lieben und ein Kind verloren. Das hat sie scheinbar sehr hart gemacht. Anders ihre Tochter Adda, die wiederum ihren Kindern so viel Liebe wie möglich geben will. Aber das Schicksal der Frauen in der Familie lastet auch auf ihr. Und sie türmt auf die bestehenden Geheimnisse weitere auf.
Beide Frauen versuchen, das Beste für ihre Familien zu geben, entfremden sich dabei und gehen im Laufe der Geschichte wieder aufeinander zu. Dieses sich langsam annähern und verstehen ist ein ganz starker, berührender Teil des Buches.
In dieser ganzen Gemengelage taucht wie aus dem nichts Helen auf. Sie ist Adda wie aus dem Gesicht geschnitten und sucht ihre leibliche Mutter. Durch ihr beharrliches Fragen bringt sie viele Steine ins Rollen und schließlich die Wahrheit ans Licht.
Für den Leser passiert dies in vielen Zeitsprüngen, ausführlichen Lebensbeschreibungen und zur jeweiligen Zeit passenden (lokal-)politischen Themen. Die Zeitsprünge erfordern Konzentration beim Lesen, beflügeln aber auch die Fantasie. Die politischen Themen nehmen für mich ein bisschen zu viel Raum ein, zumal sie auch nicht immer direkt mit der Geschichte zu tun haben. Auch das gesamte Familienkonstrukt ist unnötig kompliziert aufgebaut. Ich hätte mir ein paar weniger Figuren gewünscht, dafür die direkt handelnden etwas stimmiger und ausgereifter.
Es ist dennoch ein unterhaltsamer Roman, der in eine inzwischen fast vergessene Zeit entführt.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Story
Veröffentlicht am 01.05.2024

Ein gut unterhaltender Krimi für zwischendurch

Die Tote am Kai (WaPo Cuxhaven 2)
0


„Die Tote am Kai“ ist der zweite Band einer Reihe rund um die Polizeiteams der Wasserschutzpolizei und der Kripo Cuxhaven. Man kann gut einsteigen, ohne den ersten Band zu kennen. Die Charaktere werden ...


„Die Tote am Kai“ ist der zweite Band einer Reihe rund um die Polizeiteams der Wasserschutzpolizei und der Kripo Cuxhaven. Man kann gut einsteigen, ohne den ersten Band zu kennen. Die Charaktere werden schnell eingeführt, manchmal kommt deren Beschreibung fast ein bisschen zu hastig und einseitig daher.
Im als beschaulich beschriebenen Cuxhaven gibt es plötzlich zwei Fälle, eine tote Frau am Kai und einen angeschossenen Wasserschutzpolizisten. Die Ermittlungen liegen eigentlich in den Händen der Kripo, in deren Reihen auch noch der Bruder des Angeschossenen arbeitet. Und natürlich sind auch die Kollegen der Wasserschutzpolizei an der Aufklärung des Falls interessiert. Allen voran Agatha, die sich munter in alle Ermittlungen einmischt, mit den Betroffenen redet, hier Details gesteckt bekommt und da in Unterlagen schaut. Zusätzlich scheint sie sich mal zum Leiter der Ermittlungen und mal zum Schussopfer hingezogen zu fühlen.
Wenn mit dem Prolog noch eine gewisse Spannung aufkommt, geht diese im Buch leider verloren. Die vielen Nebengeschichten sind unterhaltsam zu lesen, tragen bei mir aber nicht zu einem echten Krimigefühl bei.
Ein dickes Plus sind die schöne Umschlaggestaltung und die zeitliche Führung durch den Fall. Ich mag es, wie die überwiegend kurzen Kapitel mit einer Art Zeitangabe starten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.04.2024

Wie wird man glücklich?

Mit den Jahren
0

So richtig warm werde ich nicht mit dem Buch – auch nicht mit den Protagonisten. In einzelnen, teilweise minutiös detaillierten Beschreibungen tauchen wir ein in die Gedankenwelt von Jette, Lukas und Eva. ...

So richtig warm werde ich nicht mit dem Buch – auch nicht mit den Protagonisten. In einzelnen, teilweise minutiös detaillierten Beschreibungen tauchen wir ein in die Gedankenwelt von Jette, Lukas und Eva. Letztere sind ein Paar, Eltern von 2 Kindern und leben mehr oder weniger nebeneinanderher. Sie haben sich verloren über die Jahre. Eva ist mir am nahbarsten. Haushalt am Laufen halten, Verantwortung für Kinder und Beruf, es ist ein unermüdlicher Kreislauf. Sie sehnt sich nach Veränderung und kann diese gleichzeitig nicht wirklich benennen. Jette ist ihr Gegenentwurf, alleinstehend, kinderlos, frei (?). Und mit einer ebensolchen Sehnsucht nach (einem anderen) Leben. Lukas schließlich ist Künstler, unabhängig in der Familie, auf seine Art bemüht aber sich doch stets weg duckend und weg laufend.
Lukas und Eva treffen unabhängig voneinander auf Jette und beginnen ihre Leben mit Jette zu teilen. Warum es ausgerechnet Jette ist, bleibt mir schleierhaft. Jette wirkt, ebenso wie Lukas und Eva, als Person unglaublich blass. Jede(r) einzelne wird auf seine Gedanken rund um Lebensideale, verpasste Gelegenheiten und Möglichkeiten reduziert. Diese Gedankenspiralen sind toll beschrieben, reichen aber für mich nicht aus, um mich mit Begeisterung ins Buch zu stürzen. Zu langatmig ist es mir bisweilen, zu uninteressant und absolut zu sexlastig. Schade, denn es steckt so viel Weisheit und Nachdenkenswertes in den Zeilen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.12.2023

Interessanter Einblick in den Journalismus der 70er Jahre

Die Unbestechliche
0

„Die Unbestechliche“ erzählt über eine junge Frau in den 70er Jahren, die dafür kämpft, ihre Träume zu leben. Alice möchte als Journalistin über das Leben berichten. Und das als Frau! Und Mutter! In einer ...

„Die Unbestechliche“ erzählt über eine junge Frau in den 70er Jahren, die dafür kämpft, ihre Träume zu leben. Alice möchte als Journalistin über das Leben berichten. Und das als Frau! Und Mutter! In einer Zeit, als es sich schickte, dass sich Frauen ausschließlich um die Familie kümmern. Doch sie findet ihren Weg, erst als Volontärin einer Lokalzeitung, später im Sportressort einer großen Münchner Zeitung und dann sogar im Hörfunk. Das Autorinnenduo begleitet Alice an den Scheidepunkten ihres Lebenswegs.
Und in diesem Begleiten liegt für mich auch die Schwäche des Buchs. Es wird fast wie in einem Sachbuch eine Geschichte über Alice erzählt. Die Protagonistin kommt mir nicht wirklich nah, zu distanziert und journalistisch ist der Erzählstil. Fast als würde ich einen Zeitungsartikel lesen.
Aber diese Liebe der Autorinnen zum Journalismus macht das Buch letztendlich doch zu etwas besonderem. Der Einstieg in jedes Kapitel mit historischen Zeitungsberichten gefällt mir richtig gut. Diese sind so ausgewählt, dass sie einerseits Erinnerungen wecken, andererseits perfekt zum Abschnitt passen. Auch der Einblick in die Pressearbeit ist sehr bereichernd. In den Redaktionsmeetings und im Umgang der Personen untereinander wird der Zeitgeist schön eingefangen.
Fast schon überfliegen musste ich dagegen die politische Einwertung der jeweiligen aktuellen Ereignisse. Die ewigen (Kneipen-)dialoge und ein bisschen zu viel Moralisieren mit dem Holzhammer haben mein Lesevergnügen getrübt. Zudem empfand ich das Buch auch stilistisch überfrachtet: die Zeitungsartikel als Einstieg, Haikus als haltgebende Lebensweisheiten und dann noch die Parallelgeschichte von Alice im Wunderland wegen der Namensgleichheit zur Protagonistin. Da hätte mir mehr Innenleben von Alice und das wirkliche Auserzählen der anderen Hauptfiguren viel besser gefallen. Diese sind immer nur punktuell da, wenn sie gerade gebraucht werden und verschwinden ansonsten für lange Zeit im Nichts. Das fand ich sehr schade, da in diesen Figuren auch jede Menge Potential liegt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere